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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
I 741/02 
 
Urteil vom 9. April 2003 
III. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Borella, Bundesrichter Lustenberger und Kernen; Gerichtsschreiber Fessler 
 
Parteien 
IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen, Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
L.________, 1957, Beschwerdegegnerin, vertreten 
durch Rechtsanwalt Hans Frei, Kriessernstrasse 40, 9450 Altstätten 
 
Vorinstanz 
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen 
 
(Entscheid vom 26. September 2002) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die 1957 geborene L.________ leidet an multiplen funktionellen Beschwerden, u.a. als Folge eines chronischen Nacken-Schulter-Arm-Syndroms rechts. Im Juli 2000 ersuchte sie die Invalidenversicherung um Leistungen (Umschulung, Arbeitsvermittlung). Nach Abklärungen teilte ihr die IV-Stelle des Kantons St. Gallen mit Vorbescheid vom 26. März 2001 mit, ausgehend von einer ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgeübten Erwerbstätigkeit im Umfang von maximal 50 % eines Normalarbeitspensums und einer Behinderung im Haushalt von 6 % ergebe sich ein Invaliditätsgrad von 3 %. Das Leistungsbegehren werde daher abgewiesen. Am 23. April 2001 erliess die IV-Stelle eine in diesem Sinne lautende Verfügung. 
B. 
In Gutheissung der von L.________ hiegegen erhobenen Beschwerde hob das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 26. September 2002 die Verfügung vom 23. April 2001 auf und wies die Sache zur weiteren Abklärung im Sinne der Erwägungen und zur neuen Entscheidung an die IV-Stelle zurück. 
C. 
Die IV-Stelle führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, es sei der kantonale Gerichtsentscheid aufzuheben. 
 
L.________ lässt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragen unter Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung, während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Im angefochtenen Entscheid werden die Rechtsgrundlagen für die Beurteilung des streitigen Anspruchs auf eine Rente der Invalidenversicherung zutreffend dargelegt. Zu erwähnen sind insbesondere die Grundsätze zur Bestimmung des Status von im Haushalt tätigen Versicherten als Voll-, Nicht- oder Teilerwerbstätige, was je zur Anwendung einer anderen Methode der Invaliditätsbemessung (Einkommensvergleich, Betätigungsvergleich, gemischte Methode) führt (BGE 125 V 150 Erw. 2c mit Hinweisen). Zu ergänzen ist, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist. Nach Erlass der streitigen Verfügung (hier: 23. April 2001) eingetretene Rechts- und auch Sachverhaltsänderungen werden vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt (BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b). 
2. 
Die IV-Stelle hat in Anwendung der gemischten Methode einen Invaliditätsgrad von 3 % (0,5 x 0 % + 0,5 x 6 %) ermittelt, was keinen Anspruch auf eine Invalidenrente gibt (Art. 28 Abs. 1 IVG). Dabei entspricht 0,5 (= 50 %/100 %) dem zeitlichen Umfang gemessen an einem Normalarbeitspensum, in welchem die Versicherte ohne gesundheitliche Beeinträchtigung erwerbstätig wäre (vgl. BGE 125 V 149 Erw. 2b). 6 % beträgt die Behinderung im Haushalt gemäss "Abklärungsbericht Haushalt" vom 11. Dezember 2000. Eine Einschränkung im erwerblichen Bereich verneint die Verwaltung mit der Begründung, bei einer körperlich leichten, der Behinderung angepassten Tätigkeit bestehe eine Leistungsfähigkeit von 50 %, sodass bei einem hälftigen Arbeitspensum im Gesundheitsfall keine invaliditätsbedingte Erwerbseinbusse in Kauf zu nehmen sei. 
3. 
3.1 Gemäss kantonalem Gericht widerspricht die Invaliditätsbemessung der IV-Stelle insofern Bundesrecht, als mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Versicherte ohne gesundheitliche Beeinträchtigung einer vollzeitlichen Erwerbstätigkeit nachgehen würde. Der Invaliditätsgrad sei daher nach der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (Art. 28 Abs. 2 IVG) zu ermitteln. Für die Vorinstanz sprechen im Wesentlichen zwei Gründe für eine Vollerwerbstätigkeit ohne gesundheitliche Beeinträchtigung, nämlich die berufliche Karriere bis zur Geburt des zweiten Kindes im November 1992 sowie die wirtschaftlichen und familiären Verhältnisse. Die Versicherte sei von Dezember 1984 bis Dezember 1992 als allein erziehende Mutter des 1980 geborenen Sohnes vollzeitlich erwerbstätig gewesen. In finanzieller Hinsicht sodann sei sie nach der Trennung von ihrem Ehemann und Vater der 1992 geborenen Tochter auf Sozialhilfe angewiesen gewesen. Dauerhaft und zuverlässig seien lediglich die Alimente für ihre Tochter in der Höhe von Fr. 870.- monatlich geflossen. Das Scheidungsurteil vom 23. März 1999 sodann spreche der Versicherten selber keinen nachehelichen Unterhaltsanspruch zu. Dass die in Betracht fallenden Arbeiten als Näherin, Schneiderin oder Hilfskraft erfahrungsgemäss schlecht entlöhnt würden, spreche ebenfalls für eine vollzeitliche Erwerbstätigkeit im Gesundheitsfalle. Wenn im Übrigen die Versicherte sich bei der Arbeitslosenversicherung lediglich als teilarbeitslos im Umfang von 50 % gemeldet und ab Oktober 2000 Taggelder von Fr. 500.- bis Fr. 700.- im Monat bezogen habe, entspreche dies der ärztlich attestierten Arbeitsfähigkeit von 50 %. 
3.2 Die von der Vorinstanz genannten Umstände stellen in der Tat gewichtige Indizien für eine Vollerwerbstätigkeit im Gesundheitsfalle dar. Dagegen führt die IV-Stelle hauptsächlich den Umstand ins Feld, dass die Beschwerdegegnerin nach der Geburt ihrer Tochter im November 1992 nicht mehr erwerbstätig war, obschon erst ab 2. Juni 1999 eine gesundheitlich bedingte Arbeitsunfähigkeit von 50 % in der bisherigen Tätigkeit als Näherin attestiert werde. Dieser Einwand ist unbehelflich, soweit er die Zeit betrifft, in welcher der 1980 geborene Sohn noch schulpflichtig war. Sodann erscheint bis zu einem gewissen Grad verständlich, dass die Versicherte vor und in der ersten Zeit nach der Trennung von ihrem Ehemann 1997 keine erwerbliche Beschäftigung gesucht hatte. Dabei dürften die Sozialhilfeleistungen die Aufnahme einer bezahlten Arbeit nicht unbedingt gefördert haben. Anders verhält es sich indessen in Bezug darauf, dass gemäss Akten die Beschwerdegegnerin frühestens ein Jahr nach der Scheidung im März 2000 in bescheidenem Umfang im Rahmen von Heimarbeit wieder einem Erwerb nachging. Dies spricht gegen die Annahme, sie wäre ohne gesundheitliche Beeinträchtigung im Zeitpunkt der Verfügung vom 23. April 2001 voll erwerbstätig gewesen, und zwar umso mehr, als sie auf Grund des Scheidungsurteils lediglich Anspruch auf Unterhaltsbeiträge für ihre Tochter hatte. Es ist nicht anzunehmen und wird auch nicht geltend gemacht, die Versicherte habe sich schon vorher ernstlich, aber erfolglos um eine Stelle bemüht. Wenn und soweit hiefür soziale und sprachliche Gründe (allein erziehende Mutter, Ausländerin, mangelhafte Deutschkenntnisse) verantwortlich gewesen sein sollten - gemäss "Abklärungsauftrag" vom 30. Oktober 2000 übte sie ihre vollzeitliche Tätigkeit vor der Geburt der Tochter 1992 in Heimarbeit aus -, ist dies ohne Belang. In diesem Zusammenhang ist auch unklar, ob die Beschwerdegegnerin aus eigenem Antrieb ab März 2000 Heimarbeit leistete und sich im Sommer 2000 zum Bezug von Arbeitslosenentschädigung anmeldete oder erst auf entsprechende Aufforderung der Fürsorgebehörde hin. 
3.3 Im Lichte des Vorstehenden ist für die Statusfrage entscheidend, in welchem Zeitpunkt spätestens die Versicherte ohne gesundheitliche Beeinträchtigung bei im Übrigen unveränderten Umständen fürsorgerechtlich verpflichtet (gewesen) wäre, eine Voll- oder Teilzeitbeschäftigung zu suchen oder eine angebotene Stelle im Rahmen des Zumutbaren anzunehmen. In diesem Zusammenhang interessiert die Praxis der zuständigen Fürsorgebehörde im Allgemeinen sowie was sie im konkreten Fall der Beschwerdegegnerin im Besonderen unternommen hat. Weder den Akten noch dem einschlägigen kantonalen Recht, insbesondere dem st. gallischen Sozialhilfegesetz vom 27. September 1998 (sGS 381.1), lässt sich hiezu etwas entnehmen. 
 
Die IV-Stelle wird die zur Beantwortung dieser Frage notwendigen Abklärungen vorzunehmen haben und anschliessend über den Rentenanspruch neu verfügen. Dabei hat sie Folgendes zu beachten. 
3.3.1 Das kantonale Gericht hat die Sache auch zur Prüfung der Frage zurückgewiesen, ob die hausärztlichen Berichte für die Bestimmung der Restarbeitsfähigkeit und die Bezeichnung einer allenfalls zumutbaren Verweisungstätigkeit genügen oder ob weitere medizinische Abklärungen notwendig sind. 
 
Gemäss Dr. med. H.________ sind körperlich leichte, der Behinderung angepasste Tätigkeiten an vier Arbeitsstunden pro Tag zumutbar. Dabei kommt eher eine Teilzeitbeschäftigung in Betracht (Bericht vom 26. Januar 2001). Darauf ist abzustellen. Weitere Erhebungen zur Arbeitsfähigkeit sind nicht erforderlich. 
3.3.2 Im Weitern erscheint eine Behinderung von lediglich 6 % im Haushaltbereich zwar viel zu tief, wie auch die Vorinstanz richtig festhält. Eine nochmalige Abklärung vor Ort erübrigt sich indessen, wenn - bezogen auf den Zeitpunkt der Verfügung (23. April 2001) - von einer Teilerwerbstätigkeit von 50 % im Gesundheitsfalle auszugehen ist. Denn selbst bei einer Einschränkung von 57 % gemäss Berechnung in der Vernehmlassung, ergibt sich diesfalls bei im Übrigen unveränderten Bemessungsfaktoren ein Invaliditätsgrad von deutlich weniger als die anspruchsbegründenden 40 % (Art. 28 Abs. 1 IVG). 
3.4 Im Sinne des Vorstehenden widerspricht der angefochtene Entscheid Bundesrecht und ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde begründet. 
4. 
Dem Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung ist stattzugeben, da die Anspruchsvoraussetzungen nach Gesetz (Art. 152 Abs. 1 und 2 OG) und Rechtsprechung (BGE 125 V 372 Erw. 5b mit Hinweisen) gegeben sind. Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten hat, wenn sie später dazu im Stande ist. 
 
Die vorinstanzliche Zusprechung einer Parteientschädigung ist zu belassen, weil die Beschwerdeführerin entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses im kantonalen Verfahren obsiegt (Art. 159 Abs. 6 OG; Urteile H. vom 29. Januar 2003 [I 185/02] und W. vom 6. September 2000 [I 195/00]). 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne teilweise gutgeheissen, dass der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 26. September 2002 und die Verfügung vom 23. April 2001 aufgehoben werden und die Sache an die IV-Stelle des Kantons St. Gallen zurückgewiesen wird, damit sie im Sinne der Erwägungen verfahre. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Rechtsanwalt Hans Frei, Altstätten, für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) ausgerichtet. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, der Ausgleichskasse der Textil- und Bekleidungsindustrie und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
Luzern, 9. April 2003 
 
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
 
Der Präsident der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: