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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1C_163/2022  
 
 
Urteil vom 9. März 2023  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichter Haag, 
nebenamtlicher Bundesrichter Weber, 
Gerichtsschreiber Mattle. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons Bern, 
Schermenweg 5, Postfach, 3001 Bern. 
 
Gegenstand 
Entzug des Führerausweises auf Probe / Verlängerung der Probezeit / Anordnung von Verkehrsunterricht, 
 
Beschwerde gegen das Urteil vom 24. November 2021 der Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführerinnen und Fahrzeugführern (300.2021.134). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Mit Verfügung vom 17. Juni 2020 entzog das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons Bern (nachstehend SVSA) A.________ den Lernfahrausweis für Motorfahrzeuge der Kategorie A1 für einen Monat wegen einer mittelschweren Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsvorschriften, begangen am 15. April 2020 durch Führen eines Motorfahrrads ohne Führerausweis der Spezialkategorie M. 
Am 15. März 2021 erwarb A.________ den Führerausweis auf Probe für Motorfahrzeuge der Kategorie B. Am 17. April 2021 überschritt A.________ als Lenker eines Personenwagens die signalisierte Höchstgeschwindigkeit innerorts von 50 km/h um 22 km/h. Mit Verfügung vom 17. August 2021 entzog das SVSA A.________ den Führerausweis auf Probe wegen einer mittelschweren Widerhandlung und unter Berücksichtigung der Vormassnahme vom 17. Juni 2020 auf die Dauer von vier Monaten, verlängerte die Probezeit um ein Jahr und ordnete einen Tag Verkehrsunterricht an. 
 
B.  
Gegen diese Verfügung erhob A.________ mit Eingabe vom 30. August 2021 Beschwerde bei der Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführerinnen und Fahrzeugführern. Diese wurde am 24. November 2021 abgewiesen. 
 
C.  
Gegen dieses Urteil erhebt A.________ am 10. März 2022 (Datum der Postaufgabe) Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht. Dabei stellt er das Rechtsbegehren, das Urteil der Rekurskommission vom 24. November 2021 aufzuheben. Wie aus der Beschwerdebegründung hervorgeht, beantragt er sinngemäss, die Dauer des am 17. August 2021 verfügten Ausweisentzugs sei auf einen Monat zu beschränken. Eventualiter sei das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache für eine Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das SVSA beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Die Rekurskommission und das Bundesamt für Strassen (ASTRA) schliessen auf Abweisung der Beschwerde. A.________ hat sich mit Eingabe vom 11. Juli 2022 nochmals zur Sache geäussert. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid über einen Führerausweisentzug. Dagegen steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nach Art. 82 ff. BGG offen. Der Beschwerdeführer ist als Inhaber des entzogenen Führerausweises und Adressat des angefochtenen Urteils nach Art. 89 Abs. 1 BGG zur Beschwerde befugt. Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass und sind erfüllt, weshalb auf die Beschwerde einzutreten ist. 
 
2.  
 
2.1. Das SVSA hat dem Beschwerdeführer mit Verfügung vom 17. August 2021 in Anwendung von Art. 16b Abs. 1 lit. a, Abs. 2 lit. b und Art. 16 Abs. 3 SVG sowie Art. 33 der Verkehrszulassungsverordnung vom 27. Oktober 1976 (VZV; SR 741.51) den Führerausweis auf Probe wegen einer mittelschweren Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsvorschriften - und unter Berücksichtigung der Vormassnahme vom 17. Juni 2020 - auf die Dauer von vier Monaten entzogen. Mit dem angefochtenen Urteil bestätigte die Vorinstanz diesen Entscheid.  
 
2.2. Das Gesetz unterscheidet zwischen der leichten, mittelschweren und schweren Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsvorschriften (Art. 16a-c SVG). Gemäss Art. 16a SVG begeht eine leichte Widerhandlung, wer durch Verletzung von Verkehrsregeln eine geringe Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft und ihn dabei nur ein leichtes Verschulden trifft (Abs. 1 lit. a). Eine mittelschwere Widerhandlung begeht, wer durch Verletzung von Verkehrsregeln eine Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt (Art. 16b Abs. 1 lit. a SVG). Gemäss Art. 16c Abs. 1 lit. a SVG begeht eine schwere Widerhandlung, wer durch grobe Verletzung von Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt.  
 
2.3. Die mittelschwere Widerhandlung nach Art. 16b Abs. 1 lit. a SVG stellt einen Auffangtatbestand dar. Sie liegt vor, wenn nicht alle privilegierenden Elemente einer leichten Widerhandlung nach Art. 16a Abs. 1 lit. a SVG und nicht alle qualifizierenden Elemente einer schweren Widerhandlung nach Art. 16c Abs. 1 lit. a SVG gegeben sind. Demgegenüber setzt die Annahme einer leichten Widerhandlung kumulativ eine geringe Gefahr und ein geringes Verschulden voraus (BGE 135 II 138 E. 2.2.2 f.). Bei einer schweren Widerhandlung muss kumulativ eine qualifizierte objektive Gefährdung und ein qualifiziertes Verschulden gegeben sein. Ist die Gefährdung gering, aber das Verschulden hoch, oder umgekehrt die Gefährdung hoch und das Verschulden gering, liegt eine mittelschwere Widerhandlung vor (vgl. zum Ganzen: BGE 136 II 447 E. 3.2; Urteil 1C_334/2019 vom 11. Februar 2020 E. 3.1 mit Hinweisen).  
 
2.4. Im Bereich der Geschwindigkeitsüberschreitungen hat die Rechtsprechung im Interesse der Rechtsgleichheit präzise Regeln festgelegt, um leichte, mittelschwere und schwere Widerhandlungen voneinander abzugrenzen. Danach ist objektiv, das heisst unabhängig von den konkreten Umständen, ein mittelschwerer Fall anzunehmen, wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerorts um 21 bis 24 km/h überschritten wird. (Urteil 1C_35/2019 vom 2. Juli 2019 E. 4.1.1) Diese Schematisierung entbindet die rechtsanwendenden Behörden indessen nicht, den Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen. Einerseits ist zu prüfen, ob besondere Umstände die Verkehrsregelverletzung weniger gravierend erscheinen lassen, etwa wenn der Fahrer aus ernsthaften Gründen annahm, sich noch nicht oder nicht mehr in einer geschwindigkeitsbegrenzten Zone zu befinden (BGE 132 II 234 E. 3.2; Urteil 1C_464/2020 vom 16. März 2021 E. 3.2 mit Hinweis).  
 
2.5. Der Beschwerdeführer stellt die am 17. April 2021 begangene Überschreitung der signalisierten Höchstgeschwindigkeit innerorts von 50 km/h um 22 km/h nicht in Frage. Ebenso bringt er keine Gründe vor, dass konkrete Umstände zu berücksichtigen seien, diese Geschwindigkeitsüberschreitung nicht als mittelschweren Fall zu betrachten.  
 
3.  
Der Beschwerdeführer macht geltend, der Vorfall vom 15. April 2020, nämlich das Führen eines Motorfahrrads ohne Führerausweis der Spezialkategorie M, stelle keine mittelschwere Widerhandlung gemäss Art. 16b Abs. 1 SVG dar. Sinngemäss macht er geltend, dass ihm der Führerausweis aus diesem Grund nach dem Vorfall vom 17. April 2021 nicht für vier Monate hätte entzogen werden dürfen. Damit rügt er sinngemäss eine Verletzung von Art. 16b Abs. 2 lit. b i.V.m. Art. 16 Abs. 3 SVG
 
3.1. Gemäss Art. 16b Abs. 2 lit. b SVG wird der Führerausweis nach einer mittelschweren Widerhandlung für mindestens vier Monate entzogen, wenn der Ausweis in den vorangegangenen zwei Jahren einmal wegen einer schweren oder mittelschweren Widerhandlung entzogen war. Gemäss Art. 16 Abs. 3 SVG sind bei der Festsetzung der Entzugsdauer die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, namentlich die Gefährdung der Verkehrssicherheit, das Verschulden, der Leumund als Motorfahrzeugführer sowie die berufliche Notwendigkeit, ein Motorfahrzeug zu führen. Allerdings darf gemäss Art. 16 Abs. 3 Satz 2 SVG die gesetzliche Mindestentzugsdauer nicht unterschritten werden (vgl. BGE 141 II 220 E. 3.3.3), ausser wenn die Strafe nach Art. 100 Ziffer 4 dritter Satz SVG gemildert wurde, was vorliegend nicht der Fall ist.  
 
3.2. Vor dem 17. April 2021 war dem Beschwerdeführer der Führerausweis unbestritten innerhalb der Frist von zwei Jahren gemäss Art. 16b Abs. 2 lit. b SVG bereits einmal wegen einer mittelschweren Widerhandlung entzogen worden. Der frühere Ausweisentzug erfolgte, weil der Beschwerdeführer ein Motorfahrzeug lenkte, ohne den Führerausweis für die entsprechende Kategorie zu besitzen, was gemäss Art. 16b Abs. 1 lit. c SVG eine mittelschwere Widerhandlung darstellt. Der Beschwerdeführer hatte die entsprechende Verfügung vom 17. Juni 2020 nicht angefochten. Für das SVSA bestand kein Anlass, im Rahmen seiner Verfügung vom 17. August 2021 auf die rechtskräftige Verfügung vom 17. Juni 2020 zurückzukommen, zumal diese jedenfalls nicht als nichtig eingestuft werden kann. Wie die Vorinstanz im angefochtenen Urteil richtig erwog, war der Beschwerdeführer mit seinen Vorbringen gegen die rechtskräftige Verfügung vom 17. Juni 2020 im vorinstanzlichen Verfahren nicht mehr zu hören. Der Einwand des Beschwerdeführers, die Ergreifung eines Rechtsmittels gegen die Verfügung vom 17. Juni 2020 habe angesichts der kurzen Entzugsdauer von einem Monat keinen Sinn gemacht, ändert daran nichts.  
Nachdem dem Beschwerdeführer der Ausweis innerhalb von zwei Jahren bereits einmal wegen einer mittelschweren Widerhandlung entzogen war, hatte das SVSA ihm den Führerausweis nach dem Vorfall vom 17. April 2021 in Anwendung von Art. 16b Abs. 2 lit. b und Art. 16 Abs. 3 SVG für mindestens vier Monate zu entziehen. Darin, dass die Vorinstanz die angeordnete Massnahme schützte, ist keine Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG zu erblicken. 
 
4.  
Die Vorinstanz erwog im angefochtenen Urteil, der Beschwerdeführer habe die gestützt auf Art. 15a Abs. 3 SVG und Art. 35 VZV angeordnete Verlängerung der Probezeit des auf Probe ausgestellten Führerausweises zu Recht nicht beanstandet. Ausserdem prüfte und bejahte die Vorinstanz die Verhältnismässigkeit der Anordnung von einem Tag Verkehrsunterricht in Anwendung von Art. 15d Abs. 5 SVG und Art. 40 Abs. 3 VZV. Die vom SVSA zusätzlich zum Führerausweisentzug angeordnete Verlängerung der Probezeit wie auch die Anordnung von einem Tag Verkehrsunterricht werden vom Beschwerdeführer im Rahmen seiner Beschwerde an das Bundesgericht nicht (mehr) beanstandet, weshalb darauf nicht weiter einzugehen ist. 
 
5.  
Nach dem Ausgeführten ist die Beschwerde abzuweisen. Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist wegen Aussichtslosigkeit abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG e contrario). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 500.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons Bern, der Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführerinnen und Fahrzeugführern und dem Bundesamt für Strassen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 9. März 2023 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Der Gerichtsschreiber: Mattle