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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
U 2/05 
 
Urteil vom 4. August 2005 
IV. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiber Nussbaumer 
 
Parteien 
R.________, 1948, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Hans Ulrich Grauer, Haldenstrasse 2, 8280 Kreuzlingen, 
 
gegen 
 
Schweizerische Mobiliar Versicherungsgesellschaft, Bundesgasse 35, 3011 Bern, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau, Weinfelden 
 
(Entscheid vom 20. Oktober 2004) 
 
Sachverhalt: 
A. 
R.________ (geb. 1948) war bei der Firma A.________ angestellt und dadurch bei der Schweizerischen Mobiliar Versicherungsgesellschaft (nachfolgend: Mobiliar) gegen die Folgen von Betriebs- und Nichtbetriebsunfällen versichert. Am 19. Juni 2001 wurde sie gegen 23.20 Uhr bei Arbeitsschluss als Aufsicht in einem Spielsalon von drei maskierten Männern überfallen. Einer von ihnen schlug mit den Fäusten auf sie ein. Ein weiterer Täter richtete die Pistole auf sie. Da sie unablässig um Hilfe schrie, liessen die drei Täter schliesslich von ihr ab und ergriffen die Flucht. Bei diesem Überfall zog sie sich nebst Schwellungen im Gesicht eine Rissquetschwunde über dem linken Auge zu, die im Spital O.________ genäht und aus welchem sie nach erfolgter Untersuchung wieder entlassen wurde. Nach dem Überfall trat bei ihr eine posttraumatische Belastungsstörung, begleitet von einer mittelschweren depressiven Episode mit somatischem Syndrom, auf. 
Die Mobiliar erbrachte zunächst die gesetzlichen Leistungen. Nach Beizug eines Berichts der Psychotherapeutin Dr. med. S.________ vom 5. September 2001 und vom 31. August 2002 holte sie bei der Psychiatrischen Poliklinik des Spitals X.________ ein Gutachten vom 3. Juli 2003 ein. Mit Verfügung vom 21. Oktober 2003 lehnte sie eine weitere Leistungspflicht ab 21. August 2001 mangels adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen den bestehenden psychischen Beschwerden und dem Unfallereignis vom 19. Juni 2001 ab. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 25. Februar 2004 fest. 
B. 
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau mit Entscheid vom 20. Oktober 2004 ab. 
C. 
R.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei die Mobiliar anzuweisen, ihr die gesetzlichen Leistungen aus der Unfallversicherung für das Ereignis vom 19. Juni 2001 zu erbringen. Ferner sei ihr die unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung zu bewilligen. 
Die Mobiliar und das kantonale Gericht schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Unfallversicherungsbereich geändert worden. In zeitlicher Hinsicht sind jedoch grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1). Da sich der Überfall vor Inkrafttreten des ATSG ereignet hat, sind die bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Bestimmungen anwendbar (BGE 131 V 11 Erw. 1, 130 V 447 Erw. 1.2.1 mit Hinweisen). Daran ändert nichts, dass der Einspracheentscheid der Mobiliar am 25. Februar 2004 ergangen ist. 
2. 
2.1 Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen über den Unfallbegriff (Art. 6 Abs. 1 UVG, Art. 9 Abs. 1 UVV [in der bis 31. Dezember 2002 in Kraft gestandenen Fassung] sowie die Voraussetzungen, unter welchen ein Schreckereignis den Unfallbegriff erfüllt (BGE 129 V 179 Erw. 2.1; RKUV 2000 Nr. U 365 S. 89), zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
2.2 Rechtsprechung und Lehre haben schreckbedingte plötzliche Einflüsse auf die Psyche seit jeher als Einwirkung auf den menschlichen Körper (im Sinne des geltenden Unfallbegriffes) anerkannt und für ihre unfallversicherungsrechtliche Behandlung besondere Regeln entwickelt. Danach setzt die Annahme eines Unfalles voraus, dass es sich um ein aussergewöhnliches Schreckereignis, verbunden mit einem entsprechenden psychischen Schock, handelt; die seelische Einwirkung muss durch einen gewaltsamen, in der unmittelbaren Gegenwart des Versicherten sich abspielenden Vorfall ausgelöst werden und in ihrer überraschenden Heftigkeit geeignet sein, auch bei einem gesunden Menschen durch Störung des seelischen Gleichgewichts typische Angst- und Schreckwirkungen (wie Lähmungen, Herzschlag etc.) hervorzurufen (EVGE 1939 S. 116 Erw. 4, RKUV 2000 Nr. U 365 S. 89; Bühler, Der Unfallbegriff, in Alfred Koller [Hrsg.], Haftpflicht- und Versicherungsrechtstagung 1995, S. 248 ff.; Maurer, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, S. 183 ff.; Rumo-Jungo, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, Bundesgesetz über die Unfallversicherung, 3. Aufl., Zürich 2003, S. 28 f.). 
In jüngerer Zeit hat das Eidgenössische Versicherungsgericht diese Rechtsprechung bestätigt und dahingehend präzisiert, dass auch bei Schreckereignissen nicht nur die Reaktion eines (psychisch) gesunden Menschen als Vergleichsgrösse dienen kann, sondern in diesem Zusammenhang ebenfalls auf eine "weite Bandbreite" von Versicherten abzustellen ist. Zugleich hat es dabei relativierend, unter Bezugnahme auf den massgeblichen Unfallbegriff (BGE 118 V 61 Erw. 2b und 283 Erw. 2a; ferner BGE 122 V 232 Erw. 1 mit Hinweisen), betont, dass sich das Begriffsmerkmal der Ungewöhnlichkeit definitionsgemäss nicht auf die Wirkung des äusseren Faktors, sondern nur auf diesen selber bezieht, weshalb nicht von Belang sein kann, wenn der äussere Faktor allenfalls schwerwiegende, unerwartete Folgen nach sich zog (BGE 129 V 179 Erw. 2.1; RKUV 2000 Nr. U 365 S. 89 mit Hinweisen). Im Urteil R. vom 2. Februar 2005 (U 324/04) hat es den Unfallcharakter im Sinne eines Schreckereignisses verneint mit Bezug auf einen Linienpiloten, bei welchem nach missglückter Landung eines voll besetzten Flugzeuges auf vereister Piste eine posttraumatische Belastungsstörung auftrat. Schliesslich hat es im Urteil B. vom 14. April 2005 (U 390/04) entschieden, dass sich der adäquate Kausalzusammenhang bei Schreckereignissen auch dann nach der allgemeinen Adäquanzformel (gewöhnlicher Lauf der Dinge und allgemeine Lebenserfahrung) beurteilt, wenn die versicherte Person zwar körperlich verletzt wird, die somatischen Beeinträchtigungen indessen lediglich von untergeordneter Bedeutung sind und im Vergleich zum erlittenen psychischen Stress in den Hintergrund treten. 
3. 
3.1 Streitig und zu prüfen ist einzig, ob die bei der Beschwerdeführerin diagnostizierte posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10 F43.1), begleitet von einer mittelschweren depressiven Episode mit somatischem Syndrom (ICD-10 F32.11), die adäquat kausale Folge des am 19. Juni 2001 erfolgten Raubüberfalles ist, welcher als Unfall im Rechtssinne zu gelten hat. Nach dem von der Beschwerdegegnerin eingeholten, in seinen psychiatrischen Darlegungen einleuchtenden Administrativgutachten der Psychiatrischen Poliklinik des Spitals X.________ vom 3. Juli 2003 sind Belastungsstörung und Depression fraglos als natürlich kausale Folgen des destabilisierenden Unfallereignisses und noch mehr des Unfallerlebnisses zu betrachten. Doch spricht das Eidgenössische Versicherungsgericht in Anwendung der allgemeinen Adäquanzformel gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung solchen Geschehnissen den Charakter einer adäquat kausalen Ursache ab (BGE 129 V 177). Diese Rechtsprechung ist im Übrigen zwischenzeitlich auf Schreckunfälle ausgedehnt worden, wo die versicherte Person zwar körperlich verletzt wird, die somatischen Beeinträchtigungen indessen lediglich von untergeordneter Bedeutung sind und im Vergleich zum erlittenen psychischen Stress in den Hintergrund treten (erwähntes Urteil B. vom 14. April 2005, U 390/04). Im Lichte der angeführten Rechtsprechung ist demzufolge der adäquate Kausalzusammenhang zu verneinen. 
3.2 Was in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde hiegegen eingewendet wird, dringt nicht durch. Wohl ist der Einwand zutreffend, dass es Versicherte gibt, welche im Anschluss an erlittene Schreckunfälle mit einer posttraumatischen Belastungsstörung oder sonst einer psychischen Fehlentwicklung reagieren. Das Eidgenössische Versicherungsgericht handhabt aber die allgemeine Adäquanzformel in ihrem ursprünglich haftungsbegrenzenden Sinne, d.h. es verneint im Ergebnis die Kausalität, wenn aussergewöhnliche, singuläre Reaktionen psychogener Art auf erlittene Schreckunfälle vorliegen. Die Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde geben im Übrigen auch keinen Anlass zu einer Praxisänderung, deren Voraussetzungen nicht erfüllt sind. 
4. 
Das Begehren um unentgeltliche Rechtspflege im Sinne der Befreiung von den Gerichtskosten ist gegenstandslos, da für das letztinstanzliche Verfahren auf Grund von Art. 134 OG keine Verfahrenskosten erhoben werden. Die unentgeltliche Verbeiständung fällt ausser Betracht, da die Beschwerdeführerin für das letztinstanzliche Verfahren von ihrer Rechtsschutzversicherung Kostengutsprache erhalten hat (Urteil C. vom 14. Oktober 2004, U 66/04). 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung wird abgewiesen. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt. 
Luzern, 4. August 2005 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber: 
i.V.