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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
8C_486/2010 
 
Urteil vom 2. Dezember 2010 
I. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Ursprung, Präsident, 
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Maillard, 
Gerichtsschreiber Grunder. 
 
Verfahrensbeteiligte 
V.________, 
vertreten durch Fürsprecher Frank Goecke, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
IV-Stelle des Kantons St. Gallen, 
Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit; Invalidenrente) 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen 
vom 29. April 2010. 
Sachverhalt: 
 
A. 
V.________ (Jg. 1950) war seit 1987 als Textilmitarbeiter in der Firma B.________ angestellt, welche die Produktion per 31. Juli 2004 stilllegte. Danach ging er keiner Arbeitstätigkeit mehr nach. Am 13. Juni 2005 meldete er sich bei der Invalidenversicherung wegen Rücken- und Kopfschmerzen sowie Schlaflosigkeit zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons St. Gallen holte unter anderem den Bericht des behandelnden Dr. med. R.________, Psychiatrie/ Psychotherapie, vom 3. Juli 2006 sowie das polydis-ziplinäre, rheumatologische und psychiatrische (vom 4. April 2007) Konsilien beinhaltende Gutachten der Academy M.________, Spital N.________ vom 13. August 2007 (im Folgenden: Spital N.________) ein und stellte mit Vorbescheid vom 6. Februar 2008 die Ablehnung des Leistungsgesuchs in Aussicht. Nach Vernehmlassung des Versicherten, mit welcher eine Stellungnahme des Dr. med. R.________ vom 13. März 2008 eingereicht wurde, zog sie eine zusätzliche psychiatrische Expertise des Spitals N.________ (undatiert; bei der IV-Stelle am 5. Februar 2009 eingegangen; im Folgenden: vom 5. Februar 2009) bei und verneinte mit Verfügung vom 27. Februar 2009 gestützt auf die Einkommensvergleichsmethode einen rentenbegründenden Invaliditätsgrad. 
 
B. 
Hiegegen liess V.________ beim Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen Beschwerde einreichen und beantragen, es sei ihm mindestens eine halbe Invalidenrente zuzusprechen; eventualiter sei die Sache zur weiteren Abklärung an die IV-Stelle zurückzuweisen. Weiter liess er den Bericht des Dr. med. R.________ vom 27. März 2009 sowie das von ihm bestellte psychiatrische Gutachten der Frau med. pract. E.________, Assistenzärztin, vom 10. Juli 2009, das von Dr. med. S.________, FMH Psychiatrie und Psychotherapie, mitunterzeichnet wurde, auflegen. Das angerufene Gericht wies das Rechtsmittel ab (Entscheid vom 29. April 2010). 
 
C. 
Mit Beschwerde lässt V.________ beantragen, es sei ihm eine Invalidenrente zuzusprechen; eventualiter sei die Sache zur weiteren Abklärung an die Verwaltung zurückzuweisen. 
 
Die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine Vernehmlassung. 
Erwägungen: 
 
1. 
1.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG in Verbindung mit Art. 105 Abs. 2 BGG). Das Bundesgericht prüft grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). 
 
1.2 Die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes und der Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c ATSG ist eine Rechtsfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 und E. 4 S. 399). Die konkrete wie auch die antizipierte Beweiswürdigung betreffen Tatfragen, die das Bundes-gericht lediglich auf offensichtliche Unrichtigkeit und Rechtsfehlerhaftigkeit hin zu überprüfen befugt ist (Art. 105 Abs. 2 BGG). Unter diesem Blickwinkel hält ein Verzicht der Vorinstanz auf weitere Beweisvorkehren aufgrund antizipierter Beweiswürdigung etwa dann nicht stand, wenn die Sachverhaltsfeststellung unauflösbare Widersprüche enthält oder wenn eine entscheidwesentliche Tatsache auf unvollständiger Beweisgrundlage - beispielsweise ohne Beizug des notwendigen Fachwissens unabhängiger Experten - beantwortet wird (Urteile 8C_391/2009 vom 21. Oktober 2009 E. 1 und 9C_410/2008 vom 8. September 2008 E. 3.3.1 mit Hinweisen). 
 
2. 
Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz den Gesundheitsschaden und die daraus resultierende Arbeitsunfähigkeit als wesentliche Voraussetzungen für die Invaliditätsbemessung zutreffend beurteilt hat. 
 
2.1 
2.1.1 Arbeitsunfähigkeit ist die durch eine Beeinträchtigung der kör-perlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit bedingte, volle oder teilweise Unfähigkeit, im bisherigen Beruf oder Aufgabenbereich zumutbare Arbeit zu leisten (Art. 6 Satz 1 ATSG). Bei langer Dauer wird auch die zumutbare Tätigkeit in einem anderen Beruf oder Aufgabenbereich berücksichtigt (Art. 6 Satz 2 ATSG). Erwerbsunfähigkeit ist der durch Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit verursachte und nach zumutbarer Behandlung und Eingliederung verbleibende ganze oder teilweise Verlust der Erwerbsmöglichkeiten auf dem in Betracht kommenden allgemeinen Arbeitsmarkt (Art. 7 Abs. 1 ATSG). Für die Beurteilung des Vorliegens einer Erwerbsunfähigkeit sind ausschliesslich die Folgen der gesundheitlichen Beeinträchtigung zu berücksichtigen. Eine Erwerbsunfähigkeit liegt zudem nur vor, wenn sie aus objektiver Sicht nicht überwindbar ist (Art. 7 Abs. 2 ATSG). Invalidität ist die voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde ganze oder teilweise Erwerbsunfähigkeit (Art. 8 Abs. 1 ATSG; vgl. Art. 4 IVG). 
2.1.2 Im Übrigen hat das kantonale Gericht die Bestimmungen und Grundsätze über die Voraussetzungen und den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 IVG), die Bemessung des Invaliditätsgrades bei erwerbstätigen Versicherten nach der Einkommensvergleichsmethode (Art. 16 ATSG in Verbindung mit Art. 28 Abs. 2 IVG; BGE 130 V 343 E. 3.4.2 S. 349), die Aufgabe des Arztes oder der Ärztin im Rahmen der Invaliditätsbemessung (BGE 125 V 256 E. 4 S. 261) sowie den Beweiswert und die Würdigung ärztlicher Berichte und Gutachten (BGE 125 V 351 E. 3a S. 352) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
2.2 
2.2.1 Nach den vorinstanzlichen Erwägungen ist unbestritten gestützt auf die rheumatologische Beurteilung im Gutachten des Spital N.________ vom 13. August 2007 von einer um 20 % eingeschränkten Arbeitsfähigkeit in einer den körperlichen Beeinträchtigungen angepassten Tätigkeit (wenig belastend für das Achsenskelett; Heben und Tragen von Lasten auf Lendenhöhe maximal bis 10 kg, in Brusthöhe maximal bis 5 kg; Hantieren mit Werkzeugen hinsichtlich der oberen Extremitäten nur für leichte bis maximal mittelschwere Belastungen; Arbeiten über Kopfhöhe nicht länger als maximal 15 Minuten) auszugehen. Gemäss den psychiatrischen Expertisen des Spitals N.________ vom 4. April 2007 und 5. Februar 2009 bestehe anamnestisch eine zum Zeitpunkt der Untersuchungen remittierte mittelgradige depressive Episode ohne Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit. Die Auskünfte und Stellungnahmen des behandelnden Dr. med. R.________ vom 3. Juli 2006, 13. März 2008 und 27. März 2009 gründeten auf einer subjektiv anderen Interpretation der erhobenen Befunde und enthielten keine durch die genannten medizinischen Sachverständigen unerkannt gebliebene, objektiv feststellbare Gesichtspunkte, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigten. Dasselbe gelte für das Privatgutachten der Frau med. pract. E.________ vom 10. Juli 2009, die vor allem die Auswertung der vom Spital N.________ durchgeführten psychometrischen Tests, die zu einem erheblichen Teil auf den Angaben und Selbsteinschätzungen des Versicherten beruhten, in Frage stelle. Entscheidend sei für die Belange einer psychiatrischen Beurteilung des Gesundheitszustandes die klinische Untersuchung, die hier deutliche Anzeichen einer Aggravation oder sogar Simulation ergeben habe. 
2.2.2 Der Beschwerdeführer bringt zusammengefasst vor, die psychiatrischen Gutachten des Spitals N.________ seien in verschie-dener Hinsicht mit Mängeln behaftet, weshalb das kantonale Gericht den medizinischen Sachverhalt nicht gestützt darauf hätte feststellen dürfen. 
 
3. 
3.1.1 Das kantonale Gericht hat die medizinischen Akten vollständig sowie korrekt dargelegt und, wie sich aus dem Folgenden ergibt, diese in nicht zu beanstandender Weise gewürdigt. 
3.1.2 Die psychiatrischen Sachverständigen nahmen im Gutachten vom 13. August 2007 mangels laborchemisch nachweisbarer genügender Einnahme von Antidepressiva eine spontane Remission der zu diagnostizierenden depressiven Episode "via naturalis" an, wogegen sie im zweiten Gutachten vom 5. Februar 2009 das Nachlassen psychischer Beschwerden auf die regelmässige Einnahme von Analgetika zurückführten. Dies stellt entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers keinen Widerspruch dar. Gemäss Feststellungen der psychiatrischen Experten war der Explorand anlässlich der zweiten im Vergleich zur ersten klinischen Untersuchung deutlich weniger explosiv. Sodann ist zwar einzuräumen, dass die im Spital N.________ im Januar 2009 durchgeführten psychometrischen Tests voneinander erheblich differierende Ergebnisse ergaben; der Versicherte erreichte auf der Montgomery-Asperg Depression Rating Scale (MADRS) lediglich 3 von maximal 60 Punkten ("10 bis 20 Punkte [entsprechen] eine[r] leichte[n] Depression"), wogegen er beim Beck Depres-sions Inventar (BDI) 30 von maximal 63 Punkten erzielte ("ab 26 Punkten [besteht eine] bedeutende Depression"). Solche Testungen beruhen jedoch, wie die Vorinstanz zutreffend erwogen hat, weitgehend auf den Angaben und Selbsteinschätzungen der zu untersuchenden Person und dienen einzig der Überprüfung des klinischen Befunds, der hier gemäss überzeugenden Feststellungen der Gutachter des Spitals N.________ eine deutliche Tendenz zu Aggravation oder gar Simulation ergab. Ob dieser Befund weiter zu überprüfen ist, wie im Gutachten des Spitals N.________ vom 5. Februar 2009 angeregt wurde, kann offen bleiben. Zum einen ist in Bezug auf die Stellungnahme des behandelnden Dr. med. R.________ vom 27. März 2009 festzuhalten, dass die psychiatrische Exploration von der Natur der Sache her nicht ermessensfrei erfolgen kann und der begutachtenden Fachperson deshalb praktisch ein gewisser Spielraum, innerhalb dessen verschiedene medizinische Interpretationen möglich, zulässig und zu respektieren sind, zu gewähren ist, sofern dabei lege artis vorgegangen worden ist. Daher und unter Beachtung der Divergenz von medizinischem Behandlungs- und Abklärungsauftrag (BGE 124 I 170 E. 4 S. 175; vgl. auch Urteil I 701/05 vom 5. Januar 2007 E. 2 in fine, mit Hinweisen) kann eine medizinische Administrativ- oder Gerichtsexpertise nicht stets in Frage gestellt und zum Anlass weiterer Abklärungen genommen werden, wenn die behandelnden Ärzte zu unterschiedlichen Einschätzungen gelangen oder an vorgängig geäusserten abweichenden Auffassungen festhalten. Anders verhält es sich, wenn diese objektiv feststellbare Gesichtspunkte vorbringen, die im Rahmen der psychiatrischen Begutachtung unerkannt geblieben und geeignet sind, zu einer abweichenden Beurteilung zu führen (Urteile 8C_694/2008 E. 5.1 und I 51/06 vom 19. September 2006 E. 3.1.2). Daran fehlt es vorliegend auch in Berücksichtigung der Äusserungen der Frau med. pract. E.________ (Privatgutachten vom 10. Juli 2009). Sie vermochte explizit bei gleichgebliebenen Befunden die von ihrer Arbeitsfähigkeitseinschätzung erheblich abweichende Auffassung der psychiatrischen Sachverständigen des Spitals N.________ nicht zu erklären. Hinzu kommt, dass die von ihr diagnostizierte anhaltende somatoforme Schmerzstörung vor allem auf psychosozialen Belastungsfaktoren beruhte, die bei der Beurteilung des rechtlich massgeblichen Begriffs des Gesundheitsschadens keine Bedeutung haben (vgl. Urteil I 738/05 vom 1. März 2007 E. 5.2, publ. in: SVR 2007 IV Nr. 33 S. 117). Selbst wenn der Auffassung der Frau Dr. med. E.________ gefolgt würde, dass die depressive Episode als selbständiges, von der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung losgelöstes Leiden angesehen werden müsste, wäre daher weder die praxisgemäss erforderliche Erheblichkeit der Schwere, Ausprägung und Dauer der Komorbidität (BGE 130 V 352 E. 2.2.3 S. 354) dargetan, noch ergäbe sich die invalidisierende Wirkung aus den weiteren diesbezüglich relevanten Kriterien (BGE 130 V 352 E. 2.2.3 S. 354 f.). Insgesamt ist in Bestätigung des angefochtenen Entscheids festzuhalten, dass kein Raum für die Annahme einer mit psychischen Leiden begründeten Arbeitsunfähigkeit bleibt. Von den beantragten Weiterungen ist abzusehen. 
 
4. 
Der vom kantonalen Gericht korrekt durchgeführte, letztinstanzlich nicht beanstandete Einkommensvergleich hat einen unter 40 % liegenden Invaliditätsgrad ergeben, weshalb kein Anspruch auf eine Rente der Invalidenversicherung besteht. 
 
5. 
Die Gerichtskosten werden dem Beschwerdeführer als unterliegender Partei auferlegt (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 2. Dezember 2010 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Ursprung Grunder