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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_311/2023  
 
 
Urteil vom 9. März 2023  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin, 
Gerichtsschreiberin Arquint Hill. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Postfach 3439, 6002 Luzern, 
Gesuchsgegnerin. 
 
Gegenstand 
Keine Berufungserklärung eingereicht; Gesuch um Wiederherstellung der Frist, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Kantonsgerichts Luzern, 2. Abteilung, vom 3. Februar 2023 (4M 22 138). 
 
 
Die Präsidentin zieht in Erwägung:  
 
1.  
Das Kriminalgericht Luzern verurteilte A.________ am 1. Juni 2022 wegen mehrfacher Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über die Betäubungsmittel und die psychotropen Stoffe (BetmG) zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 10 Monaten (unter Anrechnung der erstandenen Untersuchungshaft) und verwies ihn für die Dauer von 10 Jahren des Landes. 
Am 7. Juni 2022 meldete A.________ beim Kriminalgericht Berufung an, woraufhin es das Urteil begründete, dieses dem Anwalt des Beschwerdeführers am 30. Dezember 2022 zustellte und die Akten zur Entscheidung dem Kantonsgericht übermittelte. 
Das Kantonsgericht Luzern trat am 3. Februar 2023 auf die Berufung nicht ein, weil innert Frist keine Berufungserklärung einging. 
Mit Eingabe vom 6. März 2023 erhebt A.________ Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht. Im Zusammenhang mit der verpassten Frist für die Einreichung einer Berufungserklärung weist er auf ein der Eingabe beigelegtes Schreiben seines damaligen amtlichen Verteidigers vom 8. Februar 2023 hin und stellt den formellen Antrag auf Fristwiederherstellung. Das Verschulden des amtlichen Verteidigers könne ihm nicht zugerechnet werden, und es sei ihm zu ermöglichen, seine Rechte angemessen ausüben zu können. In materieller Hinsicht wendet sich A.________ gegen die angeordnete Landesverweisung und beruft sich auf eine Anwendung von Art. 66a Abs. 2 StGB
In der Sache geht es damit augenscheinlich um ein Gesuch um Wiederherstellung der Frist zur Einreichung der Berufungserklärung nach Art. 94 StPO
 
2.  
Hat eine Partei eine Frist versäumt und würde ihr daraus ein erheblicher und unersetzlicher Rechtsverlust erwachsen, so kann sie gemäss Art. 94 Abs. 1 StPO die Wiederherstellung der Frist verlangen. Das Gesuch ist innert 30 Tagen nach Wegfall des Säumnisgrundes schriftlich und begründet bei der Behörde zu stellen, bei welcher die versäumte Verfahrenshandlung hätte vorgenommen werden sollen. Innert der gleichen Frist muss die versäumte Verfahrenshandlung nachgeholt werden (Art. 94 Abs. 2 StPO). 
 
3.  
Mit Blick auf die dargelegte Rechtslage wäre das Fristwiederherstellungsgesuch beim Kantonsgericht Luzern einzureichen gewesen. Das Bundesgericht ist nicht zuständig. Es kann in einem solchen Fall aber von Amtes wegen zur Weiterleitung des Gesuchs an die mutmasslich zuständige kantonale Behörde schreiten (Art. 30 Abs. 2 BGG; siehe MARKUS BOOG, in: Basler Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz, 3. Aufl. 2018, N. 5 ff. zu Art. 30 BGG). Da A.________ an sich nicht beabsichtigt, die vorinstanzliche Nichteintretensverfügung anzufechten, sondern vielmehr um Wiedereinsetzung in den früheren Stand ersucht, erübrigt es sich, sowohl über die als "Beschwerde" bezeichnete Eingabe als auch über das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege im Sinne von Art. 64 BGG zu entscheiden. Die Eingabe ist lediglich als Fristwiederherstellungsgesuch im Sinne von Art. 94 StPO entgegenzunehmen und zur weiteren Behandlung an das in der Sache zuständige Kantonsgericht Luzern zu überweisen. 
Darauf hinzuweisen bleibt, dass allfällige Fehlleistungen oder Unachtsamkeiten eines Rechtsanwalts nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich dem Mandanten zuzurechnen sind und in der Regel keine unverschuldete Säumnis darstellen, die eine Wiederherstellung rechtfertigen würden (BGE 143 I 284 E. 1.3 mit zahlreichen Hinweisen). Eine Ausnahme hiervon ist im Strafprozess einzig in Fällen notwendiger Verteidigung anerkannt, wenn das Recht der beschuldigten Person auf eine effektive und wirksame Verteidigung der Anrechnung eines schwerwiegenden Fehlers des Anwalts entgegensteht und ihr ein erheblicher und unersetzlicher Rechtsverlust erwachsen würde. In BGE 143 I 284 hat das Bundesgericht festgehalten, dass dem Beschuldigten im Rahmen einer notwendigen Verteidigung das allfällige Fehlverhalten des Anwalts dann nicht anzurechnen ist, wenn dieses grob fahrlässig, qualifiziert unrichtig oder mit den Regeln der Anwaltskunst gänzlich unvereinbar erscheint, dem Beschuldigten selbst kein eigener diesbezüglicher Vorwurf gemacht werden kann und eine Schadenersatzleistung ungeeignet ist für eine Wiedergutmachung (vgl. Urteile 6B_16/2022 vom 26. Januar 2023 E. 1.1, zur Publikation vorgesehen; 6B_987/2019 vom 3. Oktober 2019 E. 1.3; 6B_1111/2017 vom 7. August 2018 E. 2; 6B_530/2016 vom 26. Juli 2017 E. 2.1; je mit Hinweisen). 
 
4.  
Von einer Kostenauflage kann abgesehen werden (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt die Präsidentin:  
 
1.  
Die Eingabe vom 6. März 2023 samt Beilagen wird als Gesuch um Fristwiederherstellung entgegengenommen und zur weiteren Behandlung zuständigkeitshalber an das Kantonsgericht Luzern überwiesen. 
 
2.  
Für das bundesgerichtliche Verfahren werden keine Kosten erhoben. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Luzern, 2. Abteilung, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 9. März 2023 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari 
 
Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill