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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
8G.126/2003 /pai 
 
Urteil vom 4. Dezember 2003 
Anklagekammer 
 
Besetzung 
Bundesrichter Fonjallaz, Vizepräsident, 
Bundesrichter Meyer, Marazzi, 
Gerichtsschreiber Monn. 
 
Parteien 
X.________, 
Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Manuel Rohrer, Seilerweg 9, Postfach 5016, 3001 Bern, 
 
gegen 
 
Bundesamt für Justiz, Abteilung Internationale Rechtshilfe, Sektion Auslieferung, Bundesrain 20, 3003 Bern. 
 
Gegenstand 
Entlassung aus der Auslieferungshaft, 
 
AK-Beschwerde gegen die Verfügung des Bundesamts für Justiz, Abteilung Internationale Rechtshilfe, Sektion Auslieferung, vom 10. November 2003. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Der russische Staatsangehörige X.________ wird verdächtigt, am 10. September 2001 in Deutschland einen Check, der von einer amerikanischen Bank für A. und B. C.________ ausgestellt worden war, insoweit gefälscht zu haben, als er seinen Namen und den Betrag von 8'500'000 Dollar darauf notiert und mit dem Namen des Ausstellers signiert habe. Noch am selben Tag soll er den Check in Eschweiler an D.________ übergeben haben, damit dieser ihn in Polen einlöse. Als D.________ den Check am 16. November 2001 bei der E.________ Bank in Wroclaw vorwies, um den Betrag von 8'500'000 Dollar zu erhalten, wurde die angebliche Fälschung entdeckt. 
 
Gestützt auf einen Haftbefehl der Staatsanwaltschaft Wroclaw vom 24. Februar 2003 ersuchte Interpol Warschau am 10. März 2003 die Schweiz um Inhaftnahme von X.________ zwecks späterer Auslieferung. 
 
Am 7. November 2003 wurde X.________ im Regionalgefängnis Bern in provisorische Auslieferungshaft gesetzt. Nachdem er am selben Tag einem Beamten des Ausländer- und Bürgerrechtsdienstes der Kantonspolizei Bern zu Protokoll gegeben hatte, dass er mit einer vereinfachten Auslieferung an Polen nicht einverstanden sei, erliess das Bundesamt für Justiz am 10. November 2003 einen Auslieferungshaftbefehl. Dieser wurde X.________ am 11. November 2003 eröffnet. 
B. 
Mit fristgerechter Eingabe vom 21. November 2003 führt X.________ Beschwerde bei der Anklagekammer des Bundesgerichts und beantragt, er sei mit sofortiger Wirkung aus der Auslieferungshaft zu entlassen (act. 1). 
 
Das Bundesamt für Justiz beantragt in seiner Vernehmlassung vom 27. November 2003, die Beschwerde sei abzuweisen (act. 5). 
 
In seiner Stellungnahme vom 2. Dezember 2003 hält X.________ an seinem Rechtsbegehren fest. Er stellt das Gesuch, es sei ihm die unentgeltliche Prozessführung unter Beiordnung von Fürsprecher Manuel Rohrer als amtlichem Anwalt zu gewähren (act. 7). 
 
Die Kammer zieht in Erwägung: 
1. 
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts bildet die Verhaftung des Beschuldigten während des ganzen Auslieferungsverfahrens die Regel (BGE 117 IV 359 E. 2a). Eine Aufhebung des Auslieferungshaftbefehls und eine Haftentlassung rechtfertigen sich nur ausnahmsweise. Dies ist der Fall, wenn der Beschuldigte sich voraussichtlich der Auslieferung nicht entzieht und die Strafuntersuchung nicht gefährdet (Art. 47 Abs. 1 lit. a IRSG), wenn er den so genannten Alibibeweis erbringen und ohne Verzug nachweisen kann, dass er zur Zeit der Tat nicht am Tatort war (Art. 47 Abs. 1 lit. b IRSG), wenn er nicht hafterstehungsfähig ist oder andere Gründe - z.B. enge und insbesondere familiäre Beziehungen zur Schweiz - vorliegen, die eine weniger einschneidende Massnahme rechtfertigen (Art. 47 Abs. 2 IRSG; Urteil 1A.170/1997 vom 10. Juni 1997 E. 3a; veröffentlicht in Pra 2000 Nr. 94 S. 569), oder wenn sich die Auslieferung als offensichtlich unzulässig erweist (Art. 51 Abs. 1 IRSG). Offensichtlich unzulässig kann ein Auslieferungsersuchen sein, wenn ohne jeden Zweifel und ohne weitere Abklärungen ein Ausschlussgrund vorliegt (vgl. BGE 111 IV 108 E. 3a). Im Übrigen sind Vorbringen gegen die Auslieferung als solche oder gegen die Begründetheit des Auslieferungsbegehrens nicht im vorliegenden Beschwerdeverfahren, sondern im eigentlichen Auslieferungsverfahren zu prüfen (vgl. BGE 110 Ib 193 E. 1c). Diese Regelung soll es der Schweiz ermöglichen, ihren staatsvertraglichen Auslieferungspflichten nachzukommen. Die ausnahmsweise zu gewährende Haftentlassung ist deshalb an strengere Voraussetzungen gebunden als der Verzicht auf die gewöhnliche Untersuchungshaft in einem Strafverfahren oder die Entlassung aus einer solchen Untersuchungshaft (vgl. BGE 111 IV 108 E. 2). 
2. 
Der Beschwerdeführer macht geltend, der Sachverhalt sei im Auslieferungshaftbefehl vom 10. November 2003 falsch festgestellt worden (vgl. act. 1 S. 5/6). Im zweiten Schriftenwechsel führt er sinngemäss aus, mit seinen Vorbringen habe er den Alibibeweis erbracht (vgl. act. 7 S. 2). 
 
Davon kann nicht die Rede sein. Im zweiten Schriftenwechsel schliesst es der Beschwerdeführer ausdrücklich selber nicht mehr aus, dass sich der Check als Fälschung erweisen könnte (act. 7 S. 2). Interpol Warschau verdächtigt ihn unter anderem, er habe den Check "with issuer's name" unterzeichnet (Beilagen des Bundesamtes für Justiz, act. 6, Beleg 1 S. 2). Ob sich das Bundesamt für Justiz in diesem Punkt über das Objekt der Fälschung getäuscht hat (vgl. act. 1 S. 5 unten), ist von vornherein unerheblich, denn in jedem Fall ist im vorliegenden Beschwerdeverfahren davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer verdächtigt wird, einen Check gefälscht zu haben. Dies bestreitet er zwar und macht geltend, A. C.________ habe den Check selber unterzeichnet und ihm übergeben (act. 1 S. 6, act. 7 S. 2). Ob dem so ist, steht aber nicht fest. Insbesondere befindet sich die vom Beschwerdeführer in Aussicht gestellte Bestätigung von A. C.________ nicht bei den Akten. Folglich ist ihm der Alibibeweis misslungen und die Beschwerde in diesem Punkt deshalb abzuweisen. 
3. 
Weiter macht der Beschwerdeführer geltend, die Anordnung der Haft sei unverhältnismässig, da mildere Massnahmen, wie die Rückbehaltung des Reisepasses oder die Anordnung einer Meldepflicht, die Fluchtgefahr, die möglicherweise tatsächlich vorliege, in genügendem Masse bannen würden (vgl. act. 1 S. 5, 7). 
 
Es ist offensichtlich und wird vom Beschwerdeführer denn auch nicht in Abrede gestellt, dass er sich durch Flucht der Auslieferung nach Polen, wo ihm eine längere Freiheitsstrafe droht, entziehen könnte. Daran ändert nichts, dass er angeblich seinen Wohnsitz in Zürich hat (act. 1 S. 7). Ein Wohnsitz in der Schweiz sagt für sich allein nichts darüber aus, wie intensiv die Beziehungen des Betroffenen zur Schweiz sind. Sein Einwand, dass der gegen ihn verhängte internationale Haftbefehl es ihm nicht erlaube, sich ins Ausland abzusetzen, ohne dass er eine erneute Auslieferungshaft und die Auslieferung nach Polen zu gewärtigen hätte (act. 7 S. 2), ist unbehelflich. Er hat in der Beschwerde selber anerkannt, dass ein Bekannter allenfalls bereit sein könnte, für ihn eine Kaution zu stellen (act. 1 S. 7), und aus diesem Grund ist es nicht ausgeschlossen, dass er bei einer Flucht darauf vertraut, mit der finanziellen Unterstützung eines Bekannten im Ausland untertauchen zu können. Dass sich die Hoffnung auf diesen Bekannten in der Zwischenzeit zerschlagen haben soll (act. 7 S. 4), stellt eine durch nichts belegte Behauptung dar (zur finanziellen Situation des Beschwerdeführers s. auch unten E. 6). Ebenfalls unbehelflich ist seine Behauptung, er wolle in der Schweiz bleiben, um die "unhaltbaren Vorwürfe", die in Polen gegen ihn erhoben werden, aus der Welt zu schaffen (act. 7 S. 2). Ob die Vorwürfe tatsächlich "unhaltbar" sind, wird erst der Abschluss des Auslieferungsverfahrens zeigen. Gesamthaft gesehen erscheint die Anordnung milderer Massnahmen nicht als geeignet, die Fluchtgefahr zu bannen. Folglich ist die Beschwerde auch in diesem Punkt abzuweisen. 
4. 
Der Beschwerdeführer rügt, dass er bisher noch von keinem Richter angehört worden sei. Gemäss Art. 54 IRSG müsse der Betroffene aber einer Justizbehörde zu Protokoll geben, dass er auf die Durchführung des Auslieferungsverfahrens verzichte. Die Befragung durch einen Beamten - in casu des Ausländer- und Bürgerrechtsdienstes der Kantonspolizei Bern - genüge nicht (vgl. act. 1 S. 5, 7/8). 
 
Der Hinweis auf Art. 54 Abs. 1 IRSG ist offensichtlich verfehlt. Gemäss dieser Bestimmung hätte es der Beschwerdeführer einer Justizbehörde zu Protokoll geben müssen, wenn er mit der vereinfachten Auslieferung einverstanden gewesen wäre, worauf das Bundesamt für Justiz seine Übergabe an die polnischen Behörden ohne weiteres bewilligt hätte. Der Beschwerdeführer war mit diesem Vorgehen aber ausdrücklich nicht einverstanden, und davon, dass diese Erklärung einer Justizbehörde gegenüber zu Protokoll gegeben werden müsste, ist im Gesetz nicht die Rede. 
 
Gemäss dem in der Beschwerde ebenfalls zitierten Art. 52 Abs. 1 IRSG wird der Auslieferungshaftbefehl durch eine kantonale Behörde eröffnet. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist damit selbstverständlich nicht die Justizbehörde gemäss Art. 54 Abs. 1 IRSG gemeint. 
 
Was er dazu im zweiten Schriftenwechsel noch anführt (vgl. act. 7 S. 3), dringt ebenfalls nicht durch. Der Betroffene kann gemäss Art. 48 Abs. 2 IRSG den Auslieferungshaftbefehl mit Beschwerde bei der Anklagekammer des Bundesgerichts anfechten. Damit ist eine richterliche Überprüfung des Freiheitsentzugs sichergestellt. Die Beschwerde ist auch in diesem Punkt als unbegründet abzuweisen. 
5. 
Schliesslich macht der Beschwerdeführer gestützt auf Art. 50 Abs. 1 IRSG geltend, dass er spätestens nach 18 Tagen - also am 24. November 2003 - hätte aus der Haft entlassen werden müssen (vgl. act. 1 S. 6). 
 
Gemäss der genannten Bestimmung kann die Frist von 18 Tagen aus besonderen Gründen bis auf 40 Tage verlängert werden. Es ist offensichtlich, dass die Frist im vorliegenden Fall zu Recht erstreckt worden ist, da die polnischen Behörden ihr Ersuchen und die dazu gehörenden Unterlagen gemäss Art. 28 Abs. 5 IRSG in eine schweizerische Landessprache übersetzen und - wie sie zudem geltend machen - über einen diplomatischen Kanal in die Schweiz senden müssen (Beilagen des Bundesamtes für Justiz, act. 6, Beleg 24). Dass die Unterlagen bereits übersetzt sind, behauptet auch der Beschwerdeführer nicht (vgl. act. 7 S. 3). Und im Übrigen kann nicht grundsätzlich davon ausgegangen werden, die polnischen Behörden seien nicht in der Lage, die verlängerte Frist einzuhalten. Auch in diesem Punkt ist die Beschwerde offensichtlich unbegründet. 
6. 
Die Beschwerde ist abzuweisen. Da nicht gesagt werden kann, der Beschwerdeführer habe das Beschwerdeverfahren geradezu leichtfertig veranlasst, ist in Anwendung von Art. 48 Abs. 2 IRSG in Verbindung mit Art. 219 Abs. 3 BStP auf die Erhebung einer Gerichtsgebühr zu verzichten. 
 
Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung kann nur gewährt werden, wenn der Beschwerdeführer bedürftig ist und seine Rechtsbegehren nicht von vornherein aussichtslos waren (Art. 152 OG). 
 
Der Beschwerdeführer behauptet vor Bundesgericht, er verfüge über keine finanziellen Mittel (act. 7 S. 4). Vor der Bundesanwaltschaft (die sich vor dem Auslieferungsverfahren ebenfalls mit ihm befasst hat) sagte er demgegenüber aus, er berate russische Geschäftsleute bei der Ausarbeitung von Verträgen und dergleichen; sein Verdienst hänge von den Geschäften ab, aber über ein Minimum verfüge er immer (Einvernahme vom 7. November 2003 S. 2 und 5; Beilagen des Bundesamtes für Justiz, act. 6, Beleg 5). Es bestehen folglich erhebliche Zweifel daran, dass der Beschwerdeführer bedürftig ist. 
 
Aber aus dem in den E. 2 bis 5 Gesagten ergibt sich überdies, dass die Beschwerde offensichtlich unbegründet und damit von vornherein aussichtslos war. Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung muss deshalb abgewiesen werden. 
 
Demnach erkennt die Kammer: 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
3. 
Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung wird abgewiesen. 
4. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Bundesamt für Justiz, Abteilung Internationale Rechtshilfe, Sektion Auslieferung, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 4. Dezember 2003 
Im Namen der Anklagekammer 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Vizepräsident: Der Gerichtsschreiber: