Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 7} 
C 188/06 
 
Urteil vom 8. Mai 2007 
I. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Ursprung, Präsident, 
Bundesrichterinnen Widmer, Leuzinger, 
Gerichtsschreiberin Polla. 
 
Parteien 
S.________, 1949, Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Kantonale Arbeitslosenkasse St. Gallen, Davidstrasse 21, 9000 St. Gallen, Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Arbeitslosenversicherung, 
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 21. Juni 2006. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Der 1949 geborene S.________ war von Januar 2001 bis Januar 2004 bei der Firma T.________ AG als Verwaltungsratsdelegierter und Geschäftsführer tätig. Ab 11. Oktober 2005 ersuchte er um Leistungen der Arbeitslosenversicherung, wobei er angab, ein gewisses Einkommen mit der Einzelfirma X.________ zu erzielen. Infolge Stellenantritt am 1. Dezember 2005 meldete sich S.________ von der Arbeitslosenversicherung wieder ab. Mit Verfügung vom 1. Dezember 2005 verneinte die Arbeitslosenkasse des Kantons St. Gallen den Taggeldanspruch ab 11. Oktober 2005 mangels Erfüllung der Beitragszeit. Daran hielt sie auf Einsprache hin fest (Einspracheentscheid vom 10. Januar 2006). 
B. 
Die hiegegen erhobene Beschwerde mit dem Antrag auf Verlängerung der Rahmenfrist für die Beitragszeit um zwei Jahre wies das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 21. Juni 2006 ab. 
C. 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde erneuert S.________ sein vorinstanzlich gestelltes Rechtsbegehren. 
Die Arbeitslosenkasse und das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) verzichten auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110) ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395). 
2. 
2.1 Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen über die Erfüllung der Beitragszeit als Voraussetzung des Anspruchs auf Arbeitslosenentschädigung (Art. 8 Abs. 1 lit. e AVIG), die vorbehältlich abweichender gesetzlicher Regelungen geltenden zweijährigen Rahmenfristen für den Leistungsbezug und die Beitragszeit (Art. 9 AVIG) sowie die Dauer der erforderlichen Beitragszeit innerhalb der entsprechenden Rahmenfrist (Art. 13 Abs. 1 AVIG) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
2.2 Gemäss Art. 9a Abs. 1 AVIG wird die Rahmenfrist für den Leistungsbezug von Versicherten, die den Wechsel zu einer selbstständigen Erwerbstätigkeit ohne Bezug von Leistungen nach den Artikeln 71a-71d AVIG vollzogen haben, um zwei Jahre verlängert, wenn im Zeitpunkt der Aufnahme der selbstständigen Erwerbstätigkeit eine Rahmenfrist für den Leistungsbezug läuft (lit. a) und der Versicherte im Zeitpunkt der Aufgabe der selbstständigen Erwerbstätigkeit die Anspruchsvoraussetzung der genügenden Beitragszeit wegen Ausübung der selbstständigen Erwerbstätigkeit nicht erfüllt (lit. b). 
 
Die Rahmenfrist für die Beitragszeit von Versicherten, die den Wechsel zu einer selbstständigen Erwerbstätigkeit ohne Bezug von Leistungen vollzogen haben, wird um die Dauer der selbstständigen Erwerbstätigkeit, höchstens jedoch um zwei Jahre verlängert (Art. 9a Abs. 2 AVIG). 
3. 
Streitig ist der Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung vom 11. Oktober bis 30. November 2005, namentlich die Festsetzung der massgebenden Rahmenfristen für die Beitragszeit und den Leistungsbezug. 
Fest steht, dass der Beschwerdeführer in den zwei der Anmeldung zum Leistungsbezug vorangehenden Jahren (11. Oktober 2003 bis 10. Oktober 2005) während lediglich rund 3.7 Monaten eine beitragspflichtige Beschäftigung ausübte und insoweit die Anspruchsvoraussetzung der Erfüllung der Mindestbeitragszeit gemäss Art. 8 Abs. 1 lit. e AVIG in Verbindung mit Art. 9 Abs. 3 und Art. 13 Abs. 1 AVIG nicht erfüllt ist und auch kein Befreiungsgrund gestützt auf Art. 14 AVIV vorliegt. Unbestritten ist ferner, dass der Versicherte am 23. April 2004 mit dem Eintrag einer Einzelfirma im Handelsregister einen Wechsel zur selbstständigen Erwerbstätigkeit ohne Unterstützungsleistungen der Arbeitslosenversicherung nach Art. 71a-71d AVIG vollzogen hat, die im Zeitpunkt der Anmeldung weiterhin andauerte und erst am 20. Juni 2006 über den Versicherten als Inhaber der Einzelfirma der Konkurs eröffnet worden war. Uneinigkeit besteht einzig darüber, ob eine Verlängerung der Beitragsrahmenfrist nach Art. 9a Abs. 2 AVIG die definitive Aufgabe der selbstständigen Erwerbstätigkeit bedingt. 
3.1 Der im Rahmen der am 1. Juli 2003 in Kraft getretenen AVIG-Revision neu eingefügte Art. 9a AVIG erfasst jene Personen, die eine selbstständige Erwerbstätigkeit ohne Unterstützung der Arbeitslosenversicherung (Art. 71a ff. AVIG) aufgenommen und wieder definitiv aufgegeben haben und bei (Wieder-)Anmeldung bei der Arbeitslosenversicherung die Mindestbeitragszeit im Sinne von Art. 9 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 13 Abs. 1 AVIG nicht erfüllen (vgl. Thomas Nussbaumer, Arbeitslosenversicherung, Rz 106, in: Ulrich Meyer [Hrsg.], Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, Band XIV: Soziale Sicherheit, 2., aktualisierte und ergänzte Auflage, Basel 2007). Wie Art. 71d Abs. 2 AVIG trägt Art. 9a AVIG dem erhöhten Risiko Rechnung, das mit der Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit verbunden ist. Nach der ratio legis soll die Tatsache allein, dass aufgrund einer nicht beitragswirksamen (vgl. Art. 3 a Abs. 1 AVIV) selbstständigen Erwerbstätigkeit keine genügende Beitragszeit generiert werden konnte, bei (Wieder-)Anmeldung zum Taggeldbezug den Anspruch nicht ausschliessen (BGE 133 V 82 E. 3.1 S. 85f.). 
3.2 Zwar umfasst Art. 9a AVIG zwei grundsätzlich verschiedene Sachverhalte, deren Tatbestandsmässigkeit zu je unterschiedlichen Rechtsfolgen führt (zum Verhältnis von Art. 9a Abs. 1 und 9a Abs. 2 AVIG: BGE 133 V 82 E. 3 S. 85ff.). Dass aber eine Verlängerung der Rahmenfrist gestützt auf Art. 9a Abs. 2 AVIG ebenso wie die Leistungsrahmenfristverlängerung nach Art. 9a Abs. 1 AVIG die definitive Aufgabe der selbstständigen Erwerbstätigkeit voraussetzt, was nach den Kriterien gemäss der mit BGE 123 V 234 begründeten Rechtsprechung zu beurteilen ist (Nussbaumer, a.a. O. Rz 108), steht ausser Frage (Urteil C 225/06 vom 22. Januar 2007, E. 3). Eine diesbezügliche Erwähnung in den Schulungsunterlagen des seco verstösst somit - entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers - keinesfalls gegen Wortlaut, Sinn und Zweck der gesetzlichen Norm. Mit dem Weiterbestehen der Einzelfirma X.________ bis zur (erst im Juni 2006) erfolgten Konkurseröffnung, sind daher die Voraussetzungen für eine Verlängerung der Rahmenfrist für die Beitragszeit nach Art. 9a Abs. 2 AVIG nicht erfüllt. Der Versicherte behielt damit - ungeachtet der effektiven Geschäftsaktivitäten, die ausweislich der Akten dem Beschwerdeführer zumindest noch bis Ende 2005 Einkünfte bescherten - jegliche unternehmerische Dispositionsfreiheit, was zumindest das Risiko eines Missbrauchs der Arbeitslosenversicherung in sich barg. Irrelevant für die Beurteilung des vorliegenden Sachverhalts ist daher auch seine Aufnahme einer Vollzeitstelle als Arbeitnehmer am 1. Dezember 2005. 
4. 
Der Beschwerdeführer macht geltend, die für eine Rahmenfristverlängerung verlangte definitive Geschäftsaufgabe ergebe sich weder aus dem AVIG noch aus Broschüren des RAV. Die unveröffentlichten Schulungsunterlagen, auf welche sich Verwaltung und Vorinstanz berufen würden, könnten nicht als Ergänzung zu einem Gesetz verstanden werden. Insoweit der Versicherte damit eine Informationspflichtverletzung geltend macht, ergibt sich in der Tat aus den vorliegenden Akten nicht, dass Arbeitslosenkasse oder RAV den Versicherten in Nachachtung ihrer Aufklärungs- und Beratungspflicht (Art. 27 ATSG; zum Ganzen: BGE 131 V 472; Urteile C 122/05 vom 11. Oktober 2005, und C 157/05 vom 28. Oktober 2005; vgl. auch Urteil C 86/06 vom 22. Januar 2007 E. 4.3 und Nussbaumer, a.a.O. Rz 276) im Zeitpunkt seiner Anmeldung zum Leistungsbezug auf die weiterhin andauernde selbstständige Erwerbstätigkeit und den dadurch bedrohten Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung aufmerksam gemacht hätten. Ausweislich der Akten erwähnte die Arbeitslosenkasse erstmals im Rahmen der Gewährung des rechtlichen Gehörs am 17. November 2005, dass die Rahmenfrist für die Beitragszeit nicht verlängert werden könne, da er noch als Selbstständigerwerbender registriert sei. Mit Blick auf den öffentlich-rechtlichen Vertrauensschutz bringt der Versicherte hingegen zu keinem Zeitpunkt vor, er hätte bei rechtzeitiger behördlicher Auskunft in dem Sinne anders disponiert, dass er seine Tätigkeit als Selbständigerwerbender aufgegeben und die Firma im Handelsregister gelöscht hätte. Wenn die Vorinstanz bei dieser Sachlage davon ausging, eine vertrauensschutzrechtlich bedeutsame nachteilige Disposition oder Unterlassung (dazu: BGE 131 V 472 E. 5 S. 480 f, 127 I 31 E. 3a S. 36; RKUV 2000 Nr. KV 126 S. 223 K 23/98; zu Art. 4 Abs. 1 aBV ergangene, weiterhin geltende Rechtsprechung: BGE 121 V 65 E. 2a S. 66 mit Hinweisen) läge nicht vor, lässt sich dies nicht beanstanden, womit auch unter diesem Gesichtswinkel kein Leistungsanspruch besteht. 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, dem Amt für Arbeit des Kantons St. Gallen und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt. 
Luzern, 8. Mai 2007 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: