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Urteilskopf

105 II 143


24. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 15. Mai 1979 i.S. C. und C.S. AG gegen L. (Berufung)

Regeste

Schaden infolge vorsorglicher Massnahmen gemäss UWG.
1. Art. 8 ZGB. Behauptungs- und Substantiierungspflicht als Fragen des Bundesrechts. Anforderungen an das Bestreiten rechtserheblicher Tatsachen, insbesondere wenn es um das Mass und die Berechnung von Schadenersatz sowie um den Kausalzusammenhang geht (E. a und b).
2. Art. 12 Abs. 2 UWG. Haftung des Antragstellers: Bei der Bestimmung des Ersatzes sind Verschulden des Schädigers und Mitverschulden des Geschädigten mitzuberücksichtigen (E. c).

Erwägungen ab Seite 144

BGE 105 II 143 S. 144
Erwägungen:

6. Die im kantonalen Verfahren angeordneten vorsorglichen Massnahmen erwiesen sich im ersten Prozess als überwiegend, im zweiten als gänzlich unbegründet. Was die Kläger dagegen vorbringen, scheitert an den Ergebnissen der materiellen Beurteilung, die auch für die vorsorglich angeordneten Verbote gilt (vgl. BGE 105 II 61 E. 4). Für den ihm daraus erwachsenen Schaden forderte der Beklagte gestützt auf Art. 12 Abs. 2 UWG widerklageweise Fr. 200'000.- Ersatz. Das Zivilgericht Basel-Stadt hat ihm Fr. 191'696.85 zugesprochen.
a) Nach dem angefochtenen Urteil hat der Beklagte seine Schadenersatzforderung einerseits mit Kosten von mindestens Fr. 100'000.- für die Einführung neuer Warenbezeichnungen, anderseits mit Verlusten infolge empfindlichen Umsatzrückganges und mit Minderung des Erlöses beim Geschäftsverkauf begründet. Den Klägern hielt das Zivilgericht entgegen, sie hätten sich damit begnügt, die Schadensberechnung des Beklagten "vollumfänglich" zu bestreiten, dadurch gegen die ihnen obliegende Substantiierungspflicht verstossen und die Folge davon zu tragen (§§ 56 Abs. 3 und 61 ZPO). Die nicht substantiiert bestrittenen Beträge von Fr. 43'696.85 für Änderung der Warenbezeichnungen und Fr. 63'000.- für Umtriebe und Kundenbesuche seien daher ohne weiteres, die Summe von Fr. 42'500.- als Umgangsrückgang je "Verbotsmonat" lediglich unter Begrenzung auf die Monate Februar und März 1974 mit Fr. 85'000.- zuzusprechen. Die Kläger erblicken darin eine Verletzung von Art. 8 ZGB.
aa) Nach dieser Vorschrift hat, wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet. Damit sind für den ganzen Bereich des Bundeszivilrechts auch die Folgen der Beweislosigkeit geregelt. Der Vorbehalt anderer gesetzlicher Bestimmungen kann sich ebenfalls nur auf das Bundesrecht beziehen (KUMMER, N. 20/22 und 48/52 zu Art. 8 ZGB).
In BGE 98 II 116 /7 wurde die Rechtsprechung zur Behauptungs- und Substantiierungspflicht unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 ZGB verdeutlicht. Danach entscheidet sich nicht nach kantonalem Prozessrecht, ob eine Partei einen ihr nach Bundesrecht zustehenden Anspruch durch ihre Sachvorbringen
BGE 105 II 143 S. 145
ausreichend substantiiert habe. Da das Bundeszivilrecht verlange, dass jede sich darauf gründende Rechtsbehauptung bei hinreichendem Interesse zum Urteil zuzulassen sei, entscheide es auch darüber, ob die von einer Partei form- und fristgemäss angeführten Tatsachen erlauben, ihre Rechtsbehauptung zu beurteilen. Der kantonale Richter verletze daher Bundesrecht, wenn er eine Klage zu Unrecht mit der Begründung abweise, sie sei ungenügend substantiiert worden.
Bundesrecht ist ferner verletzt, wenn der kantonale Richter über rechtserhebliche Tatsachen überhaupt nicht Beweis führen lässt (BGE 102 II 12, BGE 102 III 13, BGE 97 III 14, BGE 95 II 467, BGE 90 II 468) oder Behauptungen einer Partei unbekümmert darum, dass sie von der Gegenpartei bestritten worden sind, als richtig hinnimmt (BGE 96 I 199, BGE 80 II 295, BGE 75 II 103, BGE 71 II 127 /8). Was bezüglich der Wertung für behauptete Tatsachen gilt, muss daher auch für die form- und fristgemäss vorgebrachte Bestreitung solcher Tatsachen gelten, zumal letztlich von dieser Wertung abhängt, ob Art. 8 ZGB auf eine anspruchsbegründende Tatsache, die von der einen Partei behauptet, von der andern dagegen bestritten wird, anwendbar ist; sonst könnte das kantonale Recht die bundesrechtliche Beweislastregel durch übertriebene Anforderungen im einen wie im andern Bereich illusorisch machen.
bb) Wo der Richter auf dem Wege der Beweiswürdigung zur Überzeugung gelangt, eine Tatsache sei bewiesen, ist die Frage der Beweislastverteilung freilich gegenstandslos (BGE 100 Ia 16, BGE 98 II 86 mit Zitaten; KUMMER, N. 23 zu Art. 8 ZGB). Abgesehen von diesem Fall bleibt es aber dabei, dass vom Nachweis behaupteter rechtserheblicher Tatsachen nur das klare, ausdrückliche oder stillschweigende prozessuale Zugeständnis der Gegenpartei entbindet, und dass die Frage, ob ein solches vorliege, nicht von einer Erklärung abhängig gemacht werden darf, sondern nach dem gesamten Verhalten der Partei im Prozess zu beurteilen ist.
Das Zivilgericht hat nicht übersehen, dass die Schadensberechnung des Beklagten von der Gegenpartei vollumfänglich bestritten worden ist. Es hielt eine solche Bestreitung jedoch für unzureichend und warf den Klägern vor, dass es zu ihren prozessualen Pflichten gehört hätte, im einzelnen darzulegen, welche Positionen in welchem Umfange bestritten würden, selbst wenn sie naturgemäss nicht alle Positionen des Widerklägers
BGE 105 II 143 S. 146
mit Zahlen widerlegen konnten. Das geht offensichtlich zu weit. Der Gegner des Beweispflichtigen hat dessen Behauptungen nicht zu widerlegen, liefe dies doch auf eine Umkehrung der Beweislast hinaus und so dem Art. 8 ZGB stracks zuwider. Wenn eine Schadensberechnung im vollen Umfang bestritten ist, kann für den Richter zudem kein Zweifel darüber bestehen, welche Positionen in welchem Umfang der Belangte nicht gelten lässt.
Gewiss kann vom Beklagten je nach dem Gegenstand und der Lage des Prozesses ebenfalls verlangt werden, eine Bestreitung tunlichst zu substantiieren. Diesfalls gleiche Anforderungen an die Substantiierung zu stellen wie bei Sachbehauptungen, welche die Beurteilung des daraus abgeleiteten Anspruchs erlauben sollen, geht jedoch im vorneherein nicht an; es muss vielmehr genügen, wenn die Bestreitung ihrem Zweck entsprechend konkretisiert wird, um den Behauptenden zu der ihm obliegenden Beweisführung zu veranlassen. So kann füglich eine einmalige generelle Bestreitung gegnerischer Behauptungen als ungenügend betrachtet und vom Belangten erwartet werden, dass er rechtsrelevanten Sachvorbringen des Klägers mit konkreten Angaben widerspricht. Es kann auch andere Prozesssituationen geben, in denen er sich nicht auf Bestreitungen beschränken darf, sondern eine eigene Darstellung des Geschehens geben muss; das leuchtet namentlich dann ein, wenn der Kläger bestimmte Vorgänge, Abläufe oder Entwicklungen unterstellt. Wo es aber um das Mass und die Berechnung von Schadenersatz geht, kann dem Belangten nicht verwehrt werden, vom Kläger den rechtsgenüglichen Nachweis zu verlangen, sich folglich mit blossem Bestreiten zu begnügen.
Im vorliegenden Fall kommt dazu, dass die Belangten nicht nur ausdrücklich die Schadensberechnung des Widerklägers als solche in vollem Umfang bestritten, sondern sich der Widerklage mit verschiedenen Beweisangeboten widersetzt und sich zum Kausalzusammenhang, zum Verschulden sowie zum Umfang und den Faktoren des Schadens einlässlich geäussert haben.
cc) Bei diesem Ergebnis hält die Annahme des Zivilgerichts, die Widerklageforderungen hätten mangels einer genügend substantiierten Bestreitung als anerkannt zu gelten, vor Art. 8 ZGB nicht stand. Damit ist dem angefochtenen Urteil in diesem Punkte die Grundlage entzogen. Der fehlende Nachweis
BGE 105 II 143 S. 147
für die Forderungen ist unter Vorbehalt eines allfälligen Gegenbeweises der Kläger vom Beklagten zu erbringen.
b) Das gilt sinngemäss auch für den Kausalzusammenhang zwischen den vorsorglichen Verfügungen und dem geltend gemachten Schaden. Das Zivilgericht hat ihn im Ergebnis bejaht, was in tatsächlicher Hinsicht für das Bundesgericht verbindlich wäre (BGE 101 II 73 und 164 E. 3, BGE 98 II 291); zur Rechtsfrage, ob der Zusammenhang auch als adäquat anzusehen sei, hat es sich nicht geäussert, und die Berufung schweigt sich darüber ebenfalls aus. Eine tatsächliche Feststellung bindet das Bundesgericht indes nicht, wenn sie auf Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften beruht (Art. 63 Abs. 2 OG). Das angefochtene Urteil enthält zum Kausalzusammenhang nur vage Angaben, auf die nicht endgültig abgestellt werden kann. Es hält den Klägern entgegen, sie hätten für den Verkauf des Geschäftes durch den Beklagten andere Gründe genannt, jedoch übersehen, dass der Beklagte den Schaden nicht nur mit dem Mindererlös begründete, den er beim Verkauf erzielt habe; sie müssten einräumen, dass er auch durch das richterliche Verbot zum Verkauf veranlasst worden sei; die von ihnen hervorgehobenen Beweggründe seien bestritten und das Schreiben Schwarz jedenfalls kein genügender Beweis.
Die Kläger haben, wie aus der Widerklageantwort erhellt, indes noch weitere Einwände erhoben und andere Beweise angeboten. Eine umfassende Stellungnahme zu ihren Sachvorbringen und Beweisofferten ist dem angefochtenen Urteil aber nicht zu entnehmen, auch nicht in Form einer teilweise vorweggenommenen Beweiswürdigung. Es kann deshalb nicht verlässlich nachgeprüft werden, ob das Zivilgericht in diesem Punkte ebenfalls Art. 8 ZGB verletzt habe, wie die Kläger behaupten. Ebensowenig geht aus dem Urteil hervor, warum der natürliche Kausalzusammenhang entgegen den Einwänden der Kläger zu bejahen und worin er zu erblicken ist. Das Zivilgericht hat dies bei der Neubeurteilung der Widerklage nachzuholen, seine summarische und lückenhafte Begründung zumindest so zu ergänzen, dass die Rechtsanwendung überprüft werden kann.
c) Nach Auffassung des Zivilgerichts ist die Haftung des Antragstellers gemäss Art. 12 Abs. 2 UWG weder als reine Kausal- noch als reine Verschuldenshaftung zu verstehen, sondern zwischen diesen beiden Arten als Haftung nach freiem Ermessen des Richters einzuordnen, der die Grundsätze des
BGE 105 II 143 S. 148
Art. 43 OR zu beachten habe. Die Vorinstanz beruft sich dabei auf TROLLER (Immaterialgüterrecht, 2 Aufl. II, S. 1211), zitiert ihn aber unvollständig, ist dieser Autor doch der Meinung, dass das UWG die Voraussetzungen und den Umfang der Haftung nicht regle, weshalb die allgemeinen Grundsätze von Art. 41 ff. OR anzuwenden seien, was zur Verschuldenshaftung führe und die Kausalhaftung ausschliesse (S. 1212 in Verbindung mit S. 1209). Diesen Standpunkt hat das Zivilgericht aber gerade nicht übernommen. Es fand, die Verschuldenshaftung vermöchte der beidseitigen Interessenlage nicht gerecht zu werden, da der Antragsteller nur dann zur Deckung des Schadens verpflichtet werden könne, wenn er nachweislich konkrete Anhaltspunkte dafür gehabt habe oder hätte haben sollen, dass seine tatsächlichen Behauptungen oder Ansprüche unbegründet seien.
Diese Auffassung ist nicht zum vorneherein abzulehnen; sie braucht aber nicht weiter geprüft zu werden, da die Entscheidung so oder anders ins Ermessen des Richters gestellt bleibt, der es gemäss Art. 4 ZGB nach Recht und Billigkeit auszuüben hat, Verschuldens- und Mitverschuldensfaktoren folglich nicht übergehen darf. Die Entstehungsgeschichte des Gesetzes spricht ebenfalls für diese Lösung (Botschaft zum Entwurf, in BBl 1942, S. 708/9; Sten. Bull. 1943 StR S. 71 Votum Haefelin). Die Ansicht VON BÜRENS (Kommentar zum UWG S. 206), der Antragsteller hafte grundsätzlich für den vollen Schaden, ist dagegen mit TROLLER (a.a.O., S. 1211/12 N. 174) zu verwerfen. Umsoweniger genügt die blosse Feststellung, die vorsorgliche Verfügung habe sich materiell als unbegründet erwiesen, um die Kläger zum Ersatz des ganzen Schadens zu verurteilen. Mehr führt das angefochtene Urteil aber nicht an. Die Kläger werfen dem Zivilgericht daher mit Recht vor, es habe die von ihm selber angeführten Haftungsgrundsätze missachtet. Es hat bei Neubeurteilung der Widerklage das Verschuldenselement einzubeziehen und gebührend zu berücksichtigen.