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[AZA 7] 
C 18/00 Vr 
 
III. Kammer 
 
Bundesrichter Schön, Spira und Bundesrichterin Widmer; 
Gerichtsschreiberin Hostettler 
 
Urteil vom 5. April 2001 
 
in Sachen 
R.________, 1946, Beschwerdeführer, vertreten durch den Rechtsschutz X.________, 
gegen 
Arbeitslosenkasse Graubünden, Grabenstrasse 8, Chur, Beschwerdegegnerin, 
und 
Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, Chur 
 
A.- Die Arbeitslosenkasse Graubünden wies dem 1946 geborenen R.________ ab 25. Mai 1999 einen befristeten Einsatz im Rahmen eines Beschäftigungsprogramms Y.________ zu. Am ersten Arbeitstag im Wald legte der Versicherte nach ein paar Stunden wegen Rücken- und Armbeschwerden die Arbeit nieder und nahm sie trotz Mahnung nicht mehr wieder auf. 
Mit Verfügung vom 17. August 1999 stellte die Arbeitslosenkasse R.________ wegen selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit ab 24. Juni 1999 für die Dauer von 31 Tagen in der Anspruchsberechtigung ein. 
 
B.- Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden mit Entscheid vom 15. November 1999 ab. 
 
 
C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt R.________ die Aufhebung dieses Entscheids und der Verfügung vom 17. August 1999. 
Die Arbeitslosenkasse schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. 
Das Staatssekretariat für Wirtschaft lässt sich nicht vernehmen. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- Streitig ist, ob die Verwaltung den Beschwerdeführer zu Recht für 31 Tage in der Anspruchsberechtigung eingestellt hat. 
 
2.- a) Nach Art. 72 Abs. 1 AVIG fördert die Arbeitslosenversicherung die vorübergehende Beschäftigung von Versicherten im Rahmen von Programmen öffentlicher oder privater, nicht auf Gewinn ausgerichteter Institutionen zur Arbeitsbeschaffung oder Wiedereingliederung ins Erwerbsleben. 
Die Frage, ob eine dem Versicherten im Sinne von Art. 72 Abs. 1 AVIG zugewiesene vorübergehende Beschäftigung diesem zumutbar ist, beurteilt sich laut Art. 72a Abs. 2 AVIG in sinngemässer Anwendung von Art. 16 Abs. 2 lit. c AVIG. Nach dieser Bestimmung ist eine Arbeit unzumutbar, welche dem Alter, den persönlichen Verhältnissen oder dem Gesundheitszustand des Versicherten nicht angemessen ist. 
 
b) Zu entscheiden ist zunächst, ob die vorzeitige Aufgabe der vorübergehenden Beschäftigung als Nichtbefolgen einer Weisung im Sinne von Art. 30 Abs. 1 lit. d AVIG zu qualifizieren oder ob der Sachverhalt als Auflösung eines Arbeitsverhältnisses durch den Beschwerdeführer unter Art. 44 Abs. 1 lit. b AVIV zu subsumieren ist, sodass, wenn die Auflösung ohne zureichenden Grund erfolgte, eine Einstellung in der Anspruchsberechtigung gestützt auf Art. 30 Abs. 1 lit. a AVIG zu erfolgen hat. 
 
c) Die vorübergehende Beschäftigung im Sinne von Art. 72 Abs. 1 AVIG ist nicht als gewöhnliches Arbeitsverhältnis, wie es Art. 30 Abs. 1 lit. a AVIG und Art. 44 AVIV zum Gegenstand haben, zu betrachten, sondern als Verhältnis sui generis. Wohl besteht zwischen dem Versicherten und dem Träger des Beschäftigungsprogramms ein obligationenrechtliches Arbeitsverhältnis (Nussbaumer, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Rz 673; Kreisschreiben des Bundesamtes für Wirtschaft und Arbeit über die arbeitsmarktlichen Massnahmen, gültig ab 
1. Juni 1997, S. 86 Rz G05). Der Arbeitgeber zahlt aber keinen Lohn aus. Er hat bloss eine Bruttolohnabrechnung zuhanden der Arbeitslosenkasse zu erstellen und die Sozialversicherungsbeiträge abzuführen; der Nettolohn wird in der Form von besonderen Taggeldern von der Arbeitslosenkasse ausgerichtet, wobei gegebenenfalls noch ein Differenzausgleich hinzukommt (Art. 81b AVIV [vorliegend anwendbar und bis 31. Dezember 1999 in Kraft gewesen], Art. 24 Abs. 4 Satz 2 AVIG [ebenfalls vorliegend anwendbar und bis 31. Dezember 1999 in Kraft gewesen]; Nussbaumer, a.a.O., Rz 674). 
Zudem ist in Betracht zu ziehen, dass es sich anders als bei der Zuweisung einer Stelle auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bei Art. 72 ff. AVIG um ein besonderes Programm handelt, das die berufliche Wiedereingliederung in der Form einer "vorübergehenden" und damit zeitlich befristeten Beschäftigung (Art. 72 Abs. 1 Satz 1 AVIG; "emploi temporaire", "occupazione temporanea") zum Zweck hat (Nussbaumer, a.a.O., Rz 661 und 663). Während es in jenem Fall (allgemeiner Arbeitsmarkt) darum geht, den Versicherten zu Suche und Annahme von Arbeit oder gegebenenfalls zur Annahme der vom Arbeitsamt oder dem Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) zugewiesenen Arbeit zu verhalten, bezieht sich die Zuweisung einer vorübergehenden Beschäftigung nicht bloss auf die Annahme eben dieser Beschäftigung, sondern auf die Absolvierung der vorübergehenden Beschäftigung während der angeordneten Dauer. Ist diese zugewiesene Beschäftigung zumutbar und wird sie vorzeitig und ohne zureichenden Grund aufgegeben, so beendet der Versicherte nicht bloss ein gewöhnliches Arbeitsverhältnis, sondern er handelt einer Weisung der Organe der Arbeitslosenversicherung zuwider, was die Anwendung der Einstellungsnorm des Art. 30 Abs. 1 lit. d AVIG notwendig macht. Dass der Nebensatz dieser Bestimmung im Zusammenhang mit der Zuweisung einer Arbeit bloss von deren "Nichtannahme" ("refusant", "non accetta") spricht, ist nicht entscheidend, nachdem die Aufzählung der dortigen Beispiele nicht abschliessend ist ("namentlich", "notamment", "segnatamente") und zudem mit Bezug auf Kurse, deren Besuch angewiesen worden ist, neben dem Nichtantritt ausdrücklich auch der Abbruch erwähnt ist. 
Demzufolge ist - entgegen Arbeitslosenkasse und Vorinstanz - die vorzeitige grundlose Aufgabe einer vorübergehenden Beschäftigung einstellungsrechtlich unter Art. 30 Abs. 1 lit. d AVIG zu subsumieren; im gleichen Sinn hat das Eidgenössische Versicherungsgericht bereits bezüglich der Nichtannahme einer solchen Beschäftigung entschieden (ARV 1987 Nr. 1 S. 36 Erw. 1a zu altArt. 72 AVIG, welcher hinsichtlich des vorliegend interessierenden Zusammenhangs mit Art. 72 Abs. 1 AVIG übereinstimmt). Dies hat zur Folge, dass das Ausscheiden ohne zureichenden Grund aus einer vorübergehenden Beschäftigung nicht anders behandelt wird, wie wenn ein Versicherter die Teilnahme von vornherein verweigert: 
In beiden Fällen ist, was unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung angebracht erscheint, bei fortdauernder Widersetzlichkeit des Versicherten Art. 30a AVIG anwendbar (BGE 125 V 361 Erw. 2b). 
d) Nachdem sich ergeben hat, dass die vorzeitige und ohne zureichenden Grund erfolgte Aufgabe einer zumutbaren vorübergehenden Beschäftigung einstellungsrechtlich unter Art. 30 Abs. 1 lit. d AVIG zu subsumieren ist, bleibt festzustellen, dass die Arbeitslosenkasse nicht zuständig war, über die Einstellung in der Anspruchsberechtigung zu verfügen (Art. 30 Abs. 2 AVIG). Die Verfügung vom 17. August 1999 erweist sich damit als nichtig, was von Amtes wegen zu beachten ist (BGE 122 I 98 Erw. 3a, 115 Ia 4 Erw. 3; Imboden/Rhinow, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, 
6. Aufl. , Basel 1986, Bd. I, Nr. 40 B V a1, S. 242, sowie Rhinow/Krähenmann, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsband, Basel 1990, Nr. 40 S. 120). Da die Vorinstanz die Nichtigkeit der Verfügung vom 17. August 1999 hätte feststellen müssen, ist ihr Entscheid aufzuheben. 
 
3.- Es ist Sache der kantonalen Amtsstelle bzw. des Arbeitsamtes Graubünden, ein allfälliges Verfügungsverfahren im Hinblick auf eine Einstellung nach Art. 30 Abs. 1 lit. d AVIG durchzuführen. 
 
4.- Für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht werden auf Grund von Art. 134 OG keine Gerichtskosten erhoben. 
Dem Ausgang des letztinstanzlichen Verfahrens entsprechend steht dem Versicherten eine Parteientschädigung zu (Art. 135 in Verbindung mit Art. 159 OG). 
Weil auf dem Gebiet der Arbeitslosenversicherung kein bundesrechtlicher Anspruch auf Parteientschädigung für das erstinstanzliche Verfahren besteht (vgl. Art. 103 AVIG), ist davon abzusehen, die Akten zu einer allfälligen Neufestsetzung der Parteientschädigung dem kantonalen Gericht zuzustellen. Hingegen ist es dem letztinstanzlich obsiegenden Beschwerdeführer unbenommen, mit Blick auf den Ausgang des Prozesses vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht bei der Vorinstanz einen entsprechenden Antrag zu stellen. 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
I.In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird 
der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons 
Graubünden vom 15. November 1999 aufgehoben und es 
wird festgestellt, dass die Verfügung der Arbeitslosenkasse 
Graubünden vom 17. August 1999 nichtig ist. 
 
II.Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
III. Die Arbeitslosenkasse Graubünden hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von 
 
 
Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
 
IV.Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, dem Arbeitsamt Graubünden und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt. 
 
 
Luzern, 5. April 2001 
 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der III. Kammer: 
 
Die Gerichtsschreiberin: