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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
5A_778/2019  
 
 
Urteil vom 6. Mai 2020  
 
II. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Escher, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Marazzi, Bovey, 
Gerichtsschreiber Buss. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Advokatin Dr. Helena Hess, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
B.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Esther Küng, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Definitive Rechtsöffnung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau, Zivilgericht, 5. Kammer, vom 19. August 2019 (ZSU.2019.61 / FH / RD). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die in Österreich wohnhafte B.________ (Jahrgang 1995) leitete gegen ihren Vater, A.________, eine Betreibung beim Betreibungsamt Birr für eine Forderung von Fr. 36'324.20 nebst Zins zu 4 % seit 14. Dezember 2013 und Fr. 103.30 Zahlungsbefehlskosten ein (Zahlungsbefehl Nr. xxx vom 29. Mai 2018). Als Forderungsurkunde mit Datum bzw. Forderungsgrund wurde angegeben: 
 
"Ausstehende Unterhaltsbeiträge für den Zeitraum 01.05.2011 bis 31.10.2015 gemäss Beschluss Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz vom 19.04.2017 mit Vollstreckbarkeitserklärung" 
Dagegen erhob A.________ Rechtsvorschlag. 
 
B.   
Am 6. Juli 2018 beantragte B.________ beim Bezirksgericht Brugg die definitive Rechtsöffnung. Das Bezirksgericht bejahte in seinem Urteil vom 26. Februar 2019 vorfrageweise die Anerkennung und Vollstreckbarkeit des österreichischen Urteils und erteilte daraufhin die definitive Rechtsöffnung für Fr. 36'144.10 nebst Zins. Eine vom Betriebenen gegen den Rechtsöffnungsentscheid erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 19. August 2019 ab. 
 
C.   
Gegen diesen Entscheid gelangte A.________ mit Beschwerde in Zivilsachen vom 30. September 2019 an das Bundesgericht. Der Beschwerdeführer verlangt die Aufhebung des obergerichtlichen Entscheids und die Verweigerung der von B.________ (Beschwerdegegnerin) verlangten Rechtsöffnung. 
Das Bundesgericht hat die kantonalen Akten beigezogen, hingegen keine Vernehmlassungen eingeholt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Angefochten ist das Urteil des Obergerichts als Rechtsmittelinstanz über einen definitiven Rechtsöffnungsentscheid, mithin eine Schuldbetreibungs- und Konkurssache. Die gesetzliche Streitwertgrenze ist erreicht. Die Beschwerde in Zivilsachen ist grundsätzlich zulässig (Art. 72 Abs. 2 lit. a, Art. 74 Abs. 1 lit. b, Art. 75 BGG).  
 
1.2. Mit Beschwerde in Zivilsachen im Sinne von Art. 72 ff. BGG kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht (Art. 95 lit. a BGG) und Völkerrecht (Art. 95 lit. b BGG) gerügt werden. In der Beschwerde ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2 BGG). Die Verletzung verfassungmässiger Rechte ist ebenfalls zu begründen, wobei hier das Rügeprinzip gilt. Die Begründung muss in der Beschwerde selbst enthalten sein (BGE 143 II 283 E. 1.2.2 und 1.2.3 S. 286).  
 
2.   
Die Vorinstanz hat im Ausgangspunkt erwogen, dass sich die Frage nach der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung des Beschlusses des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 19. April 2017, die vorliegend antragsgemäss vorfrageweise im Verfahren der Rechtsöffnung zu prüfen sei, nach dem Haager Übereinkommen vom 15. April 1958 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern (SR 0.211.221.432; im Folgenden Übereinkommen von 1958) richte, nachdem das Haager Übereinkommen vom 2. Oktober 1973 über die Anerkennung von Unterhaltsentscheidungen (SR 0.211.213.02) von Österreich nicht ratifiziert worden sei. Die Anwendbarkeit des Übereinkommens vom 15. April 1958 wird vom Beschwerdeführer nicht in Frage gestellt (vgl. dazu ARNET, Die Vollstreckbarerklärung schweizerischer Kindesunterhaltsverträge auf staatsvertraglicher Basis, Diss. Bern 2013, S. 49 ff., insbes. S. 51 Rz. 115; Art. 67 LugÜ). Unbestrittenermassen handelt es sich beim Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 18. April 2017 um einen in einem der Vertragsstaaten ergangenen Entscheid über den Unterhaltsanspruch eines Kindes im Sinne von Art. 1 des Übereinkommens, der in den anderen Vertragsstaaten grundsätzlich anzuerkennen und zu vollstrecken ist. 
 
 
3.   
Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch die Vorinstanz liegt nicht vor. Das Obergericht hat sich mit dem Standpunkt des Beschwerdeführers hinreichend auseinandergesetzt. So hat es die Vorbringen des Beschwerdeführers in seinem ausführlich begründeten Entscheid entweder als unter dem Aspekt der Ordre public-Widrigkeit nicht relevant oder in sachverhaltlicher Hinsicht als nicht substanziiert dargetan erachtet und auch darauf hingewiesen, dass es beim Ordre public-Einwand nicht um eine inhaltliche Überprüfung des den Rechtsöffnungstitel bildenden Entscheids in der Sache gehen kann. Es war dem Beschwerdeführer ohne Weiteres möglich, den obergerichtlichen Entscheid in Kenntnis von dessen Tragweite an das Bundesgericht weiterzuziehen (vgl. BGE 145 III 324 E. 6.1 S. 326 f.). Ob der angefochtene Entscheid auch inhaltlich überzeugt, ist keine Frage des rechtlichen Gehörs, sondern der materiellen Richtigkeit. 
 
4.   
Anlass zur Beschwerde gibt die Frage, ob der vorgelegte Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz mit der öffentlichen Ordnung der Schweiz offensichtlich unvereinbar ist (Art. 2 Ziff. 5 des Übereinkommens von 1958). 
 
4.1. Der Vorbehalt der öffentlichen Ordnung greift nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung dann Platz, wenn das einheimische Rechtsgefühl durch die Anerkennung und Vollstreckung eines ausländischen Urteils in unerträglicher Weise verletzt würde. Ein Urteil kann dabei sowohl wegen seines materiellen Inhalts wie wegen des Verfahrens, in welchem es zustande kam, gegen die öffentliche Ordnung der Schweiz verstossen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts sind der Anwendung der Ordre public-Klausel mit Bezug auf die Vollstreckung ausländischer Urteile engere Grenzen gezogen als auf dem Gebiet der direkten Gesetzesanwendung. Es kommt hinzu, dass das Haager Übereinkommen vom 15. April 1958 den Gebrauch des Vorbehalts einschränkt, indem es bestimmt, die Vollstreckung sei zu verweigern, wenn die Entscheidung mit der öffentlichen Ordnung "offensichtlich unvereinbar" ist (BGE 96 I 396 E. 4 S. 397 f.; 97 I 250 E. 6a S. 256 f.; vgl. auch das Urteil 5A_759/2008 vom 29. Dezember 2008 E. 5.1 zum praktisch gleichlautenden Art. 5 Ziff. 1 des Haager Übereinkommens vom 2. Oktober 1973 über die Anerkennung von Unterhaltsentscheidungen). Keineswegs darf unter dem Vorwand einer entsprechenden Prüfung eine verbotene "révision au fond" vorgenommen werden (vgl. Art. 2 Abs. 1 des Übereinkommens von 1958, "ohne sachliche Nachprüfung"; ARNET, a.a.O., S. 76 f. Rz. 187; JACCOTTET, Les obligations alimentaires envers les enfants dans les Conventions de la Haye, 1982, S. 100 f.).  
 
4.2. Im vorliegenden Fall ist der Bemühung des Ordre public-Vollstreckungsverweigerungsgrundes kein Erfolg beschieden, wie nachfolgend darzulegen ist.  
 
4.2.1. Unbegründet ist das Vorbringen des Beschwerdeführers, mit welchem dieser einen Verstoss gegen den materiellen Ordre public darin erblickt, dass der geschuldete Unterhalt ab 1. Mai 2011 abgeändert wurde, obschon ein behördlich genehmigter Unterhaltsvertrag vom 5. Dezember 1996 vorliegt und die Beschwerdegegnerin das Verfahren in Österreich erst am 24. Januar 2014 anhängig gemacht hat. Der in Art. 279 Abs. 1 ZGB festgeschriebene Grundsatz, dass ein Kind (immerhin) auch für das Jahr vor Anhebung der Klage Unterhalt verlangen kann, wird bei der Abänderung sinngemäss angewendet. Das gilt freilich nur zu Gunsten des Kindes und nicht zu seinem Nachteil (BGE 127 III 503 E. 3b/aa S. 504 f; 128 III 305 E. 6a S. 311; Urteil 5A_506/2011 vom 4. Januar 2012 E. 5.1, in: FamPra.ch 2012 S. 486; AESCHLIMANN, in: FamKomm Scheidung, Bd. I, 3. Aufl. 2017, N. 15 und 17 zu Art. 286 ZGB). Durch die österreichische Regelung - welche eine Unterhaltserhöhung rückwirkend für bis zu drei Jahre für die Vergangenheit zulässt - werden die grundlegenden Prinzipien der schweizerischen Rechtsordnung nicht auf schockierende Weise verletzt, wovon zu Recht auch die Vorinstanzen ausgegangen sind.  
 
4.2.2. Soweit der Beschwerdeführer argumentiert, es sei schockierend, dass es in Österreich keines Grundes für eine Abänderung des Unterhalts bedürfe, widerspricht dies den Ausführungen im zu vollstreckenden Entscheid. Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz hat - trotz Verspätung des Rekurses des Beschwerdeführers - erörtert, dass für eine Abänderung des Unterhalts geänderte Verhältnisse vorausgesetzt würden, vorliegend aber auch gegeben seien, zumal B.________ im Zeitpunkt des Abschlusses des Unterhaltsvertrages vom 5. Dezember 1996 gerade mal ein Jahr alt gewesen sei.  
 
4.2.3. Auch mit seinem Vorbringen, ein Verstoss gegen den schweizerischen Ordre public liege darin, dass der Unterhalt nach der Prozentregel bemessen worden sei, ohne Rücksicht darauf, ob er auch in der Lage sei, diesen Unterhalt zu bezahlen, gibt der Beschwerdeführer den Inhalt des Beschlusses des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 19. April 2017 nicht richtig wieder. Der Beschwerdeführer übergeht, dass das in der Schweiz höhere Preisniveau seinen Niederschlag in einer Reduktion des Unterhaltsbetrags gefunden hat und ausserdem eine Prüfung erfolgt ist, ob ihm ein ausreichender Teil seines Einkommens zur Deckung des eigenen Lebensbedarfs verbleibt. Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz hat dies bejaht und dazu festgehalten, dem Vater verbleibe nach Abzug der Unterhaltsleistungen an seine Gattin und seine drei Kinder ein Einkommensbetrag von EUR 3'889.56 (1.5. bis 31.12.2001), EUR 3'471.12 (1.1.2012 bis 30.9.2012), EUR 3'451.12 (1.10.2012 bis 31.12.2012) und EUR 3'535.10 (1.1.2013 bis 31.12 2013). Für die Jahre 2014 und 2015 erübrige sich eine detaillierte Berechnung, weil in diesen Jahren das Einkommen aufgrund des privaten Geldverbrauchs noch höher gewesen sei. Eine Verletzung des Ordre public ist in diesem Zusammenhang weder dargetan noch erkennbar.  
 
4.2.4. Zuletzt wiederholt der Beschwerdeführer vor Bundesgericht seine Kritik an den österreichischen Urteilen in zahlreichen weiteren Punkten (der Sachverständige im erstinstanzlichen österreichischen Verfahren, auf dessen Befund die Gerichte in der Folge abgestellt hätten, habe ein viel zu hohes Einkommen ermittelt; die höheren Lebenshaltungskosten in der Schweiz seien nicht angemessen berücksichtigt worden; es liege eine Verletzung des Grundsatzes der Geschwistergleichbehandlung vor, weil er den beiden Kindern in der Schweiz je Fr. 900.-- bezahle, die Tochter in Österreich aber über EUR 1'250.-- zugesprochen erhalten habe; sein hoher privater Geldverbrauch für den Zeitraum Juli 2014 bis Oktober 2015 hätte bei der Unterhaltsbemessung keine Rolle spielen dürfen). Mit dieser Kritik, welche insbesondere die Ermessensausübung und Beweiswürdigung betrifft, zielt der Beschwerdeführer eindeutig auf eine nicht statthafte Nachprüfung in der Sache ab (s. dazu vorne E. 4.1 am Ende). Selbst wenn das Einkommen des Beschwerdeführers tatsächlich etwas zu hoch festgesetzt worden sein sollte (was nach Auffassung der Vorinstanzen nicht rechtsgenüglich dargelegt worden sei), könnte ein solcher Mangel kaum je zur Annahme eines Ordre public-widrigen Urteils führen und müsste sich der Beschwerdeführer vorliegend ausserdem entgegenhalten lassen, dass er das Urteil des Bezirksgerichts Graz-West vom 13. Januar 2017 - im Gegensatz zur Beschwerdegegnerin - nicht fristgerecht mit Rekurs angefochten hat. Hinsichtlich der übrigen Darlegungen des Beschwerdeführers sei lediglich noch erwähnt, dass er mit Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 19. April 2017 vor Abzug bereits geleisteter Zahlungen im Schnitt zur Bezahlung eines Unterhaltsbeitrags an die Beschwerdegegnerin von EUR 971.40 (EUR 52'455.-- für 54 Monate) verpflichtet wurde und das Bezirksgericht Graz-West den unterschiedlichen Lebenshaltungskosten bei der Bemessung des Unterhalts durchaus bis zu einem gewissen Grade Rechnung getragen hat, indem der Unterhalt verglichen mit einer rein österreichischen Situation reduziert wurde. Auch die weiteren Unterhaltspflichten des Beschwerdeführers für die getrennt lebende Ehegattin sowie die beiden (im Vergleich zur Beschwerdegegnerin wesentlich jüngeren) ehelichen Kinder in der Schweiz wurden bereits vom Bezirksgericht Graz-West abgeklärt und haben in die Entscheidfindung der österreichischen Gerichte Einzug erhalten.  
 
5.   
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Ausgangsgemäss werden die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der Beschwerdegegnerin ist kein entschädigungspflichtiger Aufwand entstanden (Art. 68 Abs. 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Zivilgericht, 5. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 6. Mai 2020 
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Escher 
 
Der Gerichtsschreiber: Buss