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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
8G.49/2003 /pai 
 
Urteil vom 7. Mai 2003 
Anklagekammer 
 
Besetzung 
Bundesrichter Karlen, Präsident, 
Bundesrichter Fonjallaz, Marazzi, 
Gerichtsschreiber Monn. 
 
Parteien 
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau, 5001 Aarau, 
Gesuchstellerin, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Schwyz, Postfach 560, 6431 Schwyz. 
 
Gegenstand 
Bestimmung des Gerichtsstandes in Sachen A.________ und Mitbeteiligte. 
 
Sachverhalt: 
A. 
A.________ wird beschuldigt, mit weiteren Beteiligten zwei Raubüberfälle begangen zu haben. Der erste ereignete sich am 7. Juli 2001 in Pfäffikon im Kanton Schwyz und der zweite am 7. Oktober 2001 in Meisterschwanden im Kanton Aargau. 
B. 
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau wendet sich mit Eingabe vom 11. April 2003 an die Anklagekammer des Bundesgerichts und beantragt, es seien die Behörden des Kantons Schwyz zur gesamthaften Verfolgung und Beurteilung der Beschuldigten A.________, B.________, C.________, D.________, E.________ und F.________ für berechtigt und verpflichtet zu erklären (act. 1). 
 
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Schwyz beantragt in ihrer Vernehmlassung vom 28. April 2003, in Abweisung des Gesuches seien die Behörden des Kantons Aargau zur gesamten Verfolgung und Beurteilung der Beschuldigten für berechtigt und verpflichtet zu erklären (act. 6). 
 
Die Kammer zieht in Erwägung: 
1. 
Wird jemand wegen mehrerer, an verschiedenen Orten verübter strafbarer Handlungen verfolgt, so sind die Behörden des Ortes, wo die mit der schwersten Strafe bedrohte Tat verübt worden ist, auch für die Verfolgung und Beurteilung der anderen Taten zuständig (Art. 350 Ziff. 1 Abs. 1 StGB). Sind die strafbaren Handlungen mit der gleichen Strafe bedroht, so sind die Behörden des Ortes zuständig, wo die Untersuchung zuerst angehoben wird (Art. 350 Ziff. 1 Abs. 2 StGB). Bei der Beurteilung der Gerichtsstandsfrage ist von der Verdachtslage auszugehen, wie sie sich nach den Akten im Zeitpunkt des Entscheids durch die Anklagekammer darbietet (BGE 116 IV 83 E. 2 mit Hinweis). 
 
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau stellt sich auf den Standpunkt, dass in beiden Fällen zur Hauptsache ein Schuldspruch wegen qualifizierten Raubes gemäss Art. 140 Ziff. 4 StGB und damit dieselbe strafbare Handlung in Frage komme, weshalb gestützt auf Art. 350 Ziff. 1 Abs. 2 StGB die Behörden des Kantons Schwyz, wo die Untersuchung zuerst angehoben wurde, zuständig seien (act. 1 S. 4/5). Demgegenüber macht die Staatsanwaltschaft des Kantons Schwyz geltend, während beim Fall in Meisterschwanden ein qualifizierter Raub im Sinne von Art. 140 Ziff. 4 StGB sowie eine qualifizierte Geiselnahme gemäss Art. 185 Ziff. 2 StGB in Frage kämen, sei beim Fall in Pfäffikon die Verdachtslage auf einen weniger schweren Raub im Sinne von Art. 140 Ziff. 3 StGB beschränkt; folglich sei gemäss der Regel von Art. 350 Ziff. 1 Abs. 1 StGB der Kanton Aargau, wo die mit der schwereren Strafe bedrohte Tat verübt worden sei, für zuständig zu erklären (act. 6 S. 2/3). 
2. 
Gemäss Art. 140 Ziff. 4 StGB wird wegen qualifizierten Raubes mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren bestraft, wer das Opfer in Lebensgefahr bringt, ihm eine schwere Körperverletzung zufügt oder es grausam behandelt. Grausam ist die Behandlung, wenn dem zum Widerstand unfähigen Opfer besondere physische oder psychische Leiden zugefügt werden, die der vom Täter verfolgte Zweck, die Beraubung des Opfers, nicht erfordert (Urteil 6S.531/2000 vom 27. Dezember 2000, E. 1d; BGE 119 IV 49 S. 52 zur grausamen Vergewaltigung; Delnon/Rüdy, in: Niggli/Wiprächtiger, Strafgesetzbuch II, Basel 2003, Art. 184 N 14 f.). 
 
Zu prüfen ist, ob die Beschuldigten im Fall im Kanton Schwyz diesen qualifizierten Tatbestand erfüllt haben könnten. Ihnen wird vorgeworfen, sie seien mindestens zu Dritt maskiert und mit Pistolen bewaffnet in die Wohnung der geschädigten Familie eingedrungen und hätten das Ehepaar und dessen beiden Kinder im Schlaf überrascht. Der Sohn sei gezwungen worden, sich ins Zimmer seiner Schwester zu begeben und sich dort aufs Bett zu legen. Beide Kinder seien mit Stofftüchern an Händen und Füssen gefesselt worden. Die gefesselten Kinder seien auf dem Bauch liegend auf dem Bett belassen und durch die Beschuldigten bewacht worden. Die Mutter hat ausgesagt, dass sie ihre Tochter habe schreien hören. Zudem sei der gefesselten und auf dem Bauch liegenden Mutter die Pistole an den Hals gehalten worden. Später seien ihr mit einem Tuch der Mund verbunden und mit Klebeband der Kopf umwickelt worden. Der ebenfalls gefesselte und mit einer Pistole bedrohte Ehemann will von einem der Täter einen Schlag ins Gesicht erhalten haben. Seine Handschellen hätten später durch die Polizei gelöst werden müssen. Der Überfall habe über eine Stunde gedauert (act. 1 S. 2; Beilage 5 zu act. 1 S. 2/3; Beilage 9 zu act. 6 S. 8 und 12). 
 
 
Bei dieser Verdachtslage ist davon auszugehen, dass die Täter die wehrlosen Eltern und überdies auch noch deren Kinder während der Dauer einer Stunde über das für ihre Absicht erforderliche Mass hinaus in Angst und Schrecken versetzt und damit richtiggehend terrorisiert haben könnten. Es liegt in rechtlicher Hinsicht nahe, den Fall deshalb unter dem Gesichtswinkel der grausamen Behandlung der Geschädigten im Sinne von Art. 140 Ziff. 4 StGB zu prüfen. Folglich ist die Auffassung der Staatsanwaltschaft des Kantons Schwyz, die gegenwärtige Verdachtslage lasse einen Schuldspruch gemäss Art. 140 Ziff. 4 StGB von vornherein nicht zu, unbegründet. 
3. 
Gemäss Art. 185 Ziff. 2 StGB wird wegen qualifizierter Geiselnahme mit Zuchthaus nicht unter drei Jahren bestraft, wer damit droht, das Opfer zu töten, körperlich schwer zu verletzen oder grausam zu behandeln. Im Gegensatz zur Auffassung der Staatsanwaltschaft des Kantons Schwyz ist es von vornherein unerheblich, ob dieser Tatbestand eventuell auf den Überfall in Meisterschwanden zur Anwendung gelangen könnte, denn die Tat ist mit einer geringeren Mindeststrafe bedroht als der qualifizierte Raub im Sinne von Art. 140 Ziff. 4 StGB
4. 
Aus den genannten Gründen ist das Gesuch gutzuheissen. 
 
Demnach erkennt die Kammer: 
1. 
Das Gesuch der Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau wird gutgeheissen, und die Behörden des Kantons Schwyz werden berechtigt und verpflichtet erklärt, die A.________, B.________, C.________, D.________, E.________ und F.________ vorgeworfenen strafbaren Handlungen zu verfolgen und zu beurteilen. 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
3. 
Dieses Urteil wird der Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau und der Staatsanwaltschaft des Kantons Schwyz schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 7. Mai 2003 
Im Namen der Anklagekammer 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: