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[AZA 7] 
H 218/99 Gr 
 
IV. Kammer 
 
Präsident Borella, Bundesrichter Rüedi und Bundesrichterin 
Leuzinger; Gerichtsschreiber Attinger 
 
Urteil vom 4. Oktober 2001 
 
in Sachen 
 
Firma X. AG, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Pius Fryberg, Vazerolgasse 2, 7000 Chur, 
 
gegen 
 
Ausgleichskasse für Gewerbe, Handel und Industrie in Graubünden, 7000 Chur, 
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Marco Ettisberger, Poststrasse 43/Martinsplatz, 7000 Chur, 
und 
 
Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, Chur 
 
A.- Die Firma X. AG, war Revisionsstelle der im Herbst 1992 gegründeten Firma Q. AG. Über Letztere wurde im September 1997 der Konkurs eröffnet (Auflage des Kollokationsplans: im Januar 1998). Darin kam die Ausgleichskasse für Gewerbe, Handel und Industrie in Graubünden, welcher die Konkursitin als beitragspflichtige Arbeitgeberin angeschlossen gewesen war, mit paritätischen Sozialversicherungsbeiträgen für die Jahre 1995 bis 1997 zu Verlust. Mit Verfügung vom 2. Oktober 1998 verpflichtete die Kasse die X. AG gegen Abtretung einer allfälligen Konkursdividende zur Bezahlung von Schadenersatz für entgangene AHV/IV/EO/AlVBeiträge in der Höhe von insgesamt Fr. 96'335. 15 (einschliesslich Verwaltungs- und Betreibungskosten, Mahngebühren sowie Verzugszinsen). 
 
B.- Auf Einspruch der betroffenen Firma hin machte die Ausgleichskasse ihre Forderung gegen die X. AG am 3. Dezember 1998 - wiederum mit der angeführten Abtretungserklärung - beim Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden klageweise geltend. 
Das kantonale Gericht hiess die Klage mit Entscheid vom 1. Juni 1999 vollumfänglich gut und verpflichtete die X. AG gegen Abtretung einer allfälligen Konkursdividende zur Bezahlung von Schadenersatz im Betrag von Fr. 96'335. 15. 
 
C.- Die X. AG führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem (sinngemässen) Antrag auf Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids und Abweisung der Schadenersatzklage; eventuell sei die Klage nur im Umfange von Fr. 10'000. -, allenfalls nach richterlichem Ermessen, gutzuheissen. 
Während die Ausgleichskasse auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, hat sich das Bundesamt für Sozialversicherung dazu nicht vernehmen lassen. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG). 
 
2.- In rechtlicher Hinsicht hat die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid die zur subsidiären Haftung der Organe eines Arbeitgebers nach Art. 52 AHVG und der dazu ergangenen Rechtsprechung erforderlichen Voraussetzungen (Organstellung, Schaden, Widerrechtlichkeit, Verschulden, Kausalität, Nichtverwirkung), soweit vorliegend relevant, richtig wiedergegeben. Hierauf kann ebenso verwiesen werden wie auf die vorinstanzliche Darlegung der in den Art. 727 ff. OR festgelegten Pflichten der Revisionsstelle. Rechtsprechungsgemäss kann namentlich eine Verletzung der Pflicht, festgestellte Verstösse gegen Gesetz oder Statuten schriftlich dem Verwaltungsrat, in wichtigen Fällen auch der Generalversammlung zu melden (Art. 729b Abs. 1 OR) und damit zur Vermeidung künftiger Unregelmässigkeiten beizutragen, eine Haftung der Revisionsstelle als Organ der Aktiengesellschaft nach Art. 52 AHVG begründen (BGE 109 V 96 Erw. 7 zum bis Ende Juni 1991 gültig gewesenen aArt. 729 Abs. 3 OR). 
 
3.- a) Überdies hat das kantonale Gericht in tatsächlicher Hinsicht - wobei es die unter Erw. 1 hievor angeführte grundsätzliche Verbindlichkeit der vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellung für das Eidgenössische Versicherungsgericht zu berücksichtigen gilt - zutreffend erkannt, dass die nachmals konkursite Q. AG der ihr obliegenden Beitragsabrechnungs- und -ablieferungspflicht (Art. 14 Abs. 1 AHVG) während längerer Zeit in widerrechtlicher und schuldhafter Weise nicht vollumfänglich nachgekommen ist, was sich die Beschwerde führende X. AG unter den gegebenen Umständen anrechnen lassen muss. Dies, weil sie - wie die Vorinstanz ebenfalls richtig erwogen hat - zunächst als gewählte (später zumindest als faktische) Revisionsstelle nicht mit der gebotenen Hartnäckigkeit dafür besorgt war, dass ihr die für die Durchführung ihrer Aufgabe erforderlichen Unterlagen vorgelegt werden, sondern es vielmehr während nicht weniger als vier Jahren ohne konsequente Erfüllung ihrer Meldepflicht im Sinne von Art. 729b Abs. 1 OR hinnahm, dass ihr weder die Buchführung zur Prüfung unterbreitet noch je eine eigentliche Jahresrechnung erstellt oder eine Generalversammlung durchgeführt worden wäre. Das Verhalten der Revisionsstelle hat das kantonale Gericht zu Recht als grobfahrlässige Verletzung aktienrechtlicher Vorschriften gewertet. Damit wie auch mit dem Verhalten der X. AG nach Entdeckung der strafrechtlich relevanten Privatbezüge des Verwaltungsratspräsidenten der Q. AG im November 1996 (vgl. nachfolgende Erw. 3b) wurde der der Ausgleichskasse entstandene, von Verwaltung und Vorinstanz korrekt und nachvollziehbar auf Fr. 96'335. 15 bezifferte Schaden (mit) verursacht. 
 
b) Was die Verhaltensweise ab November 1996 anbelangt, ist auf Grund der eigenen Angaben der Beschwerdeführerin im Verwaltungs- wie im vorinstanzlichen Klageverfahren davon auszugehen, dass sie nach Entdeckung der Verfehlungen des Verwaltungsratspräsidenten nicht etwa bloss die "Buchhaltung à jour" brachte (Klageantwort S. 7), sondern sich - zusammen mit dem zweiten Mitglied des Verwaltungsrates, Z.________ - weit darüber hinaus "unter grossem Engagement" für das Fortbestehen der Q. AG einsetzte, wobei ihr "kein Aufwand zu gross war, um die Gesellschaft vor dem Konkurs zu retten und die Gläubiger vor Schaden zu bewahren" (a.a.O. S. 17 f.). In diesem Zusammenhang erwirkte die X. AG von Seiten des fehlbaren Präsidenten des Verwaltungsrates Rückzahlungen sowie schriftliche Zahlungsversprechen; des Weitern wurden von der Beschwerdeführerin "alle möglichen Massnahmen zur Sicherung der Liquidität ... eingeleitet und veranlasst", etwa Gehaltsreduktionen und die Streichung von Pauschalspesen (a.a.O. S. 17 f.; Einspruch S. 4). Demzufolge hat die X. AG im Sinne der Rechtsprechung zum materiellen Organbegriff Verwaltungsratsmitgliedern vorbehaltene Entscheide getroffen oder die eigentliche Geschäftsführung mit besorgt und so die Willensbildung der Q. AG massgeblich beeinflusst (BGE 126 V 239 f., 117 II 441 Erw. 2b, 571 Erw. 3, 114 V 78, 213). Diese Feststellung erstreckt sich insbesondere auch auf das Beitragswesen der späteren Konkursitin, machte doch die Beschwerdeführerin in der vorinstanzlichen Klageantwort (S. 17 f.) geltend, "auf Druck" von ihrer Seite hin habe die Q. AG "ab Oktober 1996 bis April 1997 Zahlungen in Höhe von Fr. 90'084. 25" an die Ausgleichskasse geleistet. Unter diesen Umständen haftet die X. AG für den Zeitraum ab November 1996 auf jeden Fall als materielles Organ (faktisches Mitglied des Verwaltungsrats der Q. AG). Als solchem ist der Beschwerdeführerin vorzuwerfen, dass sie nicht dafür besorgt war, dass die Q. AG nur so viel Lohn auszahlte, als die darauf entfallenden Sozialversicherungsbeiträge noch gedeckt waren (SVR 1995 AHV Nr. 70 S. 214 Erw. 5). 
 
4.- An dieser Betrachtungsweise vermögen sämtliche in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorgebrachten Einwendungen, insbesondere die bereits im vorinstanzlichen Klageverfahren erhobenen und vom kantonalen Gericht zu Recht als unbegründet erachteten Rügen (etwa betreffend fehlender Substanziierung des Schadens), nichts zu ändern. Soweit die Beschwerdeführerin letztinstanzlich die Kausalität zwischen dem der Ausgleichskasse entstandenen Schaden und ihrem jahrelangen Versäumnis einer konsequenten Meldung im Sinne von Art. 729b Abs. 1 OR in Zweifel zieht, sind ihr ihre eigenen, in der vorinstanzlichen Klageantwort (S. 8) angestellten Überlegungen entgegenzuhalten, wonach die Kasse "wohl kaum zu Schaden gekommen" wäre, wenn das Verwaltungsratsmitglied Z.________ bereits "anfangs 1996 davon Kenntnis erhalten" hätte, "dass immer noch keine geprüften Jahresrechnungen für die zurückliegende Zeit vorlagen". Tatsächlich hätte das hier zu beurteilende Schadenersatzverfahren nicht durchgeführt werden müssen, wenn der X. AG nicht erst im November 1996, sondern bereits Jahre früher der "Kragen geplatzt" wäre und sie Z.________ schon damals darüber in Kenntnis gesetzt hätte, dass der Verwaltungsratspräsident sie daran hinderte, "das Revisionsstelle-Mandat überhaupt auszuüben" (Einspruch S. 4). Gründe, welche im Sinne von BGE 122 V 189 Erw. 3c zu einer Herabsetzung des Schadenersatzes wegen Mitverschuldens der Verwaltung führen könnten, liegen nicht vor, hat doch die Ausgleichskasse weder gegen elementare Vorschriften des Beitragsbezugs verstossen noch hat sie sich sonst wie einer groben Pflichtverletzung schuldig gemacht. Und schliesslich kann rechtsprechungsgemäss der seit 1. Juli 1992 in Kraft stehende Art. 759 Abs. 1 OR im Rahmen der Schadenersatzpflicht nach Art. 52 AHVG nicht herangezogen werden, um eine Herabsetzung der Ersatzpflicht entsprechend der Verschuldensschwere des Verantwortlichen zu rechtfertigen (AHI 1996 S. 293 Erw. 6 in Bestätigung von BGE 119 V 87 Erw. 5a mit Hinweis). Von dieser durch die Gerichtspraxis verankerten sog. absoluten Solidarität abzuweichen, besteht kein Anlass. 
 
5.- Da es nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen geht, ist das Verfahren kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Entsprechend dem Ausgang des Prozesses gehen die Kosten zu Lasten der Beschwerdeführerin (Art. 156 Abs. 1 OG). 
Entgegen dem Antrag der obsiegenden, anwaltlich vertretenen Ausgleichskasse steht dieser keine Parteientschädigung zu (Art. 159 Abs. 2 OG; vgl. BGE 126 II 62 Erw. 8, 126 V 150 Erw. 4a mit Hinweisen). 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
 
II. Die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 4500. - werden der Beschwerdeführerin auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet. 
 
III. Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen. 
 
IV. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
 
Luzern, 4. Oktober 2001 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der IV. Kammer: 
 
Der Gerichtsschreiber: