Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
8C_627/2007 
 
Urteil vom 5. Juni 2008 
I. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Ursprung, Präsident, 
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Frésard, 
Gerichtsschreiberin Riedi Hunold. 
 
Parteien 
Öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons Aargau, Bahnhofstrasse 78, 5001 Aarau, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
T.________, Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Arbeitslosenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 4. September 2007. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
T.________, geboren 1978, war seit 1. September 2003 bei der Firma S.________ AG angestellt. Am 30. April 2006 kündigte er sein Arbeitsverhältnis auf den 31. Juli 2006. Am 29. August 2006 meldete er sich zur Arbeitsvermittlung an. Die Öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons Aargau (nachfolgend: Arbeitslosenkasse) stellte ihn mit Verfügung vom 17. Oktober 2006, bestätigt mit Einspracheentscheid vom 21. Dezember 2006, ab 1. August 2006 für 31 Tage wegen selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit in der Anspruchsberechtigung ein. 
 
B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 4. September 2007 teilweise gut und reduzierte die Anzahl der Einstellungstage auf 20. 
 
C. 
Die Arbeitslosenkasse führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, unter Aufhebung des kantonalen Entscheids sei die Verfügung vom 17. Oktober 2006 (recte: der Einspracheentscheid vom 21. Dezember 2006) zu bestätigen. T.________ und das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) verzichten auf eine Vernehmlassung. 
 
D. 
Das Bundesgericht forderte die Arbeitslosenkasse mit Verfügung vom 19. Oktober 2007 zur Leistung eines Kostenvorschusses auf, welchen diese fristgerecht leistete. Mit Eingabe vom 31. Oktober 2007 machte sie jedoch geltend, es sei an der bisherigen Praxis der Kostenbefreiung der Arbeitslosenkassen festzuhalten. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2. 
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über die Einstellung in der Anspruchsberechtigung bei selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit (Art. 30 Abs. 1 lit. a AVIG; Art. 44 lit. b AVIV; ARV 1998 Nr. 9 S. 41 E. 2b) und die Dauer der Einstellung nach dem Mass des Verschuldens (Art. 30 Abs. 3 AVIG; Art. 45 Abs. 2 und 3 AVIV; ARV 2006 Nr. 11 S. 144) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
 
3. 
3.1 In seinem Antrag auf Arbeitslosenentschädigung vom 3. Oktober 2006 gab der Versicherte als Grund seiner Kündigung an, er sei aus moralischer Überzeugung nicht mehr in der Lage gewesen, seine Tätigkeit in einer Spielbank weiterzuführen, da die psychische Belastung zu gross gewesen sei; er habe sich mit der Schattenseite der Spielbank nicht mehr auseinandersetzen können. 
Am 16. Oktober 2006 führte er aus, die Fortsetzung seiner Tätigkeit habe seiner Moral nicht mehr entsprochen; es habe ihn mit der Zeit sehr belastet, dass er in einem Unternehmen einen Beitrag dazu leiste, die Existenz von Menschen zu ruinieren, was er als sozial eingestellter Mensch nicht mehr vor sich selber habe verantworten können. 
In seiner Einsprache vom 17. November 2006 machte er geltend, er wisse um sein Verschulden, dass er bis 31. Dezember 2006 ohne Arbeit sei. Aus moralischen Gründen sei er nicht mehr in der Lage gewesen, seine Arbeit langfristig weiterzuführen. Als er seine Kündigung eingereicht habe, sei er schon im Gespräch mit der Firma B.________ AG gewesen. Wenn alles wie besprochen geklappt hätte, hätte er mit der Arbeit am 1. August 2006 begonnen. Es habe keine schriftliche oder mündliche Versprechungen der Firma B.________ AG betreffend den Start der Arbeit gegeben, was ihm bewusst gewesen sei. Es sei ein kleines "Restrisiko" geblieben, welches er auf sich genommen habe und leider eingetreten sei. 
 
3.2 Die Vorinstanz hielt in ihrem Entscheid fest, es gebe keine Gründe für die Auflösung des bisherigen Arbeitsverhältnisses infolge Unzumutbarkeit der Weiterführung der angestammten Tätigkeit. Die Aussage des Versicherten, wonach er seine neue Stelle am 1. August 2006 hätte antreten können, wenn alles geklappt hätte, wertete sie als entschuldbaren Grund und reduzierte die Einstelltage in analoger Anwendung von ARV 2000 Nr. 8 S. 32, gemäss welchem das Eidgenössische Versicherungsgericht eine mündliche Zusage für eine später nicht erhaltene Stelle als entschuldbaren Grund erachtete, auf 20 Tage. 
 
3.3 Die Arbeitslosenkasse rügt das Vorgehen der Vorinstanz, da diese bezüglich der Frage, ob der Versicherte bei Kündigung des bestehenden Arbeitsverhältnisses von der Zusage seiner späteren Arbeitsstelle bei der Firma B.________ AG habe ausgehen dürfen, lediglich auf dessen Aussage abgestellt und weitere Abklärungen unterlassen habe. Im vorliegenden Fall sei aber keine Zusage seitens der Firma B.________ AG erfolgt. Zum Nachweis legt sie vor Bundesgericht ein Mail der Firma B.________ AG vom 16. Oktober 2007 auf, gemäss welchem stets nur von einer Festanstellung per 1. Januar 2007 die Rede war. 
 
4. 
Sowohl das Verwaltungsverfahren wie auch der kantonale Sozialversicherungsprozess sind vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht (Art. 43 Abs. 1 und Art. 61 lit. c ATSG). Danach haben Verwaltung und Sozialversicherungsgericht den rechtserheblichen Sachverhalt von Amtes wegen festzustellen. Diese Untersuchungspflicht dauert so lange, bis über die für die Beurteilung des streitigen Anspruchs erforderlichen Tatsachen hinreichende Klarheit besteht. Der Untersuchungsgrundsatz weist enge Bezüge zum - auf Verwaltungs- und Gerichtsstufe geltenden - Grundsatz der freien Beweiswürdigung auf. Führen die im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes von Amtes vorzunehmenden Abklärungen den Versicherungsträger oder das Gericht bei umfassender, sorgfältiger, objektiver und inhaltsbezogener Beweiswürdigung zur Überzeugung, ein bestimmter Sachverhalt sei als überwiegend wahrscheinlich zu betrachten und es könnten weitere Beweismassnahmen an diesem feststehenden Ergebnis nichts mehr ändern, so liegt im Verzicht auf die Abnahme weiterer Beweise keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (antizipierte Beweiswürdigung; vgl. SVR 2001 IV Nr. 10 S. 27 E. 4 S. 28 mit Hinweisen). Bleiben jedoch erhebliche Zweifel an Vollständigkeit und/oder Richtigkeit der bisher getroffenen Tatsachenfeststellung bestehen, ist weiter zu ermitteln, soweit von zusätzlichen Abklärungsmassnahmen noch neue wesentliche Erkenntnisse zu erwarten sind (Urteil 8C_364/2007 vom 19. November 2007, E. 3.2 mit Hinweisen). Der Untersuchungsgrundsatz zählt zu den in Art. 95 BGG erwähnten bundesrechtlichen Vorschriften. Hat das kantonale Gericht die rechtserheblichen tatsächlichen Feststellungen in Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes getroffen, sind sie für das Bundesgericht nicht verbindlich (Urteil 8C_364/2007 vom 19. November 2007, E. 3.3 mit Hinweisen). 
 
5. 
Das kantonale Gericht hält in E. 3.1 seines Entscheids fest: 
"In seiner Einsprache vom 17. November 2006 wiederholte der Beschwerdeführer seine moralischen Bedenken bezüglich seiner Tätigkeit in einem Spielcasino. Er hielt jedoch auch fest, dass er, als er seine Kündigung eingereicht habe, bereits im Gespräch mit seinem zukünftigen Arbeitgeber, der Firma B.________ AG, gewesen sei. Wenn alles wie besprochen geklappt hätte, hätte er mit der Arbeit am 1. August 2006 beginnen können. Allerdings habe es bezüglich des Arbeitsbeginns weder eine schriftliche noch eine mündliche Zusicherung gegeben. Aus Kostengründen könne ihn die Firma B.________ AG erst ab dem 1. Januar 2007 einstellen. Nachdem er die Stelle bei der Firma B.________ AG auch nicht per 1. September 2006 habe antreten können, habe er sich zu diesem Zeitpunkt arbeitslos gemeldet." 
In der Folge berief sich die Vorinstanz auf die Aussage des Versicherten, wonach er, wenn alles geklappt hätte, seine neue Stelle am 1. August 2006 hätte antreten können, beurteilte das Verschulden des Versicherten - entgegen der Regel von Art. 45 Abs. 3 AVIV - als mittelschwer und reduzierte unter analoger Anwendung von ARV 2000 Nr. 8 S. 32 die Zahl der Einstelltage. Dabei nahm sie trotz der widersprüchlichen Aussagen des Versicherten weder weitere Abklärungen vor noch begründete sie, weshalb der Umstand, wonach es seitens der Firma B.________ AG weder mündliche noch schriftliche Versprechungen betreffend den Start der Arbeit gegeben habe, nicht zu berücksichtigen sei. Damit hat die Vorinstanz nicht nur den Untersuchungsgrundsatz von Art. 61 lit. c ATSG verletzt und eine Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG begangen, sondern der von ihr festgestellte Sachverhalt ist auch offensichtlich unrichtig (vgl. zur freien Überprüfbarkeit dieser Rechtsfrage das Urteil 9C_182/2007 vom 7. Dezember 2007, E. 4.1.1). Es besteht demnach keine Bindung des Bundesgerichts an den vorinstanzlich festgestellten Sachverhalt. 
 
6. 
Eine Rückweisung zur weiteren Sachverhaltsabklärung erübrigt sich jedoch, da gestützt auf das von der Arbeitslosenkasse aufgelegte und ein zulässiges Novum im Sinne von Art. 99 Abs. 1 BGG darstellende Mail der Firma B.________ AG vom 16. Oktober 2007 erstellt ist, dass der Versicherte im Zeitpunkt seiner Kündigung im April 2006 nicht mit einer Anstellung bei der Firma B.________ AG im Anschluss an seine Arbeit bei der Firma S.________ AG rechnen durfte. Somit bestehen keine Gründe von dem in Art. 45 Abs. 2 und 3 AVIV vorgesehenen Rahmen von 31 bis 60 Tagen Einstelldauer bei schwerem Verschulden infolge selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit abzuweichen. Die Arbeitslosenkasse hat den Versicherten demnach zu Recht für 31 Tage in der Anspruchsberechtigung eingestellt. 
 
7. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig. Als unterliegende Partei hat der Versicherte die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Bei diesem Verfahrensausgang erübrigen sich weitere Ausführungen zur Eingabe der Arbeitslosenkasse vom 31. Oktober 2007 und es hat mit einem Verweis auf BGE 133 V 637 sein Bewenden. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 4. September 2007 aufgehoben. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau, dem Staatssekretariat für Wirtschaft und dem Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) des Kantons Aargau schriftlich mitgeteilt. 
Luzern, 5. Juni 2008 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: 
 
Ursprung Riedi Hunold