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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
C 120/01 
 
Urteil vom 9. März 2004 
III. Kammer 
 
Besetzung 
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Lustenberger; Gerichtsschreiber Ackermann 
 
Parteien 
Z.________, 1961, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Markus Storchenegger, Rorschacher Strasse 107, 9000 St. Gallen, 
 
gegen 
 
Kantonale Arbeitslosenkasse St. Gallen, Davidstrasse 21, 9001 St. Gallen, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen 
 
(Entscheid vom 14. März 2001) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Z.________, geboren 1961, verlor im August 1995 seine bisherige Arbeitsstelle und sollte mit Hilfe der Invalidenversicherung von Oktober 1996 bis Oktober 1998 umgeschult werden. Diese berufliche Massnahme wurde jedoch per 2. Juni 1997 abgebrochen, da ein infolge krankheitsbedingter Absenzen eingetretener Rückstand nicht mehr aufgeholt werden konnte. Am 3. Juni 1998 meldete sich Z.________ bei der Arbeitslosenversicherung zum Leistungsbezug an, worauf die Kantonale Arbeitslosenkasse St. Gallen von Juni 1998 bis Mai 2000 Arbeitslosenentschädigungen ausrichtete. Dabei stellte sie auf die Einschätzung des Dr. med. E.________, Allgemeine Medizin/Tropenmedizin FMH, vom 13. Juni 1998 ab, wonach Z.________ in einer leidensangepassten Tätigkeit 50 % arbeitsfähig sei und nahm einen "Vermittlungsgrad: 50 %" sowie einen versicherten Verdienst von Fr. 2'025.-- an. Nachdem die Invalidenversicherung beschlossen hatte, Z.________ ab November 1997 bei einem Invaliditätsgrad von 62 % eine halbe Rente auszurichten, forderte die Arbeitslosenkasse mit Verfügung vom 26. Juni 2000 von Juni 1998 bis Mai 2000 zu viel ausgerichtete Taggelder in Höhe von insgesamt Fr. 8'567.35 zurück, wobei sie diesen Betrag direkt mit Leistungen der Invalidenversicherung verrechnete. Auf ein Gesuch um Erlass der Rückforderung trat die Verwaltung nicht ein. 
B. 
Die gegen die Rückforderungsverfügung von Juni 2000 erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 14. März 2001 ab. 
C. 
Z.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit den Anträgen, den vorinstanzlichen Entscheid sowie die Verwaltungsverfügung aufzuheben und den mit den Leistungen der Invalidenversicherung verrechneten Betrag an ihn auszubezahlen. 
 
Die Arbeitslosenkasse schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Staatssekretariat für Wirtschaft auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Arbeitslosenversicherungsbereich geändert worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1), und weil ferner das Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf den bis zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 26. Juni 2000) eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE 121 V 366 Erw. 1b), sind im vorliegenden Fall die bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Bestimmungen anwendbar (BGE 129 V 4 Erw. 1.2). 
1.2 Das kantonale Gericht hat die für die Vermittlungsfähigkeit im Allgemeinen (Art. 8 Abs. 1 lit. f AVIG und Art. 15 Abs. 1 AVIG) und bezüglich Behinderter (vgl. zu diesem Begriff ARV 1999 Nr. 19 S. 106 Erw. 2) im Besonderen massgebenden Bestimmungen und Grundsätze (Art. 15 Abs. 2 AVIG in Verbindung mit Art. 15 AVIV) zutreffend dargelegt. Dasselbe gilt für die Festsetzung des versicherten Verdienstes von Behinderten (Art. 40b AVIV) sowie die gesetzlichen Bestimmungen über die Rückforderung von unrechtmässig bezogenen Leistungen der Arbeitslosenversicherung (Art. 95 Abs. 1 AVIG) und die dazu nach der Rechtsprechung notwendigen Voraussetzungen für ein wiedererwägungs- oder revisionsweises Zurückkommen auf die formlos erfolgte Leistungszusprechung (vgl. BGE 122 V 368 Erw. 3 mit Hinweisen). Darauf wird verwiesen. 
2. 
Streitig ist, ob der Beschwerdeführer die durch Taggeldabrechnungen von Juni 1998 bis Mai 2000 formlos erbrachten Leistungen wegen der nachträglich zugesprochenen halben Rente der Invalidenversicherung teilweise zurückzuerstatten hat. Es geht also nicht nur um die Frage der Unrechtmässigkeit des erfolgten Leistungsbezuges (Art. 95 Abs. 1 AVIG), sondern auch darum, ob die Rückkommensvoraussetzungen - Wiedererwägung oder prozessuale Revision - gegeben sind. Nicht Streitgegenstand ist demgegenüber der Erlass der Rückerstattung der Taggelder gemäss Art. 95 Abs. 2 AVIG; auf das entsprechende Gesuch ist die Verwaltung nicht eingetreten. 
2.1 Die Vorinstanz ist davon ausgegangen, dass durch die nachträgliche und rückwirkende Zusprechung einer Rente der Invalidenversicherung die ursprünglich zu Recht ergangenen Taggeldzahlungen unrichtig geworden seien und der versicherte Verdienst gemäss Art. 40b AVIV bei einem Invaliditätsgrad von 62 % nicht mehr - wie ursprünglich - 50 %, sondern neu bloss 38 % des ursprünglichen Wertes betrage. In dieser Hinsicht sei nicht die Restarbeitsfähigkeit, sondern die verbliebene Erwerbsfähigkeit gemäss der Invaliditätsbemessung massgebend. 
 
Der Versicherte führt demgegenüber aus, dass die Invalidenversicherung von einer Restarbeitsfähigkeit von 50 % ausgegangen sei und sich der Invaliditätsgrad von 62 % nur aufgrund des Einkommensvergleichs gemäss Art. 28 Abs. 2 IVG ergeben habe, wobei sich an der medizinischen Beurteilung nichts änderte. Dies sei der Arbeitslosenkasse bekannt gewesen, welche selber von einem Vermittlungsgrad von 50 % ausgegangen sei. Im Weiteren handle es sich vorliegend einerseits nicht um eine Überentschädigung, da auch bei einem Invaliditätsgrad von 62 % nur Anspruch auf eine halbe Rente der Invalidenversicherung bestehe, und andererseits liege keine neue erhebliche Tatsache vor, weil sich infolge der Ausrichtung der halben Rente keine Verbesserung der finanziellen Situation ergeben habe. Schliesslich führt der Beschwerdeführer aus, dass auf die medizinische Leistungsfähigkeit abzustellen sei, da die Erwerbsunfähigkeit gemäss Art. 4 IVG nicht mit der Vermittlungsfähigkeit nach Art. 15 AVIG übereinstimme. 
2.2 Art. 95 Abs. 1 AVIG setzt als Voraussetzung für die Rückerstattung die Unrechtmässigkeit des Leistungsbezuges voraus; weitere bereichsspezifische Erfordernisse sind nicht notwendig (ARV 1998 Nr. 15 S. 81 Erw. 5a mit Hinweis). 
 
Der Beschwerdeführer erhält mit Wirkung ab dem 1. November 1997 bei einem Invaliditätsgrad von 62 % eine halbe Rente der Invalidenversicherung. Rechtsprechungsgemäss stellt die von der Invalidenversicherung ermittelte Erwerbsunfähigkeit eine neue erhebliche Tatsache dar, deren Unkenntnis die Arbeitslosenkasse nicht zu vertreten hat (ARV 1998 Nr. 15 S. 81 Erw. 5a mit Hinweisen), so dass ein Zurückkommen auf die ausgerichteten Leistungen auf dem Weg der prozessualen Revision grundsätzlich möglich ist. Durch die Gewährung einer Rente der Invalidenversicherung muss die Vermittlungsfähigkeit jedoch nicht ausgeschlossen sein; dies gilt um so mehr, als die Organe der Arbeitslosenversicherung nicht an die Beurteilung durch die Invalidenversicherung gebunden sind (vgl. ARV 1998 Nr. 15 S. 81 f. Erw. 5b sowie BGE 127 V 478 Erw. 2b/cc). So sind Arbeitslosen- und Invalidenversicherung denn auch nicht komplementäre Versicherungszweige (BGE 109 V 29). Es ist erstellt und auch nicht bestritten, dass der Versicherte ihm zumutbare Tätigkeiten (Art. 16 Abs. 2 lit. c AVIG) im Umfang von 50 % ausführen kann (und scheinbar auch will; vgl. Art. 15 Abs. 1 AVIG), so dass er im Rahmen einer solchen Stelle vermittlungsfähig ist. So ist vorliegend denn auch die Vermutung des Art. 15 Abs. 2 AVIG nicht widerlegt worden, wonach ein körperlich oder geistig Behinderter als vermittlungsfähig gilt, wenn ihm bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage, unter Berücksichtigung seiner Behinderung, auf dem Arbeitsmarkt eine zumutbare Arbeit vermittelt werden könnte (vgl. Urteil B. vom 12. Februar 2004, C 349/00). Infolge der Vermittlungsfähigkeit fehlt es aber an der Unrechtmässigkeit des Leistungsbezuges, woran auch die neue Tatsache der Zusprechung einer halben Rente der Invalidenversicherung nichts ändert. 
2.3 Die Rechtmässigkeit der Taggeldleistungen ist weiter unter dem Gesichtspunkt des versicherten Verdienstes zu prüfen, insbesondere hinsichtlich Art. 40b AVIV. Danach ist bei Versicherten, die unmittelbar vor oder während der Arbeitslosigkeit eine gesundheitsbedingte Beeinträchtigung ihrer Erwerbsfähigkeit erleiden, der Verdienst massgebend, welcher der verbleibenden Erwerbsfähigkeit entspricht. 
 
Wie den Akten entnommen werden kann, ist die Arbeitslosenkasse - wahrscheinlich gestützt auf das während der Umschulung durch die Invalidenversicherung ausgerichtete Taggeld - von einem versicherten Verdienst von Fr. 4'050.-- für eine Vollzeitstelle ausgegangen; bei einer Vermittelbarkeit für eine Stelle im Umfang von 50 % ist die Höhe der Taggelder in der Folge aufgrund eines versicherten Verdienstes von Fr. 2'025.-- festgelegt worden. Die Ausrichtung einer Rente der Invalidenversicherung stellt nicht nur im Hinblick auf die Frage der Vermittelbarkeit (vgl. Erw. 2.2 hievor), sondern auch betreffend Höhe des versicherten Verdienstes eine neue Tatsache im Sinne der prozessualen Revision dar; damit kann grundsätzlich auf die Festsetzung des versicherten Verdienstes zurückgekommen werden. Gemäss den Ausführungen im Vorbescheid der Invalidenversicherung ist der Versicherte jedoch seit August 1995 in seiner Erwerbsfähigkeit eingeschränkt; eine bis zum Zeitpunkt der Anmeldung bei der Arbeitslosenversicherung im Juni 1998 oder bis zum Verfügungserlass im Juni 2000 eingetretene gesundheitsbedingte Änderung der Erwerbsfähigkeit ist weder behauptet, noch anhand der vorliegenden Akten belegt. Damit erlitt der Beschwerdeführer weder unmittelbar vor noch während der im Juni 1998 eingetretenen Arbeitslosigkeit eine gesundheitsbedingte Beeinträchtigung seiner Erwerbsfähigkeit, weshalb Art. 40b AVIV und die darauf gestützte Rechtsprechung (ARV 1991 Nr. 10 S. 92) nicht anwendbar ist. Deshalb führt die neue Tatsache der nachträglich zugesprochenen Teilinvalidenrente nicht zu einer anderen rechtlichen Beurteilung im Sinne der prozessualen Revision, und es ändert sich nichts an der Bemessungsgrundlage des versicherten Verdienstes, so dass die Arbeitslosenkasse den versicherten Verdienst nicht nachträglich um das Mass der Resterwerbsfähigkeit gemäss Invalidenversicherung (beim hier vorliegenden Invaliditätsgrad von 62 % also auf 38 %) verkleinern kann. Eine andere Grundlage, die zu einer anderen rechtlichen Beurteilung - und damit zu einer Unrechtmässigkeit - der Leistungserbringung von Juni 1998 bis Mai 2000 führen würde, ist nicht ersichtlich, so dass die Leistungen der Invaliden- und Arbeitslosenversicherung nebeneinander zu erbringen sind und die Arbeitslosenkasse die ausgerichteten Taggelder nicht (teilweise) zurückfordern kann. Eine Änderung der Rechtslage durch eine allfällige Koordination von Leistungen der Arbeitslosen- und Invalidenversicherung wäre Sache des Normgebers (Urteil B. vom 12. Februar 2004, C 349/00). Schliesslich kann auch aus BGE 127 V 486 Erw. 2b nichts zu Ungunsten des Beschwerdeführers abgeleitet werden, da dort Arbeitslosigkeit und Invalidität zeitlich nahe zusammen lagen und mithin die Voraussetzungen des Art. 40b AVIV gegeben waren (vgl. BGE 127 V 485 Erw. A). 
3. 
Die Arbeitslosenkasse hat ihre Rückforderung direkt mit Leistungen der Invalidenversicherung verrechnet. Der Beschwerdeführer beantragt die Auszahlung dieses zu Unrecht verrechneten Betrages. 
 
Gemäss Art. 128 OG beurteilt das Eidgenössische Versicherungsgericht letztinstanzlich Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Verfügungen im Sinne von Art. 97, 98 lit. b-h und 98a OG auf dem Gebiet der Sozialversicherung. Im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren sind grundsätzlich nur Rechtsverhältnisse zu überprüfen bzw. zu beurteilen, zu denen die zuständige Verwaltungsbehörde vorgängig verbindlich - in Form einer Verfügung - Stellung genommen hat. Insoweit bestimmt die Verfügung den beschwerdeweise weiterziehbaren Anfechtungsgegenstand. Umgekehrt fehlt es an einem Anfechtungsgegenstand und somit an einer Sachurteilsvoraussetzung, wenn und insoweit keine Verfügung ergangen ist (BGE 125 V 414 Erw. 1a, 119 Ib 36 Erw. 1b, je mit Hinweisen). 
Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist allein die Frage der Rechtmässigkeit der verfügten Rückforderung, nicht jedoch die Frage, auf welche Weise die zu Unrecht erfolgte Verrechnung zu korrigieren ist. In dieser Hinsicht liegt keine Verfügung und somit kein Anfechtungsgegenstand vor, weshalb auf den Antrag betreffend Auszahlung des verrechneten Betrages nicht eingetreten werden kann. 
4. 
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Infolge Obsiegens steht dem Versicherten für den letztinstanzlichen Prozess eine Parteientschädigung zu (Art. 135 OG in Verbindung mit Art. 159 Abs. 2 OG). 
 
Da im Bereich der Arbeitslosenversicherung kein bundesrechtlicher Anspruch im Sinne von Art. 104 lit. a OG auf Parteientschädigung besteht (vgl. den auf Januar 2003 aufgehobenen Art. 103 AVIG), ist es nicht Sache des Eidgenössischen Versicherungsgerichts, die Vorinstanz zur Zusprechung einer Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu verpflichten. Der Beschwerdeführer hat jedoch die Möglichkeit, beim kantonalen Gericht einen entsprechenden Antrag zu stellen. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, soweit darauf einzutreten ist, werden der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 14. März 2001 und die Verfügung der Kantonalen Arbeitslosenkasse St. Gallen vom 26. Juni 2000 aufgehoben. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Die Kantonale Arbeitslosenkasse St. Gallen hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2'500.-- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, dem Amt für Arbeit, St. Gallen, und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt. 
Luzern, 9. März 2004 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Die Präsidentin der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: