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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 7} 
I 272/06 
 
Urteil vom 4. Juni 2007 
I. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Ursprung, Präsident, 
Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Schön, 
Gerichtsschreiberin Riedi Hunold. 
 
Parteien 
O.________, 1953, Beschwerdeführerin, vertreten durch die Beratungsstelle für Ausländer, Schützengasse 7, 8001 Zürich, 
 
gegen 
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 15. Februar 2006. 
 
Sachverhalt: 
A. 
O.________ (geboren 1953) war vom 30. Mai 1995 bis Ende September 2002 bei der Firma G.________ als Mitarbeiterin beschäftigt. Am 4. Oktober 2000 verstarb ihr Ehemann. O.________ bezog ab 1. November 2000 eine Witwenrente der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV). Im Jahre 2002 meldete sich O.________ bei der Invalidenversicherung zum Bezug von Leistungen an. Die IV-Stelle des Kantons Zürich (nachfolgend: IV-Stelle) verneinte mit Verfügung vom 5. Juni 2003 einen Anspruch. Mit Einspracheentscheid vom 8. April 2004 nahm die IV-Stelle die Sache zur weiteren Abklärung zurück. Nachdem O.________ hiegegen Beschwerde führen liess, wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich die Sache mit Entscheid vom 23. November 2004 an die Verwaltung zur weiteren Abklärung zurück. Mit Verfügung vom 3. Dezember 2004 sprach die IV-Stelle O.________ ab 1. Juni 2004 weiterhin die Witwenrente zu, da deren Betrag höher sei als jener der Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von 48 %. Gestützt auf das gemäss Entscheid vom 23. November 2004 eingeholte psychiatrische Gutachten sprach die IV-Stelle mit Verfügung vom 16. Juni 2005 ab 1. Februar 2005 eine ganze Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von 100 % zu; da die Witwenrente jedoch höher sei, werde weiterhin diese ausbezahlt. Daran hielt die IV-Stelle mit Einspracheentscheid vom 19. Oktober 2005 fest. 
B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 15. Februar 2006 ab. 
C. 
O.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Eidgenössische Versicherungsgericht (seit 1. Januar 2007: Bundesgericht) führen mit dem Antrag, es sei ihr eine ganze Invalidenrente bereits ab 1. Februar 2003 zuzusprechen. Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110) ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch nach dem Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 16. Dezember 1943 (OG; Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395). 
1.2 Da die Verwaltungsgerichtsbeschwerde am 1. Juli 2006 bereits hängig war, sind auch die auf diesen Zeitpunkt in Kraft getretenen, für Streitigkeiten um Leistungen der Invalidenversicherung geltenden Anpassungen von Art. 132 und Art. 134 OG gemäss Ziff. III. des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Änderung des IVG nicht anwendbar (Ziff. II. lit. c des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Änderung des IVG; AS 2006 2003, 2004). Die Beurteilung hat daher mit voller Kognition zu erfolgen und ist kostenfrei (Art. 132 und 134 OG, je in der bis 30. Juni 2006 geltenden Fassung). 
2. 
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über das Zusammenfallen einer Invalidenrente mit einer Hinterlassenenrente (Art. 43 Abs. 1 IVG; SVR 2007 IV Nr. 3 S. 8 E. 2.1 [I 808/05] mit Hinweis) zutreffend dargelegt. Dasselbe gilt für die Prozessvoraussetzung des schutzwürdigen Interesses (Art. 59 ATSG und Art. 103 lit. a OG; BGE 131 V 298 E. 3 S. 300, 130 V 560 E. 3.3 S. 563; SVR 2007 IV Nr. 3 S. 8 E. 1 [I 808/05], je mit Hinweisen) sowie die Bindung der Vorsorgeeinrichtung an den von der Invalidenversicherung festgestellten Invaliditätsgrad (BGE 130 V 270 E. 3.1 S. 273, 129 V 73; vgl. auch SVR 2007 IV Nr. 3 S. 8 E. 3 und 4 [I 808/05], je mit Hinweisen). Darauf wird verwiesen. 
3. 
Die Vorinstanz hat zutreffend festgestellt, dass die Versicherte ein schutzwürdiges Interesse an der Feststellung des Beginns der Invalidenrente hat. Denn anders als im Urteil I 808/05 vom 9. Juni 2006, (publiziert in SVR 2007 IV Nr. 3 S. 8), in welchem die Höhe des Invaliditätsgrades einer eine Witwenrente beziehenden Versicherten streitig war, kann sich die IV-Stelle bei der Bestimmung des hier strittigen Rentenbeginns nicht auf eine grobe Schätzung beschränken, sondern hat diesen mit aller Sorgfalt abzuklären und in für die Vorsorgeeinrichtung verbindlicher Weise festzusetzen. Zu prüfen ist insbesondere, seit wann die psychischen Beschwerden die Arbeitsunfähigkeit beeinträchtigt haben. 
4. 
4.1 Die Klinik für Rheumatologie und Rehabilitation, Spital X.________, in welcher die Versicherte vom 20. Februar bis 13. März 2002 hospitalisiert war, hielt in ihrem Bericht vom 22. März 2002 eine chronische Schmerzerkrankung mit Exazerbation 2000 bei initial lumboradikulärem Reizsyndrom L5 links und kleiner mediolateraler Diskushernie L4/5 links mit Wurzelirritation L5 links, psychosozialer Belastungssituation und Dekonditionierung der Rumpf- und Schultergürtelmuskulatur, eine subklinische Hypothyreose und Status nach Hepatitis B fest. Aus rheumotologischer Sicht sei sie für leichte bis mässig belastende Tätigkeiten (Heben und Tragen von Lasten unter 15 kg) ohne repetitive Überkopfarbeiten ab 18. März 2002 voll arbeitsfähig. 
4.2 Am 15. Juli 2002 diagnostizierte Dr. med. R.________, Facharzt für Rheumaerkrankungen, ein chronisches therapieresistentes lumbospondylogenes Syndrom mit Status nach radikulärem Reizsyndrom L5 bei mediolateraler Diskushernie links und eine psychosoziale Überlastungssituation. Eine Besserung sei nicht eingetreten. Die Versicherte sei in der zuletzt ausgeübten Tätigkeit seit 5. Februar 2002 voll arbeitsunfähig, was wohl so auch bleiben werde. Für leichte Tätigkeiten ohne Arbeiten in der Nässe und Kälte mit wechselnd gehender, sitzender und stehender Tätigkeit bestehe eine Arbeitsfähigkeit von 50 %. Diese könne noch gesteigert werden. Zudem erwähnte er die Tendenz zu Fibromyalgie. 
4.3 In ihrem Gutachten vom 8. April 2003 kam die Clinic Y.________ zum Schluss, die Versicherte leide an einer chronischen Schmerzerkrankung bei initial lumboradikulärem Reizsyndrom L5 links, Osteochondrosen L4/5 und L5/S1 sowie kleiner mediolateraler Diskushernie L4/5 mit Wurzelirritation L5 links. Die verschiedenen Abklärungen hinsichtlich der sekundären Ursachen der generalisierten Schmerzerkrankung hätten kein pathomorphologisches Korrelat ergeben. Aus rheumatologischer Sicht bestehe für schwere Arbeiten mit repetitivem Heben von Lasten über 15 kg volle Arbeitsunfähigkeit. Leichtere Arbeiten, die in wechselnden Positionen und ohne repetitives Heben und Tragen von Lasten über 15 kg ausgeführt werden könnten, seien aus rheumatologischer Sicht voll zumutbar. 
4.4 Die Psychiatrische Poliklinik, Spital Z.________, hielt in ihrem Bericht vom 8. September 2003 eine mittelgradige depressive Episode (ICD-10: F 32.11) vor dem Hintergrund einer psychosozialen Belastungssituation (Tod des Ehemannes, Arbeitslosigkeit, soziale Isolation) fest. Seit 26. Juni 2003 werde die Versicherte mit einem Antidepressivum behandelt. In der angestammten Tätigkeit als Gemüseputzerin sei sie seit der Erstkonsultation am 22. August 2003 zu 50 % arbeitsunfähig. Für die Zeit davor könnten keine Angaben gemacht werden. Die Versicherte sollte ein Arbeitspensum von 50 % aufrecht erhalten, da dies für die allgemeine Stimmungslage positiv sei und eine Akzentuierung der sozialen Isolation verhindere. Am 29. Dezember 2003 bestätigte die Poliklinik diese Angaben. In einem weiteren Bericht vom 15. Juni 2004 diagnostizierte die Poliklinik eine chronifizierte mittelgradige depressive Episode (ICD-10: F 32.2) bei ängstlich vermeidender Persönlichkeit (ICD-10: F 60.6) und hielt fest, nach langer beruflicher Inaktivität sei die Beurteilung der zumutbaren Arbeitsleistung schwierig, aber aus psychiatrischer Sicht sollte eine Arbeitsbelastung von 50 % nach einer Einarbeitungsphase zumutbar sein. Als Beginn der Arbeitsunfähigkeit führte die Poliklinik wiederum das Datum der Erstbehandlung an. 
