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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6S.279/2006 /bri 
 
Urteil vom 2. November 2006 
Kassationshof 
 
Besetzung 
Bundesrichter Schneider, Präsident, 
Bundesrichter Wiprächtiger, Kolly, 
Gerichtsschreiber Thommen. 
 
Parteien 
Schweizerische Bundesanwaltschaft, 3003 Bern, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
X.________, vertreten durch Rechtsanwalt Till Gontersweiler, 
Beschwerdegegner I, 
Y.________, vertreten durch Rechtsanwältin 
Dr. Barbara Wyler, 
Beschwerdegegner II. 
 
Gegenstand 
Art. 169 Abs. 3 BStP (Grundsatz der freien Beweiswürdigung) und Art. 179 Abs. 2 Ziff. 2 lit. a BStP, 
 
Nichtigkeitsbeschwerde gegen den Entscheid des Bundesstrafgerichts, Strafkammer, vom 26. Januar 2006. 
 
Sachverhalt: 
A. 
X.________ und dessen Helfer Y.________ betrieben zwischen Anfang 1999 und Ende 2001 Heroin- und teilweise auch Kokainhandel in grossen Mengen. 
B. 
Mit Urteil des Bundesstrafgerichts vom 26. Januar 2006 wurde X.________ dafür der qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz im Sinne von Art. 19 Ziff. 1 Abs. 2 - 6 und Ziff. 2 BetmG und der mehrfachen Geldwäscherei im Sinne von Art. 305bis Ziff. 1 StGB schuldig gesprochen und mit 12 Jahren Zuchthaus sowie 15 Jahren Landesverweisung bestraft. Y.________ wurde bei identischem Schuldspruch mit 6 Jahren Zuchthaus und 12 Jahren Landesverweisung bestraft. 
 
Nebst weiteren Freisprüchen wurden X.________ vom Vorwurf der Lieferung, Y.________ vom Vorwurf des Transports einer 20 kg übersteigenden Menge Heroingemischs im Zeitraum von Juni bis Oktober 2001 (gemäss Anklagepunkten I A 18; I A 19 und II A 10) freigesprochen. 
C. 
Gegen diese Freisprüche erhebt die Bundesanwaltschaft eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde. Sie beantragt die Aufhebung der Urteilsziffern I Ziff. 1 al. 3 (betreffend X.________) und II Ziff. 1 al. 4 (betreffend Y.________). Die Sache sei zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
D. 
In seinen Gegenbemerkungen beantragt das Bundesstrafgericht die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Im gleichen Sinne liessen sich die beiden Beschwerdegegner vernehmen. Sie beantragen ferner die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Das Bundesstrafgericht in Bellinzona beurteilt erstinstanzlich Straf-fälle, die das Gesetz der Gerichtsbarkeit des Bundes zuweist (Art. 191a Abs. 1 BV; Art. 1 Abs. 1 des Bundesgesetzes über das Bundesstrafgericht, Strafgerichtsgesetz, SGG; SR 173.71). Gegen Entscheide von dessen Strafkammer kann beim Kassationshof des Bundesgerichts Nichtigkeitsbeschwerde geführt werden. Das Verfahren richtet sich nach Art. 268 - 278bis BStP, Art. 269 Abs. 2 BStP findet jedoch keine Anwendung. Der Bundesanwalt ist grundsätzlich zur Beschwerde berechtigt (Art. 33 Abs. 3 lit. b SGG; vgl. Entscheide 6S.293/2005 vom 24. Februar 2006, E. 1 und 6S.15/2005 vom 12. Mai 2005, E. 3.5). 
1.1 Das Bundesstrafgericht zieht in seinen Gegenbemerkungen die Beschwerdeberechtigung der Beschwerdeführerin in Bezug auf die beanstandete Beweiswürdigung in Zweifel. Insbesondere zweifelhaft sei, ob sich die Bundesanwaltschaft auf die Verletzung verfassungsmässiger Rechte berufen könne. Im gleichen Sinne liess sich der Beschwerdegegner II vernehmen (Stellungnahme S. 3 f.). 
1.2 Bei Nichtigkeitsbeschwerden gegen kantonale Strafurteile sind Verfassungsrügen wegen des Vorbehalts der staatsrechtlichen Beschwerde ausgeschlossen (Art. 269 Abs. 2 BStP; BGE 120 la 31 E. 2e). Nach ausdrücklicher Vorschrift von Art. 33 Abs. 3 lit. b SGG gilt dieser Vorbehalt nicht in Bezug auf Entscheide des Bundesstrafgerichts, weil sich die staatsrechtliche Beschwerde nicht gegen Entscheide von Bundesinstanzen richten kann (Art. 84 ff. OG). Nach der Rechtsprechung kann der Angeklagte in der Beschwerde gegen Bundesstrafgerichtsentscheide Verfassungs- und insbesondere auch Willkürrügen erheben. Der Gesetzgeber hat insoweit die Einheitsbeschwerde bereits vorweggenommen (Entscheid 6S.293/2005 vom 24. Februar 2006, E. 2.1; Art. 95 BGG, Botschaft, BBI 2001 4334 f.; vgl. Kiss, AJP 2003, 151). Fraglich ist, inwieweit der Bundesanwalt ebenfalls zu Verfassungsrügen zuzulassen ist. Diese Grundsatzfrage, welche Probleme der Trägerschaft und des Schutzbereichs von Grundrechten aufwirft, vor Inkrafttreten des Bundesgerichtsgesetzes zu entscheiden, besteht vorliegend kein Anlass, zumal sich die vorgebrachten Rügen als eindeutig unbegründet erweisen. 
2. 
Die Beschwerdeführerin rügt, dass die Vorinstanz sich hinsichtlich der Freisprüche in keiner nachvollziehbaren Art und Weise mit der Glaubwürdigkeit und der Beweiskraft der vorgebrachten Beweismittel auseinandergesetzt habe. Damit habe sie ihr Ermessen in der freien Beweiswürdigung überschritten und Art. 169 Abs. 3 BStP verletzt. 
2.1 Das Gericht würdigt die Glaubwürdigkeit und die Beweiskraft der Beweismittel nach freiem Ermessen (Art. 169 Abs. 3 BStP). Diese Bestimmung statuiert den Grundsatz der freien Beweiswürdigung für den Bundesstrafprozess, wie ihn Art. 249 BStP für das kantonale Verfahren vorschreibt. Sie will sicherstellen, dass die Organe der Strafrechtspflege frei von Beweisregeln und nur nach ihrer persönlichen Ansicht aufgrund gewissenhafter Prüfung darüber entscheiden, ob sie eine Tatsache für bewiesen halten. Daraus folgt, dass die Bestimmung dem Richter bloss verbietet, bei der Erhebung von Beweisen und der Würdigung erhobener Beweise gesetzlichen Regeln - z.B. Verwertungsverboten - zu folgen. Eine Verletzung liegt mithin nur vor, wenn bestimmten Beweismitteln von vornherein in allgemeiner Weise die Beweiseignung abgesprochen wird oder wenn der Richter im konkreten Fall bei der Würdigung der Beweise im Ergebnis nicht seiner eigenen Überzeugung folgt (BGE 127 IV 172 E. 3a; 127 IV 46 E. 1c). Dass das Bundesstrafgericht die Beweise im beschriebenen Sinne nicht frei gewürdigt haben soll, wird weder von der Beschwerdeführerin behauptet noch ist dies sonst ersichtlich. 
2.2 Mit ihren Beanstandungen, die sich gegen die aus den Beweisen gezogenen Schlüsse richten, rügt die Beschwerdeführerin sinngemäss Willkür in der Beweiswürdigung. Eine solche liegt vor, wenn die Behörde in ihrem Entscheid von Tatsachen ausgeht, die mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen, auf einem offenkundigen Fehler beruhen oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderlaufen. Dabei genügt es nicht, wenn der angefochtene Entscheid sich nur in der Begründung als unhaltbar erweist; eine Aufhebung rechtfertigt sich erst, wenn er auch im Ergebnis verfassungswidrig ist (BGE 131 I 57 E. 2; 127 I 38 E. 2 und 4 mit Hinweisen). Wird eine Verletzung des Willkürverbotes geltend gemacht, muss in der Beschwerde im Einzelnen dargelegt werden, inwiefern der angefochtene Entscheid an einem qualifizierten und offensichtlichen Mangel leidet (BGE 130 I 258 E. 1.3; 125 I 492 E. 1 b). 
2.3 Konkret macht die Beschwerdeführerin geltend, dass das detaillierte Geständnis des Beschwerdegegners II, wonach er zusammen mit dem Beschwerdegegner I 5 kg Heroin an W.________ geliefert haben will, zu Unrecht nicht berücksichtigt worden sei. Aus dem vorinstanzlichen Urteil geht hervor, dass beide Beschwerdegegner in den Anklagepunkten A I 18 und 19 sowie II A 10 die Lieferung von mindestens 20 kg Heroin gestanden haben. Auch der Abnehmer Z.________ hat die Übernahme von insgesamt 20 kg bestätigt (Urteil S. 35 f.). Für darüber hinausgehende Lieferungen habe angesichts widersprüchlicher Aussagen nicht ausgeschlossen werden können, dass die Lieferung an W.________ nicht bereits - wie von der Verteidigerin des Beschwerdegegners II geltend gemacht - unter einen andern Anklagesachverhalt fiel, weshalb im Zweifel freizusprechen gewesen sei (Urteil S. 43 f., Gegenbemerkungen des Bundesstrafgerichts Ziff. 1b; Stellungnahmen des Beschwerdegegners I S. 6 f und Beschwerdegegners II S. 12 ff.). Die Bundesanwaltschaft zeigt nicht auf, inwiefern diese vorinstanzliche Beweiswürdigung willkürlich sein soll, vielmehr erschöpft sich ihre Kritik darin zu beanstanden, dass stärker auf die Aussagen des Beschwerdegegners II hätte abgestellt werden sollen. Damit lässt sich Willkür nicht begründen, weshalb die Rüge insoweit abzuweisen ist. 
3. 
Die Beschwerdeführerin macht ferner das Fehlen einer hinreichenden Urteilsbegründung geltend, wodurch ihr rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) sowie Art. 179 Abs. 2 Ziff. 2 lit. a BStP verletzt worden seien. Anstatt sich zur Glaubhaftigkeit des detaillierten Geständnisses von Beschwerdegegner II zur Lieferung an W.________ zu äussern, habe die Vorinstanz Überlegungen zur Gesamtmenge und Anzahl der Herointransporte gemacht. Der Urteilsbegründung lasse sich aber nicht entnehmen, welche der in den genannten Anklagepunkten erwähnten Sachverhalte erwiesen und damit als Urteilsgrundlage erstellt seien und welche nicht. Die blosse Aufzählung der freizusprechenden Anklagepunkte im Dispositiv sei als Begründung unzureichend. Insbesondere hätte die Vorinstanz die Rolle der Beschwerdegegner beim eingeklagten Geschäft mit W.________ abschliessend beurteilen müssen. Ansonsten könnte man für das Verfahren gegen W.________ möglicherweise präjudizierend annehmen, das fragliche Geschäft sei nicht bewiesen. 
3.1 Im Falle der Freisprechung stellt das Urteil fest, dass die dem Angeklagten vorgeworfene Tat nicht erwiesen oder nicht strafbar ist (Art. 179 Abs. 2 Ziff. 2 lit. a BStP). Entgegen den Vorbringen der Beschwerdeführerin sind diese Urteilsanforderungen bereits erfüllt mit der blossen Aufzählung der freizusprechenden Anklagepunkte, zumal diesbezüglich lediglich ein Feststellen gefordert wird. Begründungsanforderungen lassen sich aus Art. 179 Abs. 2 BStP keine ableiten. 
3.2 Eine Pflicht der Behörden zur Entscheidbegründung folgt indes aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 29 Abs. 2 BV. Der Betroffene soll wissen, warum die Behörde entgegen seinem Antrag entschieden hat. Die Begründung eines Entscheids muss deshalb so abgefasst sein, dass der Betroffene ihn gegebenenfalls sachgerecht anfechten kann. Dies ist nur möglich, wenn sowohl er wie auch die Rechtsmittelinstanz sich ein Bild von den Motiven des Entscheides machen können. In diesem Sinne müssen die Überlegungen wenigstens kurz genannt werden, von denen sich die Behörde leiten liess und auf welche sich ihr Entscheid stützt. Das bedeutet indessen nicht, dass sich diese ausdrücklich mit jeder tatbestandlichen Behauptung und jedem rechtlichen Einwand auseinandersetzen müsste. Vielmehr kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Gesichtspunkte beschränken (BGE 126 I 97 E. 2b; 112 la 109 E. 2b; 114 la 242 E. 2). 
3.3 Die Begründung im vorinstanzlichen Urteil genügt diesen Anforderungen durchwegs, insbesondere auch in Bezug auf die Freisprüche. Die Vorinstanz sprach die Beschwerdegegner nur insoweit frei, als ihnen bei gesamthafter Betrachtung der Anklagekomplexe I A 18 und 19 (Beschwerdegegner I) sowie II A 10 (Beschwerdegegner II) vorgeworfen wurde, insgesamt mehr als 20 kg Heroin gehandelt zu haben. Diesen teilweisen Freispruch begründet sie damit, dass sich aus den widersprüchlichen Aussagen nur diese Mindestmenge, nicht aber die einzelnen Transaktionen eruieren liessen (Urteil S. 35 f., 43 f.; Gegenbemerkungen des Bundesstrafgerichts S. 2 f.). Entgegen der Beschwerdeführerin lässt sich der Urteilsbegründung somit entnehmen, welche der eingeklagten Sachverhalte als erwiesen betrachtet werden und welche nicht (vgl. Stellungnahmen des Beschwerdegegners I S. 6 f. und Beschwerdegegners II S. 4 ff.). Ob das Geschäft mit W.________ wirklich stattgefunden hat, konnte offen gelassen werden, weil die eingestandenen Mindestmengen als Urteilsgrundlage ausreichen. Auch die Rüge mangelhafter Begründung ist nicht stichhaltig. 
 
Kosten- und Entschädigungsfolgen 
4. 
Unterliegt der Bundesanwalt, so werden keine Kosten auferlegt (Art. 278 Abs. 2 BStP). Den obsiegenden Beschwerdegegnern sind für ihre Stellungnahmen angemessene Entschädigungen zu bezahlen (Art. 278 Abs. 3 BStP). Deren Gesuche um unentgeltliche Rechtspflege werden gegenstandslos (vgl. BGE 118 IV 342 n.p. E. 3). Die Entschädigungen sind an die Rechtsvertreter der Beschwerdegegner auszurichten. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
3. 
Die Beschwerdegegner werden mit je Fr. 1'500.-- aus der Bundesgerichtskasse entschädigt. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Bundesstrafgericht, Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 2. November 2006 
Im Namen des Kassationshofes 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: