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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
5A_411/2011 
 
Urteil vom 6. Juli 2011 
II. zivilrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin, 
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter L. Meyer, 
Gerichtsschreiber Zbinden. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Fürsprecher Jörg Roth, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
Regierungsstatthalteramt Bern, 
Amthaus, Hodlerstrasse 7, 3011 Bern, 
 
Gegenstand 
Fürsorgerische Freiheitsentziehung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Bern, kantonale Rekurskommission für fürsorgerische Freiheitsentziehungen, vom 15. Juni 2011. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
A.a X.________ wurde aufgrund einer Verfügung des Regierungsstatthalters Bern-Mittelland (Regierungsstatthalter) vom 10. Januar 2011 wegen einer kombinierten Persönlichkeitsstörung (ICD-10; F61.0) und (sekundärem) schädlichem Gebrauch multipler Substanzen seit Januar 2011 im Psychiatriezentrum A.________ zurückbehalten. Da es während dieses Aufenthalts zu einer körperlichen Bedrohung und zu Beschimpfungen (verbale Abwertung) der Therapeutin gekommen war, ordnete der Regierungsstatthalter am 4. Februar 2011 die Zurückbehaltung von X.________ in der Bewachungsstation des Inselspitals an, bis eine geeignete Einrichtung gefunden werde. 
 
A.b Mit Entscheid des Regierungsstatthalters vom 1. März 2011 wurde X.________ alsdann in die Universitären Psychiatrischen Dienste (UPD) eingewiesen, wo sie Pflegepersonal mit einem Messer bedrohte sowie Stühle und Tische gegen die Eingangstüre warf und diese beschädigte; ob ihres untragbaren Verhaltens musste sie durchwegs isoliert werden. Aufgrund dieser Gegebenheiten und weil in Kürze keine geeignete Anstalt gefunden werden konnte, wies der Regierungsstatthalter die Betroffene mit Verfügung vom 12. Mai 2011 auf unbestimmte Zeit in das Regionalgefängnis B.________ ein. Dagegen wehrte sich X.________ erfolglos. 
 
B. 
Am 1. Juni 2011 ersuchte die anwaltlich verbeiständete X.________ erneut um Entlassung, welche ihr der Regierungsstatthalter mit Verfügung vom 6. Juni 2011 verweigerte. Mit Entscheid vom 15. Juni 2011 wies das Obergericht des Kantons Bern (Rekurskommission für fürsorgerische Freiheitsentziehungen) das Regierungsstatthalteramt an, X.________ bis spätestens am 15. Juli 2011 aus dem Regionalgefängnis B.________ in eine geeignete Institution einzuweisen und schnellstmöglich parallel eine sozial-pädagogische und arbeitstherapeutische Betreuung im Regionalgefängnis B.________ einzurichten. 
 
C. 
Die anwaltlich verbeiständete X.________ hat gegen den ihr am 15. Juni 2011 im Dispositiv eröffneten Entscheid des Obergerichts am 17. Juni 2011 (Postaufgabe) beim Bundesgericht Beschwerde in Zivilsachen erhoben. Sie beantragt, den angefochtenen Entscheid sowie jenen des Regierungsstatthalters aufzuheben und sie umgehend aus der fürsorgerischen Freiheitsentziehung zu entlassen. 
 
Das Obergericht hat auf Vernehmlassung verzichtet. Der Regierungsstatthalter hat sich am 24. Juni 2011 vernehmen lassen. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Angefochten ist ein Entscheid der letzten kantonalen Instanz (Art. 90 BGG) im Bereich der fürsorgerischen Freiheitsentziehung (Art. 397a Abs. 1 ZGB) und damit ein öffentlich-rechtlicher Entscheid in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Zivilrecht (Art. 72 Abs. 2 lit. b Ziff. 6 BGG). Mit dem Obergericht hat überdies ein oberes kantonales Gericht als Rechtsmittelinstanz im Sinne von Art. 75 Abs. 1 BGG entschieden. Die Beschwerdeführerin hat am kantonalen Verfahren teilgenommen (Art. 76 Abs. 1 lit. a BGG), ist durch den angefochtenen Entscheid besonders berührt und hat damit ein schützenswertes Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung (Art. 76 Abs. 1 lit. b BGG). Auf die rechtzeitig eingereichte Beschwerde (Art. 100 Abs. 1 BGG) ist grundsätzlich einzutreten. 
 
2. 
2.1 Das Obergericht hat im angefochtenen Entscheid erkannt, beim Regionalgefängnis B.________ handle es sich an sich um eine ungeeignete Anstalt. Es hat aber den weiteren befristeten Verbleib der Beschwerdeführerin in diesem Gefängnis bis zum 15. Juli 2011 für vertretbar erachtet, weil die Beschwerdeführerin durch ihr Verhalten in verschiedenen Anstalten die Auswahl einer geeigneten Einrichtung erschwert bzw. verunmöglicht habe. Die Vorinstanz hat daher den Regierungsstatthalter angewiesen, die Beschwerdeführerin spätestens am 15. Juli 2011 aus dem Regionalgefängnis in eine geeignete Institution einzuweisen und schnellstmöglich parallel eine sozial-pädagogische und arbeitstherapeutische Betreuung im Regionalgefängnis einzurichten. 
 
2.2 Die Beschwerdeführerin macht geltend, nach dem in ihrer Sache ergangenen Entscheid des Bundesgerichts 5A_864/2009 dürfe eine Person auch bei Mangel an geeigneten Anstalten nicht länger als zwei bis drei Wochen in einer ungeeigneten Anstalt zurückbehalten werden. Im Bericht des forensisch-psychiatrischen Dienstes (FPD) vom 24. November 2009 werde auf die Ungeeignetheit des Regionalgefängnisses hingewiesen und festgehalten, im Rahmen der psychiatrischen Grundversorgung dieses Gefängnisses sei die erforderliche Behandlung der Beschwerdeführerin nicht durchführbar. Die Zurückbehaltung der Beschwerdeführerin in dieser Anstalt verletze damit Art. 397a Abs. 1 ZGB
 
2.3 Was unter einer geeigneten Anstalt zu verstehen ist, umschreibt das Bundesrecht (Art. 397a Abs. 1 ZGB) nicht näher (BGE 112 II 486 E. 3, auch zu den Gründen; zum Begriff der Anstalt allgemein BGE 121 III 306 E. 2b S. 308). Aus dem in der genannten Bestimmung erwähnten Zweck der fürsorgerischen Freiheitsentziehung, der eingewiesenen Person die nötige persönliche Fürsorge zu erbringen, ergibt sich aber, dass es sich um eine Institution handeln muss, die mit den ihr normalerweise zur Verfügung stehenden organisatorischen und personellen Mitteln in der Lage ist, die wesentlichen Bedürfnisse der eingewiesenen Person bezüglich Fürsorge und Betreuung zu befriedigen (BGE 112 II 486 E. 4c S. 490; 114 II 213 E. 7 S. 218). Mithin muss im Einzelfall das Betreuungs- und Therapieangebot der Anstalt den vorrangigen Bedürfnissen der betroffenen Person entsprechen (BGE 112 II 486 E. 5 und 6 S. 490 ff.). Eine Strafanstalt kommt ausnahmsweise als Anstalt im Sinn von Art. 397a ZGB infrage, wenn sie die wesentlichen Bedürfnisse der eingewiesenen Person bezüglich Fürsorge und Betreuung zu befriedigen vermag (BGE 112 II 486 E. 4c S. 490; 114 II 213 E. 7 S. 218). Das Bundesgericht hat zum Beispiel eine Strafanstalt als geeignet erachtet, die neben dem Vollzug von strafrechtlichen Massnahmen ausdrücklich auch auf den Vollzug von fürsorgerischen Freiheitsentziehungen ausgerichtet ist, über geschultes Personal zur Betreuung von fürsorgerisch eingewiesenen Personen verfügt und überdies eng mit der psychiatrischen Klinik zusammenarbeitet (Urteil 5A_519/2007 vom 10. Oktober 2007 E. 3.1). In einem weiteren Entscheid 5A_864/2009 vom 11. Januar 2009 hat das Bundesgericht überdies betont, auch bei einem Mangel an geeigneten Anstalten dürfe eine Person nicht länger als zwei bis drei Wochen in einer an sich ungeeigneten Anstalt zurückbehalten werden (E. 3). 
2.4 
2.4.1 Nach den unbestrittenen Ausführungen des Obergerichts leidet die Beschwerdeführerin nach wie vor an einer kombinierten, emotional instabilen Persönlichkeitsstörung mit impulsiven und dissozialen Anteilen in erheblicher Schwere sowie unter einem schädlichen Gebrauch multipler psychotroper Substanzen. Aus der Stellungnahme des forensisch-psychiatrischen Dienstes vom 10. Juni 2011 geht hervor, dass sich die Beschwerdeführerin nach wie vor nicht deutlich von ihren Tötungsfantasien distanzieren kann. Das Obergericht erblickt darin unwidersprochen einen Schwächezustand im Sinne von Art. 397a Abs. 1 ZGB. Nicht bestritten ist ferner, dass die Beschwerdeführerin persönlicher Fürsorge bedarf, die ihr nur in einer Anstalt gewährt werden kann. Der angefochtene Entscheid verweist in diesem Zusammenhang auf Dr. Z.________, die in ihren Ausführungen eine offene oder halb offene Lösung zurzeit nicht für angebracht hält, da die Beschwerdeführerin bei einer solchen Lösung sofort aus dem Ruder laufe. Hervorzuheben ist ebenso, dass der geschlossene Rahmen des Gefängnisses sich laut dem Führungsbericht und der Stellungnahme des forensisch-psychiatrischen Dienstes, je vom 10. Juni 2011, auf die Beschwerdeführerin positiv auswirkt. In diesem Rahmen mit seinen streng organisierten Strukturen ist die Beschwerdeführerin bloss minimalen Stresssituationen ausgesetzt, was sich scheinbar positiv auf ihr Selbst- und Fremdgefährdungspotenzial auswirkt. 
 