4.5 In seinem Gutachten vom 29. April 2005 diagnostizierte Dr. med. E.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, eine mittelgradige bis schwere depressive Episode mit grenzpsychotischen Symptomen (ICD-10: F 32.3) und schloss sich der Einschätzung der Arbeitsfähigkeit der Poliklinik in den Jahren 2003 und 2004 an. Ab Herbst 2004 habe eine Exazerbation mit anschliessender erstmaliger stationärer Behandlung ab November 2004 stattgefunden. Ab diesem Zeitpunkt bestehe volle Arbeitsunfähigkeit, auch für körperlich angepasste Tätigkeiten. 
4.6 Das Psychatrie-Zentrum W.________ attestierte seit Behandlungsbeginn am 31. Januar 2005 volle Arbeitsunfähigkeit. Der Gesundheitszustand verschlechtere sich. Die antidepressive und neuroleptische Behandlung lindere die Erkrankung nur teilweise. Sobald sich die somatischen Beschwerden etwas zurückgebildet hätten, erfolge die Integration in einen geschützten Arbeitsplatz. 
5. 
Die Arbeitsfähigkeit ist nach Einschätzung der Poliklinik seit Sommer 2003 aus psychischen Gründen beeinträchtigt. Dr. med. E.________ schloss sich in seinem Gutachten vom 29. April 2005 der Einschätzung der Poliklinik bezüglich der zumutbaren Arbeitsleistung an. Das Psychiatrie-Zentrum W.________ äusserte sich nicht explizit zum Beginn der Arbeitsunfähigkeit aus psychischen Gründen. 
Auf Grund der Einschätzungen der Poliklinik sowie des Gutachters Dr. med. E.________ ist nicht zu beanstanden, dass die IV-Stelle den Beginn der Arbeitsunfähigkeit aus psychischen Gründen mit dem Beginn der medikamentösen Behandlung der depressiven Erkrankung im Juni 2003 gleichsetzte. Mit der im November 2004 eingetretenen Verschlechterung des Gesundheitszustandes erhöhte sich die Arbeitsunfähigkeit resp. die Erwerbsunfähigkeit derart, dass ein Invaliditätsgrad von 100 % resultiert. Eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes ist jedoch erst dann für die Festsetzung des Rentenanspruches beachtlich, wenn sie ohne wesentliche Unterbrechung drei Monate angedauert hat (Art. 88a Abs. 2 IVV). Demnach wirkt sich die im November 2004 eingetretene Verschlechterung ab Februar 2005 auf den Rentenanspruch aus. Da aber die Versicherte wegen ihrer Witwenrente bereits bei einem Invaliditätsgrad von 40 % oder mehr Anspruch auf eine ganze Invalidenrente hat und die entsprechende Rente der IV betraglich kleiner ausfällt als ihre Witwenrente, ist gemäss Art. 43 Abs. 1 IVG weiterhin die höhere Witwenrente auszubezahlen. Der Einspracheentscheid vom 19. Oktober 2005 ist somit nicht zu beanstanden. Daran ändern weder die Berichte des Spitals X.________ vom 22. März 2002 sowie des Dr. med. R.________ vom 15. Juli 2002 noch eine allfällige andere Einschätzung des Hausarztes, Dr. med. von B.________, Facharzt für Innere Medizin, etwas; denn diese Ärzte vermögen als Rheumatologe bzw. als Internist nicht die in dieser Frage übereinstimmenden Einschätzungen der psychiatrischen Fachärzte in Zweifel zu ziehen, sodass im Rahmen der antizipierten Beweiswürdigung (SVR 2005 IV Nr. 8 S. 33 E. 6.2 mit Hinweisen) auf die Einholung weiterer Berichte verzichtet werden kann. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, der Ausgleichskasse des Kantons Zürich, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt. 
Luzern, 4. Juni 2007 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: