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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
9C_740/2009 {T 0/2} 
 
Urteil vom 1. März 2010 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident, 
Bundesrichter Kernen, Seiler, 
Gerichtsschreiber Scartazzini. 
 
Parteien 
T.________, vertreten durch Rechtsanwältin Barbara Lind, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
IV-Stelle des Kantons Aargau, 
Kyburgerstrasse 15, 5000 Aarau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 20. Mai 2009. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Die 1971 geborene T.________ arbeitete von 1994 bis 2001 als Fahrlehrerin und übte nebenbei noch andere Tätigkeiten aus. Am 29. November 2001 meldete sie sich bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an, wobei sie Berufsberatung, Umschulung auf eine neue Tätigkeit und eine Rente beantragte. Die IV-Stelle des Kantons Aargau (IV-Stelle) holte verschiedene medizinische Berichte ein und veranlasste ein Gutachten, welches am 19. Januar 2004 in der Klinik X._________ erstattet wurde. Zudem liess die IV-Stelle am Spital B.________ durch die Medizinische Abklärungsstation (MEDAS) ein interdisziplinäres Gutachten vom 16. September 2005 erstellen. Darin wurden, mit Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit, ein lumboradikuläres Reiz- und sensomotorisches Ausfallsyndrom S1 rechts bei lumbaler Diskushernie L5/S1 mediolateral rechts mit Wurzelkompression S1, und ohne Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit, eine Hämoglobin-Lepore-Anomalie kongenital diagnostiziert. Mit Verfügungen vom 28. April 2006 wies die IV-Stelle aufgrund eines Invaliditätsgrades von 20 % sowohl das Begehren um Umschulung als auch das Rentenbegehren ab. Die dagegen erhobene Einsprache wies sie mit Entscheid vom 13. März 2007 ab. 
 
B. 
Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau wies die dagegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 20. Mai 2009 ab. 
 
C. 
T.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit den Rechtsbegehren, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und unter Kosten- und Entschädigungsfolge habe die Invalidenversicherung für die Kosten einer Umschulung zur Fussreflexzonenmasseurin aufzukommen und es seien ihr Taggelder sowie eine volle bzw. eine halbe Invalidenrente auszurichten. Eventuell sei die Angelegenheit zurückzuweisen an die Beschwerdegegnerin zur Vornahme weiterer Abklärungen, namentlich zur Einholung eines Obergutachtens, subeventuell und gestützt auf ihr im vorinstanzlichen Verfahren gestelltes prozessuales Rechtsbegehren gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK, an die Vorinstanz zur Durchführung einer öffentlichen Parteiverhandlung. Sie ersucht ferner um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. 
 
IV-Stelle, Vorinstanz und Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) verzichten auf eine Vernehmlassung. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzung gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. auch Art. 97 Abs. 1 BGG). Mit Blick auf diese Kognitionsregelung ist aufgrund der Vorbringen in der Beschwerde an das Bundesgericht (Art. 107 Abs. 1 BGG) nur zu prüfen, ob der angefochtene Gerichtsentscheid in Anwendung der massgeblichen materiell- und beweisrechtlichen Grundlagen (unter anderem) Bundesrecht verletzt (Art. 95 lit. a BGG), einschliesslich einer allfälligen rechtsfehlerhaften Tatsachenfeststellung (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG). Hiezu gehört insbesondere auch die unvollständige (gerichtliche) Feststellung der rechtserheblichen Tatsachen und die Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes als einer wesentlichen Verfahrensvorschrift (Urteile 9C_534/2007 vom 27. Mai 2008, E. 1 mit Hinweis auf ULRICH MEYER, N. 58-61 zu Art. 105, in: Niggli/Uebersax/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar Bundesgerichtsgesetz, Basel 2008; SEILER/VON WERDT/GÜNGERICH, Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz, Bern 2007, N. 24 zu Art. 97). 
 
2. 
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze über den Anspruch auf Umschulung und Taggelder (Art. 8 und 17, Art. 24, 24bis und 25 IVG, Art. 6 IVV), über die Voraussetzungen und den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 2 IVG) sowie die Invaliditätsbemessung nach der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (Art. 16 ATSG) zutreffend dargelegt. Ebenfalls richtig sind die Ausführungen zum Beweiswert ärztlicher Berichte und Gutachten und zur Beweiswürdigung (BGE 125 V 351 E. 3 S. 352 ff.; 122 V 157 E. 1c S. 160 ff., je mit Hinweisen; vgl. auch BGE 132 V 393 E. 4.1 S. 400). Darauf wird verwiesen. 
 
3. 
Streitig und zu prüfen sind die Ansprüche der Versicherten auf Umschulung und Taggelder sowie auf eine Invalidenrente. Dabei steht insbesondere in Frage, ob Vorinstanz und Verwaltung bei der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit zu Recht auf das interdisziplinäre MEDAS-Gutachten vom 16. September 2005 abgestellt haben. 
 
3.1 Das Gutachten der MEDAS erfüllt die von der Rechtsprechung gestellten Anforderungen an ein ärztliches Gutachten (vgl. E. 2 hievor). Dabei erwähnt Frau Dr. med. C.________ in ihrem orthopädischen Teilgutachten entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführerin durchaus auch in differenzierter Weise die von der Explorandin im Rahmen der Untersuchung geäusserten Schmerzen und ist ihr Bericht auch nicht unsachlich. Die abweichenden ärztlichen Stellungnahmen, auf die sich die Beschwerdeführerin stützt, sind teilweise wesentlich älter als das Gutachten. Zudem ist die auf das Gutachten gestützte vorinstanzliche Feststellung, die Beschwerdeführerin sei auch in der bisherigen Tätigkeit als Fahrlehrerin zu 70 % arbeitsfähig, nicht offensichtlich unrichtig. Dabei ergibt sich auch dann kein rentenbegründender Invaliditätsgrad, wenn man mit der Beschwerdeführerin davon ausgeht, sie wäre als im Gesundheitsfall zu 100 % Erwerbstätige einzustufen, was bei eingeschränkter Arbeitsfähigkeit, aber bei nach wie vor im bisher ausgeübten Beruf zumutbarer Tätigkeit, einen der Arbeitsunfähigkeit entsprechenden Invaliditätsgrad von 30% ergeben würde. 
 
3.2 Ein Anspruch auf Umschulung zur Fussreflexzonenmasseurin könnte unter diesen Umständen grundsätzlich gegeben sein (BGE 124 V 108 E. 2b S. 111; AHI-Praxis 2000, S. 27 E. 2b und 62 E. 1). Nachdem die Beschwerdeführerin nach ihren eigenen Angaben mit der angestrebten neuen Tätigkeit jedoch nur ungefähr 50 % des bisherigen Einkommens verdient, somit weniger als sie zumutbarerweise im bisherigen Beruf verdienen könnte (E. 3.1), kann die Umschulung nicht dazu dienen, ihre Erwerbsfähigkeit zu erhalten oder zu verbessern, so dass die Voraussetzungen von Art. 17 IVG nicht erfüllt sind. 
 
3.3 Allerdings ist zu beachten, dass die Aussage zur Arbeitsfähigkeit der Versicherten im MEDAS-Gutachten vom 16. September 2005 für den Gutachtenszeitpunkt gilt. Darin wird ausdrücklich gesagt, dass nach den Unterlagen eine medizinisch begründete Arbeitsunfähigkeit von 20 % oder mehr seit dem 3. September 2001 besteht, aber die seitherige Entwicklung des Grades der Arbeitsfähigkeit nicht beantwortbar ist. Auch die Vorinstanz macht in ihren Ausführungen keine Feststellungen zur Arbeitsfähigkeit vor dem Gutachtenszeitpunkt, sondern stützt sich einzig auf das Gutachten. Insoweit wurde der Sachverhalt unvollständig festgestellt. Es ist in der Tat nicht auszuschliessen, dass diese Unvollständigkeit ergebnisrelevant sein könnte, erachten doch die früheren Arztberichte eine Besserung als möglich. Dementsprechend ist denkbar, dass vor dem Begutachtungszeitpunkt in der MEDAS die Arbeitsunfähigkeit der Versicherten höher war. Die Arbeitsfähigkeit gemäss Gutachten ist somit ab Begutachtungszeitpunkt (in Bezug auf die wesentlichen Teilbegutachtungen: Juli 2005) massgebend, während für die vorangegangene Zeit die Sache an die IV-Stelle zur Feststellung des Invaliditätsgrads und des allfälligen Anspruchs auf eine zeitlich befristete Invalidenrente zurückzuweisen ist. 
 
4. 
Ist somit die Sache zur Neubeurteilung zurückzuweisen, entfällt die Rüge der Verletzung von Art. 6 Ziff. 1 EMRK wegen Nichtdurchführung einer öffentlichen Verhandlung, hat doch die Beschwerdeführerin vor der Vorinstanz diesen Antrag ausdrücklich nur für den Fall gestellt, dass die Akten nicht zur Vornahme weiterer Abklärungen zurückgewiesen werden, so dass mit dem vorliegenden Verfahrensausgang der Antrag hinfällig wird. 
 
5. 
Die Gerichtskosten werden im Ausmass des teilweisen Unterliegens der Beschwerdeführerin und der Beschwerdegegnerin auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdegegnerin hat der Beschwerdeführerin in diesem Umfang eine Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 2 BGG). Im Ausmass des Unterliegens wird der Beschwerdeführerin die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gewährt (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG) unter Hinweis auf die Rückerstattungspflicht, wenn sie später dazu in der Lage ist (Art. 64 Abs. 4 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht 
 
1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 20. Mai 2009 und der Einspracheentscheid der IV-Stelle des Kantons Aargau vom 13. März 2007 werden aufgehoben. Es wird die Sache an die IV-Stelle des Kantons Aargau zurückgewiesen, damit sie über den Anspruch der Beschwerdeführerin auf eine zeitlich befristete Invalidenrente im Sinne der Erwägungen neu verfüge. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2. 
Der Beschwerdeführerin wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt. 
 
3. 
Von den Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin Fr. 250.- und der Beschwerdegegnerin Fr. 250.- auferlegt. Der Anteil der Beschwerdeführerin wird vorläufig auf die Gerichtskasse genommen. 
 
4. 
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'400.- zu entschädigen. 
 
5. 
Rechtsanwältin Barbara Lind, Frick, wird als unentgeltliche Anwältin der Beschwerdeführerin bestellt, und es wird ihr für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1'400.- ausgerichtet. 
 
6. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Versicherungsgericht des Kantons Aargau zurückgewiesen. 
 
7. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 1. März 2010 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Meyer Scartazzini