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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1P.59/2006 /ggs 
 
Urteil vom 3. April 2006 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Féraud, Präsident, 
Bundesrichter Aemisegger, Nay, 
Gerichtsschreiberin Scherrer. 
 
Parteien 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Valentin Pfammatter, 
 
gegen 
 
Untersuchungsrichteramt Oberwallis, Kantonsstrasse 6, 3930 Visp, 
Strafkammer des Kantonsgerichtes des Kantons Wallis, Justizgebäude, 1950 Sitten 2. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; Einspracheverzicht, 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil der Strafkammer des Kantonsgerichtes des Kantons Wallis vom 15. Dezember 2005. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Aufgrund einer Strafanzeige der Kantonspolizei eröffnete das Untersuchungsrichteramt Oberwallis am 7. Oktober 2004 von Amtes wegen eine Strafuntersuchung gegen X.________ wegen Diebstahls, sowie auf Antrag eines geschädigten Ehepaars hin wegen Sachbeschädigung und Hausfriedensbruchs. Gleichzeitig erliess der Untersuchungsrichter einen Haftbefehl gegen den Beschuldigten. X.________ wurde noch gleichentags verhaftet. Die Haft wurde ihm im Rahmen der richterlichen Einvernahme vom 8. Oktober 2004 formell eröffnet. Anlässlich dieser Einvernahme gab der Beschuldigte den ihm zur Last gelegten Einbruchdiebstahl zu. 
B. 
Mit Strafbefehl vom 8. Oktober 2004 befand der Untersuchungsrichter X.________ des Diebstahls, der Sachbeschädigung sowie des Hausfriedensbruchs für schuldig. Der Betroffene wurde zu einer Gefängnisstrafe von einem Monat verurteilt, unter Gewährung des bedingten Strafvollzugs. X.________ bestätigte auf Seite fünf des Strafbefehls, diesen am 8. Oktober 2004 empfangen zu haben und auf die Einlegung einer Einsprache ausdrücklich zu verzichten. 
C. 
Am 5. November 2004 focht X.________ den Strafbefehl jedoch an. Gleichzeitig ersuchte er um Gewährung des unentgeltlichen Rechtsbeistands. Die Untersuchungsrichterin gab der Einsprache mit Entscheid vom 7. Juli 2005 keine Folge. Sie befand, der Strafbefehl sei aufgrund der Verzichtserklärung des Einsprechers in Rechtskraft erwachsen und könne nicht mehr angefochten werden. Auf die Erhebung von Kosten und Gebühren wurde verzichtet. 
 
Gegen diese Verfügung gelangte X.________ an die Strafkammer des Walliser Kantonsgerichts. Er machte geltend, die Verzichtserklärung sei einzig aufgrund der durch die Untersuchungshaft entstandene Drucksituation und in Unkenntnis der Sachlage erfolgt. Er habe somit nicht gültig auf sein Anfechtungsrecht verzichtet. Das Kantonsgericht hiess die Beschwerde mit Urteil vom 15. Dezember 2005 bezüglich der Nichtbehandlung des Gesuchs um Gewährung des unentgeltlichen Rechtsbeistands gut und wies sie zur Weiterbehandlung im Sinne der Erwägungen an das Untersuchungsrichteramt zurück. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab. 
D. 
Mit Eingabe vom 30. Januar 2006 erhebt X.________ staatsrechtliche Beschwerde und beantragt die Aufhebung des Urteils vom 15. Dezember 2005 sowie die Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung für das bundesgerichtliche Verfahren. Er macht die willkürliche Anwendung der Walliser Strafprozessordnung, eine Verletzung von Art. 29 Abs. 2 und Art. 32 Abs. 3 BV sowie von Art. 6 EMRK geltend. 
 
Das Untersuchungsrichteramt Oberwallis hat sich nicht vernehmen lassen. Die Strafkammer des Kantonsgerichts Wallis verzichtet unter Hinweis auf die Akten und den angefochtenen Entscheid auf eine Stellungnahme. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Endentscheid, gegen den die staatsrechtliche Beschwerde wegen der Verletzung verfassungsmässiger Rechte erhoben werden kann (Art. 86 Abs. 1 und Art. 87 in Verbindung mit Art. 84 Abs. 1 lit. a OG). Der Beschwerdeführer ist durch das Urteil des Kantonsgerichtes vom 15. Dezember 2005 in seinen rechtlich geschützten Interessen berührt und damit zur Beschwerde legitimiert (Art. 88 OG). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt und geben zu keinen Bemerkungen Anlass. 
2. 
Der Beschwerdeführer rügt u.a. eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV), weil ihm die Stellungnahme der Untersuchungsrichterin vom 26. Juli 2005 im Verfahren vor dem Kantonsgericht nicht zugestellt worden sei und es ihm nicht möglich gewesen sei, dazu Stellung zu nehmen. 
 
Das Recht, gehört zu werden, ist formeller Natur. Die Verletzung des rechtlichen Gehörs führt ungeachtet der Erfolgsaussichten der Beschwerde in der Sache selbst zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids, weshalb diese Rüge vorab zu prüfen ist (statt vieler BGE 124 V 180 E. 4a S. 183 mit Hinweisen). 
2.1 Nach der bereits unter der Herrschaft von Art. 4 aBV entwickelten Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Anspruch auf rechtliches Gehör ergibt sich, unter Vorbehalt von hier nicht in Betracht fallenden Ausnahmen zum Schutz von überwiegenden Geheimhaltungsinteressen, aus Art. 29 Abs. 2 BV der Anspruch der Verfahrenspartei, in alle für den Entscheid wesentlichen Akten Einsicht zu nehmen und sich dazu zu äussern (BGE 129 I 85 E. 4.1 S. 88; 121 I 225 E. 2a S. 227; 119 Ib 12 E. 6b S. 20; vgl. auch BGE 125 II 473 E. 4c/cc S. 478; Urteil 1P.784/2005 vom 28. Dezember 2005 E. 4.1). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 Ziff. 1 EMRK verleiht der Anspruch auf ein faires Verfahren den Parteien das Recht, von sämtlichen dem Gericht eingereichten Eingaben oder Vernehmlassungen Kenntnis zu erhalten und zu diesen Stellung zu nehmen, und zwar unabhängig davon, ob diese neue erhebliche Gesichtspunkte enthalten. Es obliege den Parteien, zu entscheiden, ob sie zu einer Eingabe Bemerkungen anbringen oder nicht (Urteil des EGMR i.S. N.-H. gegen Schweiz vom 18. Februar 1997, Ziff. 24, 29, in: Recueil CourEDH 1997-I S. 101; VPB 61/1997 Nr. 108 S. 961; Urteil des EGMR i.S. R. gegen Schweiz vom 28. Juni 2001, in: VPB 65/2001, S. 1347 Nr. 129; Urteil des EGMR i.S. Z. gegen Schweiz vom 21. Februar 2002, Ziff. 33 und 38, in: VPB 66/2002 S. 1307 Nr. 113). Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat sich der Praxis des Gerichtshofs ebenso angeschlossen (Urteil H 213/1998 vom 1. Februar 1999, E. 1a, auszugsweise in: SZIER 1999 S. 553) wie das Bundesgericht (Urteile 1P.784/2005 vom 28. Dezember 2005 E. 4.1; 5P.446/2003 vom 2. März 2004). 
2.2 Die Untersuchungsrichterin hat im Verfahren vor dem Kantonsgericht am 26. Juli 2005 Stellung genommen zur Beschwerde, welche der Beschwerdeführer gegen ihre Verfügung vom 7. Juli 2005 erhoben hatte. Offenbar wurde dieses Schreiben dem Beschwerdeführer nie zur Kenntnis gebracht. Im anhängigen Verfahren äussert sich das Kantonsgericht nicht zu diesem Vorwurf. Selbst wenn die Untersuchungsrichterin in der fraglichen Eingabe im Wesentlichen auf die angefochtene Verfügung und die Akten verwiesen hat, hätte die Vernehmlassung dem Beschwerdeführer zugestellt werden müssen. Demzufolge ist die Verletzung des rechtlichen Gehörs zu bejahen. 
3. 
Damit ist der angefochtene Entscheid aufzuheben, ohne dass die weiteren Rügen zu prüfen wären. Kosten sind bei diesem Ausgang des Verfahrens keine zu erheben (Art. 156 OG). Indes hat der Kanton Wallis den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 159 Abs. 2 OG). Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Verbeiständung wird damit hinfällig. 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil der Strafkammer des Kantonsgerichts des Kantons Wallis vom 15. Dezember 2005 aufgehoben. 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
3. 
Der Kanton Wallis hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen. 
4. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Untersuchungsrichteramt Oberwallis und der Strafkammer des Kantonsgerichtes des Kantons Wallis schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 3. April 2006 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: