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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
K 12/04 
 
Urteil vom 4. April 2005 
III. Kammer 
 
Besetzung 
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Lustenberger und Kernen; Gerichtsschreiber Fessler 
 
Parteien 
Öffentliche Krankenkasse Basel-Stadt, Spiegelgasse 12, 4051 Basel, Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
K.________, 1950, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
Kantonsgericht Basel-Landschaft, Liestal 
 
(Entscheid vom 4. Dezember 2003) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die 1950 geborene K.________ ist bei der Öffentlichen Krankenkasse Basel (nachfolgend: ÖKK Basel) unter anderem obligatorisch krankenpflegeversichert. Am 25. September 2002 unterzog sich K.________ in der Frauenklinik des Spitals X.________ einer Operation an beiden Mammae. Die Diagnose lautete «Störende Keloidnarben bei Status nach Mammareduktionsplastik bds». Der Eingriff bestand in einer Exzision der Keloidnarben und einem kleinen Lifting beidseits (Operationsbericht vom 30.September 2002). Die Kosten für Behandlung und Spitalaufenthalt vom 24. bis 27.September 2002 beliefen sich auf Fr.7412.45. Mit Verfügung vom 5.Mai 2003 lehnte die ÖKK Basel eine Kostenübernahme im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung für die Narbenkorrektur-Operation vom 25.September 2002 mit der Begründung ab, der Eingriff sei medizinisch nicht indiziert gewesen. Daran hielt der Krankenversicherer mit Einspracheentscheid vom 22.Juli 2003 fest. 
B. 
In Gutheissung der Beschwerde der K.________ hob das Kantonsgericht Basel-Landschaft den Einspracheentscheid vom 22. Juli 2003 auf und verpflichtete die ÖKK Basel, der Versicherten die Kosten der Operation vom 25. September 2002 zu erstatten (Entscheid vom 4. Dezember 2003). 
C. 
Die ÖKK Basel führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, der kantonale Gerichtsentscheid sei aufzuheben. 
 
K.________ beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) in Kraft getreten. Dieses Gesetz koordiniert das Sozialversicherungsrecht des Bundes, indem es u.a. Grundsätze, Begriffe und Institute des Sozialversicherungsrechts definiert (Art. 1 Ingress und lit. a ATSG). 
 
Art. 3 Abs. 1 ATSG umschreibt den Begriff der Krankheit. Darunter fällt nach der bis 31. Dezember 2003 gültig gewesenen Fassung jede Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Gesundheit, die nicht Folge eines Unfalles ist und die eine medizinische Untersuchung oder Behandlung erfordert oder eine Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. Alt Art. 3 Abs. 1 ATSG ist auch im Bereich der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (Art. 3 ff. KVG) anwendbar (Art. 2 ATSG sowie Art. 1 KVG und Art. 1a Abs. 1 und Abs. 2 lit. a KVG). 
1.2 Entgegen dem kantonalen Gericht sind die materiellen Bestimmungen des Allgemeinen Teils des Sozialversicherungsrechts vorliegend nicht anwendbar. Die Narbenkorrektur-Operation, deren Vergütung durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung hier streitig ist, wurde am 25. September 2002 durchgeführt. Der zur umstrittenen Rechtsfolge führende Tatbestand hatte sich somit abschliessend vor In-Kraft-Treten des ATSG verwirklicht. Diese Gesetzesnovelle kommt daher nicht zur Anwendung (BGE 130 V 446 Erw. 1.2.1, 126 V 136 Erw. 4b). Für den Krankheitsbegriff ist somit alt Art. 2 Abs. 1 KVG (in Kraft gestanden bis 31. Dezember 2002) massgebend und nicht der von der Vorinstanz angewendete alt Art. 3 Abs. 1 ATSG. Diese Feststellung ist indessen insofern nicht entscheidwesentlich, als beide Bestimmungen im Wortlaut und auch inhaltlich übereinstimmen (vgl. Bericht «Parlamentarische Initiative Sozialversicherungsrecht» der Kommission des Nationalrates für soziale Sicherheit und Gesundheit [BBl 1999 4523 ff.] S. 4543 f. sowie Amtl. Bull. 1999 N 1238, 2000 S 176 [Votum Schiesser, Kommissionssprecher]; ferner Ueli Kieser, ATSG-Kommentar, S. 46; Urteil D. vom 26. August 2004 [K 15/04] Erw. 1). 
2. 
2.1 Die Vergütung operativer Eingriffe an der Brust, insbesondere Reduktionsplastiken bei Mammahypertrophie, Mammadysplasie oder Asymmetrie der Mammae durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung richtet sich im Rahmen von Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit der Leistung (Art. 32 Abs. 1 KVG) grundsätzlich nach der unter dem alten Krankenversicherungsgesetz (KUVG) gültig gewesenen Gerichts- und Verwaltungspraxis (RKUV 2000 Nr. KV 138 S. 357; vgl. auch BGE 130 V 301 Erw. 2 und RKUV 2004 Nr. KV 285 S. 242 Erw. 4.1). Danach besteht eine Kostenübernahmepflicht für die operative Brustreduktion, wenn die Hypertrophie, Dysplasie oder Asymmetrie körperliche oder psychische Beschwerden mit Krankheitswert verursacht und deren Behebung das eigentliche Ziel des Eingriffs ist. Entscheidend ist nicht das Vorliegen eines bestimmten Beschwerdebildes, sondern ob die Beschwerden erheblich sind und andere, vor allem ästhetische Motive genügend zurückdrängen. Dabei genügt es, wenn sowohl die Beschwerden wie auch deren Kausalzusammenhang mit der Mammahypertrophie, -dysplasie oder -asymmetrie nach dem im Sozialversicherungsrecht üblichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit erstellt sind; die blosse Möglichkeit ist nicht ausreichend, anderseits ist ein Zusammenhang im streng wissenschaftlichen Sinn nicht erforderlich (RKUV 2000 Nr. KV 138 S. 359 Erw. 3a mit Hinweisen; Urteil L. vom 29. Januar 2001 [K 171/00] Erw. 2b; vgl. auch BGE 130 V 301 ff. Erw. 4 und 5). 
 
Für die Vergütung der Mammareduktionsplastik durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung ist sodann von Bedeutung, ob konservative Massnahmen, insbesondere Physiotherapie bei Rückenbeschwerden, eine wirksame alternative Behandlungsmöglichkeit darstellen oder dargestellt hätten. Ist das zu bejahen, stellt sich weiter die Frage, welche der beiden Leistungen die zweckmässigere ist. Je nachdem entfällt eine Kostenübernahmepflicht für die Operation (BGE 130 V 299, insbesondere S. 304 ff. Erw. 6.1 und 6.2). 
2.2 Im Weitern kann in Fortführung der unter dem KUVG gültig gewesenen Rechtsprechung die operative Behandlung sekundärer krankheits- oder unfallbedingter Beeinträchtigungen, insbesondere äusserliche Verunstaltungen an sichtbaren und in ästhetischer Beziehung speziell empfindlichen Körperteilen zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung gehen. Voraussetzung ist, dass der Mangel ein gewisses Ausmass erreicht und durch kosmetische Operation sich beheben lässt. Ferner muss die obligatorische Krankenpflegeversicherung für die Behandlung der primären Unfall- oder Krankheitsfolgen aufgekommen sein. Die Leistungspflicht der Versicherer für kosmetische Operationen hat sich in allgemein üblichen Grenzen und im Rahmen der Wirtschaftlichkeit zu halten (Urteile T. vom 24. Dezember 2002 [K 87/02] Erw. 1.2 und D. vom 26. August 2004 [K 15/04] Erw. 2.2, je mit Hinweisen; vgl. zur Begründung sinngemäss RKUV 2000 Nr. KV 138 S. 360 Erw. 3b). 
3. 
Das kantonale Gericht hat die streitige Kostenübernahme im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung des am 25. September 2002 vorgenommenen operativen Eingriffs (Exzision der Keloidnarben im Bereich beider Mammae und kleines Lifting beidseits) im Wesentlichen im Lichte und nach Massgabe der in Erw.2 hievor dargelegten Grundsätze geprüft. In Würdigung der medizinischen Akten ist die Vorinstanz zum Schluss gelangt, die Keloidnarben hätten kosmetisch nicht derart gestört, dass von einem behandlungsbedürftigen sekundären ästhetischen Mangel gesprochen werden könne. Hingegen komme den Narben als solchen Krankheitswert zu, da sie körperliche Beschwerden hervorriefen und daher einen unmittelbaren pathologischen Gehalt aufwiesen. Zwar sei die von der Versicherten geltend gemachte Entzündung nicht rechtsgenüglich erstellt. Indessen sei das intensive Jucken durch den Operationsbericht vom 30.September 2002 mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen. Die Beschwerden seien derart intensiv gewesen, dass die Versicherte dem Drang sich zu kratzen nicht habe widerstehen können. Bei dieser Intensivität des Beissens müssten Behandlungsbedürftigkeit und Krankheitswert als gegeben angenommen werden. Das ständige Kratzen könne auf Dauer zu Rötungen, Entzündungen, Infektionen oder offenen Wunden führen. Die Haut sei an den betroffenen Stellen besonders empfindlich und könne sich nur schwer von selbst erholen. Es sei daher schlüssig und nachvollziehbar, dass eine medizinische Behandlung durch die operative Beseitigung der juckenden Keloidnarben angezeigt und notwendig gewesen sei. Die Massnahme halte sich in allgemein üblichen Grenzen sowie im Rahmen der Wirtschaftlichkeit. Somit habe der Krankerversicherer die Kosten der Operation vom 25.September 2002 nach Art.25 Abs.1 KVG zu erstatten. 
4. 
4.1 Dass die Keloidnarben resp. die Narbendehiszenz und Keloidbildung keinen sekundären krankheitsbedingten ästhetischen Mangel im Sinne der in Erw. 2.2 dargelegten Rechtsprechung darstellen, steht ausser Frage. Hingegen überzeugt die vorinstanzliche Begründung für die Bejahung des Krankheitswertes und der Behandlungsbedürftigkeit der Juckreizbeschwerden durch Exzision der Keloidnarben nicht, wie der Verwaltungsgerichtsbeschwerde führende Krankenversicherer zu Recht vorbringt. Dass das andauernde Kratzen auf Dauer zu Rötungen, Entzündungen, Infektionen oder offenen Wunden an den betroffenen Hautstellen führen kann, entspricht einer Erfahrungstatsache und trifft in dieser allgemeinen Form auf eine Vielzahl ähnlicher oder vergleichbarer Sachverhalte zu. Damit ist jedoch lediglich die Möglichkeit bestimmter gesundheitlicher Beeinträchtigungen als Folge des Kratzens dargetan, was für die Bejahung des Krankheitswertes der Narbendehiszenz und Keloidbildung nicht genügt, zumal wenn ästhetische Motive für den Eingriff nicht gänzlich verneint werden können. Sodann hat das kantonale Gericht ohne weiteres auf die Notwendigkeit einer operativen Beseitigung der Narben geschlossen. Es hat nicht geprüft, ob konservative Massnahmen eine wirksame alternative Behandlungsmöglichkeit darstellen oder dargestellt hätten (Erw. 2.1). 
4.2 Die Beschwerdegegnerin hat in diesem Verfahren einen Bericht des Spitals X.________ vom 26.Februar 2004 eingereicht. Darin hält der operierende Arzt fest, die Behandlungen mit verschiedenen konservativen dermatologischen Massnahmen wie Salben, Wickel etc. hätten keine Linderung und keinen Erfolg gebracht. Diese Aussage stützt zwar die vorinstanzliche Argumentation in dem Sinne, dass die Keloidnarben (Narbendehiszenz und Keloidbildung) behandlungsbedürftige Beschwerden verursachten und konservative Massnahmen unwirksam waren. Sie lässt aber entscheidwesentliche (Tat-)Fragen offen. Vorab ist unklar, seit wann und in welcher (wechselnden) Intensität das im Operationsbericht vom 30.September 2002 erwähnte Beissen bestand und ob es tatsächlich derart war, dass die Versicherte nicht anders konnte als sich ständig kratzen. Ebenfalls interessiert, ob es im Bereich der Narben Entzündungen gab, welche nicht Folge des ständigen Kratzens waren, wie die Beschwerdegegnerin geltend macht. Im Weitern äussert sich der operierende Arzt nicht dazu, wie lange und welche konservativen Massnahmen im Einzelnen angewendet wurden, inwiefern sie unwirksam waren und ob die Versicherte diesbezüglich in ärztlicher Behandlung stand. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass der Krankenversicherer in seiner Stellungnahme vom 23.März 2004 zur Vernehmlassung der Beschwerdegegnerin nicht geltend macht, keine Medikamente für konservative Massnahmen bezahlt zu haben. 
 
Erst nach Klärung dieser offenen Punkte können die Fragen nach dem Krankheitswert und der Behandlungsbedürftigkeit der geltend gemachten Juckreizbeschwerden und Entzündungen, soweit sie bestanden, durch Exzision der Keloidnarben abschliessend beurteilt werden. In diesem Sinne wird der Krankenversicherer ergänzende Erhebungen vorzunehmen haben, u.a. zusätzliche Berichte des operierenden und allenfalls des behandelnden Arztes. Je nachdem stellt sich weiter die Frage der Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit der Operation vom 25.September 2002 (vgl. BGE 130 V 299, insbesondere S.307 Erw.6.2.3). Danach wird er über die streitige Vergütung des Eingriffs durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung neu verfügen. 
 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 4. Dezember 2003 und der Einspracheentscheid vom 22. Juli 2003 aufgehoben werden und die Sache an die ÖKK Basel zurückgewiesen wird, damit sie nach Abklärungen im Sinne der Erwägungen über die Vergütung des operativen Eingriff vom 25. September 2002 im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung neu verfüge. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht, und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt. 
Luzern, 4. April 2005 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Die Präsidentin der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: