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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1P.422/2005 /gij 
 
Urteil vom 19. Oktober 2005 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Féraud, Präsident, 
Bundesrichter Nay, Reeb, 
Gerichtsschreiber Störi. 
 
Parteien 
A.________, zzt. in der Strafanstalt, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Dr. Nicolas Roulet, 
 
gegen 
 
Y.________, Beschwerdegegner, vertreten durch Advokat Dr. Jonas Schweighauser, 
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft, Bahnhofplatz 3a, 4410 Liestal, 
Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung 
Zivil- und Strafrecht, Bahnhofplatz 16, Postfach 635, 4410 Liestal. 
 
Gegenstand 
Art. 9 und 32 BV, Art. 6 EMRK (Strafverfahren), 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Zivil- und Strafrecht, vom 2. März 2005. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Das Strafgericht des Kantons Basel-Landschaft verurteilte A.________ am 23. Juli 2004 wegen versuchter vorsätzlicher Tötung (Art. 111 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB), einfacher Körperverletzung mit einer Waffe (Art. 123 Ziff. 2 StGB) und mehrfacher Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes (Art. 19a Ziff. 1 BetmG) zu 3 ½ Jahren Zuchthaus. Es hielt u.a. für erwiesen, dass er und X.________ am 28. Oktober 2002 den Geschäftsführer des Restaurants "B.________" in Binningen, Y.________, mit drei Schüssen aus zwei verschiedenen Faustfeuerwaffen niederstreckten und lebensgefährlich verletzten. 
 
Das Kantonsgericht Basel-Landschaft verurteilte A.________ am 2. März 2005 in teilweiser Gutheissung der Appellationen von Y.________ und der Staatsanwaltschaft wegen versuchter vorsätzlicher Tötung, versuchter schwerer Körperverletzung und mehrfacher Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes zu 7 Jahren Zuchthaus. 
B. 
Mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von Art. 9 und Art. 32 Abs. 1 BV sowie von Art. 6 Ziff. 2 EMRK beantragt A.________, dieses Urteil des Kantonsgerichts aufzuheben. Ausserdem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. 
 
Y.________ verzichtet auf Vernehmlassung. Das Kantonsgericht und die Staatsanwaltschaft beantragen in ihren Vernehmlassungen, die Beschwerde abzuweisen. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Beim angefochtenen Entscheid des Kantonsgerichts handelt es sich um einen letztinstanzlichen kantonalen Endentscheid (Art. 86 Abs. 1 OG). Der Beschwerdeführer ist durch die strafrechtliche Verurteilung in seinen rechtlich geschützten Interessen berührt (Art. 88 OG), weshalb er befugt ist, die Verletzung verfassungsmässiger Rechte zu rügen. Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, sodass auf die Beschwerde, unter dem Vorbehalt gehörig begründeter Rügen (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 127 I 38 E. 3c; 125 I 492 E. 1b; 122 I 70 E. 1c), einzutreten ist. Soweit im Folgenden auf Ausführungen in der Beschwerdeschrift nicht eingegangen wird, genügen sie den gesetzlichen Begründungsanforderungen nicht. 
2. 
Das Strafgericht ging bei der erstinstanzlichen Verurteilung davon aus, es könne nicht mit rechtsgenüglicher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer und sein Komplize X.________ "nur" vorgehabt hätten, ihr Opfer ins Knie zu schiessen und sie erst, nachdem dieses selber eine Faustfeuerwaffe gezogen habe, einen Schuss auf dessen Bauch abgefeuert hätten. Das Kantonsgericht verwarf die Hypothese, das Opfer könnte selber eine Faustfeuerwaffe gezogen und versucht haben, sich damit zu verteidigen; es hielt für erwiesen, dass die beiden Angreifer ein wehrloses Opfer zusammengeschossen haben und verschärfte die Strafe erheblich. 
 
Der Beschwerdeführer wendet sich in der staatsrechtlichen Beschwerde nicht mehr dagegen, dass ihn das Kantonsgericht als einen der beiden Mittäter des Überfalls auf Y.________ identifizierte. Er macht indessen geltend, dieses habe den Sachverhalt insofern willkürlich gewürdigt und gegen den in der Unschuldsvermutung verankerten Grundsatz "in dubio pro reo" verstossen, als es die vom Strafgericht angenommene Hypothese verworfen habe, sie hätten auf ein bewaffnetes Opfer geschossen und den lebensgefährlichen Schuss erst abgegeben, nachdem dieses ebenfalls eine Faustfeuerwaffe gezogen habe. 
3. 
3.1 Art. 9 BV gewährleistet den Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür behandelt zu werden. Auf dem Gebiet der Beweiswürdigung steht den kantonalen Instanzen ein weiter Ermessensspielraum zu. Willkür in der Beweiswürdigung liegt vor, wenn die Behörde in ihrem Entscheid von Tatsachen ausgeht, die mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen oder auf einem offenkundigen Fehler beruhen. Dabei genügt es nicht, wenn sich der angefochtene Entscheid lediglich in der Begründung als unhaltbar erweist; eine Aufhebung rechtfertigt sich erst, wenn er auch im Ergebnis verfassungswidrig ist (BGE 127 I 38 E. 2a S. 41; 124 IV 86 E. 2a S. 88, je mit Hinweisen). 
3.2 
3.2.1 Aus der in Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung wird die Rechtsregel "in dubio pro reo" abgeleitet (vgl. dazu BGE 127 I 38 E. 2a S. 41 f.; 124 IV 86 E. 2a S. 88; 120 Ia 31 E. 2c und d S. 36). Diese bedeutet als Beweislastregel, dass es Sache des Staates ist, die Schuld des Angeklagten zu beweisen, und nicht dieser seine Unschuld nachweisen muss. Der Grundsatz "in dubio pro reo" ist verletzt, wenn der Strafrichter einen Angeklagten (einzig) mit der Begründung verurteilt, er habe seine Unschuld nicht nachgewiesen. Ebenso ist die Maxime verletzt, wenn sich aus den Urteilserwägungen ergibt, dass der Strafrichter von der falschen Meinung ausging, der Angeklagte habe seine Unschuld zu beweisen, und dass er ihn verurteilte, weil ihm dieser Beweis misslang. 
3.2.2 Als Beweiswürdigungsregel besagt der Grundsatz "in dubio pro reo", dass sich der Strafrichter nicht von einem für den Angeklagten ungünstigen Sachverhalt überzeugt erklären darf, wenn bei objektiver Betrachtung Zweifel bestehen, ob sich der Sachverhalt so verwirklicht hat (vgl. BGE 127 I 38 E. 2a mit Hinweisen). Die Maxime ist verletzt, wenn der Strafrichter an der Schuld des Angeklagten hätte zweifeln müssen. Dabei sind bloss abstrakte und theoretische Zweifel nicht massgebend, weil solche immer möglich sind und absolute Gewissheit nicht verlangt werden kann. Es muss sich um erhebliche und nicht zu unterdrückende Zweifel handeln, d.h. um solche, die sich nach der objektiven Sachlage aufdrängen. Bei der Frage, ob angesichts des willkürfreien Beweisergebnisses erhebliche und nicht zu unterdrückende Zweifel hätten bejaht werden müssen und sich der Sachrichter vom für den Angeklagten ungünstigen Sachverhalt nicht hätte überzeugt erklären dürfen, greift das Bundesgericht nur mit Zurückhaltung ein, da der Sachrichter diese in Anwendung des Unmittelbarkeitsprinzips zuverlässiger beantworten kann. 
4. 
4.1 Nach der Überzeugung des Kantonsgerichts (angefochtenes Urteil E. 8 S. 44 ff.) hat der Beschwerdeführer zusammen mit X.________ und C.________ am 28. Oktober 2002, um etwa 22:50 Uhr, das Restaurant "B.________" in Binningen aufgesucht. Sie konsumierten verschiedene Getränke und verliessen das Lokal um ca. 23:20 Uhr. Der Wirt, Y.________, hielt sich während dieser Zeit in seiner über dem Restaurant gelegenen Wohnung auf. Grujic ging dann zu seinem Auto, während der Beschwerdeführer und X.________, beide mit Faustfeuerwaffen bewaffnet, nach der Verabschiedung Grujics in der Nähe des Restaurants warteten bzw. dorthin zurückkehrten. Gegen 23:30 trat Y.________ auf den Vorplatz seines Restaurants, um die Menükarte im Schaukasten zu wechseln. Er wurde vom Beschwerdeführer und X.________ angesprochen und gefragt, ob es noch etwas zu trinken gäbe. Y.________ verneinte und erklärte, das "Highspeed" sei noch geöffnet. Unmittelbar nach der Frage, wie man dorthin komme, hielt der Beschwerdeführer oder X.________ Y.________ eine Faustfeuerwaffe an die rechte Schläfe und forderte seinen Komplizen auf, Y.________ ins Knie zu schiessen. Darauf feuerten der Beschwerdeführer und X.________ in kurzer Folge aus zwei verschiedenen Waffen drei Schüsse auf Y.________ ab, wodurch dieser lebensgefährlich verletzt wurde. Nach der Tat rief einer der Täter per Handy Grujic an, und forderte ihn auf, sie mit dem Auto abzuholen, was dieser tat. 
4.2 Der Verteidiger des Beschwerdeführers brachte an der erstinstanzlichen Hauptverhandlung vor, Y.________ habe sich in seinem Lokal aufgehalten, als der Beschwerdeführer, X.________ und Grujic dieses vor der Tat betreten hätten, und sei von einem von ihnen mit "Hallo Wolfi" oder ähnlich begrüsst worden, wie D.________ ausgesagt habe. Gestützt darauf stellte er dann die Hypothese auf, dass sich Opfer und Täter kannten, und dass sich das Opfer nicht vor die Tür begeben hatte, um die Menükarte zu wechseln, sondern um mit einer unter den Kleidern versteckten Faustfeuerwaffe nachzusehen, ob sich die drei Gäste wirklich entfernt hätten. Als Reaktion auf den Überfall und den Schuss ins Knie, den er erhalten habe, habe er seine Waffe gezogen. Daraufhin hätten die Angreifer, deren Plan sich auf einen Schuss ins Knie des Opfers beschränkt habe, weiter - einmal in Richtung Bauch - geschossen und Y.________ lebensgefährlich verletzt. Diese Version des Tatgeschehens, welche das Strafgericht "in dubio pro reo" nicht ausschliessen wollte und seinem erstinstanzlichen Urteil zu Grunde legte, verwarf das Kantonsgericht. 
4.3 Der einzig erhebliche Unterschied zwischen den beiden Versionen besteht darin, dass nach der Auffassung des Kantonsgerichts die beiden Angreifer ein wehrloses Opfer zusammengeschossen haben, währenddem das Opfer im zweiten Fall, nachdem es einen Knieschuss erhalten hatte, selber zur Waffe griff und dadurch die Angreifer veranlasste, quasi zum Selbstschutz weiterzuschiessen. Über das Motiv der Täter ist nichts bekannt; es ist daher unerheblich, ob sich Täter und Opfer kannten oder nicht, und ob sich letzteres im Restaurant befunden hatte, als der Beschwerdeführer, X.________ und Grujic dieses kurz vor der Tat betraten. Ebenso unerheblich ist, aus welchem Grund Y.________ nachher vor die Türe seines Restaurants trat. Entscheidend ist einzig, ob das Kantonsgericht in verfassungsrechtlich haltbarer Weise davon ausgehen konnte, dass er dies unbewaffnet tat. 
Das ist offensichtlich der Fall. Es gibt niemanden, der gesehen haben will, dass Y.________ bewaffnet vor sein Restaurant trat. Auch die Täter, die jedenfalls nach ihrer zweifelsfreien Identifikation alles Interesse daran gehabt hätten, entlastende Sachverhaltsmomente vorzubringen, haben dies nicht behauptet. Y.________ hat stets bestritten, beim Vorfall eine Waffe getragen zu haben. Die Auswertung der gegen ihn angeordneten Telefonüberwachung hat zudem mehrere Gespräche ergeben, in denen er Bekannten gegenüber den Vorfall schilderte und ausführte, was anders gelaufen wäre, wenn er - als für solche Situationen ausgebildeter Schütze - eine Waffe bei sich gehabt hätte. Des Weiteren wäre es nach der zutreffenden Auffassung des Kantonsgerichts für Y.________ ohnehin sehr schwierig gewesen, eine Waffe in den Kleidern zu verstecken, da er am Oberkörper nur ein T-Shirt trug. Dazu schloss das Kantonsgericht zu Recht aus, dass Y.________ - auf den Tod verwundet - die Waffe selber hätte verschwinden lassen können. Dass dies seine damalige Freundin und heutige Frau E.________, die als erste beim verwundeten Y.________ eintraf, getan haben könnte, schloss es aus, da es ihr die Kaltblütigkeit und Besonnenheit nicht zutraute, ihren blutüberströmt am Boden liegenden Freund liegen zu lassen, um die Waffe verschwinden zu lassen. Anschliessend kamen F.________ und G.________ dazu, was bedeuten würde, dass die drei die Waffe in gemeinsamer Absprache hätten verschwinden lassen müssen. Dafür konnte das Kantonsgericht keinerlei Anhaltspunkte finden. 
 
Die These der Verteidigung, Y.________ habe eine Faustfeuerwaffe bei sich getragen und versucht, sich mit dieser gegen seine Angreifer zur Wehr zu setzen, bleibt daher reine Spekulation, die durch keine Fakten erhärtet wird. Das Kantonsgericht konnte unter diesen Umständen ohne Verfassungsverletzung davon ausgehen, dass Y.________ im Tatzeitpunkt unbewaffnet war. Die Rüge ist unbegründet. 
5. 
Die Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Damit wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 156 OG). Er hat zwar ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gestellt, welches jedoch abzuweisen ist, da die Beschwerde aussichtslos war (Art. 152 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen. 
3. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien sowie der Staatsanwaltschaft und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Zivil- und Strafrecht, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 19. Oktober 2005 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: