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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
1B_541/2017  
 
 
Urteil vom 8. Januar 2018  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Merkli, Präsident, 
Bundesrichter Eusebio, Kneubühler, 
Gerichtsschreiber Schoch. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Clemens Wymann, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm, Untere Grabenstrasse 32, 4800 Zofingen, 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau, 
Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau. 
 
Gegenstand 
Abweisung des Haftentlassungsgesuchs und Verlängerung der Untersuchungshaft, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 30. November 2017 (SBK.2017.347 / BB / rd (HA.2017.547, StA-Nr. ST.2017.3262)). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm führt gegen A.________ eine Strafuntersuchung wegen versuchten qualifizierten Raubs sowie wegen Betrugs. Hinsichtlich des Raubs wird ihm vorgeworfen, am 24. Juli 2017 eine Mitarbeiterin der Post mit vorgehaltener, aber ungeladener Pistole gezwungen zu haben, ihm Einlass in die Poststelle Brittnau zu verschaffen und den Tresor zu öffnen. Da sie Letzteres nicht gekonnt habe, hätten sie auf eine weitere Mitarbeiterin gewartet, die aufgrund eines Zeitschaltmechanismus den Tresor vor 8.15 Uhr ebenfalls nicht habe öffnen können. In der Folge habe die mittels stillen Alarms herbeigerufene Polizei die Poststelle umstellt, worauf A.________ die beiden Postmitarbeiterinnen habe gehen lassen und sich anschliessend gestellt habe. 
A.________ wurde am 24. Juli 2017 verhaftet. Das Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau ordnete mit Verfügung vom 26. Juli 2017 Untersuchungshaft bis zum 24. Oktober 2017 an. Es wies mit Verfügung vom 27. Oktober 2017 ein Haftentlassungsgesuch von A.________ ab und verlängerte die Untersuchungshaft bis zum 24. Januar 2018. Das Obergericht des Kantons Aargau wies die von A.________ gegen die Verfügung vom 27. Oktober 2017 erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 30. November 2017 ab. 
 
B.   
Mit Eingabe vom 14. Dezember 2017 führt A.________ Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Er beantragt die Gutheissung der Beschwerde und seine Entlassung aus der Untersuchungshaft. 
Die Vorinstanz und die Staatsanwaltschaft verzichten auf eine Stellungnahme zur Beschwerde. Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau beantragt die Abweisung der Beschwerde. 
Am 3. Januar 2018 reichte A.________ ein Schreiben der Staatsanwaltschaft ein, womit diese mitteilt, sie werde das Verfahren in Bezug auf den Vorwurf des Betruges einstellen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Der angefochtene Entscheid des Obergerichts ist als kantonal letztinstanzlicher Entscheid über die Verlängerung der Untersuchungshaft mit Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht anfechtbar (vgl. Art. 222 StPO und Art. 80 BGG). Der Beschwerdeführer nahm vor der Vorinstanz am Verfahren teil und hat als Inhaftierter und direkt betroffener Adressat des angefochtenen Entscheids ein aktuelles, rechtlich geschütztes Interesse an dessen Änderung bzw. Aufhebung. Mithin ist er nach Art. 81 Abs. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt. 
Nach Art. 42 Abs. 2 BGG ist in der Beschwerdebegründung in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt. Insoweit ist es unerlässlich, dass die Beschwerde auf die Begründung des angefochtenen Entscheids eingeht und im Einzelnen aufzeigt, worin eine Verletzung von Bundesrecht liegt. Die beschwerdeführende Partei soll in der Beschwerdeschrift nicht bloss die Rechtsstandpunkte, die sie im kantonalen Verfahren eingenommen hat, erneut bekräftigen, sondern mit ihrer Kritik an den als rechtsfehlerhaft erachteten Erwägungen der Vorinstanz ansetzen (BGE 140 III 86 E. 2 S. 89, 115 E. 2 S. 116). Dabei tritt das Bundesgericht auf appellatorische (allein das bereits Vorgebrachte wiederholende) Kritik nicht ein (BGE 134 II 244 E. 2.2 S. 246). 
 
2.   
Gemäss Art. 221 StPO sind Untersuchungs- und Sicherheitshaft nur zulässig, wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und ein im Gesetz genannter Haftgrund vorliegt. Nach Art. 221 Abs. 1 lit. a-c StPO ist Haft bei Flucht-, Fortsetzungs- oder Kollusionsgefahr zulässig. 
Die Vorinstanz hat den dringenden Tatverdacht betreffend den Vorwurf des versuchten qualifizierten Raubs und den besonderen Haftgrund der Fluchtgefahr bejaht. 
 
3.  
 
3.1. Der Beschwerdeführer hat den Raubversuch eingestanden, bestreitet jedoch das Vorliegen des besonderen Haftgrunds der Fluchtgefahr. Er bringt vor, in Würdigung aller relevanten Strafzumessungskriterien erscheine es nicht unrealistisch, dass er eine Strafe unter 24 Monaten erhalte, womit die Gewährung des bedingten Vollzugs möglich sei. Da er sich nun schon bald sechs Monate in Untersuchungshaft befinde, könne die ihm drohende Strafe somit keinen starken Fluchtanreiz begründen. Die Vorinstanz verkenne, dass er seine Aussichten, eine bedingte Strafe im unteren Bereich des Strafrahmens zu erhalten und einer Ausweisung zu entgehen, durch eine Flucht ins Ausland völlig zunichte machen würde.  
Im Übrigen wiederholt der Beschwerdeführer in seinen Ausführungen das bereits vor den kantonalen Instanzen Vorgebrachte. Darauf ist nicht einzutreten. Soweit er appellatorische Kritik übt, ist die Beschwerde auch offensichtlich unbegründet. Diesbezüglich kann auf die Erwägungen der Vorinstanz verwiesen werden (Art. 109 Abs. 3 BGG). 
 
3.2. Beim Haftgrund der Fluchtgefahr gemäss Art. 221 Abs. 1 lit. a StPO geht es um die Sicherung der Anwesenheit der beschuldigten Person im Verfahren. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts braucht es für die Annahme von Fluchtgefahr eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sich die beschuldigte Person, wenn sie in Freiheit wäre, dem Vollzug der Strafe durch Flucht entziehen würde. Im Vordergrund steht dabei eine mögliche Flucht ins Ausland, denkbar ist jedoch auch ein Untertauchen im Inland. Bei der Bewertung, ob Fluchtgefahr besteht, sind die gesamten konkreten Verhältnisse zu berücksichtigen. Es müssen Gründe bestehen, die eine Flucht nicht nur als möglich, sondern als wahrscheinlich erscheinen lassen. Die Schwere der drohenden Strafe darf als Indiz für Fluchtgefahr gewertet werden, genügt jedoch für sich allein nicht, um den Haftgrund zu bejahen (BGE 125 I 60 E. 3a S. 62 mit Hinweisen). Miteinzubeziehen sind die familiären und sozialen Bindungen, die berufliche und finanzielle Situation und die Kontakte zum Ausland (vgl. Urteil 1B_149/2014 vom 5. Mai 2017 E. 4.2).  
 
3.3. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Kroatien und dem Kosovo. Er lebt seit seinem 7. Lebensjahr in der Schweiz, hat hier die Schulen besucht und eine Gipserlehre sowie die Bauführerschule absolviert. Seine drei Töchter aus erster Ehe, seine Eltern und seine Geschwister leben in der Schweiz. Er hat aber die letzten eineinhalb Jahre vor seiner Verhaftung im Ausland verbracht. Während eines Jahres war er in Kroatien gemeldet, hat dort einen Imbissstand betrieben und erneut geheiratet. Aus dieser Ehe hat er einen Sohn, der im Juli 2017 in Deutschland zur Welt gekommen ist und zurzeit mit seiner Ehefrau in Kroatien lebt. Diese tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz werden vom Beschwerdeführer nicht substantiiert bestritten. So macht er zwar geltend, er habe seit seinem 7. Lebensjahr ununterbrochen in der Schweiz gelebt und seinen Wohnsitz hier nie aufgegeben. In seiner Beschwerde führt er jedoch aus, er habe von der Polizei nicht kontaktiert werden können, weil er in der Schweiz an keiner Adresse mehr gemeldet gewesen sei.  
Vorliegend führte der Täter bei seinem Raubversuch eine Schusswaffe und Munition mit. Art. 140 Ziff. 2 StGB sieht dafür eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr vor. Der Beschwerdeführer räumt dies in seiner Beschwerde ein. Er macht aber geltend, das Gericht könne gemäss Art. 22 StGB die Strafe wegen Versuchs mildern. Wie die Vorinstanz zutreffend erwägt, dürfte es sich bei dem ihm vorgeworfenen Delikt um einen vollendeten Versuch handeln. So hat der Beschwerdeführer alles für den Taterfolg Notwendige unternommen und dieser trat nur aufgrund äusserer Umstände nicht ein (vgl. Art. 22 Abs. 1 StGB). Deshalb kann nicht zum Voraus angenommen werden, das Sachgericht werde den ordentlichen Strafrahmen unterschreiten. Demgegenüber wurde der Beschwerdeführer seit 2013 zu sieben Vorstrafen verurteilt, was strafschärfend zu berücksichtigen ist (Art. 47 Abs. 1 StGB). Zudem lief bei drei bedingt ausgesprochenen Strafen im Zeitpunkt des Raubversuchs noch die Probezeit. Daher kann das Gericht diese gemäss Art. 46 StGB widerrufen und die Strafart ändern, um mit der neuen Strafe in sinngemässer Anwendung von Art. 49 StGB eine straferhöhende Gesamtstrafe zu bilden. Wenn die Vorinstanz vor diesem Hintergrund schliesst, der Beschwerdeführer könne nicht ernsthaft mit einer unterjährigen Strafe rechnen, was einen hohen Anreiz zur Flucht darstelle, ist dies nicht zu beanstanden. Angesichts der erwähnten Strafschärfungsgründe erscheint eher wahrscheinlich, dass die Strafe noch höher ausfallen wird. Als der Beschwerdeführer festgenommen wurde, lagen ausserdem fünf Ausschreibungen zur Verhaftung gegen ihn vor, welche allesamt wegen zu vollziehenden Ersatzfreiheitsstrafen erfolgten. Dieser Umstand verstärkt den Fluchtanreiz zusätzlich. 
Des Weiteren ist das Aufenthaltsrecht des Beschwerdeführers in der Schweiz in Frage gestellt. So prüft die zuständige Migrationsbehörde derzeit, ob seine Niederlassungsbewilligung erloschen ist, weil er sich während sechs Monaten im Ausland aufgehalten hat, ohne sich in der Schweiz abzumelden. Zum Widerruf der Niederlassungsbewilligung in der Schweiz könnte es ebenfalls führen, wenn er wegen des Raubversuchs zu einer Freiheitsstrafe von über einem Jahr verurteilt wird (vgl. hierzu BGE 139 I 31 E. 2 S. 32 ff.). Aufgrund der Verurteilung wegen Raubversuchs droht dem Beschwerdeführer zudem eine Landesverweisung von 5-15 Jahren, von welcher das Gericht nur unter den Voraussetzungen der Härtefallklausel ausnahmsweise absehen kann (Art. 66a Abs. 1 lit. c i.V.m. Abs. 2 StGB). Ob diese vorliegend bejaht würden, ist zumindest fraglich. Die Entscheide der Migrationsbehörde über die Niederlassungsbewilligung bzw. des Sachgerichts über die Landesverweisung sind zwar in keiner Weise zu präjudizieren. Jedoch ist der drohende Verlust des Aufenthaltsrechts bereits im laufenden Strafverfahren als Indiz für eine konkrete Fluchtgefahr zu werten (vgl. Urteil 1B_149/2017 vom 5. Mai 2017 E. 4.3). 
Da er den Grossteil seines Lebens in der Schweiz verbrachte und die Mehrheit seiner Familie hier lebt, hat der Beschwerdeführer einen engen Bezug zur Schweiz. Er hat aber auch starke Bindungen zu Kroatien, wo er gelebt und erneut geheiratet hat, und wo seine Ehefrau sowie sein Sohn leben. Zudem beherrscht er die dortige Sprache und als Gipser oder Bauführer könnte er auch in Kroatien oder im Kosovo arbeiten. 
Neben dem Umstand, dass seine Erwerbstätigkeiten nicht ortsgebunden sind, verfügt der Beschwerdeführer auch über keine gesicherte Arbeitsstelle. Überdies hat er in der Schweiz hohe Schulden - in seiner Beschwerde beziffert er diese auf Fr. 90'000.--. Demnach verringern die berufliche und finanzielle Situation des Beschwerdeführers ebenfalls den Anreiz eines freiwilligen Verbleibs in der Schweiz. 
Zusammenfassend überwiegen die für eine Fluchtgefahr sprechenden Gesichtspunkte deutlich. Insbesondere in Anbetracht des drohenden Freiheitsentzugs und der engen Verbindung des Beschwerdeführers zu Kroatien verletzt es kein Bundesrecht, dass die Vorinstanz schloss, es bestehe Fluchtgefahr. 
 
4.   
Mildere Massnahmen, die den gleichen Zweck wie die Haft erfüllen (Art. 237 Abs. 1 StGB), sind nicht ersichtlich und der Beschwerdeführer beantragt auch nicht, solche anzuordnen. 
 
5.   
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Wie die vorstehenden Erwägungen zeigen, müssen die vor Bundesgericht gestellten Rechtsbegehren des Beschwerdeführers als aussichtslos bezeichnet werden, weshalb dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung nicht zu entsprechen ist (Art. 64 BGG). Im Hinblick auf die finanziellen Verhältnisse des Beschwerdeführers rechtfertigt es sich jedoch, auf die Erhebung von Kosten zu verzichten (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.   
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen. 
 
3.   
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
4.   
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm, der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau und dem Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 8. Januar 2018 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Merkli 
 
Der Gerichtsschreiber: Schoch