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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
H 128/03 
 
Urteil vom 4. Februar 2004 
III. Kammer 
 
Besetzung 
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Lustenberger; Gerichtsschreiberin Bucher 
 
Parteien 
B.________, 1919, Beschwerdeführerin, vertreten 
durch Rechtsanwalt Dr. Ueli Kieser, Ulrichstrasse 14, 8032 Zürich, 
 
gegen 
 
Ausgleichskasse des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur 
 
(Entscheid vom 5. März 2003) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Mit Verfügung vom 22. Mai 2002 lehnte die Ausgleichskasse des Kantons Zürich das Gesuch der 1919 geborenen B.________ um Ausrichtung einer Hilflosenentschädigung der Alters- und Hinterlassenenversicherung ab mit der Begründung, die Versicherte sei einzig für die Fortbewegung ausserhalb des Hauses auf Dritthilfe angewiesen. 
B. 
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die hiegegen eingereichte Beschwerde ab. Dabei ging es, nachdem die Verwaltung neu auch hinsichtlich des An- und Auskleidens und der Körperpflege eine Hilflosigkeit bejaht hatte, von einer Notwendigkeit der Dritthilfe für die drei Lebensverrichtungen "Ankleiden/Auskleiden", "Aufstehen/Absitzen/Abliegen" und "Fortbewegung/Kontaktaufnahme" aus, wohingegen es eine Hilfsbedürftigkeit beim Essen, bei der Körperpflege und bei der Verrichtung der Notdurft verneinte (Entscheid vom 5. März 2003). 
C. 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt B.________, die vorbringt, sie sei zusätzlich zu den von der Vorinstanz anerkannten Einschränkungen auch beim Essen, bei der Körperpflege und bei der Notdurftverrichtung hilflos, beantragen, der kantonale Gerichtsentscheid und die Verwaltungsverfügung seien aufzuheben und es sei ihr eine Hilflosenentschädigung der Alters- und Hinterlassenenversicherung zuzusprechen; eventuell sei die Sache zur Festlegung des Zeitpunktes des Anspruchsbeginns an die Ausgleichskasse zurückzuweisen. 
Die IV-Stelle, die auf die Ausführungen im vorinstanzlichen Entscheid verweist, und das Bundesamt für Sozialversicherung verzichten auf eine Vernehmlassung. 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Das kantonale Gericht hat die einschlägigen Bestimmungen über die Hilflosenentschädigung (Art. 43bis Abs. 1, 2 und 5 Satz 1 AHVG; Art. 42 Abs. 2 IVG; Art. 36 Abs. 1 und 2 IVV, worauf Art. 66bis Abs. 1 AHVV verweist) in der hier anwendbaren, im Zeitpunkt des Erlasses der Verwaltungsverfügung (22. Mai 2002) in Kraft gestandenen Fassung (vgl. BGE 129 V 356 Erw. 1) und die Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts zu den für die Bemessung der Hilflosigkeit massgebenden sechs alltäglichen Lebensverrichtungen (BGE 127 V 97 Erw. 3c, 125 V 303 Erw. 4a), zur für die Annahme mittelschwerer Hilflosigkeit erforderlichen Anzahl betroffener Lebensverrichtungen (BGE 121 V 90 Erw. 3b) sowie zum Vorgehen bei mehrere Teilfunktionen umfassenden Lebensverrichtungen (BGE 121 V 91 Erw. 3c) zutreffend wiedergegeben. Darauf wird verwiesen. 
2. 
Streitig und zu prüfen ist, ob der Beschwerdeführerin eine Hilflosenentschädigung der Alters- und Hinterlassenenversicherung zusteht. Nach Auffassung der Versicherten sind die Voraussetzungen für die Annahme einer schweren Hilflosigkeit erfüllt, wohingegen Verwaltung und Vorinstanz schon eine für einen Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung der Alters- und Hinterlassenenversicherung unabdingbare Hilflosigkeit mittleren Grades verneinen. Unbestritten und aufgrund der Akten nicht zu beanstanden ist die Annahme einer relevanten Hilfsbedürftigkeit in den Lebensverrichtungen "Ankleiden/Auskleiden", "Aufstehen/Absitzen/Abliegen" und "Fortbewegung/Kontaktaufnahme". 
3. 
3.1 Bezüglich der von Verwaltung und Vorinstanz verneinten Hilflosigkeit in der Lebensverrichtung "Essen" ist aus den Akten ersichtlich und unbestritten, dass die Versicherte das Essen am Tisch (vgl. zur Hilflosigkeit bei der Notwendigkeit, sich das Essen regelmässig ans Bett bringen zu lassen, ZAK 1985 S. 404 Erw. 2c, 1983 S. 75 Erw. 2b und Pra 1991 Nr. 194 S. 831 Erw. 1b) selber zerkleinern und auf übliche Weise einnehmen kann (vgl. zu den Teilfunktionen der Lebensverrichtung "Essen", zu denen auch das Trinken zählt, und zur Hilflosigkeit beim Essen auf unübliche Weise - ohne Besteck - BGE 121 V 91 Erw. 3c mit Hinweis; Pra 1991 Nr. 194 S. 831 Erw. 1b und 832 Erw. 2c). Die Beschwerdeführerin sieht indessen eine Hilflosigkeit bei dieser Lebensverrichtung in ihrem Unvermögen, das Essen an den Tisch zu bringen. Dieser Aspekt gehöre zur Lebensverrichtung des Essens. Denn wer bei der Zubereitung des Essens, zu der auch das Tragen des Essens auf den Tisch gehöre, Hilfe benötige, sei bei der Funktion des Essens eingeschränkt. Es sei jedenfalls nicht erkennbar, unter welcher anderen Lebensverrichtung das Hinzutragen der Speisen subsumiert werden könnte. 
3.2 Dazu ist festzuhalten, dass dem Unvermögen, das Essen zum Tisch zu bringen, im Rahmen der Lebensverrichtung "Essen" - und der Hilflosigkeit überhaupt - nur dann Rechnung zu tragen ist, wenn diese Funktion nicht dem Haushalt zuzurechnen ist. Denn die Hilfe, die nicht die Nahrungsaufnahme selbst, sondern die Haushaltführung betrifft, ist bei der Lebensverrichtung "Essen" nicht in Anschlag zu bringen, weil die Haushaltsarbeiten nicht zu den alltäglichen Lebensverrichtungen im Sinne der Regelung über die Hilflosigkeit gehören (ZAK 1971 S. 38 Erw. 3b, 1970 S. 43 Erw. 2 und 478 Erw. 1c; Urteil O. vom 13. März 2002, H 229/01, Erw. 3b): Einschränkungen im Haushalt werden nicht im Rahmen der Hilflosigkeit, sondern im Bereich der Invalidenversicherung gegebenenfalls bei der Invaliditätsbemessung berücksichtigt (ZAK 1971 S. 38 Erw. 3b, 1970 S. 478 Erw. 1c) und gelten auch auf dem vorliegend interessierenden Gebiet der Alters- und Hinterlassenenversicherung, deren Hilflosigkeitsbegriff mit jenem der Invalidenversicherung übereinstimmt (Art. 43bis Abs. 5 Satz 1 AHVG), als durch die Altersrente abgegolten (ZAK 1970 S. 478 Erw. 1c). 
3.3 Da praxisgemäss nicht nur das Kochen, sondern auch das Anrichten des Essens - und damit das Tragen der Speisen zum Tisch - unter die Haushaltsarbeit im Sinne der Bestimmungen über die Invaliditätsbemessung fällt (Urteile S. vom 28. Februar 2003, I 685/02, Erw. 4.1 sowie 4.2.2, und L. vom 13. November 2002, I 402/02, Erw. 5), kann das Unvermögen, das Essen zum Tisch zu bringen, demnach keine Hilflosigkeit in der Lebensverrichtung "Essen" begründen. 
3.4 Das Tragen des Essens zum Tisch gehört nach dem Gesagten ebenso wenig zur Lebensverrichtung "Essen" im Sinne der Bestimmungen über die Hilflosenentschädigung wie die (bei der Fortbewegung sowie beim Aufstehen/Absitzen/Abliegen, nicht aber noch zusätzlich beim Essen zu berücksichtigende) Hilfe, die dazu benötigt wird, um zum Esstisch zu gelangen und dort abzusitzen bzw. aufzustehen (ZAK 1985 S. 404 Erw. 2c). Die Annahme einer Hilflosigkeit bei der Lebensverrichtung "Essen" kommt somit bei Personen, die am Tisch essen können, erst in Frage, wenn eine Hilfsbedürftigkeit bei einer Verrichtung besteht, die zu bewerkstelligen ist, wenn die betroffene Person bereits am Tisch sitzt und das Essen schon auf dem Tisch steht. 
3.5 Die Vorinstanz hat folglich zu Recht eine Hilflosigkeit in der Lebensverrichtung "Essen" verneint. Damit steht fest, dass es an der Notwendigkeit regelmässiger und erheblicher Dritthilfe in allen sechs alltäglichen Lebensverrichtungen, wie sie für die Bejahung eines Anspruchs auf eine Hilflosenentschädigung bei Hilflosigkeit schweren Grades erforderlich wäre (Art. 36 Abs. 1 IVV), fehlt. Da schon diese Anspruchsvoraussetzung nicht gegeben ist, kann offen gelassen werden, wie es sich mit dem zusätzlichen Erfordernis der Notwendigkeit der dauernden Pflege oder der persönlichen Überwachung verhält. 
4. 
Hingegen sind die Voraussetzungen für die Zusprechung einer Hilflosenentschädigung bei Hilflosigkeit mittleren Grades erfüllt, wenn eine Notwendigkeit regelmässiger und erheblicher Dritthilfe nicht nur beim Ankleiden/Auskleiden, beim Aufstehen/Absitzen/Abliegen und bei der Fortbewegung/Kontaktaufnahme, sondern überdies noch bei einer vierten alltäglichen Lebensverrichtung besteht oder die Beschwerdeführerin einer dauernden persönlichen Überwachung bedarf (Art. 36 Abs. 2 IVV; BGE 121 V 90 Erw. 3b). 
4.1 Die Versicherte ist zum Duschen unbestrittenermassen darauf angewiesen, dass ihr der Ehemann vom Rollator auf den Duschstuhl und vom Duschstuhl wieder zum Rollator hilft. Unter anderem aufgrund dessen bejaht die Beschwerdeführerin (ebenso wie die Verwaltung im vorinstanzlichen Verfahren) eine Hilflosigkeit bei der Körperpflege, wohingegen das kantonale Gericht erwogen hat, diese Hilfestellung beschlage nicht eine Teilfunktion der Körperpflege, sondern werde bereits bei der Funktion "Aufstehen/Absitzen/Abliegen" berücksichtigt. 
4.2 Entgegen der vorinstanzlichen Auffassung ist der Wechsel vom Rollator zum Duschstuhl und zurück indessen als Bestandteil der Verrichtung "Duschen" zu betrachten. Er bildet eine Einheit mit dem Duschvorgang, weil er eine Voraussetzung und eine notwendige Folge desselben ist: Da die Beschwerdeführerin zum Duschen auf einen Duschstuhl angewiesen ist, muss sie sich vor dem Duschen auf diesen setzen und nach dem Duschen wieder von diesem aufstehen. Eine Hilfsbedürftigkeit beim Wechsel zwischen Rollator und Duschstuhl ist daher im Sinne einer funktional gesamtheitlichen Betrachtungsweise beim Duschen und damit bei der Lebensverrichtung "Körperpflege" zu berücksichtigen (vgl. Urteil S. vom 3. September 2003, I 214/03, Erw. 3.2), ebenso wie 
 
- die Hilfsbedürftigkeit beim Aussteigen aus dem Duschrollstuhl beim Duschen und damit bei der Lebensverrichtung "Körperpflege" (a. a. O.) und 
- die Fremdhilfe beim Besteigen des Spezialbettes bei einer Person, die sich nur darin an- und auskleiden kann, nicht nur bei der Lebensverrichtung "Aufstehen/Absitzen/Abliegen", sondern auch im Rahmen der Lebensverrichtung "Ankleiden/Auskleiden" (RKUV 1999 Nr. U 334 S. 204 Erw. 2b) zu veranschlagen ist. 
4.3 Dabei handelt es sich um eine regelmässige und - es wird die Anwesenheit einer Drittperson bei jedem Duschen vorausgesetzt - wesentliche Dritthilfe (vgl. erwähntes Urteil I 214/03, Erw. 3.3). Wegen dieser Hilfsbedürftigkeit bei der Teilfunktion "Duschen" der Lebensverrichtung "Körperpflege" ist die Beschwerdeführerin auch bei der Körperpflege (BGE 121 V 91 Erw. 3c) und damit jedenfalls bei vier der massgebenden alltäglichen Lebensverrichtungen regelmässig in erheblicher Weise auf die Hilfe Dritter angewiesen. Da dies für die Bejahung eines Anspruchs auf eine Hilflosenentschädigung bei Hilflosigkeit mittleren Grades genügt, kann dahingestellt bleiben, ob die Versicherte auch bei der Verrichtung der Notdurft hilflos ist und ob sie einer dauernden persönlichen Überwachung bedarf. 
5. 
Den Anspruchsbeginn erstinstanzlich festzusetzen, ist jedenfalls bei wie vorliegend diesbezüglich nicht völlig klarer Aktenlage in Anbetracht des grundsätzlichen Anspruchs auf einen doppelten Instanzenzug (BGE 128 V 321 Erw. 1e/bb) nicht Sache des Eidgenössischen Versicherungsgerichts, sondern der Verwaltung. 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 5. März 2003 und die Verfügung der Ausgleichskasse des Kantons Zürich vom 22. Mai 2002 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die Beschwerdeführerin Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung bei Hilflosigkeit mittleren Grades hat. Die Sache wird zur Festlegung des Anspruchsbeginns an die Ausgleichskasse des Kantons Zürich zurückgewiesen. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Die Ausgleichskasse des Kantons Zürich hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
4. 
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wird über eine Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben. 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, der IV-Stelle des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
Luzern, 4. Februar 2004 
 
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
 
Die Präsidentin der III. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: