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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6P.86/2005 /bri 
6S.252/2005 
 
Urteil vom 1. Oktober 2005 
Kassationshof 
 
Besetzung 
Bundesrichter Schneider, Präsident, 
Bundesrichter Wiprächtiger, Zünd, 
Gerichtsschreiber Thommen. 
 
Parteien 
X.________, 
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Christoph Suter, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn, Franziskanerhof, Barfüssergasse 28, Postfach 157, 4502 Solothurn. 
 
Gegenstand 
6S.252/2005 
Grobe Verletzung von Verkehrsregeln; Drohung 
 
6P.86/2005 
Art. 9 und Art. 32 Abs. 1 BV (Strafverfahren; Willkür, Unschuldsvermutung), 
 
Nichtigkeitsbeschwerde (6S.252/2005) und Staatsrechtliche Beschwerde (6P.86/2005) gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn, Strafkammer, vom 4. Mai 2005. 
 
Sachverhalt: 
A. 
X.________ wird vorgeworfen, auf der Autobahn am 19. August 2002 mehrfach sehr nahe zum Personenwagen des Geschädigten, A.________, aufgeschlossen zu haben und diesem in zu geringem Abstand gefolgt zu sein. Danach habe er A.________ auf einer Überlandstrasse zum Anhalten genötigt und bedroht. 
B. 
Dafür wurde X.________ am 4. August 2003 vom Amtsgericht Thal-Gäu unter anderem der mehrfachen groben Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG durch mangelnden Abstand beim Hintereinanderfahren (gemäss Art. 34 Abs. 4 SVG und Art. 12 Abs. 1 VRV) sowie der Drohung nach Art. 180 StGB schuldig gesprochen und zu einer bedingt vollziehbaren zweimonatigen Gefängnisstrafe und einer Busse von Fr. 1'000.- verurteilt. Mit Urteil vom 4. Mai 2005 hat das Obergericht des Kantons Solothurn diesen Schuldspruch bestätigt und X.________ zu einer sechswöchigen, bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe verurteilt. 
C. 
Dagegen erhebt X.________ staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag um Aufhebung. Gleichzeitig führt er eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde und beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheids und die Rückweisung der Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz. 
 
Das Obergericht des Kantons Solothurn verzichtet auf Gegenbemerkungen. Stellungnahmen wurden keine eingeholt. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
I. Staatsrechtliche Beschwerde 
1. 
Der Beschwerdeführer rügt eine willkürliche Tatsachenfeststellung im Sinne von Art. 9 BV sowie die Verletzung der Unschuldsvermutung nach Art. 32 Abs. 1 BV
2. 
Die Beweiswürdigung ist willkürlich im Sinne von Art. 9 BV, wenn die Behörde in ihrem Entscheid von Tatsachen ausgeht, die mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen, auf einem offenkundigen Fehler beruhen oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderlaufen (BGE 127 I 38 E. 2; 124 IV 86 E. 2a, je mit Hinweisen). Wird mit staatsrechtlicher Beschwerde eine willkürliche Beweiswürdigung gerügt, reicht es nicht aus, wenn der Beschwerdeführer zum Beweisergebnis frei plädiert und darlegt, wie seiner Auffassung nach die vorhandenen Beweise richtigerweise zu würdigen gewesen wären, wie er dies in einem appellatorischen Verfahren mit freier Rechts- und Tatsachenüberprüfung tun könnte. Er muss gemäss ständiger Rechtsprechung zu Art. 90 Abs. 1 lit. b OG vielmehr aufzeigen, inwiefern die angefochtene Beweiswürdigung qualifiziert falsch und im Ergebnis verfassungswidrig war (vgl. BGE 130 I 258 E. 1.3.; 125 I 71 E. 1c.). 
3. 
Gemäss Art. 32 Abs. 1 BV sowie Art. 6 Ziff. 2 EMRK gilt jede angeschuldigte Person bis zur rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig. Als Beweiswürdigungsregel besagt die Unschuldsvermutung, dass sich der Strafrichter nicht von der Existenz eines für den Angeklagten ungünstigen Sachverhalts überzeugt erklären darf, wenn bei objektiver Betrachtung erhebliche und nicht zu unterdrückende Zweifel bestehen, ob sich der Sachverhalt so verwirklicht hat. Bei der Beurteilung von Fragen der Beweiswürdigung beschränkt sich das Bundesgericht auf eine Willkürprüfung, d.h. es greift nur ein, wenn der Sachrichter den Angeklagten verurteilte, obgleich bei objektiver Würdigung des Beweisergebnisses offensichtlich erhebliche bzw. schlechterdings nicht zu unterdrückende Zweifel an dessen Schuld fortbestanden (BGE 127 I 38, E. 2a.). 
4. 
Der Beschwerdeführer rügt eine willkürliche Beweiswürdigung in Bezug auf die 'Anzahl der Abstandsverletzungen' (Beschwerde Ziff. 2). Der erste Vorfall hat sich unbestrittenermassen bei der Raststätte Gunzgen ereignet. Hingegen sei nicht erstellt, wo genau der Beschwerdeführer zum zweiten Mal zu nahe aufgefahren sei. Auf die verschiedenen diesbezüglichen Aussagen des Geschädigten bei der Polizei, vor erster und vor zweiter Instanz könne nicht abgestellt werden, 'weil sie nicht einmal im Ansatz deckungsgleich' seien (Beschwerde S. 9). 
 
 
Entgegen der Darstellung des Beschwerdeführers stimmen die Aussagen des Geschädigten im Kern überein. So sagte dieser in allen drei Einvernahmen gleichlautend aus, dass er auf die rechte Spur gewechselt habe, nachdem der Beschwerdeführer zum ersten Mal nahe aufgefahren sei. Dieser habe ihn sodann überholt, sei vor ihm eingespurt und habe die Fahrt stark verlangsamt. Deshalb habe er den Beschwerdeführer erneut überholt, worauf es zum zweiten Mal zu einem sehr nahen Auffahren durch den Beschwerdeführer gekommen sei (kant. act.16 f.; 62 f.). Das Obergericht durfte somit von einer zweimaligen bedrängenden Verfolgung ausgehen. Von Willkür in Bezug auf die Anzahl der Abstandsverletzungen kann somit keine Rede sein. 
5. 
Der Beschwerdeführer rügt zweitens eine willkürliche Feststellung der Distanz zwischen den beiden Fahrzeugen (Beschwerde S. 5). Das Obergericht folgt in seinem Urteil weder den Angaben des Geschädigten, welcher in einem Abstand von lediglich 50 cm verfolgt worden sein will, noch dem Beschwerdeführer, welcher einen Abstand von 4-5 Wagenlängen eingehalten haben will. Vielmehr geht es in Würdigung aller Umstände von einem Abstand von 'wenigen Metern, maximal aber 10 Metern' aus (Urteil S. 15). 
5.1 Die obergerichtliche Annahme, dass 4-5 Wagenlängen einer Distanz von 16-20 Metern entsprechen, wird als willkürlich gerügt. Selbst wenn man dem Beschwerdeführer folgte und der Abstandsberechnung eine Wagenlänge von 5 Metern zugrunde legen würde, ergäbe sich nur eine geringfügige Abweichung zur obergerichtlichen Berechnung, welche im Übrigen nachvollziehbar und keineswegs willkürlich ist. Soweit der Beschwerdeführer im Weiteren geltend macht, dass mit der Angabe 'Wagenlänge' nicht die effektive Fahrzeuglänge, sondern 'die Distanz auf ein anderes Fahrzeug mit Abstand nach vorne und mit Abstand nach hinten' gemeint sei, ergeht er sich in nicht nachvollziehbaren, rein appellatorischen Ausführungen zur Interpretation des Begriffs 'Wagenlänge'. In diesem Punkt kann deshalb auf die Beschwerde nicht eingetreten werden. 
5.2 Der Beschwerdeführer rügt weiter, dass das Obergericht in einer willkürlichen Schätzung von einem Abstand von 'wenigen, maximal aber 10 Metern' ausgegangen sei (Beschwerde S. 12; Urteil S. 15). Zu Unrecht. Das Obergericht verwirft die Abstandsangabe des Geschädigten (50 cm) mit der Begründung, dass 'Autos im Innenrückspiegel näher wirken, als sie tatsächlich sind: So kann der Abstand noch mehrere Meter betragen, wenn im Innenrückspiegel nur noch die Kühlerhaube des nachfolgenden Fahrzeugs zu erkennen ist' (Urteil S.13). In seiner detailierten Begründung geht das Obergericht zu Gunsten des Beschwerdeführers über die Abstandsangaben des Geschädigten hinaus. Die obergerichtliche Beweiswürdigung ist somit weder willkürlich noch wurde damit die Unschuldsvermutung verletzt. 
6. 
Die staatsrechtliche Beschwerde ist demnach abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. 
 
II. Nichtigkeitsbeschwerde 
7. Grobe Verkehrsregelverletzung (Art. 90 Ziff. 2 SVG
7.1 Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung von Art. 90 Ziff. 2 SVG. Ein Abstand von 10 Metern bei 120 km/h könne erst als grobe Verkehrsregelverletzung qualifiziert werden, wenn auch feststünde, über welche Distanz die bedrängende Verfolgung stattgefunden habe. Dies lasse sich dem angefochtenen Entscheid nicht entnehmen (Beschwerde S. 6). 
7.2 Gemäss Art. 34 Abs. 4 SVG ist gegenüber allen Strassenbenützern ausreichender Abstand zu wahren, namentlich beim Kreuzen und Überholen sowie beim Neben- und Hintereinanderfahren. Nach Art. 12 Abs. 1 VRV hat der Fahrzeugführer beim Hintereinanderfahren einen ausreichenden Abstand zu wahren, so dass er auch bei überraschendem Bremsen des voranfahrenden Fahrzeugs rechtzeitig halten kann. Eine schwere Verkehrsregelverletzung gemäss Art. 90 Ziff. 2 SVG begeht, wer durch grobe Verletzung der Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt. 
7.3 Die Rüge des Beschwerdeführers geht fehl. Wie das Bundesgericht in einem Entscheid vom 11. Februar 2005 (BGE 131 IV 133 E. 3.2.3.) entschieden hat, ist ein Abstand von 10 Metern bei mehr als 100 km/h in jedem Fall viel zu gering und begründet eine erhöhte abstrakte Gefahr. Bei dieser Geschwindigkeit werden rund 30 Meter pro Sekunde zurückgelegt. Bei unvermitteltem Bremsen würde der nachfolgende Fahrer deshalb selbst unter Zugrundelegung einer schnellen Reaktionszeit von einer halben Sekunde noch ungebremst mit dem vorderen Fahrzeug kollidieren. Ein derart geringer Abstand stellt somit eine grobe Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG dar. Im Übrigen kann in diesem Punkt auf die zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (Urteil S. 16). 
8. Drohung (Art. 180 Abs. 1 StGB
8.1 Der Beschwerdeführer richtet sich weiter gegen seine Verurteilung nach Art. 180 Abs. 1 StGB. Die Drohung, "ich schlag dir deine Fresse ein", sei nicht als schwer einzustufen. Ausserdem hätte der Beschwerdeführer seine Drohung wegen der nur wenig geöffneten Seitenscheibe gar nicht in die Tat umsetzen können. Die Drohung sei deshalb nicht geeignet gewesen, den Geschädigten in Angst und Schrecken zu versetzen (Beschwerde S. 7 ff.). 
8.2 Bei der Prüfung, ob eine Drohung schwer und geeignet sei, den Geschädigten in Schrecken oder Angst zu versetzen, ist nach der Praxis des Bundesgerichtes grundsätzlich ein objektiver Massstab anzulegen. Dabei ist auf das Empfinden eines vernünftigen Menschen mit einigermassen normaler psychischer Belastbarkeit abzustellen (vgl. BGE 99 IV 212 E. 1a). 
8.3 Ob die Ankündigung, dem Geschädigten ins Gesicht zu schlagen, bereits für sich schwer wiegt, kann offen bleiben. Erschwerend wirken sich vorliegend jedenfalls die konkreten Umstände aus: Der Beschwerdeführer war dem Geschädigten über mehrere Kilometer teilweise bedrohlich nahe gefolgt, hatte diesen sodann zum Anhalten gezwungen und war wutentbrannt auf sein Fahrzeug zugekommen (angefochtenes Urteil S. 17 f.). Dieser 'gezielte Terror' des Beschwerdeführers wurde zu Recht als Drohung im Sinne von Art. 180 Abs. 1 StGB qualifiziert. 
9. 
Die Nichtigkeitsbeschwerde ist somit abzuweisen. 
III. Kosten- und Entschädigungsfolgen 
10. 
Bei diesem Ausgang trägt der Beschwerdeführer die Kosten der bundesgerichtlichen Verfahren (Art. 278 Abs. 1 BStP; Art. 156 Abs. 1 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
2. 
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. 
3. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 4'000.- wird dem Beschwerdeführer auferlegt. 
4. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn und dem Obergericht des Kantons Solothurn schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 1. Oktober 2005 
Im Namen des Kassationshofes 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: