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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
1C_291/2013  
   
   
 
 
 
Urteil vom 3. Oktober 2013  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident, 
Bundesrichter Merkli, Eusebio, 
Gerichtsschreiberin Gerber. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Helvetia Nostra, Postfach, 1820 Montreux,  
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
X.________ AG, 
Beschwerdegegnerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Sascha M. Duff, 
 
Gemeinde St. Moritz,  
Via Maistra 12, 7500 St. Moritz, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Otmar Bänziger, Bahnhofstrasse 7, Postfach 101, 7001 Chur. 
 
Gegenstand 
Baueinsprache, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des 
Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden, 
5. Kammer, vom 19. Februar 2013. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
 Mit Baugesuch vom 18. Juli 2012 beantragte die X.________ AG die Erteilung einer Baubewilligung für den Neu- und Umbau eines Mehrfamilienhauses auf den Parzellen 1206 und 1207 in St. Moritz. Dagegen erhoben die Vereinigung Helvetia Nostra sowie ein Nachbar Einsprache. Die Baubewilligungsbehörde trat auf die Einsprache der Helvetia Nostra am 17. Dezember 2012 mangels Legitimation nicht ein. Die Einsprache des Nachbarn wurde im Sinne der Erwägungen teilweise gutgeheissen und die Baubewilligung erteilt. 
 
B.  
 
 Die dagegen erhobene Beschwerde der Helvetia Nostra wies das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden am 19. Februar 2013 ab. Es entschied, die Gemeinde sei zu Recht auf die Einsprache der Helvetia Nostra nicht eingetreten. 
 
 Im Übrigen ging es davon aus, dass Art. 75b BV erst auf Baubewilligungen anwendbar sei, die nach dem 1. Januar 2013 erteilt würden. Daraus ergebe sich, dass auch in Gemeinden wie St. Moritz, in denen die kritische Grenze von 20 % Zweitwohnungen überschritten sei, im Jahr 2012 noch Baubewilligungen für Zweitwohnungen nach bisherigem Recht erteilt werden durften. 
 
C.  
 
 Dagegen erhob die Helvetia Nostra am 18. März 2013 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht. Sie beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Sache zu neuem Entscheid an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen. Eventualiter sei die dem Projekt der X.________ AG in St. Moritz erteilte Baubewilligung aufzuheben. 
 
D.  
 
 Das Verfahren wurde bis zum Vorliegen eines Grundsatzentscheids des Bundesgerichts zur Frage der Beschwerdebefugnis der Helvetia Nostra und der Anwendbarkeit von Art. 75b BV und Art. 197 Ziff. 9 BV zurückgestellt. 
Am 22. Mai 2013 fällte das Bundesgericht die ersten Leitentscheide: Es bejahte die Beschwerdebefugnis der Helvetia Nostra (BGE 139 II 271) sowie die direkte Anwendbarkeit von Art. 75b BV und Art. 197 Ziff. 9 BV ab dem 11. März 2012 (BGE 139 II 243 und 263). 
 
 Im Anschluss an diese Urteile wurde die Instruktion fortgesetzt. 
 
E.  
 
 Die Gemeinde St. Moritz anerkennt die Beschwerde. 
 
 Die X.________ AG beantragt, die Beschwerde sei insofern gutzuheissen, als die Sache zum Einteten und zur Neubeurteilung an die erste Instanz, d.h. das Bauamt St. Moritz, zurückzuweisen sei. Eventualiter sei der Entscheid bis zum Inkrafttreten des Bundesgesetzes über Zweitwohnungen zu sistieren. Subeventualiter sei die Beschwerde abzuweisen. 
 
 Sie macht geltend, das angefochtene Baugesuch beinhalte den Wiederaufbau einer altrechtlichen Wohnung und deren Erweiterung mit einer Erstwohnung. Weil damit keine neue Bruttogeschossfläche im Sinne des Zweitwohnungsartikels geschaffen werde, sei das Baugesuch grundsätzlich zulässig. Allerdings sei die Rechtslage insofern unklar, als noch keine konkreten Regelungen betreffend Erneuerung, Wiederaufbau und Erweiterung von altrechtlichen Zweitwohnungen vorliege. Bis zur Klärung der Rechtslage durch ein Bundesgesetz über Zweitwohnungen wolle sie kein rechtswidriges Baugesuch bewilligt erhalten und damit das Risiko eines später notwendigen Rückbaus eingehen, noch ihr Baugesuch zurückziehen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
 Die Plafonierung des Zweitwohnungsbaus gemäss Art. 75b BV stellt eine Bundesaufgabe dar, die der Schonung der Natur und des heimatlichen Landschaftsbildes dient. Die nach Art. 12 Abs. 1 lit. b des Bundesgesetzes vom 1. Juli 1966 über den Natur- und Heimatschutz (NHG; SR 451) beschwerdebefugten Organisationen im Bereich des Natur- und Heimatschutzes - zu denen auch die Helvetia Nostra gehört - können daher Baubewilligungen wegen Verletzung von Art. 75b BV und seiner Übergangs- und Ausführungsbestimmungen anfechten (BGE 139 II 271 E. 11 S. 276 ff.). Das Verwaltungsgericht und die Gemeinde St. Moritz haben somit die Einsprachebefugnis der Beschwerdeführerin zu Unrecht verneint. 
 
2.  
 
 Das Verwaltungsgericht ging überdies davon aus, dass die neuen Verfassungsbestimmungen nicht anwendbar seien auf Baubewilligungen, die zwischen dem 11. März 2012 und dem 31. Dezember 2012 erstinstanzlich erteilt wurden (Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV e contrario). 
 
 Das Bundesgericht hat in BGE 139 II 243 (E. 9-11 S. 249 ff.) entschieden, dass Art. 75b Abs. 1 BV seit seinem Inkrafttreten am 11. März 2012 anwendbar ist. Zwar bedarf diese Bestimmung in weiten Teilen der Ausführung durch ein Bundesgesetz. Unmittelbar anwendbar ist sie jedoch insoweit, als sie (in Verbindung mit Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV) ein Baubewilligungsverbot für Zweitwohnungen in allen Gemeinden anordnet, in denen der 20 %-Zweitwohnungsanteil bereits erreicht oder überschritten ist. Dies hat zur Folge, dass Baubewilligungen für Zweitwohnungen, die zwischen dem 11. März und dem 31. Dezember 2012 in den betroffenen Gemeinden erteilt wurden, auf Beschwerde aufzuheben sind. 
 
3.  
 
 Nach dem Gesagten steht fest, dass der angefochtene Entscheid aufzuheben ist. Fraglich ist, ob die Sache an das Verwaltungsgericht oder - unter Mitaufhebung des Einspracheentscheids und der Baubewilligung - an die erste Instanz, d.h. an die Gemeinde, zurückzuweisen ist (Art. 107 Abs. 2 BGG). 
 
 Für letztere Lösung spricht der Umstand, dass die Gemeinde zu Unrecht auf die Einsprache der Helvetia Nostra nicht eingetreten ist, sich also noch nicht mit deren Einwänden befasst hat. Dies entspricht auch dem Hauptantrag der Beschwerdegegnerin. 
 
 Unter diesen Umständen erscheint es sinnvoll, in Gutheissung des Eventualantrags der Beschwerdeführerin den Einspracheentscheid und die Baubewilligung aufzuheben und die Sache an die Gemeinde zurückzuweisen. Sofern die Beschwerdegegnerin ihr Gesuch bis zum Inkrafttreten des Zweitwohnungsgesetzes sistieren will, kann sie dies bei der Gemeinde beantragen. 
 
4.  
 
 Bei diesem Ausgang des Verfahrens obsiegt die Beschwerdeführerin. Die private Beschwerdegegnerin wird daher kostenpflichtig, und zwar sowohl für das bundesgerichtliche Verfahren (Art. 66 BGG) als auch für das Verfahren vor Verwaltungsgericht (Art. 67 BGG). 
 
 Zwar hat sie weder vor Verwaltungsgericht noch vor Bundesgericht die Abweisung der Beschwerde beantragt. Sie hat jedoch durch die Einreichung des Baugesuchs das Verfahren veranlasst und ist deshalb im vorliegenden Verfahren notwendigerweise Gegenpartei bzw. Beschwerdegegnerin; als solche trägt sie grundsätzlich das Prozess- und Kostenrisiko (BGE 123 V 156 E. 3c S. 158). Im Übrigen hatte sie schon im Einspracheverfahren Nichteintreten auf die Einsprache der Helvetia Nostra beantragt. 
 
 Da die Beschwerdeführerin weder vor Verwaltungsgericht noch vor Bundesgericht anwaltlich vertreten war, hat sie praxisgemäss keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
 
 Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom 19. Februar 2013 sowie der Bau- und Einspracheentscheid des Gemeindevorstands St. Moritz vom 17. Dezember 2012, soweit er die Einsprache der Helvetia Nostra und die Baubewilligung betrifft, werden aufgehoben. Die Sache wird im Sinne der Erwägungen an die Gemeinde St. Moritz zurückgewiesen. 
 
2.  
 
 Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- für das bundesgerichtliche Verfahren und Fr. 1'052.-- für das verwaltungsgerichtliche Verfahren werden der Beschwerdegegnerin (X.________ AG) auferlegt. 
 
3.  
 
 Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen. 
 
4.  
 
 Dieses Urteil wird den Parteien, der Gemeinde St. Moritz und dem Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, 5. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 3. Oktober 2013 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Fonjallaz 
 
Die Gerichtsschreiberin: Gerber