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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess {T 7} 
U 106/06 
 
Urteil vom 5. Oktober 2006 
IV. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Ursprung, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Frésard; Gerichtsschreiber Wey 
 
Parteien 
Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft, Hohlstrasse 552, 8048 Zürich, Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
S.________, 1970, Beschwerdegegner, vertreten durch Advokat Markus Schmid, Steinenschanze 6, 4051 Basel 
 
Vorinstanz 
Kantonsgericht Basel-Landschaft, Liestal 
 
(Entscheid vom 31. August 2005) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Der 1970 geborene S.________ war seit dem 1. Januar 2003 bei der Firma D._________ GmbH als Verkaufsleiter angestellt und bei der Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft (nachfolgend Allianz) obligatorisch gegen Unfallfolgen versichert. Am 8. Januar 2003 erlitt der Versicherte eine Auffahrkollision: Als er vor einem Rotlicht anhalten und warten musste, stiess ein nachfolgendes Fahrzeug von hinten in seinen Personenwagen. Aufgrund der sofort auftretenden Schmerzen im Nackenbereich begab er sich noch am Unfalltag zur Untersuchung ins Spital X.________. Dessen Ärzte diagnostizierten eine Distorsion der Halswirbelsäule (HWS); eine ossäre Läsion wurde nicht festgestellt. Seit dem Unfallereignis geht der Versicherte keiner Erwerbstätigkeit mehr nach. Die Allianz richtete Taggelder aus und übernahm die Heilbehandlung. Mit Verfügung vom 23. März 2004, bestätigt mit Einspracheentscheid vom 21. Dezember 2004, stellte sie ihre Leistungen per 23. März 2004 ein, weil es an einem hinreichenden Kausalzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den noch vorhandenen Beschwerden mangle. Die am 19. November 2004 vom Versicherten beim Kantonsgericht Basel-Landschaft wegen Rechtsverzögerung eingeleitete Beschwerde wurde daraufhin mit Beschluss vom 6. April 2005 zufolge Gegenstandslosigkeit abgeschrieben. Diesen Entscheid hob das Eidgenössische Versicherungsgericht mit Urteil vom 14. Dezember 2005 insoweit auf, als die Allianz zur Bezahlung einer Parteientschädigung verpflichtet wurde. 
B. 
Das Kantonsgericht Basel-Landschaft hiess die gegen den Einspracheentscheid erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 31. August 2005 gut und verpflichtete die Allianz, die gesetzlichen Leistungen über das Datum des 23. März 2004 hinaus weiter auszurichten. 
C. 
Die Allianz führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, es sei der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben. 
Während der Beschwerdegegner auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, verzichten die Vorinstanz (in materieller Hinsicht) sowie das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung. 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1. 
Hinsichtlich des im Sozialversicherungsrecht üblichen Beweisgrads der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 129 V 181 Erw. 3.1, 126 V 360 Erw. 5b, je mit Hinweisen) sowie der für den Beweiswert ärztlicher Berichte und Gutachten geltenden Regeln (BGE 125 V 352 Erw. 3a, 122 V 160 Erw. 1c) kann auf die zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz verwiesen werden. 
2. 
2.1 Die Leistungspflicht eines Unfallversicherers gemäss UVG setzt zunächst voraus, dass zwischen dem Unfallereignis und dem eingetretenen Schaden (Krankheit, Invalidität) ein natürlicher Kausalzusammenhang besteht. Ursachen im Sinne des natürlichen Kausalzusammenhangs sind alle Umstände, ohne deren Vorhandensein der eingetretene Erfolg nicht als eingetreten oder nicht als in der gleichen Weise bzw. nicht zur gleichen Zeit eingetreten gedacht werden kann. Entsprechend dieser Umschreibung ist für die Bejahung des natürlichen Kausalzusammenhangs nicht erforderlich, dass ein Unfall die alleinige oder unmittelbare Ursache gesundheitlicher Störungen ist; es genügt, dass das schädigende Ereignis zusammen mit anderen Bedingungen die körperliche oder geistige Integrität der versicherten Person beeinträchtigt hat, der Unfall mit andern Worten nicht weggedacht werden kann, ohne dass auch die eingetretene gesundheitliche Störung entfiele (BGE 129 V 181 Erw. 3.1, 406 Erw. 4.3.1, 119 V 337 Erw. 1, 118 V 289 Erw. 1b, je mit Hinweisen). 
Ist ein Schleudertrauma der Halswirbelsäule diagnostiziert und liegt ein für diese Verletzung typisches Beschwerdebild mit einer Häufung von Beschwerden wie diffuse Kopfschmerzen, Schwindel, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, Übelkeit, rasche Ermüdbarkeit, Visusstörungen, Reizbarkeit, Affektlabilität, Depression, Wesensveränderung usw. vor, so ist der natürliche Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und der danach eingetretenen Arbeits- bzw. Erwerbsunfähigkeit in der Regel anzunehmen. Es ist zu betonen, dass es gemäss obiger Begriffsumschreibung für die Bejahung des natürlichen Kausalzusammenhangs genügt, wenn der Unfall für eine bestimmte gesundheitliche Störung eine Teilursache darstellt (BGE 119 V 338 Erw. 1 in fine, 117 V 360 Erw. 4b). 
2.2 Wie eingangs erwähnt, wurde beim Versicherten nach dem Unfallereignis eine Distorsion der HWS diagnostiziert, was gemäss Bericht des Hausarztes Dr. H.________, Spezialarzt für Innere Medizin, vom 18. Juni 2003 sofortige zervikale Schmerzen zur Folge hatte. Der Internist hält in einem weiteren Bericht vom 30. April 2003 fest, der Versicherte leide seit dem Unfall dauernd an Schlafstörungen, Müdigkeit, leichter Vergesslichkeit sowie Schmerzen cervico-cephal (occipital). Zudem wies er Seh- und Augenstörungen auf, die der Augenarzt Dr. P.________ insbesondere auf einen leichten beidseitigen Astigmatismus zurückführte, der seit dem Unfall nicht mehr spontan kompensiert werden könne und deshalb zu einer Visusverminderung - rechts mehr als links - führe (Bericht vom 26. Februar 2003). Schliesslich klagt der Versicherte gemäss Bericht von Dr. W.________, Fachpsychologin für Neuropsychologie, vom 11. August 2003 über erhöhte Nervosität; er sei überdies "reizbarer und aggressiver" geworden. Damit liegt das für ein Schleudertrauma der HWS typische Beschwerdebild (grösstenteils) vor. 
Wie sich anlässlich der MRI-Untersuchung von I.________, Radiologie, vom 8. Mai 2003 herausstellte, besteht beim Versicherten eine "posterolaterale rechtsseitige flache Diskushernie C3/4 mit wahrscheinlich C4-Kompression im Foramen rechts". Namentlich gestützt auf das Aktengutachten des Neurochirurgen Dr. R.________ vom 13. Dezember 2004 sowie das Gutachten des Neurologen Dr. M.________ vom 21. Juni 2005 ist - in Übereinstimmung mit dem Beschwerde führenden Unfallversicherer - davon auszugehen, dass die Diskushernie vorbestehend war bzw. nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückzuführen ist. Dennoch nimmt Dr. M.________ an, dass der Unfall mit überwiegender Wahrscheinlichkeit "zumindest im Sinne einer relevanten Teilursache einer richtungsweisenden Veränderung eines Vorzustandes Ursache der aktuellen Beschwerden darstellt". Das Gutachten von Dr. M.________ ist zu berücksichtigen, obgleich es erst nach dem Einspracheentscheid vom 21. Dezember 2004 verfasst wurde. Denn die tatsächlichen Gegebenheiten, auf die sich das Gutachten stützt, widerspiegeln den Sachverhalt, wie er sich zum Zeitpunkt des Einspracheentscheids präsentierte. Hieraus ergibt sich, dass (zumindest) der natürliche Kausalzusammenhang gegeben ist. Daran vermag insbesondere auch das Aktengutachten von Dr. R.________ nichts zu ändern, da es in diesem Punkt nicht schlüssig ist: So bezeichnet Dr. R.________ die Beschwerden des Versicherten zunächst "als unfallfremd", sodass sie "mit dem Ereignis vom 08.01.2003 nicht mehr in einen natürlichen kausalen Zusammenhang gebracht werden" könnten, qualifiziert sie später aber doch als mögliche Folge des Unfalls. 
3. 
3.1 Die Leistungspflicht des Unfallversicherers setzt im Weiteren voraus, dass zwischen dem Unfallereignis und dem eingetretenen Schaden ein adäquater Kausalzusammenhang besteht. Die Vorinstanz hat den Einspracheentscheid des Unfallversicherers mit der Begründung aufgehoben, dass im massgebenden Zeitpunkt des Einspracheentscheids "von einer Fortsetzung der ärztlichen Behandlung noch immer eine Besserung erwartet" werden konnte und deshalb die vom Versicherer vorgenommene Adäquanzbeurteilung verfrüht erfolgt sei (vgl. Urteil C. vom 15. März 2005, U 380/04, Erw. 4.2). Die Frage der Adäquanz hat sie nicht geprüft. 
3.2 Nachdem der Unfallversicherer mit Verfügung vom 23. März 2004 seine Leistungen auf eben denselben Zeitpunkt eingestellt hatte, erhoben der Versicherte und der Krankenversicherer Einsprachen. Der Unfallversicherer teilte dem Rechtsvertreter des Versicherten am 16. Juni 2004 mit, dass zur Beurteilung der Leistungspflicht ein polydisziplinäres Gutachten zu erstellen sei. Das Eidgenössische Versicherungsgericht hielt mit Urteil vom 14. Dezember 2005 betreffend Rechtsverzögerung fest, dass diese Beweismassnahme nicht, wie vom Versicherten behauptet, unnötig gewesen sei (Prozess U 345/05, Erw. 4.2). Damit hat es darüber befunden, dass die Einwendungen des Versicherten gegen eine polydisziplinäre Begutachtung unbegründet waren. 
3.3 Gegenstand von polydisziplinären Begutachtungen ist (neben etwa der Prüfung, ob ein natürlicher Kausalzusammenhang vorliege) regelmässig die Frage, ob von der Fortsetzung einer ärztlichen Behandlung eine namhafte Besserung des Gesundheitszustandes des Versicherten erwartet werden kann. Sollte der anordnende Unfallversicherer diese Frage an den Gutachter nicht stellen, so kann der Versicherte sie stellen lassen. Es geht nicht an, dass der Versicherte sich einer polydisziplinären Begutachtung, anlässlich welcher insbesondere untersucht werden kann, ob von einer weiteren ärztlichen Behandlung eine namhafte Besserung des Gesundheitszustandes erwartet werden kann, widersetzt, sich nach Erlass des Einspracheentscheides durch seinen behandelnden Arzt Dr. H.________ in die Reha Y.________ einweisen lässt, um durch den Austrittsbericht nachzuweisen, dass eine Besserung des Gesundheitszustandes - das Gesetz verlangt eine namhafte Besserung (Art. 19 Abs. 1 UVG) - noch zu erwarten gewesen sei und deshalb der Einspracheentscheid zu früh ergangen sei. Die Abklärung aller Umstände eines Versicherungsfalles obliegt dem Unfallversicherer (Art. 43 Abs. 1 ATSG). Der Versicherte hat bei der Abklärung mitzuwirken. Insbesondere hat er sich einer Begutachtung zu unterziehen (Art. 43 Abs. 2 ATSG). Angesichts der unbegründeten Weigerung des Versicherten hätte der Versicherer nach Art. 43 Abs. 3 ATSG vorgehen können. Er hat dies nicht getan, sondern durch die Einholung des Aktengutachtens von Dr. R.________ seine Entscheidgrundlagen erweitert. Gestützt darauf durfte der Versicherer über den Leistungsanspruch des Versicherten befinden. Dr. R.________ hat in seinem Gutachten die Frage des Unfallversicherers, ob der medizinische Endzustand mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erreicht sei, ausdrücklich bejaht. 
3.4 Selbstredend steht es dem Versicherten frei, mit dem Austrittsbericht der Reha Y.________ vom 14. Oktober 2005 (erstellt durch die Dres. E.________ und S.________) darzutun, dass von einem Klinikaufenthalt eine namhafte Besserung des Gesundheitszustandes zu erwarten gewesen sei. Gestützt auf den Bericht kann dieser Schluss auch rückblickend nicht gezogen werden. Wie in solchen Austrittsberichten üblich, werden als Folge des Klinikaufenthaltes bezüglich einzelner Beschwerden oder Einschränkungen Besserungen angegeben, von denen aber keine Gewissheit besteht, dass sie über den Klinikaufenthalt hinaus anhalten. Von einer namhaften Besserung des Gesundheitszustandes kann aufgrund des Berichtes keine Rede sein (RKUV 2005 Nr. U 557 S. 389, Erw. 3.1). Empfohlen wird nach Klinikaustritt die Fortführung der Physiotherapie und der medizinischen Trainingstherapie. Im selben Bericht heisst es jedoch, der Versicherte habe nach seinen Angaben zwei bis drei Mal die Woche angeordnete Physiotherapie durchgeführt, jedoch mit wenig Erfolg. 
4. 
Hat nach dem Gesagten der Unfallversicherer seinen Einspracheentscheid nicht zu früh erlassen und die Vorinstanz diesen folglich zu Unrecht aufgehoben, so ist die Sache an diese zurückzuweisen, damit sie über die Leistungsansprüche des Versicherten materiell befinde. 
5. 
Das Verfahren hat Versicherungsleistungen zum Gegenstand und ist deshalb kostenlos (Art. 134 erster Satz OG). Die Voraussetzungen für die Zusprechung einer Parteientschädigung sind nicht erfüllt: Während dem Beschwerdegegner als im vorliegenden Verfahren unterliegender Partei keine Entschädigung zusteht (Art. 159 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG), kann der obsiegenden Allianz von Gesetzes wegen keine Parteientschädigung zugesprochen werden (Art. 159 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 135 OG). 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 31. August 2005 aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen wird, damit sie die Adäquanz prüfe und über die Leistungsansprüche des Versicherten materiell befinde. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht, und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt. 
Luzern, 5. Oktober 2006 
 
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
 
Der Präsident der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber: