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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_29/2022  
 
 
Urteil vom 6. Dezember 2022  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Parrino, Präsident, 
Bundesrichter Stadelmann, 
Bundesrichterin Moser-Szeless, 
Gerichtsschreiberin Nünlist. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch ihre Tochter B.________, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons St. Gallen, 
Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen 
vom 23. November 2021 (IV 2020/199). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die am 13. Februar 1948 geborene A.________ wurde im Mai 1997 von ihrem damaligen Amtsvormund unter Verweis auf eine "paranoide katatonische Schizophrenie" bei der Eidgenössischen Invalidenversicherung (IV) zum Rentenbezug angemeldet. Nach Abklärungen sprach ihr die IV-Stelle des Kantons St. Gallen mit Verfügung vom 13. Februar 1998 rückwirkend ab 1. Mai 1996 eine ganze Rente zu. 
Anlässlich einer im Jahre 2000 eingeleiteten revisionsweisen Überprüfung der Invalidenrente teilte der Amtsvormund der IV-Stelle am 21. Juni 2000 mit, dass der Aufenthalt der Versicherten nach der Flucht aus einer stationären Unterbringung Ende 1999 "sämtlichen Beteiligten" unbekannt sei. Daraufhin veranlasste die IV-Stelle die Sistierung der Rentenauszahlung, welche per 31. Juli 2000 vorgenommen wurde (Mitteilung vom 3. Juli 2000). 
Im Mai 2001 informierte B.________, die Tochter der Versicherten, die IV-Stelle darüber, dass sie zwischenzeitlich zur Beirätin ihrer Mutter ernannt worden war und fragte nach dem Grund für die Rentensistierung. Am 9. September 2001 erkundigte sich B.________ erneut bei der IV-Stelle nach der Ausrichtung der Invalidenrente. Hierauf antwortete ihr die Verwaltung mit Schreiben vom 14. September 2001. 
Nach einer weiteren Kontaktaufnahme mit der IV-Stelle am 4. Juni 2012 teilte B.________ ihr mit Schreiben vom 11. Mai 2020 mit, dass der Aufenthaltsort ihrer Mutter seit Dezember 2019 wieder bekannt sei, und ersuchte um rückwirkende Wiederausrichtung der sistierten Invalidenrente. Nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren wies die IV-Stelle "das Leistungsbegehren" mit Verfügung vom 22. Juli 2020 ab. 
 
B.  
Die hiergegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 23. November 2021 ab. 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird die Aufhebung des angefochtenen Entscheids sowie der Verfügung vom 22. Juli 2020 beantragt. Weiter wird um rückwirkende Ausrichtung der Invalidenrente ab Zeitpunkt der Sistierung im Jahre 2000 ersucht, eventualiter nach Weiterführung des im Juni 2000 eingeleiteten Revisionsverfahrens. 
Die Beschwerdegegnerin und das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) verzichten auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG) und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.  
Streitig und zu prüfen ist, ob Bundesrecht verletzt wurde, indem die Vorinstanz eine rückwirkende Wiederausrichtung der Invalidenrente verneint hat. 
 
3.  
Das kantonale Gericht hat seinen Entscheid damit begründet, dass die Verfügung vom 22. Juli 2020 eine Aufhebung des bis dahin geltenden vorsorglichen Auszahlungsstopps und eine materielle, revisionsweise Aufhebung des Rentenanspruchs per Ende Februar 2012 enthalten habe, denn der Rentenanspruch sei davor nie verfügungsweise zufolge Erreichens des ordentlichen Rentenalters aufgehoben worden. Als dritten Gegenstand habe die angefochtene Verfügung die Verweigerung der Rentennachzahlung für die Jahre 2000 bis 2012 zufolge Verwirkung der Nachzahlung enthalten. Die Beschwerde vom 14. September 2020 richte sich offenkundig weder gegen die Aufhebung des vorsorglichen Auszahlungsstopps noch gegen die materielle, revisionsweise Rentenaufhebung per Ende Februar 2012, sodass die angefochtene Verfügung bezüglich dieser beiden Gegenstände unangefochten in formelle Rechtskraft erwachsen sei. Gegenstand des kantonalen Beschwerdeverfahrens bilde damit einzig die Frage nach der Verwirkung der Rentennachzahlung für die Jahre 2000 bis 2012. Unter Berufung auf Art. 24 Abs. 1 ATSG hat die Vorinstanz weiter erwogen, dass sämtliche ausstehenden Rentenzahlungen für die im Zeitpunkt der Sistierungsaufhebung mehr als fünf Jahre zurückliegende Zeit verwirkt seien. Die Sistierung hätte frühestens im Dezember 2019 aufgehoben werden können, was bedeute, dass (zumindest) alle ausstehenden Rentenleistungen für die Zeit vor Dezember 2014 - und folglich alle noch bis zur Aufhebung des Rentenanspruchs per Ende Februar 2012 geschuldeten Rentenzahlungen - definitiv verwirkt seien. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin habe die Beschwerdegegnerin auch kein berechtigtes Vertrauen der Beschwerdeführerin geweckt, dass die Rentenauszahlung auf jeden Fall, also ungeachtet einer allfälligen Verwirkung, rückwirkend per 1. August 2000 wieder aufgenommen werde, sobald der Aufenthaltsort der Beschwerdeführerin bekannt sei. 
 
4.  
 
4.1. Art. 24 Abs. 1 ATSG sieht vor, dass der Anspruch auf ausstehende Leistungen oder Beiträge fünf Jahre nach dem Ende des Monats, für welchen die Leistung, und fünf Jahre nach dem Ende des Kalenderjahres, für welches der Beitrag geschuldet war, erlischt. Mit Art. 24 Abs. 1 ATSG ist der Tatbestand der Festsetzungsverwirkung bundesrechtlich geregelt. Davon zu unterscheiden ist die Verwirkung der Vollstreckung, welche von dieser Norm nicht erfasst wird (BGE 146 V 1 E. 8.1 mit Hinweisen).  
Hinsichtlich der Vollstreckung rechtskräftig festgesetzter sozialversicherungsrechtlicher Forderungen respektive Leistungen gilt - wo das massgebliche Einzelgesetz keine Regelung enthält - auch nach Inkrafttreten des ATSG zweigübergreifend eine Verwirkungsfrist von zehn Jahren (BGE 146 V 1 E. 8 mit Hinweisen, insbesondere auf BGE 127 V 209 sowie für die Invalidenversicherung auf SVR 2002 IV Nr. 15 S. 47, I 424/99; vgl. auch BGE 131 V 4 E. 3.4 mit Hinweisen). 
Zur Wahrung der Frist genügen im Sozialversicherungsrecht, insbesondere für die Geltendmachung von Leistungen, wo bereits die Anmeldung im Sinne von Art. 29 ATSG ausreicht, alle Akte, namentlich einfache schriftliche Erklärungen, mit denen die Forderung gegenüber dem Schuldner in geeigneter Weise geltend gemacht wird (vgl. BGE 133 V 579 E. 4.3.1 mit Hinweisen; Urteil 9C_235/2018 vom 2. Juli 2018 E. 2.2.2 mit Hinweisen; vgl. etwa BGE 146 V 1 E. 8.3; 127 V 209 E. 2b; SVR 2002 IV Nr. 15 S. 47, I 424/99 E. 3; vgl. auch THOMAS MEIER, Verjährung und Verwirkung öffentlich-rechtlicher Forderungen, 2013, S. 269). 
 
4.2. Der in Art. 9 BV verankerte Grundsatz von Treu und Glauben statuiert ein Verbot widersprüchlichen Verhaltens und verleiht einer Person Anspruch auf Schutz des berechtigten Vertrauens in behördliche Zusicherungen oder sonstiges Verhalten der Behörden, das bestimmte Erwartungen zu begründen vermag. Für eine Berufung auf Vertrauensschutz, die eine vom materiellen Recht abweichende Behandlung der Rechtsuchenden gebieten kann, setzt die Rechtsprechung (kumulativ) voraus, dass:  
a) es sich um eine vorbehaltlose Auskunft der Behörden handelt; 
b) die Auskunft sich auf eine konkrete, eine bestimmte Person berührende Angelegenheit bezieht; 
c) die Amtsstelle, welche die Auskunft gegeben hat, dafür zuständig war oder die rechtsuchende Person sie aus zureichenden Gründen als zuständig betrachten durfte; 
d) die Person die Unrichtigkeit der Auskunft nicht ohne Weiteres hat erkennen können; 
e) die Person im Vertrauen hierauf nicht ohne Nachteil rückgängig zu machende Dispositionen getroffen hat; 
f) die Rechtslage zur Zeit der Verwirklichung noch die gleiche ist wie im Zeitpunkt der Auskunftserteilung; 
g) das Interesse an der richtigen Durchsetzung des objektiven Rechts dasjenige am Vertrauensschutz nicht überwiegt (zum Ganzen: BGE 143 V 95 E. 3.6.2 mit Hinweisen). 
Als nachteilige Disposition (lit. e hiervor) kann auch eine Unterlassung gelten. Erforderlich ist, dass der Adressat die Disposition im Vertrauen auf die Richtigkeit der Auskunft getroffen bzw. unterlassen hat, was ihm zum Nachteil gereicht. Die behördliche Auskunft muss somit für die nachteilige Disposition kausal sein. Ein solcher Kausalzusammenhang ist gegeben, wenn angenommen werden kann, der Adressat hätte sich ohne die fehlerhafte Auskunft anders verhalten. An den Beweis des Kausalzusammenhangs zwischen Auskunft und Disposition bzw. Unterlassung werden nicht allzu strenge Anforderungen gestellt, es ist kein strikter Beweis erforderlich. Bereits aus dem Umstand, dass der Adressat Erkundigungen einholt, erwächst eine natürliche Vermutung dafür, dass er im Falle eines negativen Entscheides ein anderes Vorgehen gewählt hätte. Der erforderliche Kausalitätsnachweis darf deshalb schon als geleistet gelten, wenn es aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung als glaubhaft erscheint, dass sich der Betreffende ohne die fragliche Auskunft anders verhalten hätte. Auch für den hypothetischen Kausalverlauf verlangt die Rechtsprechung keinen strikten Beweis. Es genügt, wenn das Gericht zur Überzeugung gelangt, dass die überwiegende Wahrscheinlichkeit für einen bestimmten Geschehensablauf spricht. Kognitionsrechtlich betrifft die Beurteilung des hypothetischen Kausalverlaufs eine vom Bundesgericht frei überprüfbare Rechtsfrage, wenn sie gestützt auf die allgemeine Lebenserfahrung erfolgt ist. Um eine nur eingeschränkt überprüfbare Tatfrage geht es hingegen, wenn aufgrund einer konkreten Beweiswürdigung entschieden worden ist (Urteil 8C_458/2021 vom 25. Januar 2022 E. 5.3.1 mit Hinweisen, SVR 2022 ALV Nr. 26 S. 92). 
 
4.3. Gemäss Art. 30 IVG erlischt der Anspruch auf eine Invalidenrente mit der Entstehung des Anspruchs auf eine Altersrente der Alters- und Hinterlassenenversicherung oder mit dem Tod des Berechtigten. Mit Erreichen des AHV-Rentenalters der invaliden Person tritt ein neuer Versicherungsfall ein, der zur Ablösung der bisherigen Invalidenrente durch eine Altersrente führt (vgl. BGE 117 V 121 E. 3).  
Anspruch auf eine Altersrente haben Frauen, welche das 64. Altersjahr vollendet haben (Art. 21 Abs. 1 lit. b AHVG). Der Anspruch auf die Altersrente entsteht am ersten Tag des Monats, welcher der Vollendung des gemäss Absatz 1 massgebenden Altersjahres folgt. Er erlischt mit dem Tod (Art. 21 Abs. 2 AHVG). 
 
5.  
Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV) im Sinne der Begründungspflicht geltend macht, kann ihr nicht gefolgt werden. Dem angefochtenen Entscheid ist zu entnehmen, von welchen Überlegungen sich die Vorinstanz leiten liess. Eine sachgerechte Anfechtung war der Beschwerdeführerin somit möglich. Im Zusammenhang mit der Verneinung der Wiederausrichtung der Invalidenrente ab 1. März 2012 hat das kantonale Gericht sodann zwar eine neue Begründung herangezogen (revisionsweise Aufhebung des Rentenanspruchs per Ende Februar 2012), ohne die Beschwerdeführerin diesbezüglich vorgängig anzuhören. Auch dieser Umstand rechtfertigt jedoch keine Aufhebung des angefochtenen Entscheides, da die Rückweisung angesichts der klaren gesetzlichen Regelung betreffend das Erlöschen des Anspruchs auf eine Invalidenrente (vgl. E. 6 hiernach) einem formalistischen Leerlauf gleichkäme (BGE 136 V 117 E. 4.2.2.2 mit Hinweisen). 
 
6.  
Die Beschwerdeführerin erreichte am 13. Februar 2012 das AHV-Rentenalter von 64 Jahren. Zu diesem Zeitpunkt ist ein neuer Versicherungsfall eingetreten und der Anspruch auf eine Invalidenrente damit von Gesetzes wegen per 1. März 2012 (Beginn des Anspruchs auf eine AHV-Altersrente, E. 4.3 hiervor) erloschen. Soweit die Vorinstanz die Ausrichtung einer Invalidenrente für den Zeitraum ab dem 1. März 2012 verneint hat, hat sie daher kein Bundesrecht verletzt. 
 
7.  
Zu prüfen bleibt der Anspruch auf Ausrichtung der ganzen Invalidenrente zwischen dem 1. August 2000 (die Sistierung der Invalidenrente war per 31. Juli 2000 erfolgt) und dem 29. Februar 2012. Die Vorinstanz schliesst auf Verwirkung hinsichtlich sämtlicher ausstehender Rentenleistungen von vor Dezember 2014. 
 
7.1. Vorweg ist relevant, dass über die Beschwerdeführerin am 17. April 2001 eine Beiratschaft nach aArt. 395 ZGB mit dem besonderen Auftrag "Vermögensverwaltung" errichtet wurde, wobei B.________ zur Beirätin ihrer Mutter ernannt wurde. Seit dem 27. Mai 2015 besteht eine Vertretungsbeistandschaft mit Einkommens- und Vermögensverwaltung nach Art. 394 Abs. 1 i.V.m. Art. 395 Abs. 1 und 3 ZGB. Im Umfang der übertragenen Aufgaben ist B.________ gesetzliche Vertreterin der Beschwerdeführerin und handelt selbständig und direkt mit Wirkung für diese (IVO BIDERBOST, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I, 7. Aufl. 2022, N. 1, 18 und 20 zu Art. 394, N. 2 und 14 zu Art. 395).  
 
7.2.  
 
7.2.1. Zu Recht gerügt wird die Verletzung von Bundesrecht, indem die Vorinstanz sich im Zusammenhang mit der Verwirkung der Rentenleistungen auf Art. 24 Abs. 1 ATSG berufen hat. Vorliegend geht es um die Vollstreckung rechtskräftig zugesprochener Leistungen. Gemäss zitierter bundesgerichtlicher Rechtsprechung (E. 4.1 hiervor) kommt diesbezüglich eine 10-jährige Verwirkungsfrist zur Anwendung.  
 
7.2.2. Nachdem die mit Verfügung vom 13. Februar 1998 rückwirkend ab 1. Mai 1996 zugesprochene ganze Invalidenrente per 31. Juli 2000 sistiert worden war, verlangte B.________ am 9. September 2001 erstmals bei der Beschwerdegegnerin die Ausrichtung (zumindest eines Teils) der Rente. Diese Handlung ist als fristwahrende Vorkehr im Sinne der Rechtsprechung zu qualifizieren (E. 4.1 und 7.1 hiervor).  
Der Rentenanspruch stellt eine Dauerschuld der Invalidenversicherung dar, bei welcher die einzelnen periodischen Leistungen (Rentenbetreffnisse) monatlich entstehen. Mit der seitens der gesetzlichen Vertreterin im September 2001 vorgenommenen Intervention wurde die 10-jährige Verwirkungsfrist endgültig gewahrt. Denn für den darauffolgenden Zeitraum greift der Vertrauensschutz, auf welchen sich die Beschwerdeführerin beruft (E. 4.2 hiervor). Dies bleibt nachfolgend aufzuzeigen. 
 
7.3. Die Beschwerdeführerin beruft sich (unter anderem) bezüglich der von der Beschwerdegegnerin am 14. September 2001 erteilten Auskunft auf die Anfrage vom 9. September 2001 auf den Vertrauensschutz (E. 4.2 hiervor).  
 
7.3.1. Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass der Vertrauensschutz vorliegend hinsichtlich der Auskünfte gegenüber B.________ als gesetzliche Vertreterin der Beschwerdeführerin zu prüfen ist. Dies, nachdem eine Vertretungsbeistandschaft mit Einkommens- und Vermögensverwaltung nach Art. 394 Abs. 1 i.V.m. Art. 395 Abs. 1 und 3 ZGB besteht (E. 7.1 hiervor).  
 
7.3.2. Im Schreiben vom 14. September 2001 beantwortete die Beschwerdegegnerin die Anfrage von B.________ vom 9. September 2001 betreffend die Ausrichtung der Invalidenrente wie folgt:  
 
"Wir bedauern, dass Ihnen trotz des unbekannten Aufenthaltes Ihrer Mutter verschiedene Kosten, wie Krankenkasse- und AHV-Beiträge entstehen. 
Wir haben leider keine Möglichkeit darauf Einfluss zu nehmen. Wir können Ihnen lediglich empfehlen, sich mit diesem Problem direkt an die zuständigen Stellen zu wenden. 
Zur Durchführung der per 01.06.2000 anberaumten Rentenrevision, benötigen wir, wie bereits verschiedentlich von uns geäussert, einen aktuellen Arztbericht. Sobald dieser bei uns eintrifft, werden wir die sistierten Rentenzahlungen sofort und rückwirkend wieder aufnehmen. 
Wir hoffen, dass sich Ihre Mutter bald bei Ihnen meldet und ihren Aufenthaltsort bekannt gibt, damit die notwendigen Schritte eingeleitet werden können." 
 
7.3.3. Was die erste Voraussetzung des Vertrauensschutzes (vgl. E. 4.2 hiervor) angeht, so ist die Auskunft vorbehaltlos dahingehend erfolgt, dass sobald ein aktueller Arztbericht bei der Beschwerdegegnerin eintreffe, die sistierten Rentenzahlungen sofort und rückwirkend wieder aufgenommen würden (lit. a). Weiter bezog sich die Auskunft auf die (rückwirkende) Wiederausrichtung der Invalidenrente an die Beschwerdeführerin und betraf damit eine konkrete, eine bestimmte Person berührende Angelegenheit (lit. b). Die Information stammte sodann von der Beschwerdegegnerin als der zuständigen Behörde (lit. c).  
Die im Schreiben enthaltene Zusicherung erweckte den Anschein, die Invalidenrente würde bei einem Wiederauftauchen der Beschwerdeführerin vorbehaltlos rückwirkend wieder ausgerichtet. In dieser Absolutheit, ohne jegliche - wenn auch allgemein gehaltene - Bezugnahme auf zeitliche Aspekte (insbesondere hinsichtlich der Vollstreckbarkeit), war die Zusicherung unvollständig und damit unrichtig. Unter Berücksichtigung der gesamten Umstände konnte B.________ die Unrichtigkeit der Auskunft nicht ohne Weiteres erkennen: Diesbezüglich ist insbesondere relevant, dass sich die gesetzliche Vertreterin äusserst pflichtbewusst verhielt. Neben dem Umstand, dass sie die Beiratschaft frühzeitig bei der Beschwerdegegnerin anmeldete, war sie offenkundig um die Wiederausrichtung der Invalidenrente bekümmert, indem sie dies wiederholt gegenüber der Beschwerdegegnerin anzeigte (Schreiben vom 30. Mai und 9. September 2001). Sodann informierte sie die Beschwerdegegnerin über die Besonderheiten des konkreten Falles. So war der Beschwerdegegnerin bewusst, dass die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Auskunft rund zwei Jahre spurlos verschwunden und schon in der Vergangenheit mehrfach über kürzere oder längere Zeit unauffindbar gewesen war. Mit Blick hierauf durfte die gesetzliche Vertreterin davon ausgehen, dass sie in dieser doch sehr ungewöhnlichen Angelegenheit von der zuständigen Behörde am 14. September 2001 umfassend und korrekt informiert worden war. Schliesslich war dies gerade das Ziel ihrer Erkundigungen. Daran ändert nichts, dass B.________ damals als angehende Juristin wohl über gewisse Rechtskenntnisse verfügte (lit. d). 
Die nicht ohne Nachteil wieder gutzumachende Disposition läge im Falle einer Verwirkung in der Unterlassung weiterer fristwahrender Handlungen nach dem 9. September 2001. Wie die Beschwerdeführerin selbst geltend macht, wurde ihr mit der in zeitlicher Hinsicht vorbehaltlosen Zusicherung betreffend die rückwirkende Wiederausrichtung der Invalidenrente jeder Grund genommen, weitere (insbesondere fristwahrende) Vorkehren zu treffen. Es erscheint daher aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung glaubhaft, dass sich B.________ bei vollständiger und damit korrekter Auskunft anders verhalten hätte. Ein Kausalzusammenhang zwischen der behördlichen Auskunft und ihrem Unterlassen wäre zu bejahen (lit. e). 
Die Rechtslage hinsichtlich der Vollstreckungsverwirkung hat seit der Auskunftserteilung weiter nicht geändert (lit. f). 
Schliesslich steht in der vorliegenden Konstellation dem Vertrauen der Beschwerdeführerin auf die rückwirkende Ausrichtung der Invalidenrente allein die allfällige (Vollstreckungs-) Verwirkung gegenüber. Im Allgemeinen kann der Grundsatz von Treu und Glauben rechtsprechungsgemäss der Anwendung einer Verwirkungsfrist entgegenstehen, namentlich dann, wenn der Schuldner den Gläubiger durch ein dessen Vertrauen erweckendes Verhalten von der rechtzeitigen Geltendmachung seines Anspruchs abgehalten hat (Urteil 2C_707/2010 vom 15. April 2011 E. 4.7.1 mit Hinweisen). Für den Bereich des Sozialversicherungsrechts nahm das Bundesgericht mit BGE 116 V 298 eine abstrakte Interessenabwägung zugunsten des Vertrauensprinzips als allgemeinem Rechtsgrundsatz vor. Dabei erwog es insbesondere, das Bedürfnis nach einer vom Gesetz abweichenden Behandlung, welches durch das Vertrauensprinzip verkörpert werde, stehe notwendigerweise im Spannungsverhältnis zum Gebot der rechtsgleichen Gesetzesanwendung. Auf diesem Hintergrund vermöge die Annahme, gewisse Gesetzesbestimmungen würden als Sonderregelung den verfassungsmässigen Anspruch auf Vertrauensschutz ohne weiteres ausschliessen, andere dagegen nicht, im Lichte der gestiegenen Bedeutung, welche Lehre und Rechtsprechung dem Vertrauensschutz heute zumessen würden, nicht mehr zu überzeugen (E. 4c mit Hinweis; siehe auch BGE 121 V 71 E. 3 mit Hinweisen, Urteil 9C_462/2015 vom 5. August 2015 E. 2 mit Hinweisen). Was für positivrechtliche Sonderregeln gilt, muss umso mehr auch bei einer von der Rechtsprechung eingeführten Sonderregelung wie hier (vgl. E. 4.1 hiervor) zum Tragen kommen (vgl. auch THOMAS MEIER, a.a.O., S. 101). 
Mit Blick auf das Dargelegte geht das berechtigte Vertrauen der Beschwerdeführerin einer allfälligen Verwirkung vor. Diesbezüglich fällt vor allem ins Gewicht, dass B.________ als gesetzliche Vertreterin darum bemüht war, die (ganze) Invalidenrente ihrer schwer kranken Mutter auch während deren Abwesenheit zu wahren. Im Rahmen ihrer wiederholten expliziten Erkundigungen nach der Rente hatte sie die Beschwerdegegnerin insbesondere auch darüber informiert, dass die Beschwerdeführerin bereits früher wiederholt während längerer Zeit abwesend gewesen war. Unter diesen Umständen hatte die für die Beschwerdeführerin handelnde Beiständin einen Anspruch darauf - zumindest in allgemeiner Weise - auf allfällige Vollstreckungshindernisse hingewiesen zu werden. Das Vertrauen auf die behördliche Zusicherung betreffend rückwirkende Wiederausrichtung der Invalidenrente wiegt bei dieser Sachlage höher als die Anwendung des objektiven Rechts, wonach zumindest ein Teil der Rentenbetreffnisse verwirkt sein könnte (lit. g). 
Zusammenfassend sind somit sämtliche Voraussetzungen des Vertrauensschutzes erfüllt. 
 
7.4. Nachdem für den Zeitraum ab dem 9. September 2001 (fristwahrende Handlung) aufgrund der Zusicherung der Beschwerdegegnerin vom 14. September 2001 der Vertrauensschutz greift, ist die Beschwerdeführerin für den Zeitraum vom 1. August 2000 bis zum 29. Februar 2012 grundsätzlich in ihrem Vertrauen auf die rückwirkende Ausrichtung der ganzen Invalidenrente zu schützen.  
Die Beschwerdegegnerin hat die Ausrichtung der Invalidenrente anlässlich einer Revision per 31. Juli 2000 sistiert. Voraussetzung für die Wiederausrichtung der Rente ist eine Bestätigung, wonach sich der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin im relevanten Zeitraum zwischen dem 1. August 2000 und dem 29. Februar 2012 nicht geändert hat. Hierfür bieten die aktenkundigen medizinischen Berichte aus dem Jahre 2020 zwar gewisse Anhaltspunkte. Dennoch braucht es eine fachärztlich-medizinische Beurteilung zur Frage, ob aus der Verfassung, in der die Beschwerdeführerin im Dezember 2019 aufgegriffen wurde (Berichte vom 4. März 2020 der Psychiatrischen Klinik C.________ und vom 19. Juni 2020 der Psychiatrischen Dienste D.________), auf einen unveränderten Zustand geschlossen werden kann. Hierzu ist die Sache an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen, damit sie nach Vervollständigung der medizinischen Aktenlage die offene Frage im Rahmen eines psychiatrischen (Akten-) Gutachtens klärt. 
 
8.  
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 Abs. 1 und Abs. 4 lit. a BGG). Die Parteien haben die Gerichtskosten im Masse ihres Unterliegens je hälftig zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdeführerin hat Anspruch auf eine reduzierte Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 2 BGG). 
Zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens ist die Sache an das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen zurückzuweisen (Art. 67 und Art. 68 Abs. 5 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 23. November 2021 und die Verfügung der IV-Stelle des Kantons St. Gallen vom 22. Juli 2020 werden hinsichtlich der Ausrichtung einer ganzen Invalidenrente für den Zeitraum vom 1. August 2000 bis 29. Februar 2012 aufgehoben. Die Sache wird an die Beschwerdegegnerin zu weiteren Abklärungen im Sinne der Erwägungen und neuem Entscheid zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden je zu Fr. 400.- den Parteien auferlegt. 
 
3.  
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1400.- zu entschädigen. 
 
4.  
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen zurückgewiesen. 
 
5.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 6. Dezember 2022 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Parrino 
 
Die Gerichtsschreiberin: Nünlist