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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
8C_756/2017  
 
 
Urteil vom 7. März 2018  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichter Frésard, Wirthlin. 
Gerichtsschreiber Jancar. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Prof. Dr. Tarkan Göksu, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Freiburg, 
Route du Mont-Carmel 5, 1762 Givisiez, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Arbeitsunfähigkeit; Invalidenrente), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid 
des Kantonsgerichts Freiburg 
vom 21. September 2017 (608 2015 236). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Der 1987 geborene A.________ arbeitete ab 1. März 2008 bis 31. Dezember 2010 bei der B.________ SA als Hotspotleiter. Am 27. Januar 2011 meldete er sich bei der IV-Stelle des Kantons Freiburg zum Leistungsbezug an. Diese veranlasste eine Evaluation des neuropsychologischen Funktionspotentials der neuropsychiatrisch-neuropsychologischen Abklärungs- und Begutachtungsstelle C.________ vom 29. Juni 2012 sowie ein Gutachten des Psychiaters Dr. med. D.________, Regionaler Ärztlicher Dienst (RAD) der IV-Stelle vom 28. Dezember 2012. Mit Vorbescheid vom 18. April 2013 wies die IV-Stelle das Leistungsbegehren ab. Auf Einwände des Versicherten hin zog sie ein psychiatrisches Gutachten des Prof. Dr. med. E.________, Chefarzt, und der Frau med. pract. F.________, damals Assistenzärztin, Klinik G.________ für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 17. Dezember 2014 bei. Weiter holte die IV-Stelle Stellungnahmen des RAD-Psychiaters Dr. med. H.________ vom 16. Februar und 23. Oktober 2015 ein. Mit Verfügung vom 9. November 2015 verneinte die IV-Stelle den Leistungsanspruch des Versicherten. 
 
B.   
Hiergegen erhob der Versicherte beim Kantonsgericht Freiburg Beschwerde. Die IV-Stelle reichte Stellungnahmen des Prof. Dr. med. E.________ und der Frau med. pract. F.________, nunmehr Oberärztin, vom 19. Juli 2016 sowie der RAD-Psychiaterin Dr. med. I.________ vom 23. Januar 2017 ein. Der Versicherte legte einen Bericht des ihn behandelnden Psychiaters Dr. med. J.________ vom 30. Mai 2017 auf. Mit Entscheid vom 21. September 2017 wies das kantonale Gericht die Beschwerde ab. 
 
C.  
 
C.a. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt der Versicherte, in Aufhebung des kantonalen Entscheides sei ihm eine halbe Invalidenrente zuzusprechen; subsidiär seien berufliche Wiedereingliederungsmassnahmen anzuordnen; allenfalls sei die Sache an die Vorinstanz zu neuem Entscheid zurückzuweisen mit der Anweisung, ein Ergänzungsgutachten zu erstellen. Ferner verlangt der Versicherte die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren.  
 
Die IV-Stelle schliesst auf Beschwerdeabweisung. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf Vernehmlassung. 
 
C.b. Mit Verfügung vom 20. Dezember 2017 lud das Bundesgericht die Parteien dazu ein, sich im Rahmen des rechtlichen Gehörs dazu zu äussern, welche Folgerungen sich aus den Urteilen 8C_841/2016 und 8C_130/2017, je vom 30. November 2017 und zur Publikation vorgesehen, für diesen Fall ergäben. Mit Stellungnahme vom 19. Januar 2018 hielt die IV-Stelle am Abweisungsantrag fest. Mit Eingabe vom 30. Januar 2018 vertrat der Versicherte die Auffassung, er sei zu mindestens 50 % erwerbsunfähig.  
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG). Rechtsfragen sind die vollständige Feststellung erheblicher Tatsachen, die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes bzw. der Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c ATSG und der Anforderungen an den Beweiswert von Arztberichten (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232). Bei den aufgrund dieser Berichte getroffenen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit und bei der konkreten Beweiswürdigung geht es um Sachverhaltsfragen (nicht publ. E. 1 des Urteils BGE 141 V 585). Frei überprüfbare Rechtsfrage ist hingegen, ob und in welchem Umfang die ärztlichen Feststellungen anhand der Indikatoren nach BGE 141 V 281 auf Arbeitsunfähigkeit schliessen lassen (BGE 141 V 281 E. 7 S. 308). 
 
2.   
Das kantonale Gericht hat die rechtlichen Grundlagen betreffend die Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG), die Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG; Art. 4 Abs. 1 IVG), die Voraussetzungen des Anspruchs auf Invalidenrente (Art. 28 Abs. 1, Art. 29 Abs. 1 IVG) und berufliche Massnahmen (Art. 8 Abs. 1 und 3 IVG) sowie die Rechtsprechung zur Beurteilung der Invalidität bei psychischen Erkrankungen (BGE 141 V 281; vgl. nunmehr auch BGE 8C_841/2016 und BGE 8C_130/2017) richtig dargelegt. Gleiches gilt bezüglich des relevanten Beweisgrads der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 138 V 218 E. 6 S. 221) und des Beweiswerts von Arztberichten (BGE 142 V 58 E. 5.1 S. 64; 135 V 465; 125 V 351 E. 3a S. 532; vgl. auch E. 1 hiervor). Darauf wird verwiesen. 
 
3.   
Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzte, indem es in Bestätigung der Verfügung der IV-Stelle vom 9. November 2015 einen Leistungsanspruch des Beschwerdeführers verneinte. 
Da kantonale Gericht erwog im Wesentlichen, dem Gutachten des Prof. Dr. med. E.________ und der Frau med. pract. F.________ vom 17. Dezember 2014 komme voller Beweiswert zu. Zu prüfen sei jedoch, wie die darin attestierte 50%ige Arbeitsunfähigkeit des Beschwerdeführers aus juristischer Sicht zu würdigen sei. Er leide an einer depressiven Störung, gegenwärtig leichtgradige Episode (ICD-10 F32.00), die aber therapierbar sei. Praxisgemäss begründe ein solches Leiden keine Arbeitsunfähigkeit. Daneben bestehe eine Somatisierungsstörung (ICD-10 F45.0). Die Indikatoren- und Konsistenzprüfung könne nach BGE 141 V 281 erfolgen, obwohl die Gutachter die nicht mehr geltenden sog. Foerster-Kriterien geprüft hätten. Die Somatisierungsstörung sei vorliegendenfalls in ihren Auswirkungen in allen Lebensbereichen nicht als inkonsistent zu bewerten, habe aber nicht den erforderlichen Schweregrad, um eine Arbeitsunfähigkeit zu begründen. Entgegen dem Gutachten sei aufgrund der Symptomverstärkung durch beide Diagnosen keine Arbeitsunfähigkeit anzunehmen, da ihre Einzelbeurteilung keine Arbeitsunfähigkeit bewirke. Zusammenfassend sei für den gesamten relevanten Zeitraum von einer vollen Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers in der angestammten Tätigkeit auszugehen. Somit habe er keinen Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung. 
 
4.   
Mit Urteil 8C_841/2016 vom 30. November 2017 entschied das Bundesgericht im Sinne einer Praxisänderung, es sei sach- und systemgerecht, depressive Störungen leicht- bis mittelgradiger Natur ebenfalls einem strukturierten Beweisverfahren nach BGE 141 V 281 zu unterziehen. Dieses bleibe entbehrlich, wenn im Rahmen beweiswertiger fachärztlicher Berichte eine Arbeitsunfähigkeit in nachvollziehbar begründeter Weise verneint werde und allfälligen gegenteiligen Einschätzungen mangels fachärztlicher Qualifikation oder aus anderen Gründen kein Beweiswert beigemessen werden könne (E. 4.5). 
Mit Urteil 8C_130/2017 gleichen Datums änderte das Bundesgericht seine bisherige Praxis insofern ab, als es feststellte, dass grundsätzlich sämtliche psychischen Erkrankungen einem strukturierten Beweisverfahren nach BGE 141 V 281 zu unterziehen seien (E. 6 f.). Weiter stellte es klar, es gehe fehl, ein Leiden als leicht einzustufen, weil diagnostisch kein Bezug zum Schweregrad desselben gefordert sei und ihm bereits deshalb eine versicherungsrechtlich relevante Einschränkung der Arbeitsfähigkeit abzusprechen (E. 5.2). Fortan sei E. 4.3.1.3 von BGE 141 V 281 so zu verstehen, dass Störungen unabhängig von ihrer Diagnose bereits dann als rechtlich bedeutsame Komorbidität in Betracht fielen, wenn ihnen im konkreten Fall ressourcenhemmende Wirkung beizumessen sei (E. 8.1). 
Diese neue Rechtsprechung ist vorliegend anwendbar (vgl. statt vieler Urteil 9C_700/2015 vom 18. Juli 2016 E. 3.2). 
 
5.  
 
5.1. Das kantonale Gericht verneint einen Rentenanspruch, wobei es hinsichtlich der Einschätzung der Arbeitsfähigkeit vom an sich als beweiskräftig eingestuften Gutachten des Prof. Dr. med. E.________ und der Frau med. pract. F.________ vom 17. Dezember 2014 abweicht (zur grundsätzlichen Zulässigkeit dieses Vorgehens vgl. nicht publ. E. 5.3.5 des Urteils BGE 143 V 66, in SVR 2017 IV Nr. 47 S. 139, 8C_814/2016).  
Hinsichtlich der Befunde und Diagnosen kann diesem Gutachten mit der Vorinstanz Beweiswert zuerkannt werden. Die diesbezügliche Würdigung im angefochten Gerichtsentscheid, insbesondere auch die Auseinandersetzung mit den weiteren medizinischen Akten, hält vor Bundesrecht stand. 
 
5.2.  
 
5.2.1. Im Lichte der gestellten Diagnosen ICD-10 F32.00 und F45.0 (vgl. E. 3 hiervor) hat ein strukturiertes Beweisverfahren nach BGE 141 V 281 zu erfolgen. Insofern genügt das Gutachten vom 17. Dezember 2014, worin noch die inzwischen überholten sog. "Foerster-Kriterien" geprüft wurden, den bestehenden normativen Vorgaben nicht. Indessen verlieren gemäss altem Verfahrensstand eingeholte Gutachten nicht per sei ihren Beweiswert. Vielmehr ist im Rahmen einer gesamthaften Prüfung des Einzelfalles mit seinen spezifischen Gegebenheiten und den erhobenen Rügen entscheidend, ob ein abschliessendes Abstellen auf die vorhandenen Beweisgrundlagen vor Bundesrecht standhält (BGE 141 V 281 E. 8 S. 309; 137 V 210 E. 6 S. 266). Mithin ist in jedem einzelnen Fall zu prüfen, ob die beigezogenen administrativen und/oder gerichtlichen Sachverständigengutachten - gegebenenfalls im Kontext mit weiteren fachärztlichen Berichten - eine schlüssige Beurteilung im Lichte der massgeblichen Indikatoren erlauben oder nicht. Je nach Abklärungstiefe und -dichte kann zudem unter Umständen eine punktuelle Ergänzung genügen (Urteil 8C_300/2017 vom 1. Februar 2018 E. 4.2).  
 
5.2.2. Soweit das kantonale Gericht eine eigene Würdigung des Gutachtens vom 17. Dezember 2014 vornimmt, lässt sie sich mit den Urteilen 8C_841/2016 und 8C_130/2017 nicht vereinbaren. Der im Gutachten als chronifiziert bezeichneten depressiven Erkrankung des Beschwerdeführers wird trotz der attestierten 50%igen Arbeitsunfähigkeit jede invalidisierende Wirkung abgesprochen. Dies ist nach der neuen Rechtsprechung (vgl. E. 4 hiervor) nicht mehr ohne Weiteres möglich, selbst wenn das betreffende Leiden auch gemäss gutachterlicher Einschätzung noch therapierbar ist. Im Übrigen steht ein längerer Zeitraum zur Beurteilung, wobei der Beschwerdeführer zeitweise auch an einer mittelschweren, ja sogar schweren Depression gelitten haben soll. Bei der Beurteilung der Somatisierungsstörung klammert das kantonale Gericht die Depression als relevante Komorbidität einfach aus, was so nicht mehr haltbar ist (vgl. E. 4 hiervor).  
Obwohl im vorliegenden Fall nicht von einer Therapieresistenz auszugehen ist und gewisse Inkonsistenzen mit Blick auf den Tagesablauf bestehen mögen, kann nicht ohne Weiteres von einer fehlenden invalidisierenden Arbeitsunfähigkeit über den gesamten zur Beurteilung stehenden Zeitraum ausgegangen werden. Andererseits ist eine Leistungszusprache gestützt auf die vorhandenen medizinischen Unterlagen ebenfalls nicht möglich. Namentlich reicht dafür das Gutachten des Prof. Dr. med. E.________ und der Frau med. pract. F.________ vom 17. Dezember 2014 nicht aus, da es eine schlüssige Beurteilung im Lichte der massgeblichen Indikatoren nicht erlaubt. Hinzuweisen ist auf die im Gutachten selbst angesprochenen Motivationsschwierigkeiten des Beschwerdeführers und gewisse Inkonsistenzen, auf die insbesondere der RAD in den Stellungnahmen vom 16. Februar und 23. Oktober 2015 sowie 23. Januar 2017 verwiesen hat. Insbesondere findet sich im besagten Gutachten keine verlässliche Angabe zum Ausmass der Arbeitsunfähigkeit im gesamten zeitlichen Verlauf; im Begutachtungszeitpunkt wurde sie auf 50 %, davor aber ohne konkrete Angaben höher geschätzt. 
 
5.3. Nach dem Gesagten ist die Sache an das kantonale Gericht zurückzuweisen, damit es - nach Einholung einer ergänzenden Abklärung durch Prof. Dr. med. E.________ und Frau med. pract. F.________, allenfalls eines klärenden gerichtlichen Gutachtens von anderer Seite (vgl. Urteil 8C_624/2017 vom 6. Februar 2018 E. 9.2) - die Arbeitsfähigkeit nach den Grundsätzen von BGE 141 V 281 neu prüfe und über die Beschwerde neu befinde.  
 
6.   
Die unterliegende IV-Stelle trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1, Art. 68 Abs. 2 BGG; BGE 141 V 281 E. 11.1 S. 312). Das Gesuch des Beschwerdeführers um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ist somit gegenstandslos. 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und der Entscheid des Kantonsgerichts Freiburg, Sozialversicherungsgerichtshof, vom 21. September 2017 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.   
Die Beschwerdegegnerin hat den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 3'500.- zu entschädigen. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Freiburg, Sozialversicherungsgerichtshof, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 7. März 2018 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Der Gerichtsschreiber: Jancar