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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6B_170/2009 
 
Urteil vom 3. September 2009 
Strafrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Schneider, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Wiprächtiger, Mathys, 
Gerichtsschreiber Störi. 
 
Parteien 
X.________, 
vertreten durch Dr. Christian von Wartburg, Advokat, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Besonderes Untersuchungsrichteramt des Kantons Basel-Landschaft, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Haftentschädigung, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Zivil- und Strafrecht, vom 25. November 2008. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Das Kantonsgericht Basel-Landschaft verurteilte X.________ am 29. Januar 2008 zweitinstanzlich wegen mehrfacher qualifizierter Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz und mehrfacher qualifizierter Geldwäscherei zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren und einer Busse von 4'000 Franken. Das Bundesgericht wies die Beschwerde von X.________ gegen seine Verurteilung am 15. Juli 2008 ab. 
Im Rahmen dieses Strafverfahrens wurde X.________ am 7. Januar 2005 in Untersuchungshaft genommen. Er befand sich anschliessend ohne Unterbruch in Untersuchungshaft, dann in Sicherheitshaft und zuletzt im Strafvollzug, aus dem er offenbar Ende 2008 oder Anfang 2009 bedingt entlassen wurde. 
 
B. 
Am 20. August 2008 beantragte X.________ beim Kantonsgericht Basel-Landschaft eine Haftentschädigung von 12'341.23 US-$ sowie eine Genugtuung von 58'500 Franken. Er machte geltend, die Verfügung des Kantonsgerichts vom 29. November 2007, mit welcher die Sicherheitshaft gegen ihn bis zur Appellationsverhandlung vom 29. Januar 2008 bzw. längstens bis zum 29. Mai 2008 verlängert worden sei, sei nichtig und stelle keinen rechtsgültigen Haftbefehl dar. Die Sicherheitshaft sei zudem nicht vor deren Ablauf am 29. Mai 2008, sondern erst am 13. Juni 2008 wieder angeordnet worden, womit er weitere 17 Tage unrechtmässig inhaftiert gewesen sei. 
Das Kantonsgericht anerkannte, dass X.________ zwischen dem 29. Mai und dem 13. Juni 2008 15 Tage ohne gültigen Haftbefehl inhaftiert war und sprach ihm dafür am 25. November 2008 in teilweiser Gutheissung seines Gesuchs eine Genugtuung von 1'500 Franken zu. 
 
C. 
Mit Beschwerde vom 3. März 2009 beantragt X.________, diesen Beschluss des Kantonsgerichts aufzuheben und festzustellen, dass er vom 29. November 2007 bis zum 13. Juni 2008 ohne rechtsgültigen Haftbefehl in Haft gehalten worden sei und daher im Grundsatz Anspruch auf eine Haftentschädigung habe. Ausserdem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege. 
 
D. 
Vernehmlassungen wurden keine eingeholt. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
1.1 Das Hauptverfahren - das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer - war eine Strafsache im Sinne von Art. 78 Abs. 1 BGG, Das Urteil des Kantonsgerichts vom 29. Januar 2008 unterlag dementsprechend der Beschwerde in Strafsachen. 
Seine Entschädigungsforderungen haben zwar insoweit einen Zusammenhang mit dem Strafverfahren, als sie ihren Rechtsgrund in einem (rechtmässigen oder rechtswidrigen) Verhalten der Strafverfolgungsbehörden bzw. der zuständigen Gerichte bei der Anordnung bzw. Verlängerung von Sicherheitshaft und dem daraus entstandenen Schaden bzw. der dadurch bewirkten seelischen Unbill haben. Der Sache nach handelt es sich um Haftungsansprüche gegen den Kanton Basel-Landschaft, mithin um auf kantonales öffentliches Recht gestützte vermögensrechtliche Ansprüche. Diese sind mit Beschwerde in öffentlichrechtlichen Angelegenheiten gemäss Art. 82 ff. BGG vorzubringen und nach Art. 30 Abs. 1 lit. c Ziff. 1 und Art. 33 des Bundesgerichtsreglements von der strafrechtlichen Abteilung zu behandeln (Entscheid des Bundesgerichts 6B_300/2007 vom 13. November 2007, E. 1.2). 
 
1.2 Die Ergreifung der Beschwerde in öffentlichrechtlichen Angelegenheiten setzt einen Streitwert von 30'000 Franken voraus (Art. 85 Abs. 1 lit. a BGG). Der Beschwerdeführer beantragt nicht, ihm einen diese Summe übersteigenden Betrag zuzusprechen, sondern stellt nur die Feststellungsbegehren, seine Haft sei für einen bestimmten Zeitraum widerrechtlich gewesen, wofür der Kanton Basel-Landschaft grundsätzlich schadenersatzpflichtig sei. Derartige Feststellungsbegehren sind unzulässig, wenn ein Leistungsbegehren möglich ist. Auf die Beschwerde wäre daher an sich nicht einzutreten. Allerdings ergibt sich aus ihrer Begründung, dass der Beschwerdeführer sinngemäss vom Kanton Schadenersatz in der Höhe von US-$ 12'341.23 und eine Genugtuung von Fr. 58'000.-- erhältlich machen möchte. Die Laienbeschwerde ist damit zugunsten des Beschwerdeführers als zulässige Beschwerde in öffentlichrechtlichen Angelegenheiten entgegenzunehmen. 
 
2. 
2.1 Wird eine angeschuldigte Person freigesprochen, wird das Verfahren eingestellt oder wird ihm keine weitere Folge gegeben, kann ihr auf Antrag eine angemessene Entschädigung für ungerechtfertigte Haft, für Anwaltskosten und für anderweitige Nachteile zugesprochen werden (§ 33 Abs. 1 der Strafprozessordnung des Kantons Basel-Landschaft vom 3. Juni 1999; StPO). 
Der Beschwerdeführer wurde rechtskräftig verurteilt. Sein Fall wird vom Wortlaut dieser Bestimmung nicht gedeckt. Das Kantonsgericht hat sie indessen stillschweigend als Rechtsgrundlage für die Beurteilung seiner Entschädigungs- und Genugtuungsforderungen analog herangezogen. Das erscheint jedenfalls haltbar und wird vom Beschwerdeführer auch nicht beanstandet. 
 
2.2 Mit Verfügung vom 29. November 2007 wurde die Sicherheitshaft gegen den Beschwerdeführer bis zur kantonsgerichtlichen Hauptverhandlung vom 29. Januar 2008, maximal bis zum 29. Mai 2008, verlängert. Der Beschwerdeführer macht geltend, diese Verfügung sei nicht in einem kontradiktorischen Verfahren zustandegekommen und von einer Sekretärin erlassen worden. Sie sei nichtig, weshalb er zwischen dem 29. November 2007 und dem 29. Mai 2008 unrechtmässig in Haft gehalten worden sei. 
Fehlerhafte Entscheide sind nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung nichtig, wenn der ihnen anhaftende Mangel besonders schwer ist, wenn er offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar ist und wenn zudem die Rechtssicherheit durch die Annahme der Nichtigkeit nicht ernsthaft gefährdet wird. Inhaltliche Mängel einer Entscheidung führen nur ausnahmsweise zur Nichtigkeit. Als Nichtigkeitsgründe fallen vorab funktionelle und sachliche Unzuständigkeit der entscheidenden Behörde sowie krasse Verfahrensfehler in Betracht. Die Nichtigkeit eines Entscheids ist von sämtlichen rechtsanwendenden Behörden jederzeit von Amtes wegen zu beachten (BGE 133 II 366 E. 3.1 und 3.2; 129 I 361 E. 2 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). 
Das Kantonsgericht eröffnete mit Verfügung vom 12. November 2007 das Verfahren um die Verlängerung der Sicherheitshaft gegen den Beschwerdeführer, indem es dem Besonderen Untersuchungsrichteramt Frist ansetzte, zur Haftverlängerung Stellung zu nehmen. Dieses beantragte mit Eingabe vom 15. November 2007, die Haft zu verlängern. Die Verteidigerin des Beschwerdeführers verzichtete am 20. November 2007 "namens und auftrags" ihres Mandanten auf Stellungnahme, worauf die Haft am 29. November verlängert wurde. Es kann somit keine Rede davon sein, dass der Beschwerdeführer seine verfassungsmässigen Anhörungs- und Mitwirkungsrechte nicht hätte wahrnehmen können. Das Verfahren wurde von der Gerichtsschreiberin instruiert, welche auch die Verfügung vom 29. November 2009 allein unterschrieb. Das wird vom einschlägigen Organisationsrecht gedeckt, haben doch die Gerichtsschreiber nach § 6 Abs. 1 lit. b und Abs. 3 des Gerichtsorganisationsgesetzes des Kantons Basel-Landschaft vom 22. Februar 2001 u.a. die gerichtlichen Entscheide auszufertigen, und sie können stellvertretend mit Instruktionen betraut werden. Mangelhaft ist allerdings, dass sich weder aus der Verfügung noch aus dem Instruktionsverfahren ergibt, wer sie erlassen hat. Insofern ist nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer zur (irrigen) Auffassung gelangte, die Haft sei nicht von einem Richter, sondern von der Gerichtsschreiberin verlängert worden. Immerhin ergibt sich aus dem Begriff der Verfügung, dass der Entscheid von einer Einzelperson gefällt wurde, und aus dem Briefkopf, dass es sich bei dieser um ein Mitglied des Kantonsgerichts handelt, dass die Haft mithin von einem dafür zuständigen Richter erlassen wurde. Dass der verantwortliche Richter nicht aus der Verfügung hervorgeht, ist damit zwar klarerweise ein Mangel. Er wiegt indessen nicht so schwer, dass er die Nichtigkeit der Verfügung vom 29. November 2007 bewirken würde. Der damals rechtskundig vertretene Beschwerdeführer hatte zudem Gelegenheit und Anlass, den Namen des Richters in Erfahrung zu bringen oder den Haftentscheid anzufechten, falls er Zweifel daran gehabt haben sollte, ob dieser vom zuständigen Richter getroffen wurde. Die Verfügung vom 29. November 2007 ist somit nicht nichtig, sondern mangels Anfechtung in Rechtskraft erwachsen. Die Rüge des Beschwerdeführers, er sei zwischen dem 29. November 2007 und dem 29. Mai 2008 ohne rechtsgültigen Haftbefehl inhaftiert gewesen, ist unbegründet. 
 
2.3 Unbestritten ist, dass der Beschwerdeführer vom 29. Mai bis zum 13. Juni 2008 15 Tage ohne Haftbefehl in Haft gehalten wurde. Das Kantonsgericht sprach ihm dafür eine Genugtuung von 1'500 Franken zu. In Bezug auf seine Schadenersatzforderung erwog es, der Beschwerdeführer habe nach eigenen Angaben zwischen Januar 2002 und August 2004 als Berater für die amerikanische Firma A.________ gearbeitet und dafür 58'858 US-$, im Durchschnitt pro Monat 1'898.65 US-$, erhalten. Es kam zum Schluss, dass nicht erwiesen sei, dass er im fraglichen Zeitraum für diese Firma, für deren Existenz es im Internet keine Angaben finden konnte, arbeitete und dafür die geltend gemachten Entschädigungen erhielt. Weiter sei nicht erstellt, dass er diese Aufträge nach seiner Verhaftung vom 7. Januar 2005 hätte weiterführen können. 
Der Beschwerdeführer befand sich am 29. Mai 2008, als die gegen ihn verhängte Sicherheitshaft versehentlich nicht verlängert wurde, seit über drei Jahren rechtmässig in Haft. Es ist schon wegen der für Untersuchungsgefangene stark eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten mit der Aussenwelt schlechterdings ausgeschlossen und wird vom Beschwerdeführer auch gar nicht behauptet, dass er während dieser Zeit seine Beratertätigkeit für die A.________ weiterführte. Er legt auch nicht dar, und das erschiene auch keineswegs plausibel, dass er nach dem jahrelangen Unterbruch zwischen dem 29. Mai und dem 13. Juni 2008 sofort wieder für die A.________ (oder allenfalls einen anderen Arbeits- bzw. Auftraggeber) hätte arbeiten und ein Einkommen im vorherigen Rahmen erzielen können. Es ist damit nicht zu beanstanden, dass das Kantonsgericht davon ausging, dem Beschwerdeführer sei durch die unrechtmässige Haft kein materieller Schaden entstanden. Dies umso weniger, als ihm diese 15 Tage zusammen mit der übrigen erstandenen Untersuchungs- und Sicherheitshaft an die Freiheitsstrafe anzurechnen sind, er sie somit bei einem allfälligen Widerruf der bedingten Entlassung nicht nochmals verbüssen müsste. 
 
2.4 In Bezug auf die Genugtuung hat das Kantonsgericht erwogen, die Inhaftierung einer Person ohne rechtsgültigen Haftbefehl stelle per se eine schwere Persönlichkeitsverletzung dar. Für die erlittene Unbill sei nach der Rechtsprechung des Kantons- wie des Bundesgerichts eine Genugtuung zwischen 100 und 300 Franken pro Tag unrechtmässig erlittener Haft angemessen. Vorliegend falle in Betracht, dass die materiellen Haftvoraussetzungen auch für die Zeit vom 29. Mai bis zum 13. Juni 2008 erfüllt gewesen seien, der Beschwerdeführer auch bei einer Entlassung aus der Sicherheitshaft nicht freigekommen, sondern umgehend in Ausschaffungshaft gekommen wäre, und es sich bei den 15 Tagen unrechtmässiger Haft, gemessen an der vorher und nachher verbüssten rechtmässigen Haft, um eine sehr kleine Zeitspanne gehandelt habe. Diese Ausführungen sind sachgerecht und folgerichtig. Der Beschwerdeführer geht davon aus, dass ihm 300 Franken pro Tag unrechtmässig erlittener Haft zustünden, ohne auch nur ansatzweise zu begründen, inwiefern das Kantonsgericht das ihm bei der Festlegung der Genugtuungssumme zustehende Ermessen missbraucht bzw. überschritten haben könnte. Das ist nach dem Gesagten auch nicht ersichtlich. Die Rüge ist unbegründet. 
 
3. 
Die Beschwerde ist somit abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Er hat zwar ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gestellt, welches indessen abzuweisen ist, da die Beschwerde aussichtslos war (Art. 64 Abs. 1 BGG). Den angespannten finanziellen Verhältnissen des Beschwerdeführers ist bei der Festsetzung der Gerichtskosten Rechnung zu tragen. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Zivil- und Strafrecht, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 3. September 2009 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber: 
 
Schneider Störi