Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
2C_508/2017  
 
 
Urteil vom 5. April 2018  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Seiler, Präsident, 
Bundesrichter Zünd 
Bundesrichter Donzallaz, 
Gerichtsschreiber Errass. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Rechtsanwältin Stephanie Selig, 
 
gegen  
 
Departement des Innern des Kantons Solothurn, 
Migrationsamt, 
Ambassadorenhof, 4509 Solothurn. 
 
Gegenstand 
Familiennachzug / Wegweisung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn vom 1. Mai 2017 (VWBES.2017.52). 
 
 
Erwägungen:  
 
1. A.________ (Eritreerin; 1983) erhielt am 14. November 2011 in der Schweiz Asyl. Am 26. März 2016 gebar sie eine Tochter, der ebenfalls Asyl gewährt wurde. Der Kindsvater ist B.________ (Eritreer; 1974), der am 7. August 2016 in die Schweiz einreiste und am 8. August 2016 A.________ heiratete. Diese stellte am 18. August 2016 zugunsten ihres Ehemannes ein Familiennachzugsgesuch, welches das Migrationsamt des Kantons Solothurn mit Verfügung vom 30. Januar 2017 abwies. Das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn wies die Beschwerde am 1. Mai 2017 ab.  
Vor Bundesgericht beantragt A.________, Ziffer 1 (Abweisung) und 3 (unentgeltliche Rechtspflege und Rückforderungsanspruch des Staates) des Urteils des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurns vom 1. Mai 2017 aufzuheben, den Familiennachzug zu bewilligen, eventuell die Angelegenheit zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen und die integrale unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren. 
Das Verwaltungsgericht und das Migrationsamt des Kantons Solothurn beantragen ohne Vernehmlassung die Abweisung der Beschwerde. Die Beschwerdeführerin reicht noch einen Arztbericht ein. 
 
2.  
Die Beschwerde erweist sich als offensichtlich unbegründet, weswegen sie im vereinfachten Verfahren nach Art. 109 Abs. 2 lit. a i.V.m. Abs. 3 BGG mit summarischer Begründung und unter Verweis auf den angefochtenen Entscheid zu erledigen ist. 
 
2.1. Da die Beschwerdeführerin ihren Ehemann erst nach ihrer Flucht und nach Erhalt des Asyls geheiratet hat, richtet sich die Frage der Familienvereinigung nach Art. 8 EMRK i.V.m. AuG (vgl. BGE 139 I 330 E. 1.3.2 und 1.4.1 S. 334 f. mit zahlreichen Hinweisen).  
 
2.2. Der Gesetzgeber hat den ausländerrechtlichen Familiennachzug in den Art. 42 ff. AuG geregelt. Bezüglich eines solchen von ausländischen Personen, deren Aufenthaltsbewilligung auf einem gefestigten Anwesenheitsrecht beruht, ist trotz Fehlens eines gesetzlichen Bewilligungsanspruchs (Art. 44 AuG) das behördliche Ermessen beschränkt (vgl. Art. 96 AuG). Der Anwendungsbereich von Art. 8 EMRK ist - wie hier - berührt, wenn eine staatliche Entfernungs- oder Fernhaltemassnahme eine nahe, echte und tatsächlich gelebte familiäre Beziehung einer in der Schweiz  gefestigt anwesenheitsberechtigten Person beeinträchtigt, ohne dass es dieser möglich bzw. zumutbar wäre, das entsprechende Familienleben andernorts zu pflegen (vgl. BGE 139 I 330 E. 2.3 S. 337). Mit Blick auf den Schutz des Privat- und Familienlebens der betroffenen Personen sind in diesem Fall gute Gründe erforderlich, um den Nachzug ihrer Familienangehörigen zu verweigern (BGE 139 I 330 E. 2.4.1 S. 337). Solche liegen vor, wenn die Betroffenen die Bewilligungsvoraussetzungen von Art. 44 AuG i.V.m. Art. 73 VZAE nicht erfüllen oder Erlöschensgründe im Sinne von Art. 51 Abs. 2 AuG bestehen.  
Der Nachzugsanspruch bei einer gefestigten Aufenthaltsbewilligung eines der Ehepartner besteht im Rahmen des Schutzes des Privat- und Familienlebens unter Berücksichtigung des gesetzlichen Systems, wenn der ausländische Ehegatte mit der hier gefestigt anwesenden Person zusammenwohnt (Art. 44 lit. a AuG), die Eheleute über eine bedarfsgerechte Unterkunft verfügen (Art. 44 lit. b AuG) und sie nicht auf Sozialhilfe angewiesen sind. Zudem müssen die jeweiligen Nachzugsfristen eingehalten sein (Art. 73 Abs. 1 - 3 VZAE). Der Anspruch entfällt, wenn er rechtsmissbräuchlich geltend gemacht wird (bspw. Umgehungs- oder Scheinehe) oder einer der Widerrufsgründe von Art. 62 AuG vorliegt, d.h. insbesondere, wenn der Partner, für den die anwesende Person (mit) zu sorgen hat, der Sozialhilfe bedarf (Art. 51 Abs. 2 i.V.m. Art. 62 lit. e AuG). 
 
3.  
 
3.1. Der Beschwerdeführerin wurde am 14. November 2011 Asyl gewährt. Gestützt darauf erhielt sie eine Aufenthaltsbewilligung. Dementsprechend kann sie nur noch unter besonderen Umständen ausgewiesen oder in ihre Heimat zurückgeschafft werden (Art. 63 bzw. 65 AsylG und BGE 135 II 110 ff.; 139 II 65 E. 4 und 5). Ihre Beziehung zur Schweiz als Asylland ist damit eng (BGE 139 I 330 E. 3.1 S. 338; 122 II 1 E. 3d S. 10) : Sozialhilferechtliche Probleme können ihr persönlich flüchtlings- und asylrechtlich nicht entgegengehalten und ihre ausländerrechtliche Anwesenheit darf nicht wegen solcher beendet werden; auf ihre eigene finanzielle Situation kommt es somit nicht unmittelbar an (vgl. BGE 139 I 330 E. 3.1 S. 338; 122 II 1 E. 3c S. 8).  
 
3.2. Birgt der Nachzug eines Familienangehörigen die Gefahr der Fürsorgeabhängigkeit der  nachzuziehenden Person oder eine Erhöhung der finanziellen Abhängigkeit des anwesenden Flüchtlings, kann es sich im öffentlichen Interesse indessen rechtfertigen, von der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung abzusehen. Das Zulassungskriterium des Vorhandenseins hinreichender finanzieller Mittel und damit der Entlastung der Sozialhilfe und der öffentlichen Finanzen ist als Voraussetzung des Familiennachzugs konventionsrechtlich anerkannt (dazu die Hinweise in BGE 139 I 330 E. 3.2 S. 339), doch sind die statusspezifischen Umstände beim (nachträglichen, ausländerrechtlichen) Familiennachzug von Flüchtlingen mit Asylstatus jeweils mit zu berücksichtigen (vgl. BGE 139 I 330 E. 3.2 S. 339; 122 II 1 E. 2 S. 6). Soll nach Art. 74 Abs. 5 VZAE der "besonderen Situation von vorläufig aufgenommenen Flüchtlingen beim Entscheid über die Gewährung des Familiennachzugs" Rechnung getragen werden, muss dies angesichts der besseren Rechtsstellung umso mehr für anerkannte Flüchtlinge gelten. Bei einem anerkannten Flüchtling mit Asyl überwiegen regelmässig die privaten Interessen am Familiennachzug, wenn eine Ausreise unzumutbar erscheint und keine fremdenpolizeilichen Entfernungs- oder Fernhaltegründe bestehen (vgl. BGE 139 I 330 E. 3.2 S. 339; 122 II 1 E. 2e S. 6; 120 Ib 1 E. 3c).  
 
4.  
 
4.1. Unstrittig ist, dass die Eheleute ihre Beziehung nicht in zumutbarer Weise in Italien oder einem anderen Drittstaat leben könnten,  zu dem engere Beziehungen bestünden als zur Schweiz (vgl. BGE 139 I 330 E. 3.3 S. 340). Strittig ist hier einzig, ob die finanzielle Situation der Familie insgesamt dem Familiennachzug zum Zeitpunkt des vorinstanzlichen Entscheids entgegengestanden hat.  
 
4.2. Nach der bundesgerichtlichen Praxis zum Familiennachzug von Flüchtlingen (mit Asyl) stehen finanzielle Gründe der Familienzusammenführung entgegen, wenn die Gefahr einer  fortgesetzten und erheblichen Fürsorgeabhängigkeit besteht. Dabei ist von den aktuellen Verhältnissen auszugehen, die wahrscheinliche finanzielle Entwicklung aber auf  längere Sicht mit zu berücksichtigen. Zudem ist  nicht nur das Einkommen des hier anwesenheitsberechtigten Familienangehörigen in die Beurteilung miteinzubeziehen, sondern die finanziellen Möglichkeiten aller Familienmitglieder über längere Sicht hinweg (vgl. BGE 139 I 330 E. 4.1 S. 341; 122 II 1 E. 3c S. 8). Das Einkommen der Angehörigen, die an die Lebenshaltungskosten der Familie beitragen sollen und können, ist daran zu messen, ob und in welchem Umfang sich dieses grundsätzlich als tatsächlich realisierbar erweist. In diesem Sinn müssen die Erwerbsmöglichkeiten und das damit verbundene Einkommen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf mehr als nur kurze Frist hin gesichert erscheinen (BGE 139 I 330 E. 4.1 S. 341; 122 II 1 E. 3c S. 8 f.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Interesse, die öffentliche Fürsorge vor dem Risiko zusätzlicher Belastung zu bewahren, nur dann eine massive Erschwerung oder gar ein Verunmöglichen des Familienlebens von anerkannten Flüchtlingen mit Asyl rechtfertigt, wenn die entsprechende Gefahr in zeitlicher und umfangmässiger Hinsicht als erheblich zu gewichten ist; die Schweiz hat diesbezüglich gewisse Konsequenzen aus der Asylgewährung, der Ehefreiheit der Betroffenen (Art. 14 BV) und der damit verbundenen allfälligen künftigen Familienbildung zu tragen (BGE 139 I 330 E. 4.2. S. 341; 122 II 1 E. 3a). Unternehmen der anerkannte Flüchtling oder andere Familienmitglieder alles Zumutbare, um auf dem Arbeitsmarkt den eigenen und den Unterhalt der Familie möglichst autonom bestreiten zu können, kann dies genügen, um den Ehegattennachzug zu gestatten und das Familienleben in der Schweiz zuzulassen. Dabei ist zu beachten, dass dem gefestigt anwesenden Flüchtling mit Asyl ein Aufenthaltsrecht zukommt, das einen Familiennachzug ausserhalb des Familienasyls gebieten und die Schweiz im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung verpflichten kann, den Betroffenen zu ermöglichen, die hierfür erforderlichen Voraussetzungen zu erfüllen (vgl. BGE 126 II 335 E. 2b/cc) bzw. im Sinne einer verfassungs- und konventionsrechtlichen Schutzpflicht zumindest weniger hohe Anforderungen an die finanzielle Unabhängigkeit zu stellen als in nicht asyl- und flüchtlingsrechtlich relevanten Fällen (vgl. BGE 139 I 330 E. 4.2 S. 342).  
 
