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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_1220/2016  
   
   
 
 
 
Urteil vom 4. August 2017  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichter Rüedi, 
Bundesrichterin Jametti, 
Gerichtsschreiberin Andres. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Kenad Melunovic, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau, 
Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Auferlegung von Verfahrenskosten; rechtliches Gehör, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 2. Kammer, vom 6. September 2016. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
X.________ (Jahrgang 1993) verkehrte zwischen dem 21. Juli und dem 9. August 2012 mehrfach sexuell mit der kurz zuvor 14 Jahre alt gewordenen A.A.________. 
 
B.  
Die Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach verurteilte X.________ mit Strafbefehl vom 8. Juli 2013 wegen mehrfacher sexueller Handlungen mit einem Kind und Führens eines Motorfahrzeugs in angetrunkenem Zustand zu einer bedingten Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu Fr. 30.-- sowie zu einer Busse von Fr. 900.--. 
Dagegen erhob X.________ Einsprache. Am 9. Oktober 2013 sprach ihn das Bezirksgericht Zurzach vom Vorwurf der mehrfachen sexuellen Handlungen mit einem Kind frei und verurteilte ihn wegen der nicht bestrittenen Verkehrsregelverletzung zu einer bedingten Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu Fr. 30.-- sowie zu einer Busse von Fr. 800.--. 
Auf Berufung der Staatsanwaltschaft sowie von A.A.________ verurteilte das Obergericht des Kantons Aargau X.________ am 12. August 2014 im schriftlichen Verfahren wegen mehrfacher sexueller Handlungen mit einem Kind und Führens eines Motorfahrzeugs in angetrunkenem Zustand zu einer bedingten Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu Fr. 30.-- sowie zu einer Busse von Fr. 1'350.--. 
 
C.  
Das Bundesgericht hiess die dagegen gerichtete Beschwerde in Strafsachen von X.________ gut, hob das obergerichtliche Urteil vom 12. August 2014 auf und wies die Sache zur Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung mit Befragung der Parteien an das Obergericht zurück (Urteil 6B_939/2014 vom 11. Juni 2015). 
 
D.  
Am 1. September 2015 wies das Obergericht das Ausstandsgesuch von X.________ gegen die am Urteil vom 12. August 2014 beteiligten Gerichtspersonen ab. Seine dagegen erhobene Beschwerde in Strafsachen wies das Bundesgericht ab (Urteil 1B_306/2015 vom 9. Dezember 2015). 
 
E.  
Am 1. März 2016 fand die Berufungsverhandlung statt. Das Obergericht befragte X.________ als beschuldigte Person, A.A.________ als Auskunftsperson und B.A.________ als Zeugin. Es verurteilte X.________ gleichentags erneut wegen mehrfacher sexueller Handlungen mit einem Kind und Führens eines Motorfahrzeugs in angetrunkenem Zustand und belegte ihn mit einer bedingten Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu Fr. 50.-- sowie einer Busse von Fr. 1'350.--. 
 
F.  
Die dagegen gerichtete Beschwerde in Strafsachen von X.________ hiess das Bundesgericht gut. Es hob das obergerichtliche Urteil vom 1. März 2016 auf und wies die Sache zu neuer Entscheidung zurück, weil die Vorinstanz besondere Umstände im Sinne von Art. 187 Ziff. 3 StGB zu Unrecht verneint hatte (Urteil 6B_485/2016 vom 17. August 2016). 
 
G.  
Am 6. September 2016 verurteilte das Obergericht X.________ abermals wegen mehrfacher sexueller Handlungen mit einem Kind und Führens eines Motorfahrzeugs in angetrunkenem Zustand. In Bezug auf den Schuldspruch wegen mehrfacher sexueller Handlungen mit einem Kind sah es in Anwendung von Art. 187 Ziff. 3 StGB von einer Strafe ab. Für das Führen eines Motorfahrzeugs in angetrunkenem Zustand auferlegte es ihm eine bedingte Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu Fr. 60.-- sowie eine Verbindungsbusse von Fr. 300.--. Es wies die Zivilklage ab. Die erstinstanzlichen Gerichtskosten auferlegte es X.________ im Betrag von Fr. 2'000.-- und A.A.________ im Umfang von Fr. 500.--. Dem amtlichen Verteidiger von X.________, Rechtsanwalt Kenad Melunovic, sprach es für den ab 25. September 2013 im erstinstanzlichen Verfahren angefallenen Aufwand eine Entschädigung von Fr. 6'127.70 zu. Die obergerichtlichen Verfahrenskosten von insgesamt Fr. 2'642.-- auferlegte es im auf den Strafpunkt entfallenden Anteil von Fr. 2'113.60 X.________ und im auf den Zivilpunkt entfallenden Anteil von Fr. 528.40 A.A.________. Schliesslich verpflichtete es X.________, die Parteikosten von A.A.________ von Fr. 3'915.-- im Betrag von Fr. 3'132.-- zu ersetzen. Für das obergerichtliche Verfahren sprach es Rechtsanwalt Kenad Melunovic eine Entschädigung von Fr. 4'650.-- zu. 
 
H.  
X.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das obergerichtliche Urteil vom 6. September 2016 sei aufzuheben und das Verfahren einzustellen. Eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese neu entscheide über die Rechts-, Kosten- und Entschädigungsfolgen, die sich aus der Anwendung von Art. 187 Ziff. 3 StGB ergeben. X.________ ersucht um unentgeltliche Rechtspflege. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Der Beschwerdeführer rügt eine unrichtige Anwendung von Art. 187 Ziff. 3 StGB und macht geltend, die Vorinstanz hätte das Verfahren einstellen müssen. Zwar sehe Art. 187 Ziff. 3 StGB nur vor, dass die zuständige Behörde von der Strafverfolgung, der Überweisung an das Gericht oder der Bestrafung absehen könne. Doch werde diese Bestimmung verdrängt vom neueren Art. 8 Abs. 1 und 4 StPO, der eine Einstellung des Strafverfahrens erlaube. Nur eine solche entspreche dem Willen des Gesetzgebers, der mit den besonderen Umständen im Sinne von Art. 187 Ziff. 3 StGB eine Entkriminalisierung der Jugendliebe habe erreichen wollen.  
 
1.2. Die Vorinstanz erwägt, nach den verbindlichen Vorgaben des bundesgerichtlichen Rückweisungsentscheids vom 17. August 2016 lägen besondere Umstände im Sinne von Art. 187 Ziff. 3 StGB vor, weshalb in Bezug auf den Schuldspruch wegen mehrfacher sexueller Handlungen mit einem Kind von einer Bestrafung abzusehen sei, womit auch keine Eintragung im Strafregister erfolge.  
 
1.3.  
 
1.3.1. Das Bundesgericht erwog in BGE 139 IV 220, Art. 8 StPO bilde keine Grundlage für die Einstellung des Verfahrens durch das Gericht nach der Anklageerhebung in den Anwendungsfällen von Art. 52-54 StGB. Das Gericht habe über die Anklage zu entscheiden und im Falle eines Schuldspruchs von einer Bestrafung abzusehen (vgl. dort E. 3.3 f. mit zahlreichen Hinweisen). In diesem Entscheid bestätigte das Bundesgericht die unter dem früheren Prozessrecht begründete Rechtsprechung und setzte sich ausführlich mit den Literaturstellen auseinander, die der Beschwerdeführer zitiert.  
 
1.3.2. Gemäss Art. 52-54 StGB sieht die zuständige Behörde unter den darin genannten Voraussetzungen "von einer Strafverfolgung, einer Überweisung an das Gericht oder einer Bestrafung" ab. Sind die Voraussetzungen von Art. 187 Ziff. 3 StGB erfüllt, so "kann die zuständige Behörde von der Strafverfolgung, der Überweisung an das Gericht oder der Bestrafung absehen". Es ist somit nicht ersichtlich, weshalb bei der Anwendung von Art. 187 Ziff. 3 StGB etwas anderes gelten sollte als bei Art. 52-54 StGB (vgl. demgegenüber etwa Art. 55a StGB und dazu BGE 139 IV 220 E. 3.4.6 S. 227).  
 
1.3.3. Ist Anklage erhoben worden, so hat das Gericht, auch wenn es die Voraussetzungen von Art. 187 Ziff. 3 StGB als gegeben erachtet, im Hauptverfahren zu prüfen, ob und inwiefern der eingeklagte Sachverhalt erstellt ist und einen Straftatbestand erfüllt. Fehlt es am Straftatbestand, muss das Gericht die beschuldigte Person freisprechen. Ist ein Straftatbestand gegeben und sind auch die übrigen Voraussetzungen für einen Schuldspruch erfüllt, hat es sie schuldig zu sprechen und in Anwendung von Art. 187 Ziff. 3 StGB von einer Bestrafung abzusehen.  
 
1.4. Vorliegend konnte die Vorinstanz materiell über die Anklage der mehrfachen sexuellen Handlungen mit einem Kind entscheiden. Somit hatte sie ein Urteil zu fällen über die Schuld, die Sanktionen und die weiteren Folgen (Art. 351 Abs. 1 StPO). Das Vorbringen des Beschwerdeführers, die Vorinstanz hätte, da besondere Umstände im Sinne von Art. 187 Ziff. 3 StGB vorliegen, eine Einstellung des Verfahrens gestützt auf Art. 8 Abs. 1 und 4 StPO zumindest in Betracht ziehen müssen, ist unbegründet.  
 
2.  
 
2.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz hätte das Verfahren unter Kosten- und Entschädigungsfolge zu Lasten des Staats einstellen müssen. Zumindest hätte die Vorinstanz eine Einstellung prüfen und das Ergebnis begründen müssen. Indem sie lediglich von der Bestrafung absehe und den Beschwerdeführer unverändert zur Zahlung von Verfahrenskosten und Entschädigungen an A.A.________ verpflichte, verletze sie ihre Begründungspflicht sowie Art. 112 Abs. 1 BGG und damit seinen Anspruch auf rechtliches Gehör.  
 
2.2. Nach dem bundesgerichtlichen Rückweisungsentscheid stand nur eine fakultative Strafbefreiung im Raum (vgl. oben E. 1.4). Diese hat die Vorinstanz ausgesprochen. Überdies hat sie die Verfahrenskosten, die nach dem Rückweisungsentscheid anfielen, auf die Staatskasse genommen. Auf die übrigen Kosten- und Entschädigungsfolgen hatte sie nicht zurückzukommen, da es bei einer Verurteilung wegen mehrfacher sexueller Handlungen mit einem Kind und Führens eines Motorfahrzeugs in angetrunkenem Zustand blieb. Soweit der Beschwerdeführer die Regelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen auf der Grundlage der verlangten Einstellung beanstandet, ist auf seine Ausführungen nicht näher einzugehen. Dass A.A.________ im Strafpunkt obsiegte, steht ausser Zweifel. Die Argumentation, wonach die Vorinstanz hätte prüfen müssen, die Kosten gestützt auf Art. 417 f. StPO den Eltern von A.A.________ aufzuerlegen, ist abwegig. Eine Verletzung der Begründungspflicht liegt nicht vor.  
 
3.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Die Gerichtskosten sind dem unterliegenden Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Dessen Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist in Anwendung von Art. 64 BGG abzuweisen, weil die Rechtsbegehren aussichtslos erschienen. Seiner finanziellen Lage ist bei der Bemessung der Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien, A.A.________ und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 2. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 4. August 2017 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Die Gerichtsschreiberin: Andres