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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
2C_581/2021  
 
 
Urteil vom 3. August 2021  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Seiler, Präsident, 
Gerichtsschreiber Businger. 
 
Verfahrensbeteiligte 
1. A.________, 
2. B.________, 
Beschwerdeführerinnen, 
beide vertreten durch C.________, 
 
gegen  
 
Sicherheits- und Justizdepartement des Kantons St. Gallen. 
 
Gegenstand 
Rechtsverweigerungsbeschwerde, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen, Abteilung II, 
vom 1. Juli 2021 (B 2021/139). 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. A.________ (geb. 1987) und ihre Tochter B.________ (geb. 2009) sind eritreische Staatsangehörige. Sie reisten am 14. September 2017 illegal in die Schweiz ein und ersuchten um Asyl. Das Staatssekretariat für Migration wies die Gesuche am 2. November 2017 ab und verfügte die Wegweisung aus der Schweiz. Diesen Entscheid bestätigte das Bundesverwaltungsgericht am 3. Juli 2019. In der Folge wies das Migrationsamt des Kantons St. Gallen Mutter und Tochter mit Verfügung vom 23. August 2019 der politischen Gemeinde D.________ mit Aufenthaltsort im Ausreise- und Nothilfezentrum (ANZ) E.________ zum Bezug der Nothilfe zu. Die dagegen erhobenen Rechtsmittel wiesen sämtliche Instanzen ab, das Bundesgericht mit Urteil 8C_225/2020 vom 9. Juni 2020. Eine dagegen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erhobene Beschwerde blieb erfolglos.  
 
1.2. Mit Schreiben vom 12./13. April 2021 ersuchten A.________ und B.________ den Vorsteher des Sicherheits- und Justizdepartements des Kantons St. Gallen um Vornahme einer Untersuchung, ob die Platzierung im ANZ E.________ einen Verstoss gegen das Verbot einer erniedrigenden und unmenschlichen Behandlung darstelle. Am 10. Juni 2021 erhoben sie in dieser Sache Rechtsverweigerungsbeschwerde an den Regierungsrat des Kantons St. Gallen, der die Beschwerde zuständigkeitshalber dem Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen überwies. Das Verwaltungsgericht trat darauf am 1. Juli 2021 nicht ein.  
 
1.3. Mit "verwaltungsgerichtlicher" Beschwerde vom 17. Juli 2021 beantragen A.________ und B.________ dem Bundesgericht, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und das Sicherheits- und Justizdepartement anzuweisen, ihr Gesuch an die Hand zu nehmen, eventualiter sei die Sache an das Sicherheits- und Justizdepartement zurückzuweisen. Ihnen sei die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren und es sei vorsorglich anzuordnen, dass sie den Ausgang des Verfahrens an ihrem aktuellen Aufenthaltsort abwarten können. Weiter stellen sie im Rahmen einer gleichzeitig erhobenen subsidiären Verfassungsbeschwerde verschiedene Feststellungsanträge. Das Bundesgericht hat keine Instruktionsmassnahmen verfügt. Mit dem vorliegenden Entscheid in der Sache wird das Gesuch um vorsorgliche Massnahmen gegenstandslos.  
 
2.  
Angefochten ist ein Nichteintretensentscheid des Verwaltungsgerichts. Der Streitgegenstand vor Bundesgericht beschränkt sich deshalb auf die Frage, ob die Vorinstanz auf die Beschwerde zu Recht nicht eingetreten ist. Soweit sich die Beschwerdeführerinnen zu anderen Themen äussern - etwa zu ihrem Asylverfahren oder zum Entscheid des EGMR -, kann darauf von vornherein nicht eingetreten werden. Das gilt auch, soweit mehrere Feststellungsanträge gestellt werden, ohne dass ein Feststellungsinteresse dargetan wird oder ersichtlich ist. 
 
3.  
 
3.1. Der angefochtene Nichteintretensentscheid ist in Anwendung von kantonalem Verfahrensrecht ergangen. Dieses kann vom Bundesgericht nur auf Willkür und Vereinbarkeit mit anderen verfassungsmässigen Rechten überprüft werden (BGE 141 I 105 E. 3.3.1), wobei eine qualifizierte Rügepflicht besteht (Art. 106 Abs. 2 BGG). Weiter beruht der angefochtene Entscheid auf mehreren selbständigen Begründungen; die Beschwerdeführerinnen haben deshalb darzulegen, dass jede von ihnen Recht verletzt (BGE 142 III 364 E. 2.4; 138 I 97 E. 4.1.4).  
 
3.2. Das Verwaltungsgericht hat erwogen, die Zuweisung der Beschwerdeführerinnen an das ANZ E.________ sei rechtskräftig. Das Bundesgericht habe die Zuweisung im Urteil 8C_225/2020 vom 9. Juni 2020 als rechtmässig erachtet, namentlich im Hinblick auf die Einheit der Familie und die Bedürfnisse der Tochter. Ein Wiedererwägungsverfahren in Bezug auf die Zuweisung sei am 4. Mai 2021 infolge Rückzugs abgeschrieben worden. Für die anbegehrte Untersuchung der Situation im ANZ E.________ existiere keine Rechtsgrundlage, aufgrund derer ein behördliches Tätigwerden rechtlich geboten wäre. Es handle sich lediglich um einen formlosen Rechtsbehelf, der keinen Rechtsanspruch auf Behandlung begründe. Deshalb könne auch keine Rechtsverzögerung bzw. -verweigerung gerügt werden. Unabhängig davon liege keine Rechtsverzögerung oder -verweigerung vor; das angerufene Departement habe das Gesuch entgegengenommen, den Eingang bestätigt und ein allfälliges Verfahren formlos sistiert, um die Beantwortung einer Interpellation abzuwarten. Eine unzulässige Nichtbehandlung oder Verschleppung des am 12. April 2021 eingereichten Gesuchs liege damit offensichtlich nicht vor. Deshalb erscheine die erhobene Rechtsverweigerungsbeschwerde nicht nur als offensichtlich aussichtslos, sondern als geradezu rechtsmissbräuchlich bzw. querulatorisch und verdiene keinen Rechtsschutz.  
 
 
3.3. Mit diesen Ausführungen setzt sich die Beschwerde nicht auseinander.  
 
3.3.1. Die Beschwerdeführerinnen legen nicht substanziiert dar, inwieweit sie einen Rechtsanspruch auf Behandlung ihres Gesuchs um Untersuchung der Situation im ANZ E.________ besitzen. Daran ändert nichts, dass sie ihr Begehren vom 12. April 2021 als "Feststellungsbegehren" gestellt haben wollen. Ein blosser Rechtsbehelf vermittelt nicht alleine deshalb einen Anspruch auf Behandlung, nur weil Feststellungsanträge gestellt werden. Ein Anspruch auf Behandlung ergibt sich auch nicht aus der Bundesverfassung oder dem Völkerrecht. Die Beschwerdeführerinnen hatten Gelegenheit, die Zuweisung an das ANZ E.________ gerichtlich überprüfen zu lassen; weder das Bundesgericht noch der EGMR haben darin eine Verletzung von Grund- bzw. Menschenrechten gesehen. Dass die Beschwerdeführerinnen gemäss eigenen Angaben in diesem Verfahren das "Misshandlungsverbot" nicht angerufen haben, ist ihr eigenes prozessuales Versäumnis. Weiter haben die Beschwerdeführerinnen die Möglichkeit, bei wesentlich veränderten Verhältnissen ein Wiedererwägungsgesuch zu stellen und damit eine erneute Überprüfung der Zuweisung zu erwirken. Auch dies haben sie getan, aber letztlich nicht weiterverfolgt. Schliesslich können sich die Beschwerdeführerinnen, sollten sie im ANZ E.________ konkret Opfer einer Misshandlung werden, jederzeit an die Polizei wenden. Ist somit nicht ersichtlich, dass ein Rechtsanspruch auf Behandlung des Gesuchs besteht, sind die Beschwerdeführerinnen auch nicht berechtigt, Rechtsverweigerungsbeschwerde zu erheben.  
 
3.3.2. Weiter setzen sich die Beschwerdeführerinnen nicht substanziiert mit den vorinstanzlichen Erwägungen auseinander, wonach selbst bei einem Anspruch auf Behandlung des Gesuchs keine Rechtsverzögerung bzw. -verweigerung vorliegen würde. Nachdem sie das entsprechende Gesuch am 21. April 2021 gestellt haben und es somit erst seit rund dreieinhalb Monaten hängig ist, ist die Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht zu beanstanden, und zwar unabhängig davon, ob das Verfahren durch das Schreiben des Departements vom 12. Mai 2021 (formlos) sistiert worden ist, um eine Interpellation abzuwarten.  
 
3.4. Schliesslich werden auch die formellen Rügen in Bezug auf das vorinstanzliche Verfahren nicht rechtsgenügend begründet.  
 
3.4.1. Die Beschwerdeführerinnen haben ihre Beschwerde beim Regierungsrat erhoben; sie bestreiten aber nicht, dass das Verwaltungsgericht Rechtsverweigerungsbeschwerden gegen Departemente beurteilt. Deshalb ist nicht ersichtlich, inwieweit ihnen aus der Überweisung an das Verwaltungsgericht ein Rechtsnachteil erwachsen ist bzw. ihnen hierzu vorgängig das rechtliche Gehör hätte gewährt werden müssen. Ihr Argument, sie hätten ihre Beschwerde nicht anpassen können, verfängt nicht. Die Überweisung einer Rechtsmitteleingabe an die zuständige Instanz bewirkt nicht, dass der Betroffene seine Eingabe anpassen oder ergänzen darf. Nach den vorherigen Erwägungen (vgl. E. 3.3.) ist auch keine Verfassungsverletzung im Umstand zu erblicken, dass das Verwaltungsgericht die Beschwerde als offensichtlich aussichtslos und querulatorisch beurteilt und einem Einzelrichter zugewiesen hat. Weiter war die Vorinstanz auch nicht verpflichtet, den Beschwerdeführerinnen zur Eintretensfrage vorgängig das rechtliche Gehör zu gewähren. Zuletzt ist auf die pauschale Rüge, der Einzelrichter sei befangen gewesen, nicht näher einzugehen; die Befangenheit eines Richters ergibt sich nicht alleine daraus, dass er nicht im Sinn einer Partei entscheidet.  
 
3.4.2. Offengelassen werden kann, ob die Vorinstanz das Replikrecht der Beschwerdeführerinnen verletzt hat, indem sie ihnen die Vernehmlassung des Departements erst zusammen mit dem Nichteintretensentscheid zugestellt hat. Selbst wenn darin eine Gehörsverletzung zu erblicken wäre, käme eine Rückweisung an die Vorinstanz einem prozessualen Leerlauf gleich, nachdem wie erwähnt nicht ersichtlich ist, dass die Beschwerdeführerinnen berechtigt sind, eine Rechtsverweigerungsbeschwerde zu erheben (vgl. vorne E. 3.3.1).  
 
3.5. Zusammenfassend enthält die Beschwerde offensichtlich keine sachbezogene Begründung, soweit sie überhaupt zulässig ist; darauf ist im vereinfachten Verfahren durch den Einzelrichter nicht einzutreten (Art. 108 Abs. 1 lit. a und b BGG).  
 
4.  
Es rechtfertigt sich, auf die Erhebung von Gerichtskosten zu verzichten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Damit wird das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos. 
 
 
Demnach erkennt der Präsident:  
 
1.  
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen, Abteilung II, und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 3. August 2021 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Seiler 
 
Der Gerichtsschreiber: Businger