4.3. Die Beschwerdeführerin hat seit dem 14. November 2011 Asyl. Der am 26. März 2016 geborenen Tochter wurde ebenfalls Asyl gewährt. Nach der Geburt hatte die Beschwerdeführerin gesundheitliche Probleme. Sie ist zur Zeit wiederum schwanger. Die Beschwerdeführerin hat einige Deutschkurse besucht und ist hier bisher noch keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen. Sie macht indes geltend, dass sie an einem Migrationsprojekt teilgenommen und dort acht Monate gearbeitet habe. Diese Projekte sind im Rahmen von Art. 44 lit. c AuG nicht relevant. Die Beschwerdeführerin hat seit ihrer Einreise in die Schweiz einen beträchtlichen Betrag an Sozialhilfe (rund Fr. 100'000.--) bezogen, welcher ihr indes persönlich flüchtlings- und asylrechtlich nicht entgegengehalten werden kann.  
Für die Beurteilung, ob die Familie nicht auf Sozialhilfe angewiesen sein wird (Art. 44 lit. c AuG), ist zwar von den aktuellen Verhältnissen auszugehen, die wahrscheinliche finanzielle Entwicklung aber auf längere Sicht mit zu berücksichtigen. In diesem Sinn müssen die Erwerbsmöglichkeiten und das damit verbundene Einkommen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf mehr als nur kurze Frist hin gesichert erscheinen. Die Beschwerdeführerin führt dazu aus, dass sie beabsichtige ihr Deutsch zu verbessern und danach einen Pflegekurs beim Schweizerischen Roten Kreuz zu belegen, um danach als Pflegerin zu arbeiten, was bereits ihre Tätigkeit im Heimatland gewesen sei. Sie könne sich dann mit ihrem Mann, der eine Stelle beim Internationalen Bildungszentrum Scalabrini in Solothurn in Aussicht habe, in der Kinderbetreuung abwechseln. Die Beschwerdeführerin vergisst bei ihrer Argumentation, dass sie den Pflegekurs, wenn sie denn auch zugelassen wird, noch nicht absolviert hat, und es unsicher ist, ob sie danach auch eine Stelle als Pflegerin erhalten wird. Kommt hinzu, dass ihre zweite Schwangerschaft diese Unsicherheit nicht verringern wird. Neben ihren Erwerbsmöglichkeiten sind auch diejenige ihres Ehemannes zu berücksichtigen. Dieser spricht überhaupt kein Deutsch; die Integration wird deshalb schwierig - wie die Vorinstanz zulässigerweise erkannt hat. Er kann zwar eine versprochene Stelle vorweisen. Auch mit dieser erscheint allerdings nicht gesichert, dass mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit die Fürsorgeabhängigkeit der Familie reduziert wird. Zum einen ist entsprechend dem für das Bundesgericht verbindlichen Sachverhalt (Art. 105 Abs. 1 BGG) der Verdienst nicht derart, dass der erhöhte finanzielle Bedarf der Familie längerfristig bestritten werden kann. Zum andern hat der Beschwerdeführer in der Vergangenheit noch nicht den Beweis erbracht, dass er kontinuierlich arbeiten will, hat er doch während mehrerer Jahre in Italien nicht gearbeitet. Insgesamt sind die Erwerbsmöglichkeiten - wie die Vorinstanz zu Recht ausgeführt hat - und das damit verbundene Einkommen im Zeitpunkt des vorinstanzlichen Entscheids nicht hinreichend gesichert, dass im Falle des Nachzugs eine auf Dauer ins Gewicht fallende Fürsorgeabhängigkeit ausgeschlossen werden kann. Für alles Weitere kann auf den vorinstanzlichen Entscheid verwiesen werden (Art. 109 Abs. 3 BGG). 
 
5.  
Demnach kann dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wegen Aussichtslosigkeit der Beschwerde nicht entsprochen werden (Art. 64 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdeführerin hat dem Verfahrensausgang entsprechend die bundesgerichtlichen Kosten grundsätzlich zu tragen. Angesichts der besonderen Umstände wird auf eine Erhebung der Gerichtskosten verzichtet (Art. 66 Abs. 1 BGG). Parteientschädigungen sind keine geschuldet. 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 5. April 2018 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Seiler 
 
Der Gerichtsschreiber: Errass