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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
1C_604/2013  
   
   
 
 
 
Urteil vom 8. Oktober 2013  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident, 
Bundesrichter Merkli, Eusebio, 
Gerichtsschreiberin Gerber. 
 
Verfahrensbeteiligte 
STWEG X.________,  
Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Andreas Flütsch, 
 
gegen  
 
Baugesellschaft Y.________,  
Beschwerdegegnerin, 
vertreten durch Rechtsanwältin Martina Schmid, 
 
Gemeinde Schmitten, 7493 Schmitten (Albula)  
vertreten durch Rechtsanwalt Jon Andri Moder, 
 
Gegenstand 
Baueinsprache, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des 
Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden, 
5. Kammer, vom 30. April 2013. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
 Am 19. Oktober 2012 wurde ein Baugesuch der Baugesellschaft Y.________ für ein Mehrfamilienhaus auf Parzelle 176 in der Gemeinde Schmitten publiziert. Gegen das Baugesuch wie auch gegen eine Projektänderung vom 23. November 2012 erhob die X.________, Eigentümerin von Parzelle 437, Einsprache. 
 
 Am 21. Dezember 2012 erteilte der Gemeindevorstand Schmitten die Baubewilligung unter Bedingungen und Auflagen. Er erlegte der Baugesellschaft Y.________ auf, vor Baubeginn den Eigentumserwerb von Parzelle 351 und 439 von A.________ grundbuchlich zu vollziehen und den Ausnützungstransport zulasten dieser beiden Parzellen und zu Gunsten von Parzelle 176 grundbuchrechtlich sicherzustellen. Der Ausnützungstransport von Parzelle 220 zu Gunsten von Parzelle 176 sei vor Baubeginn vorzunehmen und grundbuchrechtlich zu vollziehen. Den Einsprachen wurde teilweise entsprochen und die Bauherrschaft verpflichtet, der Stockwerkeigentümergemeinschaft X.________ eine Entschädigung von Fr. 3'000.-- zu bezahlen. 
 
B.  
 
 Dagegen erhob die Stockwerkeigentümergemeinschaft X.________ am 15. Januar 2013 Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden. Sie rügte verschiedene Verfahrensmängel; materiell machte sie geltend, der vorgesehene Ausnützungstransport sei unzulässig und der kleine Grenzabstand von 2.5 m für die Aussenparkplätze nicht eingehalten. Am 30. April 2013 wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde ab. 
 
C.  
 
 Gegen den verwaltungsgerichtlichen Entscheid erhob die Stockwerkeigentümergemeinschaft X.________ am 1. Juli 2013 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht. Sie beantragt, der angefochtene Entscheid und der Baubescheid vom 21. Dezember 2012 (mit Ausnahme der Entschädigungsregelung zu Gunsten der Beschwerdeführerin) seien aufzuheben und es sei die Baubewilligung für den Neubau des Appartmenthauses auf Parzelle Nr. 176, Osterhubel, in Schmitten zu verweigern. In ihrer Beschwerde macht sie erstmals geltend, dass es sich beim Bauvorhaben um Zweitwohnungen handle, die nach Art. 75b Abs. 1 BV unzulässig seien, weil der Zweitwohnungsanteil in Schmitten über 20 % liege. 
 
D.  
 
 Die Baugesellschaft Y.________ (im Folgenden: die Beschwerdegegnerin) beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Sie räumt zwar ein, dass die neue rechtliche Argumentation der Beschwerdeführerin (Verletzung des Zweitwohnungsverbots) nach Art. 106 Abs. 1 BGG zulässig sei, macht aber geltend, dass es an den notwendigen tatsächlichen Feststellungen fehle (Art. 105 BGG), weil die Zweitwohnungsproblematik weder im Einsprache- noch im Verwaltungsgerichtsverfahren thematisiert worden sei. Die erstmals vor Bundesgericht vorgebrachte Behauptung, es handle sich um einen Zweitwohnungsbau, sei ein unzulässiges Novum (Art. 99 Abs. 1 BGG). 
 
 Das Verwaltungsgericht schliesst ebenfalls auf Abweisung der Beschwerde. Die Gemeinde Schmitten hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
E.  
 
 Mit Verfügung vom 5. September 2013 wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung erteilt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
 Gegen den kantonal letztinstanzlichen Endentscheid des Verwaltungsgerichts steht grundsätzlich die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht offen (Art. 82 lit. a und 86 Abs. 1 lit. d BGG). Die Beschwerdeführerin ist als Eigentümerin einer angrenzenden Parzelle zur Beschwerde legitimiert (Art. 89 Abs. 1 BGG). Auf die rechtzeitig erhobene Beschwerde (Art. 100 Abs. 1 BGG) ist daher einzutreten. 
 
2.  
 
 Neue rechtliche Begründungen sind vor Bundesgericht grundsätzlich zulässig (BGE 136 V 362 E. 4.1 S. 366 mit Hinweisen). Ohnehin kann dieses die Vereinbarkeit der Baubewilligung mit Art. 75b i.V.m. Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV von Amtes wegen prüfen (Art. 106 Abs. 1 BGG). Zwar legt es seinem Urteil grundsätzlich den vorinstanzlich festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG); es kann aber ausnahmsweise auch selber eine Sachverhaltsfeststellung ergänzen (Art. 105 Abs. 2 BGG), namentlich dann, wenn ein Sachverhaltselement erst infolge einer anderen rechtlichen Betrachtung des Bundesgerichts rechtserheblich wird (BGE 136 V 362 E. 4.1 S. 366). 
 
 Im vorliegenden Fall macht die Beschwerdeführerin erstmals vor Bundesgericht geltend, es handle sich um einen Zweitwohnungsbau, und belegt dies mit zahlreichen Indizien (Anzahl und geringe Grösse der geplanten Wohnungen mit einer durchschnittlichen BGF von rund 55m 2; übereilte Gesuchseinreichung und -bewilligung vor dem 31. Dezember 2012; Zweitwohnungsnutzung der umgebenden, ebenfalls von der Beschwerdegegnerin oder mit ihr verbundenen Personen erstellten Häuser).  
 
 Entscheidend ist jedoch, dass die (in den Akten liegende) Baubewilligung die Zweitwohnungsnutzung der Neubaute nicht ausschliesst, d.h. keine nutzungsbeschränkende Auflage enthält. Diese aktenkundige Tatsache genügt für die Beurteilung des Falles, wie im Folgenden darzulegen sein wird. 
 
3.  
 
 Das Bundesgericht hat in BGE 139 II 243 (E. 9-11 S. 249 ff.) entschieden, dass Art. 75b Abs. 1 BV seit seinem Inkrafttreten am 11. März 2012 anwendbar ist. Zwar bedarf diese Bestimmung in weiten Teilen der Ausführung durch ein Bundesgesetz. Unmittelbar anwendbar ist sie jedoch insoweit, als sie (in Verbindung mit Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV) ein Baubewilligungsverbot für Zweitwohnungen in allen Gemeinden anordnet, in denen der 20 %-Zweitwohnungsanteil bereits erreicht oder überschritten ist. Dieses vorläufige Bauverbot kommt im Ergebnis einer Planungszone gleich. Es ist weit auszulegen, um dem Gesetzgeber nicht vorzugreifen und eine Präjudizierung der künftigen Ausführungsgesetzgebung zu vermeiden (BGE 139 II 243 E. 10.5 S. 257). Insofern erfasst es nicht nur Bauten, die erklärterweise als Zweitwohnungen genutzt werden sollen, sondern auch Bauten, die - wie im vorliegenden Fall - als Zweitwohnungen genutzt werden könnten. 
 
 Vorliegend wurde die Baubewilligung am 21. Dezember 2012, d.h. nach dem Inkrafttreten von Art. 75b BV und Art. 197 Ziff. 9 BV, erteilt. Es ist unstreitig, dass der Zweitwohnungsanteil der Gemeinde Schmitten über 20 % beträgt (vgl. Anh. zur Verordnung über Zweitwohnungen vom 22. August 2012, SR 702; Gemeinde Nr. 3514). Die Baubewilligung enthält keine Nutzungsbeschränkung und lässt somit eine Zweitwohnungsnutzung zu. Sie verstösst somit gegen Art. 75b Abs. 1 BV i.V.m. Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV und ist - zusammen mit dem verwaltungsgerichtlichen Entscheid - aufzuheben. 
 
 Da die Frage der Zweitwohnungsnutzung erstmals vor Bundesgericht thematisiert wurde, hatte die Beschwerdegegnerin bislang keine Gelegenheit, sich zur beabsichtigten Nutzung zu äussern und gegebenenfalls eine Nutzungsbeschränkung zu beantragen. Dies würde eine Änderung des Baugesuchs voraussetzen, zu der der Beschwerdeführerin im Einspracheverfahren das rechtliche Gehör gewährt werden müsste. 
 
 Unter diesen Umständen rechtfertigt es sich, den verwaltungsgerichtlichen Entscheid und den Baubescheid vom 21. Dezember 2012 (der sowohl den Einspracheentscheid als auch die Baubewilligung enthält) aufzuheben, mit Ausnahme des nicht angefochtenen Kostenentscheids, nicht aber, den Bauabschlag zu erteilen. Vielmehr ist die Sache an die Gemeinde zurückzuweisen. Die Beschwerdegegnerin hat die Möglichkeit, entweder ein modifiziertes Baugesuch einzureichen oder aber auf das Baugesuch zu verzichten. Diesfalls kann die Gemeinde einen Abschreibungsbeschluss erlassen und darin auch ihre Kosten neu verlegen. 
 
 Bei diesem Ausgang des Verfahrens obsiegt die Beschwerdeführerin. Die Beschwerdegegnerin wird kosten- und entschädigungspflichtig, und zwar sowohl für das bundesgerichtliche Verfahren (Art. 66 und 68 BGG), als auch für das Verfahren vor Verwaltungsgericht (Art. 67 und 68 Abs. 5 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
 
 Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom 30. April 2013 sowie der Baubescheid des Gemeindevorstands Schmitten vom 21. Dezember 2012 (mit Ausnahme der ausserordentlichen Entschädigung der Einsprecherin von Fr. 3'000.--) werden aufgehoben. Die Sache wird im Sinne der Erwägungen an die Gemeinde Schmitten zurückgewiesen. 
 
2.  
 
 Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- für das bundesgerichtliche Verfahren und Fr. 2'333.-- für das verwaltungsgerichtliche Verfahren werden der Beschwerdegegnerin (Baugesellschaft Y.________) auferlegt. 
 
3.  
 
 Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche und für das verwaltungsgerichtliche Verfahren mit insgesamt Fr. 5'700.-- zu entschädigen. 
 
4.  
 
 Dieses Urteil wird den Parteien, der Gemeinde Schmitten und dem Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, 5. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 8. Oktober 2013 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Fonjallaz 
 
Die Gerichtsschreiberin: Gerber