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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1P.182/2004 /bie 
 
Urteil vom 8. April 2004 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident, 
Bundesgerichtsvizepräsident Nay, 
Bundesrichter Aeschlimann, 
Gerichtsschreiber Störi. 
 
Parteien 
X.________, zzt. Untersuchungsgefängnis Telli, 
5004 Aarau, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Markus Koch, 
 
gegen 
 
Bezirksamt Bremgarten, 
Rathausplatz 3, 5620 Bremgarten AG, 
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau, 
Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus, 5001 Aarau, 
Vizepräsident der Beschwerdekammer des Obergerichts des Kantons Aargau, 
Obere Vorstadt 38, 5000 Aarau. 
 
Gegenstand 
Art. 29 Abs. 2 und Art. 31 Abs. 2 BV
Art. 5 Ziff. 1 lit. c und Ziff. 2 EMRK 
(Haftverlängerung), 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen die Verfügung 
des Vizepräsidenten der Beschwerdekammer des Obergerichts des Kantons Aargau vom 18. März 2004. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Gestützt auf einen Haftbefehl des Bezirksamtes Bremgarten vom 2. März 2004 wurde X.________ verhaftet und am 9. März 2004 in Untersuchungshaft genommen. Er wird der Gehilfenschaft zu vorsätzlicher Tötung verdächtigt. 
 
Mit Eingabe vom 15. März 2004 beantragte der Bezirksamtmann-Stellvertreter des Bezirksamtes dem Präsidenten der Beschwerdekammer des Obergerichts Aargau "unter Hinweis auf die beiliegenden Akten und meinen tel. Bericht", die Untersuchungshaft gegen X.________ bis zum Eingang der Anklage beim Gericht zu verlängern. Zur Begründung führte er an, F.Y.________ habe am 27. Januar 2004 ihren Ehemann A.Y.________ mit zwei Kopfschüssen umgebracht. Der nicht geständige X.________ werde konkret und dringend verdächtigt, sich der Gehilfenschaft zu diesem Tötungsdelikt schuldig gemacht zu haben. Das polizeiliche Ermittlungsverfahren sei noch nicht abgeschlossen und werde aller Voraussicht nach noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Neben bestehender Kollusionsgefahr sei auch klar Fluchtgefahr zu bejahen. 
 
Der Vizepräsident der Beschwerdekammer in Strafsachen des Obergerichts verfügte am 18. März 2004 die Verlängerung der Untersuchungshaft gegen X.________ bis zum Eingang der Anklage beim Gericht. 
B. 
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 22. März 2004 wegen Verletzung von Art. 29 und Art. 31 BV sowie von Art. 5 Ziff. 1 lit. c und Ziff. 2 EMRK beantragt X.________, diesen Entscheid aufzuheben und ihn aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Ausserdem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. 
 
Zur Begründung führt er im Wesentlichen an, weder aus dem Haftbefehl noch dem Haftverlängerungsantrag noch dem angefochtenen Entscheid gehe hervor, was für ein Sachverhalt dem Tatvorwurf zu Grunde liege. Auf Grund von Art. 5 Ziff. 2 EMRK, Art. 31 Ziff. 2 BV und § 69 Abs. 1 Ziff. 2 StPO habe er Anspruch zu erfahren, mit welchem konkreten Sachverhalt er den ihm zur Last gelegten Tatbestand erfüllt haben soll. Da ihm die diesbezüglichen Angaben vorenthalten würden, sei er aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Zudem werde nirgends begründet, weshalb er dringend tatverdächtig sein soll. 
C. 
In seiner Vernehmlassung beantragt der Präsident der Beschwerdekammer, die Beschwerde abzuweisen. Zur Begründung führt er unter anderem an, dem amtlichen Verteidiger seien die Hafteröffnungs-Akten zugestellt worden. Anschliessend habe er kein Gesuch um weitere Akteneröffnung oder um Teilnahme an den Einvernahmen seines Klienten vom 12. und vom 17. März 2004 gestellt. Aus den beigezogenen Protokollen dieser Einvernahmen gehe hervor, dass der Beschwerdeführer aus ermittlungstaktischen Gründen noch nicht mit den Aussagen der Hauptbeschuldigten konfrontiert worden sei, was bei der Formulierung des Haftverlängerungsantrages habe berücksichtigt werden müssen. 
 
In seiner Replik hält X.________ an der Beschwerde vollumfänglich fest. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Beim angefochtenen Entscheid des obergerichtlichen Beschwerdekammer-Vizepräsidenten handelt es sich um einen kantonal letztinstanzlichen Endentscheid, gegen den die staatsrechtliche Beschwerde zulässig ist (Art. 86 Abs. 1 OG). Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung von verfassungsmässigen Rechten, wozu er befugt ist (Art. 88 OG). Da diese und die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde unter dem Vorbehalt gehörig begründeter Rügen (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 127 I 38 E. 3c; 125 I 492 E. 1b) einzutreten. 
1.2 Mit einer staatsrechtlichen Beschwerde gegen die Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft kann, ausser der Aufhebung des angefochtenen Entscheids, auch die sofortige Entlassung aus der Haft verlangt werden (BGE 115 Ia 293 E. 1a). Der entsprechende Antrag des Beschwerdeführers ist daher zulässig. 
2. 
Der Beschwerdeführer rügt, seine Untersuchungshaft sei angeordnet und verlängert worden, ohne dass man ihm die Gründe dafür mitgeteilt habe. Das verstosse gegen § 69 Abs. 1 Ziff. 2 der Strafprozessordnung des Kantons Aargau vom 11. November 1958 (StPO), Art. 31 Abs. 2 BV und Art. 5 Ziff. 2 EMRK
2.1 § 69 Abs. 1 Ziff. 2 StPO bestimmt, dass der Haftbefehl "die Angabe der Tat, deren er beschuldigt wird, der Strafbestimmungen und des Grundes der Verhaftung" enthalten muss. Nach Art. 31 Abs. 2 BV hat jede Person, der die Freiheit entzogen wird, u.a. "Anspruch darauf, unverzüglich und in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe des Freiheitsentzuges und über ihre Rechte unterrichtet zu werden. Sie muss die Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend zu machen." Nach Abs. 3 hat jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, u.a. "Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden; die Richterin oder der Richter entscheidet, ob die Person weiterhin in Haft gehalten oder freigelassen wird". Diese Ansprüche werden teilweise auch in Art. 5 Ziff. 2 und 3 EMRK garantiert, wobei diese Garantien nicht über diejenigen der Bundesverfassung hinausgehen. 
Grundvoraussetzung einer Verhaftung ist nach § 67 Abs. 1 StPO der dringende Verdacht, eine Straftat begangen zu haben. Ist ein Verhafteter nach den erwähnten verfassungs- und konventionsrechtlichen Garantien über die "Gründe des Freiheitsentzuges" zu unterrichten, so gehört dazu vorab dieser Tatverdacht. Dessen Kenntnis ist unabdingbare Voraussetzung für die Ausübung seines Anhörungsrechtes, kann sich der Verhaftete doch offenkundig nur gegen einen ihm bekannten Vorwurf zu Wehr setzen. 
 
Diese Rechtslage hat das Bundesgericht bereits im ebenfalls den Kanton Aargau betreffenden Entscheid 1P.463/2000 vom 16. August 2000 dargelegt. 
2.2 Im Haftbefehl vom 2. März 2004 wird als Beschuldigung "Gehilfenschaft bei vorsätzlicher Tötung (Tötungsdelikt begangen am 27. Januar 2004 in Z.________, z.N. A.Y.________)" aufgeführt und als Haftgründe Flucht- und Kollusionsgefahr. Nach dem Verhandlungsprotokoll wurden dem Beschwerdeführer bei der Hafteröffnung vom 9. März 2004 zum Tatverdacht keinerlei weitere Angaben gemacht, ebenso wenig wie im Haftverlängerungsantrag des Bezirksamtes vom 15. März 2004 und an der Anhörung des Beschwerdeführers dazu vom 16. März 2004. Der angefochtene Haftverlängerungsentscheid selber besteht nur aus einem Dispositiv ohne Begründung. Aus den Einvernahmen des Beschwerdeführers zur Sache ergibt sich zwar, dass er mit F.Y.________ bekannt war und dass er deren Nummer in seinem Natel löschte, als der Tod von A.Y.________ bekannt geworden war. Irgendwelche Hinweise, was ihm die Strafverfolgungsbehörden in tatsächlicher Hinsicht vorwerfen könnten, ergeben sich daraus indessen nicht. Ein konkreter Tatvorwurf im Sinne von § 67 Abs. 1 StPO, gegen den er sich z.B. mit einem Alibi hätte zur Wehr setzen können, wurde dem Beschwerdeführer nie gemacht. Der Beschwerdeführer konnte somit seine verfassungs- und konventionsrechtlich garantierten Verteidigungsrechte nicht geltend machen. Die Rüge, der Vizepräsident der Beschwerdekammer habe Art. 31 Abs. 2 BV sowie Art. 5 Ziff. 2 EMRK verletzt, indem er im angefochtenen Entscheid die Untersuchungshaft bis zum Eingang der Anklage beim Gericht verlängerte, ist begründet. 
2.3 Ebenso wenig wie sich ein Verhafteter gegen einen nicht bekannten Vorwurf wehren kann, ist es unter diesen Umständen einem Gericht möglich, nachzuprüfen, ob ein dringender Tatverdacht bestehe. Das Bundesgericht kann dies im vorliegenden Fall nicht beurteilen, aus den ihm zur Verfügung gestellten Akten lässt sich ein Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer nicht herleiten. Der Vizepräsident der Beschwerdekammer fühlte sich offenbar auf Grund des telefonischen Berichts des Bezirksamtmann-Stellvertreters in der Lage, die Haftgründe zu bejahen. Dies ist für das Bundesgericht nicht nachvollziehbar, da der Inhalt dieses Telefonats aktenmässig nicht dokumentiert ist. 
3. 
Der angefochtene Entscheid ist somit aufzuheben, ohne dass die weiteren Rügen geprüft werden müssten. Angesichts der Schwere des Tatvorwurfes rechtfertigt es sich jedoch, das Haftentlassungsgesuch abzuweisen und den Strafverfolgungsbehörden Gelegenheit zu geben, ihren gesetzlich, verfassungs- und konventionsrechtlich festgelegten Informationspflichten unverzüglich nachzukommen und dem Beschwerdeführer mitzuteilen, was sie ihm konkret vorwerfen, um auf diese Weise die Untersuchungshaft gegen ihn in verfassungskonformer Weise zu verlängern. Nicht erforderlich ist, dass sie ihm dabei sofort die Beweismittel offen legen, auf die sie ihren Verdacht gründen; diese können sie, jedenfalls zu Beginn der Strafuntersuchung, zurückhalten, wenn dies aus ermittlungstaktischen Gründen erforderlich sein sollte. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 156 OG). Hingegen hat der unterliegende Kanton Aargau dem Beschwerdeführer eine angemessene Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 159 OG). Damit wird sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gegenstandslos. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
1.1 Die Beschwerde wird gutgeheissen und der angefochtene Entscheid des Vizepräsidenten der Beschwerdekammer des Obergerichts des Kantons Aargau vom 18. März 2003 aufgehoben. 
1.2 Das Haftentlassungsgesuch wird abgewiesen. 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
3. 
Der Kanton Aargau hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 1'500.-- zu bezahlen. 
4. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Bezirksamt Bremgarten, der Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau und dem Vizepräsident der Beschwerdekammer des Obergerichts des Kantons Aargau schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 8. April 2004 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: