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[AZA] 
P 9/99 Vr 
 
II. Kammer  
 
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Leuzinger und neben- 
amtlicher Richter Zollikofer; Gerichtsschreiber Schürer 
 
Urteil vom 2. März 2000  
 
in Sachen 
 
M.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch 
Rechtsanwalt P.________, 
gegen 
 
Amt für Zusatzleistungen zur AHV/IV, Amtshaus Helvetia- 
platz, Zürich, Beschwerdegegner, 
 
und 
 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur 
 
    A.- S.________, verstorben am 20. Mai 1995, bezog seit 
1. Oktober 1990 Zusatzleistungen vom Amt für Zusatz- 
leistungen zur AHV/IV der Stadt X.________ (Amt). Die unter 
der Alzheimerschen Krankheit leidende Versicherte wurde 
seit 1988 weitestgehend durch ihre Tochter M.________ 
gepflegt und betreut. Mit Entscheid vom 3. Februar 1995 
forderte das Amt von S.________ Ergänzungsleistungen im 
Gesamtbetrag von Fr. 22'904.- zurück, welche diese im 
Zeitraum vom 1. Februar 1993 bis 28. Februar 1995 unrecht- 
mässig bezogen habe. Mit Entscheid vom 3. März 1995 wurde 
der Rückforderungsanspruch auf Fr. 9790.- reduziert. Da- 
gegen erhob S.________, vertreten durch ihre Tochter 
M.________, am 6. April 1995 Einsprache. In der Folge 
korrigierte das Amt die Rückforderung auf Fr. 7529.- 
(Schreiben vom 27. Oktober 1995). Mit Beschluss vom 30. Ok- 
tober 1997 hat der Bezirksrat Zürich die Einsprache abge- 
wiesen. 
 
    B.- Die von M.________ erhobene Beschwerde wies das 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid 
vom 7. Dezember 1998 ab. 
 
    C.- M.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit 
dem Antrag auf Aufhebung des kantonalen Entscheids und auf 
Verzicht der Rückforderung. Eventualiter sei die Sache zur 
neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Im 
Weitern ersucht sie um Gewährung der unentgeltlichen 
Verbeiständung. 
    Während das Amt auf Abweisung der Verwaltungsgerichts- 
beschwerde schliesst, hat das Bundesamt für Sozialversiche- 
rung keine Vernehmlassung eingereicht. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:  
 
    1.- a) Gemäss Art. 27 Abs. 1 der Verordnung über die 
Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Inva- 
lidenversicherung vom 15. Januar 1971 (ELV) sind unrecht- 
mässig bezogene Ergänzungsleistungen vom Bezüger oder sei- 
nen Erben zurückzuerstatten. Für die Rückerstattung solcher 
Leistungen sind sinngemäss die Vorschriften des AHVG an- 
wendbar. Art. 47 Abs. 2 AHVG hält fest, dass der Rück- 
forderungsanspruch mit dem Ablauf eines Jahres verjährt, 
nachdem die Ausgleichskasse (vorliegend: das Amt) davon 
Kenntnis erhalten hat, spätestens aber mit dem Ablauf von 
fünf Jahren seit der einzelnen Rentenzahlung (hier: Er- 
gänzungsleistungs-Zahlung). Nach der Rechtsprechung handelt 
es sich hierbei, entgegen dem Wortlaut der Bestimmung, 
nicht um eine Verjährungs-, sondern um eine Verwirkungs- 
frist (BGE 111 V 135). Die absolute Verjährungsfrist des 
Art. 47 Abs. 2 AHVG von fünf Jahren beginnt mit dem Zeit- 
punkt zu laufen, an welchem die Leistung effektiv erbracht 
worden ist (BGE 111 V 17 Erw. 3 mit Hinweis). 
 
    b) Im vorliegenden Fall wurden die Ergänzungsleis- 
tungen seit dem 1. Oktober 1990 erbracht. Folglich war die 
absolute fünfjährige Verjährungsfrist noch nicht abgelau- 
fen, als das Amt mit Entscheid vom 3. Februar 1995 bzw. vom 
3. März 1995 die Rückerstattung der zu viel bezogenen Leis- 
tungen verlangte. 
    Damit bleibt zu prüfen, ob das Amt die Rückforderung 
innerhalb der einjährigen relativen Verjährungsfrist gel- 
tend gemacht hat. Es fragt sich also, in welchem Zeitpunkt 
das Amt unter Beachtung der ihm zumutbaren Aufmerksamkeit 
hätte feststellen müssen, dass S.________ zu Unrecht 
Ergänzungsleistungen ausgerichtet wurden und wie hoch die 
unrechtmässigen Ergänzungsleistungen waren. 
    Um die Voraussetzungen für eine Rückerstattung beur- 
teilen zu können, müssen der Verwaltung alle im konkreten 
Einzelfall erheblichen Umstände zugänglich sein, aus deren 
Kenntnis sich der Rückforderungsanspruch dem Grundsatz nach 
und in seinem Ausmass gegenüber einem bestimmten Rücker- 
stattungspflichtigen ergibt. Für die Beurteilung des Rück- 
forderungsanspruchs genügt es nicht, dass dem Amt bloss 
Umstände bekannt werden, die möglicherweise zu einem sol- 
chen Anspruch führen können, oder dass dieser Anspruch 
bloss dem Grundsatz nach, nicht aber in masslicher Hinsicht 
feststeht. Vor Erlass der Rückerstattungsverfügung muss die 
Gesamtsumme der unrechtmässig ausbezahlten Leistungen 
feststellbar sein (BGE 112 V 181 Erw. 4a mit Hinweisen). 
Die Verwaltung hat die ihr zumutbare Aufmerksamkeit auch 
bei den sich allenfalls aufdrängenden Erhebungen anzuwen- 
den, damit ihre noch ungenügende Kenntnis so vervollstän- 
digt wird, dass der Rückforderungsanspruch die nötige Be- 
stimmtheit erhält. Wenn die Verwaltung nicht die erforder- 
lichen Anstrengungen unternimmt, um über ihre noch unge- 
nügend bestimmte Forderung innert absehbarer Zeit ein 
klares Bild zu erhalten, so darf sich ihre Säumnis nicht zu 
ihren Gunsten und zu Ungunsten des Versicherten auswirken. 
In einem solchen Fall ist der Beginn der Verwirkungsfrist 
vielmehr auf den Zeitpunkt festzusetzen, in welchem die 
Verwaltung ihre vollständige Kenntnis mit dem erforder- 
lichen und zumutbaren Einsatz so hätte ergänzen können, 
dass der Rückforderungsanspruch die nötige Bestimmtheit 
erhält und der Erlass einer Verfügung möglich wird (BGE 112 
V 182 Erw. 4b). 
    Vorliegend wurde S.________ mit Verfügung der Aus- 
gleichskasse Maschinen vom 24. August 1994 rückwirkend ab 
1. Juni 1993 eine monatliche Hilflosenentschädigung von 
Fr. 470.- zugesprochen. Die Beschwerdeführerin hat die 
Verfügung an das Amt weitergeleitet und dieses hat davon 
spätestens seit dem 4. Oktober 1994 Kenntnis gehabt. Zwar 
rechnete das Amt schon vorher damit, dass S.________ aller 
Wahrscheinlichkeit nach Anspruch auf eine Hilflosen- 
entschädigung erheben konnte. Trotzdem stand der Rückforde- 
rungsanspruch sowohl dem Grundsatz nach wie auch in mass- 
licher Hinsicht erst mit der Eröffnung dieser Verfügung der 
Ausgleichskassen Maschinen am 24. August 1994 fest. Erst 
damit war das Amt in der Lage, seinen Rückforderungsan- 
spruch gesamthaft zu beurteilen und die Summe seiner zu 
viel ausbezahlten Leistungen festzustellen. Es ist daher 
davon auszugehen, dass die einjährige Verwirkungsfrist 
frühestens am 24. August 1994 zu laufen begann. Daraus 
folgt, dass der Rückerstattungsentscheid vom 3. Februar 
1995 bzw. der korrigierte Rückerstattungsentscheid vom 
3. März 1995 innerhalb der Jahresfrist des Art. 47 Abs. 2 
AHVG erging. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin 
kann demnach der Rückerstattungsanspruch des Amtes nicht 
als verwirkt betrachtet werden. 
    Die mit Schreiben des Amtes vom 27. Oktober 1995 gel- 
tend gemachte Rückforderung eines Betrages von schlussend- 
lich Fr. 7529.- ist demnach rechtens. 
 
    2.- Zu prüfen bleibt, ob die Voraussetzungen für den 
Erlass der Rückforderung erfüllt sind. Der Bezirksrat hat 
dies im Einspracheentscheid vom 30. Oktober 1997 verneint. 
    Von der Rückforderung kann bei gutem Glauben und 
gleichzeitigem Vorliegen einer grossen Härte abgesehen wer- 
den (Art. 27 Abs. 1 ELV in Verbindung mit Art. 47 Abs. 1 
AHVG). Sodann unterscheidet die Rechtsprechung bezüglich 
der Erlassvoraussetzungen zwischen dem guten Glauben als 
fehlendem Unrechtsbewusstsein und der Frage, ob sich jemand 
unter den gegebenen Umständen auf den guten Glauben berufen 
kann bzw., ob er bei zumutbarer Aufmerksamkeit den beste- 
henden Rechtsmangel hätte erkennen sollen. Die Frage nach 
dem Unrechtsbewusstsein gehört zum inneren Tatbestand 
(Sachverhalt) und ist daher Tatfrage, die nach Massgabe von 
Art. 105 Abs. 2 OG von der Vorinstanz verbindlich beantwor- 
tet wird. Demgegenüber gilt die Frage nach der Anwendung 
der gebotenen Aufmerksamkeit als frei überprüfbare Rechts- 
frage, soweit es darum geht festzustellen, ob sich jemand 
angesichts der jeweiligen tatsächlichen Verhältnisse auf 
den guten Glauben berufen kann (BGE 122 V 223 Erw. 3 mit 
Hinweisen). 
 
    3.- a) Das kantonale Gericht hat die Frage nach der 
Gutgläubigkeit der Beschwerdeführerin im Sinne eines feh- 
lenden Unrechtsbewusstseins bezüglich der Entgegennahme der 
Hilflosenentschädigung für die Mutter nicht ausdrücklich 
beantwortet. Die Frage kann, wie sich aus dem Folgenden 
ergibt, offen bleiben. 
 
    b) Die zweite Erlassvoraussetzung, die grosse Härte im 
Sinne von Art. 47 Abs. 1 AHVG, liegt nach der Rechtspre- 
chung (BGE 122 V 225 Erw. 5 und 6) vor, wenn zwei Drittel 
des anrechenbaren Einkommens (und der allenfalls hinzuzu- 
rechnende Vermögensanteil) die nach Art. 42 Abs. 1 AHVG 
anwendbare und um 50 % erhöhte Einkommensgrenze nicht er- 
reichen. Für die Ermittlung des anrechenbaren Einkommens 
gelten die Regeln der Art. 56 ff. AHVV. Massgebend sind die 
wirtschaftlichen Verhältnisse, wie sie im Zeitpunkt vor- 
liegen, da der Rückleistungspflichtige bezahlen sollte (BGE 
116 V 12 Erw. 2a, 116 V 293 Erw. 2c) 
    Der Anwendungsbereich des Erlasses einer Rückforderung 
hat durch die Rechtsprechung indessen Einschränkungen er- 
fahren, insbesondere dort, wo der Verwaltung die Möglich- 
keit der Verrechnung zusteht. Gerade im Zusammenhang mit 
Art. 27 Abs. 2 ELV, wonach Rückforderungen von Ergänzungs- 
leistungen mit fälligen Leistungen aufgrund des ELG sowie 
des AHVG und des IVG verrechnet werden können, hat das 
Eidgenössische Versicherungsgericht erkannt, dass bei die- 
ser Verrechnung ein Erlass nur in Betracht fällt, wenn sie 
mit laufenden oder künftig fällig werdenden Leistungen er- 
folgt. Anderes gilt jedoch, wenn es darum geht, dem Ver- 
sicherten bereits ausbezahlte Leistungen durch gleich hohe, 
unter anderem Titel geschuldete zu ersetzen und die beiden 
Betreffnisse miteinander zu verrechnen. Hier besteht ledig- 
lich ein anderer Rechtsgrund für die geschuldeten Leistun- 
gen; das Vermögen des Rückerstattungspflichtigen erfährt 
keine Veränderung, die zu einem Härtefall im Sinne von 
Art. 47 Abs. 1 AHVG führen könnte, weshalb die Frage des 
Erlasses nicht zu prüfen ist. Wie das Eidgenössische Ver- 
sicherungsgericht später entschieden hat, handelt es sich 
dabei um einen allgemeinen Grundsatz des Sozialversiche- 
rungsrechts, der stets angewendet werden muss, wenn der 
Erlass einer verrechnungsweise geltend gemachten Rückforde- 
rung zu prüfen ist (BGE 122 V 226 Erw. 5c mit Hinweisen). 
    Damit kann der an sich glaubhafte Einwand der Be- 
schwerdeführerin nicht gehört werden, sie sei heute nicht 
bereichert, weil sie alle ihr zugeflossenen Ergänzungs- 
leistungen und Hilflosenentschädigungen vollständig für die 
Pflege ihrer Mutter verbraucht habe. Die Erlassvorausset- 
zung der grossen Härte ist demnach nicht erfüllt, was zur 
Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde führt. 
 
    4.- Dem Gesuch der Beschwerdeführerin um Gewährung der 
unentgeltlichen Verbeiständung (Art. 152 OG) ist stattzu- 
geben. Die Bedürftigkeit ist aktenkundig, die Verwaltungs- 
gerichtsbeschwerde nicht aussichtslos und die Vertretung 
durch einen Rechtsanwalt geboten (Art. 124 V 309 Erw. 6). 
Die Beschwerdeführerin wird indessen darauf hingewiesen, 
dass sie gemäss Art. 153 Abs. 3 OG der Gerichtskasse Ersatz 
zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:  
 
I.Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
 
II.Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
III.Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung 
    wird Rechtsanwalt Markus Peyer für das Verfahren vor 
    dem Eidgenössischen Versicherungsgericht aus der Ge- 
    richtskasse eine Entschädigung (einschliesslich Mehr- 
    wertsteuer) von Fr. 2500.-- ausgerichtet. 
 
IV.Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversiche- 
    rungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für 
    Sozialversicherung zugestellt. 
 
 
Luzern, 2. März 2000 
 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Vorsitzende  Der Gerichts- 
der II. Kammer:  schreiber: