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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
5C.141/2002 /bnm 
 
Urteil vom 4. Juli 2002 
II. Zivilabteilung 
 
Bundesrichter Bianchi, Präsident, 
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Meyer, 
Gerichtsschreiber Schneeberger. 
 
N.F.________, z.Zt. Kantonale Psychiatrische Klinik, 
Berufungsklägerin, vertreten durch Advokat Cyrill Baumgartner, Hauptstrasse 47, Postfach 540, 4153 Reinach BL 1, 
 
gegen 
 
das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht, vom 10. Juni 2002. 
 
Fürsorgerische Freiheitsentziehung 
 
Berufung gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht, vom 10. Juni 2002. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Am 31. Mai 2002 wies das Statthalteramt Z.________ die 1973 geborene N.F.________ nach deren Anhörung für die Dauer von höchstens zehn Wochen gemäss kantonalem Recht in die Kantonale Psychiatrische Klinik (nachstehend: KPK) in Y.________ ein; es erachtete die Einweisung als dringlich. Die Einweisungsverfügung stützte sich auf den Arztbericht von Dr. med. E.S.________, Externe Psychiatrische Dienste, vom 30. Mai 2002. Darin wurde ausgeführt, dass N.F.________ vor zwei Wochen aus der KPK ausgetreten sei, dass sie am Morgen des 30. Mai 2002 Gegenstände aus der Wohnung ihrer Eltern geworfen habe und dass sie aggressiv und sehr agitiert gewesen sei. Fraglich sei, ob sie in den letzten Tagen ihre Medikamente eingenommen habe. 
B. 
Die von N.F.________ gegen die Verfügung des Statthalteramts am 3. Juni 2002 erhobene Beschwerde wies der Vizepräsident der Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht des Kantonsgerichts Basel-Landschaft nach Anhörung der Beschwerdeführerin und der zuständigen Ärztin der KPK am 10. Juni 2002 ab. Dabei stützte es sich auf einen Bericht der KPK vom gleichen Tag. 
C. 
N.F.________ beantragt dem Bundesgericht mit Berufung hauptsächlich, das Urteil vom 10. Juni 2002 sei aufzuheben und sie sei unverzüglich aus der Klinik zu entlassen. Weiter ersucht sie um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege. 
Eine Berufungsantwort ist nicht eingeholt worden. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Gegen den angefochtenen Entscheid ist die Berufung zulässig (Art. 44 lit. f OG; BGE 127 III 385, nicht publizierte E. 1a). Auf die im Übrigen form- und fristgerecht eingereichte Berufung ist unter Vorbehalt der in den nachfolgenden Erwägungen gemachten Einschränkungen einzutreten. 
2. 
2.1 Die Berufungsklägerin beanstandet das ärztliche Zeugnis von Frau Dr. E.S.________ vom 30. Mai 2002. An diesem Zeugnis falle auf, dass die Ärztin die Situation nicht aufgrund eigener Wahrnehmung beurteilt habe, sondern sich offenbar auf die Aussage Dritter berufe. Der Beizug einer Fachperson mache aber nur dann Sinn, wenn diese aufgrund eigener Anschauung Kenntnis vom aktuellen Gesundheitszustand der betroffenen Person habe. Auch wenn nach kantonalem Recht vorsorglich aufgrund eines Arztzeugnisses eingewiesen werden dürfe, reichten Angaben von Dritten für eine Ausstellung eines solchen nicht aus. 
2.2 Es dürfte wohl unzulässig sein, wenn ein Arzt eine ihm völlig unbekannte Person bloss aufgrund von Informationen Dritter und ohne Konsultation vorsorglich in eine Anstalt einweist. Das ist vorliegend nicht der Fall. Denn die Vorinstanz stellt für das Bundesgericht verbindlich (Art. 63 Abs. 2 OG) fest, die Berufungsklägerin leide im Rahmen einer paranoiden Schizophrenie mit rascher Verschlechterung an einer ausgeprägten Wahnsymptomatik und Körperhalluzination, sie verstärke die Krankheit mit Canabiskonsum, sie sei vor kurzer Zeit während eines Monats zum letzten Mal interniert gewesen, sie sei nicht krankheitseinsichtig und nehme ausserhalb der Anstalt häufig die therapeutisch erforderlichen Medikamente nicht ein. Eine paranoide Schizophrenie sei bei der Berufungsklägerin schon in früheren Verfahren festgestellt worden. Zudem räumt die Berufungsklägerin selber ein, dass sie zum neunten Mal hospitalisiert worden ist, und sie bestreitet auch nicht - wie Frau Dr. E.S.________ in ihrem Zeugnis festhält -, dass sie vor damals zwei Wochen aus der KPK ausgetreten sei, am Morgen des 30. Mai 2002 Gegenstände aus dem Fenster der elterlichen Wohnung geworfen habe und sowohl aggressiv als auch agitiert gewesen sei und die Medikamente wohl nicht eingenommen habe. 
3. 
Die Berufungsklägerin macht geltend, Art. 397e Ziff. 5 ZGB erfordere den Beizug eines unabhängigen Gutachters. Diese Voraussetzung sei nicht erfüllt. Als Grundlage für den angefochtenen Entscheid habe lediglich der schriftliche Bericht vom 10. Juni 2002 von Dr. med. H.S.________, Oberarzt der KPK, und Dr. med. A.K.________ vorgelegen, die auch an der Verhandlung anwesend gewesen sei sowie das Zeugnis von Frau Dr. E.S.________ als einweisender Ärztin. 
Dieses Vorgehen der kantonalen Behörden, welches bei Gefahr im Verzug unbestrittenermassen der ausdrücklichen Regelung in § 58e EG ZGB entspricht, verletzt Art. 397e Ziff. 5 ZGB nicht. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung lässt sich aus praktischen Gründen eine erste Begutachtung durch die zuständigen Klinikärzte nicht beanstanden, wenn eine Person in eine Klinik eingewiesen wird, nachdem ihr unvorhergesehen und krisenbedingt fürsorgerisch die Freiheit entzogen werden musste (BGE 128 III 12 E. 4b S. 15 unten; 118 II 249 E. 2a S. 251; vgl. Spirig, Zürcher Kommentar, N. 73 zu Art. 397b ZGB). Die Berufungsklägerin verkennt, dass für den angefochtenen Entscheid nicht dieselben Grundsätze gelten, wie für den definitiven Entscheid über die Anstaltseinweisung, bzw. über die Zurückbehaltung (vgl. auch § 58d EG ZGB). 
4. 
Die Berufungsklägerin vertritt die Auffassung, die Eingriffsvoraussetzungen müssten im Urteilszeitpunkt erfüllt sein. Der Bericht der KPK äussere sich nicht direkt zur Frage, ob per Urteilstag noch eine Selbst- und Fremdgefährdung vorgelegen habe. Es heisse darin nur, ein verfrühter Austritt könne zu einer erneuten Dekompensation führen. Daraus müsse geschlossen werden, dass im massgeblichen Zeitpunkt eine akute Selbst- und Fremdgefährdung eben nicht gegeben gewesen sei. 
 
Die Berufungsklägerin verkennt damit den Rechtsbegriff der Selbstgefährdung (vgl. dazu Spirig, a.a.O. N. 321 ff. zu Art. 397a ZGB). Die Voraussetzung der akuten Selbstgefährdung ist auch gegeben, wenn diese erst mit der Freilassung verwirklicht wird. Die Vorinstanz hat das Zurückbehalten der Berufungsklägerin in der Anstalt damit begründet, die Patientin habe nach ihrer Entlassung jeweils erneut Drogen konsumiert und ihre therapeutisch notwendigen Medikamente zum Teil nicht mehr eingenommen. Das habe zu einer Exazerbation ihrer Krankheit geführt und eine weitere Krisenintervention nötig gemacht. Ein verfrühter Austritt könnte zu einer erneuten Dekompensation führen. Es mag daher zutreffen, dass die Berufungsklägerin im Urteilszeitpunkt nicht gefährdet war, weil sie unter medizinischer Kontrolle in der Anstalt lebte. Gleichwohl muss sie als gefährdet gelten, weil die Vorinstanz verbindlich (Art. 63 Abs. 2 OG) davon ausgeht, dass sie nach der Entlassung akut gefährdet sein würde. 
5. 
Die Berufungsklägerin führt weiter aus, die Massnahme sei unverhältnismässig, weil sie mangels Einsicht in ihre Krankheit kein Betreuungsverhältnis aufbauen könne. Alle bisherigen neun Aufenthalte in der Klinik seien gescheitert. Es sei daher notorisch, dass mit den zahlreichen Hospitalisationen der Zweck der fürsorgerischen Freiheitsentziehung nicht habe erreicht werden können. 
 
Der Verhältnismässigkeitsgrundsatz verlangt unter anderem, dass die Einweisung geeignet ist, das angestrebte Ziel zu erreichen. Die Gefahr für den Betroffenen oder Dritte muss nicht anders als mit der Einweisung abgewendet werden können, weil diese ultima ratio sein muss (BGE 114 II 213 E. 5 S. 217 f; Spirig, a.a.O. N. 257 ff. zu Art. 397a ZGB; Geiser, Basler Kommentar, N. 14 zu Art. 397a ZGB). 
 
Steht fest, dass die Berufungsklägerin im Fall ihrer Entlassung akut selbstgefährdet ist, kann aus dem Verhältnismässigkeitsgrundsatz und aus den bisher gescheiterten Massnahmen nicht abgeleitet werden, die Berufungsklägerin müsse entlassen werden. Dies trifft auch dann zu, wenn sie sich selber nicht als therapiefähig bezeichnet. Es wird vielmehr Gegenstand der einlässlichen fachärztlichen Begutachtung sein, zu prüfen, ob und welche andere Massnahme allenfalls geeigneter ist, um ihr den Schutz gemäss Art. 397a ff. ZGB zu gewähren. Die Berufung muss aus diesen Gründen abgewiesen werden, soweit darauf eingetreten werden kann. 
6. 
Die Berufungsklägerin stellt ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. Diese kann nur gewährt werden, wenn deren Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint (Art. 152 Abs. 1 OG). Angesichts der eindeutigen ärztlichen Berichte und des fundierten angefochtenen Entscheids muss ihr vor Bundesgericht gestelltes Rechtsbegehren als aussichtslos bezeichnet werden. Das Gesuch ist abzuweisen. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Berufung wird abgewiesen, soweit auf sie eingetreten werden kann, und das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht vom 10. Juni 2002 wird bestätigt. 
2. 
Der Berufungsklägerin wird eine Gerichtsgebühr von Fr. 300.-- auferlegt. 
3. 
Dieses Urteil wird der Berufungsklägerin und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 4. Juli 2002 
Im Namen der II. Zivilabteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: