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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_1397/2022  
 
 
Urteil vom 8. Februar 2023  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin, 
Bundesrichter Muschietti, 
nebenamtliche Bundesrichterin Griesser, 
Gerichtsschreiberin Erb. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Lorenz Fivian, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
1. Staatsanwaltschaft des Kantons Freiburg, Postfach 1638, 1701 Freiburg, 
2. B.________ AG, 
Beschwerdegegnerinnen. 
 
Gegenstand 
Veruntreuung, antizipierte Beweiswürdigung; Willkür, Untersuchungsgrundsatz, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Freiburg, Strafappellationshof, vom 3. Oktober 2022 
(501 2021 132). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________ wird vorgeworfen, sie habe während der Dauer ihrer Anstellung vom 12. April 2019 bis 30. September 2019 ihr anvertrautes Bargeld, d.h. Einnahmen aus verkauften Esswaren und Getränken, im Betrag von mindestens Fr. 13'000.-- durch unterlassenes Eintippen in das Kassensystem ihrer damaligen Arbeitgeberin B.________ AG (Privatklägerin) vorenthalten und somit veruntreut. 
 
B.  
Der Polizeirichter des Seebezirks sprach A.________ mit Urteil vom 28. Mai 2021 der Veruntreuung schuldig und verurteilte sie zu einer bedingten Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu Fr. 50.-- mit einer Probezeit von zwei Jahren sowie zu einer Busse von Fr. 500.--. Die Zivilforderungen verwies er auf den Zivilweg. Das Kantonsgericht Freiburg, Strafappellationshof, bestätigte das Urteil am 3. Oktober 2022, wobei es den Beginn der Tatbegehung auf den 25. Mai 2019 festlegte. 
 
C.  
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A.________, das Urteil des Kantonsgerichts Freiburg sei aufzuheben und die Sache zur ergänzenden Beweisabnahme zurückzuweisen. A.________ stellt zudem ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Die Beschwerde hat ein Rechtsbegehren zu enthalten (Art. 42 Abs. 1 BGG). Gemäss Art. 107 BGG darf das Bundesgericht nicht über die Begehren der Parteien hinausgehen (Abs. 1). Heisst es die Beschwerde gut, so entscheidet es in der Sache selbst oder weist diese zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurück (Abs. 2). Der Beschwerdeführer darf sich grundsätzlich nicht darauf beschränken, die Aufhebung des angefochtenen Entscheids zu beantragen, sondern muss einen Antrag in der Sache stellen. Da die Beschwerdebegründung zur Interpretation des Rechtsbegehrens beigezogen werden kann, genügt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ein Begehren ohne einen Antrag in der Sache, wenn sich aus der Begründung zweifelsfrei ergibt, was mit der Beschwerde angestrebt wird (BGE 137 II 313 E. 1.3; 136 V 131 E. 1.2; Urteile 6B_889/2022 vom 2. November 2022 E. 1; 6B_264/2021 vom 30. März 2022 E. 1.1; je mit Hinweisen). 
Die Beschwerdeführerin stellt keinen materiellen Antrag, sondern verlangt lediglich die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Rückweisung an die Vorinstanz. Es wird in der Beschwerdeschrift nicht geltend gemacht, das Bundesgericht sei im Falle der Gutheissung nicht selbst in der Lage, ein Sachurteil zu fällen. Aus der Begründung der Beschwerde ergibt sich jedoch, dass die Beschwerdeführerin einen Freispruch vom Vorwurf der Veruntreuung anstrebt. Das Rechtsbegehren ist in diesem Sinne zu interpretieren und die Beschwerde zulässig. 
 
2.  
 
2.1. Die Beschwerdeführerin rügt eine willkürliche antizipierte Beweiswürdigung und Verletzung des rechtlichen Gehörs.  
Die Vorinstanz habe ihren Beweisantrag auf Einvernahme von C.________ zunächst gutgeheissen und ihn zur Hauptverhandlung vorgeladen. Nachdem er nicht zur Verhandlung erschienen sei, habe die Vorinstanz die Einvernahme von C.________ für nicht notwendig befunden mit der Begründung, er sei bereits mehrere Male einvernommen worden. Dabei lasse die Vorinstanz gänzlich unberücksichtigt, dass die an die Privatklägerin versandte Vorladung möglicherweise gar nie an C.________ übermittelt worden sei. Ebenso wenig würdige die Vorinstanz, dass es nun heisse, es gebe keine Videoaufnahmen, habe C.________ doch ausgesagt, er hätte die Veruntreuungen auf Video aufgenommen. Die Beschwerdeführerin habe vor Vorinstanz auf Widersprüche hinsichtlich der Videoaufnahmen hingewiesen. Um diese zu klären - zu Gunsten oder zu Ungunsten der Beschwerdeführerin - hätte beispielsweise C.________ einvernommen werden können. Möglicherweise hätte dieser seine Aussagen revidiert, da er nicht mehr bei der Privatklägerin angestellt sei. 
Weiter führt die Beschwerdeführerin aus, die vorinstanzliche Beweiswürdigung sei auch deshalb willkürlich, weil die Vorinstanz lediglich belastende Elemente gewürdigt habe. Sämtliche von der Beschwerdeführerin aufgeführten Beweise habe sie nicht berücksichtigt. Die Vorinstanz hätte nicht zu Ungunsten der Beschwerdeführerin würdigen dürfen, dass die Vorladung für C.________ mangelhaft eröffnet worden sei. Indem die Vorinstanz von der Einvernahme von C.________ abgesehen habe, habe sie zudem auch den Untersuchungsgrundsatz gemäss Art. 6 StPO und die Bestimmungen von Art. 343 Abs. 3 StPO und Art. 389 Abs. 3 StPO verletzt. 
 
2.2.  
 
2.2.1. Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz kann vor Bundesgericht nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 148 IV 39 E. 2.3.5; 147 IV 73 E. 4.1.2). Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung liegt vor, wenn die vorinstanzliche Beweiswürdigung schlechterdings unhaltbar ist, d.h., wenn die Behörde in ihrem Entscheid von Tatsachen ausgeht, die mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen oder auf einem offenkundigen Fehler beruhen. Dass eine andere Lösung oder Würdigung ebenfalls vertretbar oder gar zutreffender erscheint, genügt für die Annahme von Willkür nicht (BGE 148 IV 39 E. 2.3.5; 146 IV 88 E. 1.3.1; 143 IV 500 E. 1.1; je mit Hinweisen). Das Bundesgericht greift somit auf Beschwerde hin nur in die Beweiswürdigung ein, wenn die Vorinstanz offensichtlich unhaltbare Schlüsse zieht, erhebliche Beweise übersieht oder solche willkürlich ausser Acht lässt (vgl. BGE 140 III 264 E. 2.3; Urteile 6B_243/2022 vom 18. Januar 2023 E. 1.2.2; 6B_931/2021 vom 15. August 2022 E. 4.3.1; je mit Hinweis). Eine entsprechende Rüge muss explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG). Auf rein appellatorische Kritik am angefochtenen Urteil tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 147 IV 73 E. 4.1.2).  
 
2.2.2. Gemäss dem Untersuchungsgrundsatz von Art. 6 StPO klären die Strafbehörden von Amtes wegen alle für die Beurteilung der Tat und der beschuldigten Person bedeutsamen Tatsachen ab (Abs. 1). Sie untersuchen die belastenden und entlastenden Umstände mit gleicher Sorgfalt (Abs. 2). Über Tatsachen, die unerheblich, offenkundig, der Strafbehörde bekannt oder bereits rechtsgenügend erwiesen sind, wird nicht Beweis geführt (Art. 139 Abs. 2 StPO). Zudem können die Strafbehörden gemäss ständiger Rechtsprechung ohne Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 3 Abs. 2 lit. c StPO) und des Untersuchungsgrundsatzes auf die Abnahme weiterer Beweise verzichten, wenn sie in Würdigung der bereits abgenommenen Beweise zur Überzeugung gelangen, der rechtlich erhebliche Sachverhalt sei genügend abgeklärt, und sie überdies in antizipierter Würdigung zum Schluss kommen, ein an sich taugliches Beweismittel vermöge ihre aufgrund der bereits abgenommenen Beweismittel gewonnene Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit einer strittigen Tatsache nicht zu ändern. Das Bundesgericht prüft die Rüge unzulässiger antizipierter Beweiswürdigung nur unter dem Aspekt der Willkür (BGE 147 IV 534 E. 2.5.1; 146 III 73 E. 5.2.2; 144 II 427 E. 3.1.3; Urteile 6B_243/2022 vom 18. Januar 2023 E. 1.2.3; 6B_541/2021 vom 3. Oktober 2022 E. 2.2.2; je mit Hinweisen).  
 
2.3. Die Vorinstanz nimmt eine Gesamtwürdigung der bei den Akten liegenden Beweismittel vor und erachtet den angeklagten Sachverhalt als erstellt. Den Beweisergänzungsantrag auf Einvernahme des damaligen Geschäftsführers der Privatklägerin, C.________, weist sie ab. Zur Begründung führt sie aus, C.________ sei im bisherigen Verfahren bereits von der Polizei, der Staatsanwaltschaft und der Erstinstanz einvernommen worden. Von einer weiteren Einvernahme seien keine neuen wesentlichen Erkenntnisse zu erwarten, weshalb auf die erneute Befragung von C.________ in antizipierter Beweiswürdigung verzichtet werden könne.  
Die Vorinstanz würdigt die Aussagen der Beschwerdeführerin, des damaligen Geschäftsführers der Privatklägerin, C.________, der Angestellten der Privatklägerin, D.________, E.________ und F.________ sowie die von der Privatklägerin eingereichten Dokumente, darunter eine Aufstellung der getippten Backwaren, Kassenjournale und der Befund der Treuhänderin der Privatklägerin. Die Vorinstanz erwägt, sämtliche Aussagen der Auskunftspersonen und der Zeugen sprächen gegen die Sachdarstellung der Beschwerdeführerin. So habe die Zeugin D.________ beobachtet, wie die Beschwerdeführerin einen Teil der Backwaren nicht getippt habe. Dem Geschäftsführer C.________ sei einige Wochen nach der Anstellung der Beschwerdeführerin aufgrund des Missverhältnisses zwischen den verbrauchten Nahrungsmitteln und den in der Kasse eingetippten Beträgen aufgefallen, dass etwas nicht stimme, weshalb er Videoaufnahmen aus dem Verkaufsraum angeschaut habe. Der Verdacht gegen die Beschwerdeführerin habe sich bestätigt; dies habe auch E.________ ausgesagt. Damit konfrontiert habe die Beschwerdeführerin ihre Verfehlungen zugegeben und auf der fristlosen Kündigung ihr Geständnis auch unterschrieben. Aus den eingereichten Unterlagen würden sich grosse Abweichungen zwischen den eingekauften und verkauften Backwaren ergeben; diese Unterlagen würden ein Indiz darstellen, dass nicht alle Waren bei ihrem Verkauf getippt worden seien. Der während der Anstellung der Beschwerdeführerin über dem schweizerischen Durchschnitt liegende und nach ihrem Abgang bedeutend zurückgegangene Gesamtaufwand aller Warenkosten stelle ein weiteres Indiz dafür da, dass nicht alle verkauften Waren korrekt abgerechnet worden seien. Weiter erwägt die Vorinstanz, der Einwand der Beschwerdeführerin, sie habe die fristlose Kündigung mit dem darin enthaltenen Eingeständnis nur deshalb unterschrieben, weil sie Angst vor den Drohungen mit einer polizeilichen Wegweisung aus der Schweiz gehabt habe, sei nicht glaubhaft und als Schutzbehauptung zu werten. 
Nach Würdigung der sich aus den Akten ergebenden Indizien, Beweise und Aussagen von verschiedenen Personen sowie der wenig glaubhaften Aussagen der Beschwerdeführerin würden keine erheblichen und nicht unüberwindbaren Zweifel daran bestehen, dass die Beschwerdeführerin nicht alle verkauften Waren getippt und die entsprechenden Einnahmen nicht an die Privatklägerin abgegeben habe. 
 
