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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
8C_940/2009 {T 0/2} 
 
Urteil vom 8. März 2010 
I. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Ursprung, Präsident, 
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Frésard, 
Gerichtsschreiber Holzer. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Erbengemeinschaft M.________, bestehend aus: 
1. B.________, 
2. S.________, 
beide vertreten durch Rechtsanwalt Biagio De Francesco, 
Beschwerdeführerinnen, 
 
gegen 
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung (Berufskrankheit), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Glarus vom 30. September 2009. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Der 1931 geborene M.________ war von 1962 bis 1975 als Produktionsmitarbeiter der Firma E.________ AG bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen die Folgen von Berufskrankheiten versichert. Mit Schreiben vom 14. März 2005 meldete er sich über das italienische Istituto Nazionale per l'Assicurazione contro gli Infortuni sul Lavoro (INAIL; Ankunft des Schreibens bei der INAIL: 7. April 2005) bei der SUVA unter Hinweis auf das im November 2004 diagnostizierte "Mesotelioma pleurico destro in paziente affetto da BCOP di grado severo" zum Leistungsbezug an. 
 
Am 4. April 2005 verstarb M.________. 
 
Die SUVA anerkannte, dass ein durch eine berufsbedingte Exposition mit Asbeststaub verursachtes Pleuramesotheliom zum Tod des Versicherten geführt hatte, und sprach seiner Witwe, B.________, mit Verfügung vom 31. Mai 2007 eine Witwenrente zu. Demgegenüber verneinte die Anstalt mit Verfügung vom 14. November 2007 und Einspracheentscheid vom 17. Januar 2008 einen Anspruch des Versicherten (resp. seiner Erben) auf eine rückwirkende Ausrichtung einer Invalidenrente, einer Abfindung oder einer Integritätsentschädigung, da die chronisch-obstruktive Bronchitis (COPD) nicht berufsbedingt sei und der Versicherte nach der Diagnose des Pleuromesothelioms weniger als fünf Monate überlebt habe. Betreffend der allfälligen Ausrichtung einer rückwirkenden Hilflosenentschädigung wurde auf einen zukünftigen Entscheid verwiesen. 
 
B. 
Die von B.________ und S.________ als Erben des M.________ hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Glarus mit Entscheid vom 30. September 2009 ab. 
 
C. 
Mit Beschwerde beantragten die Erben des M.________, die Sache sei unter Aufhebung des Einsprache- und des kantonalen Gerichtsentscheides an die SUVA zurückzuweisen. 
 
Während die SUVA auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
1.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann eine Beschwerde mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 132 II 257 E. 2.5 S. 262; 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind. Es ist jedenfalls nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen werden (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). 
 
1.2 Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG). 
 
2. 
2.1 Gemäss Art. 6 Abs. 1 UVG erbringt die Unfallversicherung auch Leistungen bei Berufskrankheiten. Als Berufskrankheiten gelten nach Art. 9 Abs. 1 UVG Krankheiten (Art. 3 ATSG), die bei der beruflichen Tätigkeit ausschliesslich oder vorwiegend durch schädigende Stoffe oder bestimmte Arbeiten verursacht worden sind. Der Bundesrat erstellt die Liste dieser Stoffe und Arbeiten sowie der arbeitsbedingten Erkrankungen. Gemäss der Liste im Anhang 1 zur UVV gilt Asbeststaub als schädigender Stoff im Sinne von Art. 9 Abs. 1 UVG
 
2.2 In Anwendung von Art. 9 Abs. 2 UVG gelten als Berufskrankheiten auch andere Krankheiten, von denen nachgewiesen wird, dass sie ausschliesslich oder stark überwiegend durch berufliche Tätigkeit verursacht worden sind. 
 
3. 
3.1 Es ist unbestritten, dass der Versicherte am 4. April 2005 an dem im November 2004 diagnostizieren Pleuramesotheliom verstorben ist. Im Weiteren anerkennt die SUVA die Kausalität zwischen dem Ausüben einer versicherten Tätigkeit mit Exposition zu Asbeststaub in den 1960er und 1970er Jahre bei der Firma E.________ AG und diesem Leiden. Die Anstalt sprach mit Verfügung vom 31. Mai 2007 der Witwe des Versicherten, B.________, eine Hinterlassenenrente ab 1. Mai 2005 zu. Streitig und zu prüfen ist zunächst, ob der Versicherte vor seinem Ableben aufgrund dieser Krankheit einen Anspruch auf eine Integritätsentschädigung der Unfallversicherung erworben hat. 
 
3.2 Das kantonale Gericht hat in zutreffender Darstellung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung erwogen, die Integritätsentschädigung bezwecke nicht einen Ausgleich körperlicher oder psychischer Leiden der versicherten Person während der ärztlichen Behandlung, sondern die pauschalierte Abgeltung der nach Abschluss der ärztlichen Behandlung verbleibenden Unbill, welche aus der dauerhaften erheblichen Schädigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Integrität hervorgeht (vgl. BGE 133 V 224 E. 5.1 ff. S. 230 f.). Eine Berufskrankheit mit erheblicher Beeinträchtigung der Lebenserwartung des Versicherten bewirkt daher dann keinen dauernden Integritätsschaden, wenn zwischen dem Zeitpunkt, in dem die Behandlung keine Verbesserung des Zustandes mehr versprach, und demjenigen des Todes weniger als zwölf Monate lagen (BGE 133 V 224 E. 5.4 S. 231 f.). 
 
3.3 Gemäss der Aktenzusammenfassung der SUVA-Ärztin Dr. med. O.________ vom 28. August 2006 fand die erste Behandlung des Pleuramesothelioms des Versicherten am 5. November 2004 statt. Diese Aussage findet sich auch im Privatgutachten des Dr. med. C.________ Chirurge und Spezialarzt für Arbeitsmedizin sowie für Hygiene und medizinische Prävention vom 13. August 2008 bestätigt: Auch dieser Arzt geht davon aus, dass ein Pleuramesotheliom erst ab November 2004 zu diagnostizieren war. Da der Versicherte am 4. April 2005 verstorben ist, braucht, wie die Vorinstanz zutreffend erwogen hat, nicht näher geprüft zu werden, in welchem Zeitpunkt die Behandlung keine weitere Besserung des Zustandes mehr versprach, da selbst zwischen Auftreten der Krankheit und dem Tod weniger als sechs Monate vergingen. Somit kann das Erfordernis der mindestens zwölfmonatigen Stabilisierung des Gesundheitszustandes nicht erfüllt sein. Insoweit in der Beschwerde eine Integritätsentschädigung wegen des Pleuramesothelioms verlangt wird, ist diese offensichtlich unbegründet. 
 
4. 
4.1 Es ist im Weiteren unbestritten, dass der Versicherte seit spätestens 1999 an einer schweren COPD litt. Streitig und zu prüfen ist, ob auch diese als Berufskrankheit hätte anerkannt werden müssen und ob den Erben des Versicherten rückwirkend Leistungen aufgrund dieses Leidens zuzusprechen sind. Vorinstanz und Verwaltung gingen gestützt auf die Beurteilung des SUVA-Arztes Dr. med. R.________, Facharzt für Dermatologie, Venerologie und Arbeitsmedizin, vom 7. November 2007 davon aus, dass die COPD des Versicherten nicht durch die Asbestexposition verursacht wurde. Demgegenüber machen die Beschwerdeführerinnen eine solche Verursachung unter Hinweis auf das erwähnte Privatgutachten des Dr. med. C.________ vom 13. August 2008 geltend. 
 
4.2 Da Asbeststaub auf der Liste der schädigenden Stoffe im Anhang 1 der UVV aufgeführt wird und die Beschwerdeführerinnen einen Zusammenhang zwischen einer Asbeststaub-Exposition und dem Leiden des Versicherten geltend machen, ist entgegen den Erwägungen der Vorinstanz das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Art. 9 Abs. 1 UVG und nicht einer solchen nach Art. 9 Abs. 2 UVG streitig. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass COPD von der SUVA offenbar praxisgemäss grundsätzlich nicht als durch Asbeststaub verursacht anerkannt werden. Demnach bestünde bereits dann eine Leistungspflicht der Beschwerdegegnerin, wenn erstellt wäre, die Krankheit sei "vorwiegend" durch die berufsbedingte Exposition verursacht, ohne dass eine "stark überwiegende" Verursachung des Leidens durch die berufliche Tätigkeit nachgewiesen werden müsste. 
 
4.3 Auf die Berichte versicherungsinterner Ärzte kann rechtsprechungsgemäss dann abgestellt werden, wenn auch nicht geringe Zweifel an der Richtigkeit ihrer Schlussfolgerungen bestehen (BGE 8C_216/2009 E. 4.7). Auch wenn das Privatgutachten des Dr. med. C.________ nicht vollständig nachvollziehbar ist und wissenschaftlich weniger stark abgestützt als die Stellungnahme des SUVA-Arztes Dr. med. R._________ erscheint, so vermag es doch zumindest geringe Zweifel an der Zuverlässigkeit der Schlussfolgerungen des versicherungsinternen Arztes zu begründen (vgl. BGE 8C_216/2009 E. 4.6). Demgegenüber kann aus dem Umstand, dass sich die behandelnden medizinischen Fachpersonen nicht zur Ätiologie des Leidens äusserten, nichts abgeleitet werden. Demnach ist die Beschwerde gutzuheissen, Einsprache- und kantonaler Gerichtsentscheid sind aufzuheben und die Sache ist an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen, damit diese ein versicherungsexternes (Akten-)Gutachten zur Frage einhole, ob das COPD des Versicherten vorwiegend durch die Asbeststaub-Exposition verursacht worden war. Anschliessend wird sie über die Leistungsansprüche des Versicherten bzw. dessen Erben neu zu verfügen haben. 
 
5. 
Entsprechend dem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten den Parteien je zur Hälfte aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführerinnen überdies eine reduzierte Parteientschädigung zu entrichten (Art. 68 Abs. 1 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Glarus vom 30. September 2009 und der Einspracheentscheid der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) vom 17. Januar 2008 werden, soweit die COPD betreffend, aufgehoben. Es wird die Sache an die SUVA zurückgewiesen, damit sie nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen über den Anspruch der Beschwerdeführerinnen auf rückwirkende Leistungen wegen der COPD neu verfüge. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2. 
Von den Gerichtskosten von Fr. 750.- werden den Beschwerdeführerinnen Fr. 375.- und der Beschwerdegegnerin Fr. 375.- auferlegt. 
 
3. 
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerinnen für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'400.- zu entschädigen. 
 
4. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Verwaltungsgericht des Kantons Glarus zurückgewiesen. 
 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Glarus und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 8. März 2010 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Ursprung Holzer