2.4.2 Die Rekurskommission räumt ein, dass es sich beim Regionalgefängnis um eine "suboptimale" Lösung handelt. Aus dem angefochtenen Entscheid ergibt sich immerhin, dass vonseiten des Regierungsstatthalters verschiedene erfolglose Versuche unternommen worden sind, um die Beschwerdeführerin in einer geeigneten Anstalt zu platzieren. Ein langdauernder Aufenthalt im Psychiatriezentrum A.________ erwies sich als unmöglich, da es während dieses Aufenthalts zu einer körperlichen Bedrohung und zu Beschimpfungen (verbale Abwertung) der Therapeutin gekommen war. Auch die Universitären Psychiatrischen Dienste (UPD) verweigerten eine langfristige Unterbringung der Beschwerdeführerin, weil diese ob ihres untragbaren Verhaltens (Bedrohung des Pflegepersonals mit einem Messer; Beschädigung der Eingangstüre) durchwegs isoliert werden musste. Die Anstalt C.________ hat ein Aufnahmegesuch abgelehnt, weil die Fremdgefährdung der Beschwerdeführerin als zu hoch eingeschätzt worden ist. 
 
2.5 Mit Blick auf diese tatsächlichen Gegebenheiten des konkreten Falles kann der Entscheid 5A_864/2009 entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht unbesehen auf den vorliegend zu beurteilenden Fall übertragen werden. Hier erweist sich als wesentlich, dass die Beschwerdeführerin durch ihr untragbares Verhalten gegenüber Therapeuten und anderen Personen eine rechtzeitige und dauerhafte Unterbringung in einer geeigneten Anstalt verunmöglicht hat. Unter Berücksichtigung dieses obstruierenden Verhaltens der Beschwerdeführerin ist die vom Obergericht gewählte Lösung im Lichte von Art. 397a Abs. 1 ZGB vertretbar, zumal bei der Beschwerdeführerin unbestritten ein Schwächezustand im Sinn von Art. 397a Abs. 1 ZGB gegeben ist, dem nur mit einer stationären Behandlung begegnet werden kann. Die auf einen sehr kurzen Zeitraum begrenzte Lösung rechtfertigt sich umso mehr, als parallel zur Suche nach einer geeigneten Anstalt schnellstmöglich eine sozialpädagogische und arbeitstherapeutische Betreuung einzurichten ist und der Beschwerdeführerin während der Übergangsphase im Gefängnis zumindest ein Minimum an erforderlicher Behandlung gewährt werden kann (vgl. 5A_864/2009 vom 11. Januar 2011 E. 4). Soweit die Beschwerdeführerin behauptet, ihr Gesundheitszustand habe sich im Gefängnis zunehmend verschlechtert, handelt es sich um eine tatsächliche Behauptung, die im angefochtenen Entscheid keine Stütze findet. Im Gegenteil wird darauf hingewiesen, dass sich ihr Gesundheitszustand verbessert hat. Die Beschwerdeführerin legt nicht dar, inwiefern dieser Hinweis willkürlich sein könnte. 
 
3. 
Damit ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Den Verhältnissen des konkreten Falles entsprechend werden keine Kosten erhoben (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
4. 
Das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren ist gutzuheissen, soweit es angesichts der Kostenlosigkeit des Verfahrens nicht gegenstandslos geworden ist. Die Beschwerdeführerin gilt als bedürftig; überdies hat die Beschwerde im Lichte des Entscheides 5A_864/2009 nicht als von vornherein aussichtslos gegolten. Der Beschwerdeführerin ist ein amtlicher Rechtsbeistand zu bestellen; dieser ist für seine Bemühungen aus der Bundesgerichtskasse zu honorieren (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann. 
 
2. 
Das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen, soweit es nicht gegenstandslos geworden ist. Ihr wird Fürsprecher Jörg Roth als amtlicher Rechtsbeistand bestellt. 
 
3. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
4. 
Fürsprecher Jörg Roth wird für seine Bemühungen im bundesgerichtlichen Verfahren ein Honorar von Fr. 2'000.-- aus der Bundesgerichtskasse entrichtet. 
 
5. 
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, Y.________, Beiständin, und dem Obergericht des Kantons Bern, kantonale Rekurskommission für fürsorgerische Freiheitsentziehungen, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 6. Juli 2011 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber: 
 
Hohl Zbinden