2.4. Die Vorinstanz verfällt nicht in Willkür, wenn sie festhält, von einer erneuten Befragung von C.________ seien keine neuen Erkenntnisse zu erwarten und sie erachte den Sachverhalt in antizipierter Beweiswürdigung als rechtsgenügend erstellt. Sofern die Beschwerdeführerin die unterlassene Befragung von C.________ durch die Vorinstanz mit der Begründung rügt, es bestünden in Bezug auf die Videoaufnahmen Widersprüche, so ist festzuhalten, dass sie im Beschwerdeverfahren nur einen Widerspruch erwähnt. Sie moniert, C.________ habe stets ausgeführt, er hätte die Veruntreuungen durch die Beschwerdeführerin auf Video aufgenommen und dann habe es geheissen, es gebe keine Videoaufnahmen. Diese Rüge erweist sich als unbehelflich. Sowohl C.________ als auch E.________ haben ausgesagt, die Aufnahmen seien gelöscht worden, nachdem die Beschwerdeführerin unter Zeugen ein Geständnis abgelegt und auch unterschrieben habe. Weitere plausible Gründe, weshalb C.________ zum vierten Mal hätte einvernommen werden sollen, führt die Beschwerdeführerin nicht an und solche sind auch nicht ersichtlich. Die Beschwerdeführerin legt nicht dar, inwiefern die Videoaufnahmen bzw. die Aussagen von C.________ dazu widersprüchlich seien. Ebenso wenig führt sie aus, weshalb C.________ möglicherweise seine früheren Aussagen revidieren sollte, nur weil er nicht mehr Geschäftsführer der Privatklägerin ist. Die Vorinstanz nimmt keine willkürliche antizipierte Beweiswürdigung vor, wenn sie den Sachverhalt ohne eine erneute Einvernahme von C.________ als erstellt erachtet. Daran ändert auch nichts, dass die Verfahrensleitung ursprünglich eine Befragung von C.________ vor der Berufungsinstanz vorsah und er vorgeladen wurde. Die Vorinstanz brauchte sich zudem auch nicht mit der Frage zu befassen, ob C.________ die Vorladung erhalten habe. Es ist nicht ersichtlich und wird von der Beschwerdeführerin auch nicht dargetan, inwiefern die Vorinstanz eine allfällig mangelhaft eröffnete Vorladung für C.________ zu Ungunsten der Beschwerdeführerin gewürdigt haben soll. Die Rüge der willkürlichen antizipierten Beweiswürdigung erweist sich als unbegründet, soweit sie überhaupt den qualifizierten Begründungsanforderungen genügt.  
Auf die Rüge der Beschwerdeführerin, die Vorinstanz habe lediglich belastende Elemente gewürdigt und die von ihr aufgeführten Beweise nicht gewürdigt, ist nicht einzutreten. Die Beschwerdeführerin sagt nicht, welche von ihr aufgeführten Beweise die Vorinstanz nicht berücksichtigt haben soll und genügt auch diesbezüglich den Begründungsanforderungen nicht (vgl. oben E. 2.2.1). Die Vorinstanz hat eine ausgewogene Gesamtbeweiswürdigung vorgenommen und die belastenden Beweismittel sehr wohl kritisch gewürdigt. Ihr Entscheid verletzt nicht Bundesrecht. Soweit auf die Rügen der Beschwerdeführerin einzutreten ist, erweisen sie sich als unbegründet. 
 
3.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist infolge Aussichtslosigkeit der Beschwerde abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Damit wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Ihrer finanziellen Lage ist mit einer reduzierten Gerichtsgebühr Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Freiburg, Strafappellationshof, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 8. Februar 2023 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari 
 
Die Gerichtsschreiberin: Erb