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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
8C_376/2013  
   
   
 
 
 
Urteil vom 9. Oktober 2013  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin, 
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Heine, 
Gerichtsschreiberin Schüpfer. 
 
Verfahrensbeteiligte 
F.________, 
vertreten durch Advokat Dr. Georg Gremmelspacher, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,  
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung (Unfallbegriff), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 28. Februar 2013. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Der 1973 geborene F.________ ist als Lokomotivführer bei der X.________ AG tätig und daher bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen die Folgen von Unfällen versichert. Am 9. April 2011, kurz vor vier Uhr früh, nahm der Versicherte aus dem Führerstand auf der Bahnstrecke zwischen Y.________ und Z.________ ein längliches graues Objekt wahr, welches er für ein Rohr oder etwas Ähnliches hielt. Kurz darauf verspürte er ein leichtes Rumpeln. Später forderte ihn die Bahnbetriebsleitung auf, auf einem Nebengleis zu halten. Dort wurde er darüber informiert, dass er mit einer am Boden liegenden Person kollidiert war, welche sich dabei tödliche Verletzungen zugezogen hatte. In der Folge litt der Versicherte an psychischen Problemen und war bis zum 24. April 2011 arbeitsunfähig. Mit Unfallmeldung vom 21. April 2011 liess F.________ um Leistungen der SUVA ersuchen. Diese eröffnete ihm mit Verfügung vom 22. November 2011, es bestehe kein Leistungsanspruch, da das Ereignis vom 9. April 2011 keinen Unfall im Rechtssinne darstelle. Daran hielt die Unfallversicherung auch auf Einsprache hin fest (Entscheid vom 8. Oktober 2012). 
 
B.   
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht Basel-Landschaft mit Entscheid vom 28. Februar 2013 ab. 
 
C.   
F.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides seien ihm die gesetzlichen Leistungen zu erbringen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Die SUVA schliesst auf Beschwerdeabweisung. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzungen gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder der Unfallversicherung ist das Bundesgericht - anders als in den übrigen Sozialversicherungsbereichen (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG) - nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG; vgl. BGE 134 V 250 E. 1.2 S. 252 mit Hinweisen). 
 
2.  
 
2.1. Streitig ist die Leistungspflicht der SUVA für die Folgen des Ereignisses vom 9. April 2011, wobei sich insbesondere die Frage stellt, ob dieses als Unfall im Rechtssinne zu qualifizieren ist.  
 
2.2. Nach Art. 6 Abs. 1 UVG werden die Leistungen der Unfallversicherung bei Berufsunfällen, Nichtberufsunfällen und Berufskrankheiten gewährt, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt. Unfall ist gemäss Art. 4 ATSG die plötzliche, nicht beabsichtigte schädigende Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors auf den menschlichen Körper, die eine Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit oder den Tod zur Folge hat.  
 
3.   
Der Beschwerdeführer lässt vorbringen, beim Vorfall vom 9. April 2011 habe er einen psychischen Schock erlitten, welcher als Schreckereignis den gesetzlichen Unfallbegriff erfüllte. 
 
3.1. Rechtsprechung und Lehre haben schreckbedingte plötzliche Einflüsse auf die Psyche seit jeher als Einwirkung auf den menschlichen Körper (im Sinne des geltenden Unfallbegriffes) anerkannt und für ihre unfallversicherungsrechtliche Behandlung besondere Regeln entwickelt. Danach setzt die Annahme eines Unfalles voraus, dass es sich um ein aussergewöhnliches Schreckereignis, verbunden mit einem entsprechenden psychischen Schock, handelt; die seelische Einwirkung muss durch einen gewaltsamen, in der unmittelbaren Gegenwart des Versicherten sich abspielenden Vorfall ausgelöst werden und in ihrer überraschenden Heftigkeit geeignet sein, auch bei einem gesunden Menschen durch Störung des seelischen Gleichgewichts typische Angst- und Schreckwirkungen (wie Lähmungen, Herzschlag etc.) hervorzurufen. Das frühere Eidgenössische Versicherungsgericht, heute Bundesgericht, hat diese Rechtsprechung wiederholt bestätigt und dahingehend präzisiert, dass auch bei Schreckereignissen nicht nur die Reaktion eines (psychisch) gesunden Menschen als Vergleichsgrösse dienen kann, sondern in diesem Zusammenhang ebenfalls auf eine "weite Bandbreite" von Versicherten abzustellen ist. Zugleich hat es dabei relativierend, unter Bezugnahme auf den massgeblichen Unfallbegriff (BGE 118 V 59 E. 2b S. 61 und 283 E. 2a; ferner BGE 122 V 230 E. 1 S. 232 mit Hinweisen), betont, dass sich das Begriffsmerkmal der Ungewöhnlichkeit definitionsgemäss nicht auf die Wirkung des äusseren Faktors, sondern nur auf diesen selber bezieht, weshalb nicht von Belang sein könne, wenn der äussere Faktor allenfalls schwerwiegende, unerwartete Folgen nach sich zog (BGE 129 V 177 E. 2.1 S. 179; SVR 2008 UV Nr. 7 S. 22 E. 2.2 [U 548/06]). An den Beweis der Tatsachen, die das Schreckereignis ausgelöst haben, an die Aussergewöhnlichkeit dieses Ereignisses sowie den entsprechenden psychischen Schock sind strenge Anforderungen zu stellen (Urteil 8C_341/2008 vom 25. September 2008, E. 2.3).  
 
3.2. Das Bundesgericht hatte schon verschiedentlich Sachverhalte zu beurteilen, bei denen Lokomotivführer mit plötzlichen Todesfällen konfrontiert waren. Mit Urteil vom 19. Juli 1939 (EVGE 1939 S. 102) anerkannte das damalige Eidgenössische Versicherungsgericht das psychische Trauma eines Lokomotivführers, welcher von einem Lawinenniedergang auf der Berninastrecke betroffen und dabei selbst in Todesgefahr war (E. 5 S. 118), bei Bergungsarbeiten mithalf und den Tod zweier Kollegen zu beklagen hatte, als Unfall. Ebenfalls als Schreckereignis mit Unfallcharakter qualifizierte das Gericht mit Urteil vom 20. April 1990 das Erlebnis eines Lokomotivführers, der nicht mehr vor einem Menschen, der sich in Selbstmordabsicht auf die Schienen legte, bremsen konnte (RKUV 1990 U 109 S. 300 ff.). Hingegen wurde das Vorliegen eines Unfalles bei einem Lokomotivführer verneint, der im Gotthardtunnel ein unbekanntes Objekt überfuhr und erst später beim Reinigen der Zugskomposition Blut und menschliche Überreste entdeckte (EVGE 1963 S. 165 ff.)  
 
4.  
 
4.1. Gemäss Erstbefragungsprotokoll der Kantonspolizei N.________ vom 9. April 2011 fuhr der Beschwerdeführer mit einem Tempo von rund 95 km/h, als er nach einer Rechtskurve in ungefähr 40 Metern Entfernung links direkt neben dem Geleise etwas Graues wahrnahm. Er habe keine Zeit mehr gehabt, eine Bremsung einzuleiten, und ein geringes Rumpeln verspürt. Dass es sich um eine Person handeln könnte, habe er nicht gedacht, vielmehr habe er vermutet, es handle sich beim Wahrgenommenen um eine Art Rohr. Erst als er von der Betriebsleitung darüber informiert worden sei, dass er in L.________ auf ein bestimmtes Gleis fahren und auf die Polizei warten solle, sei ihm bewusst geworden, dass es sich beim "Objekt" um eine Person gehandelt haben müsse. Der Versicherte selbst hatte beim Ereignis keinen körperlichen Schaden erlitten.  
 
4.2. Aus dem unbestrittenen Sachverhalt geht hervor, dass sich der Beschwerdeführer selbst nie in Gefahr befand, verletzt zu werden. Ebenso wenig hat er ein schreckliches Ereignis unmittelbar, das heisst mit eigenen Sinnen wahrgenommen. Er hatte keine Notbremsung vorgenommen, um nachzuschauen, ob er jemanden verletzt haben könnte, da er eben nicht gewahr wurde, dass er einen Menschen überfahren hatte. Vielmehr versuchte er nach dem vermeintlichen Touchieren eines Rohres telefonisch Kontakt mit der Fahrdienstleitung aufzunehmen, um die Lokomotivführer nachfolgender Züge vor dem fremden Gegenstand zu warnen. Damit zeigt sich, dass der Vorfall an sich keine gewaltsame seelische Einwirkung auf den Versicherten hatte. Der psychische Schock trat erst ein, als er mehrere Minuten nach dem Ereignis durch Information von aussen erkennen musste, dass es tatsächlich zu einer Kollision mit einem Menschen gekommen war. Es fehlt daher an der für die Anerkennung eines Schreckens als Unfall im Rechtssinne vorausgesetzten Unmittelbarkeit.  
Daran ändert auch die vom Beschwerdeführer zitierte Rechtsprechung (8C_30/2007 vom 20. September 2007, 8C_548/2007 vom 20. September 2007 und 8C_653/2007 vom 28. März 2008) nichts. In jenen Fällen hatte das Bundesgericht Schreckereignisse, welchen versicherte Personen anlässlich des Seebebens und des darauf folgenden Tsunamis vom 26. Dezember 2006 in Thailand ausgesetzt waren, als Unfälle qualifiziert, obwohl sie die Flutwelle selbst nicht unmittelbar gesehen hatten. In einer gesamthaften Würdigung der Geschehnisse war das Bundesgericht in jenen Fällen jedoch zur Erkenntnis gelangt, die Schreckwirkung der Tsunamikatastrophe erstrecke sich auch auf den optischen Eindruck der gewaltigen Auswirkungen der Flutwelle und der damit verbundenen todbringenden Gefahr. Die gesamten miterlebten Geschehnisse und die damit verbundenen seelischen Eindrücke stellten einen einheitlichen, einmaligen Vorfall dar, der als aussergewöhnliches Schreckereignis im Sinne der Rechtsprechung und damit als Unfall im Sinne von Art. 4 ATSG qualifiziert werden könne. 
Das Geschehen vom 9. April 2011 ist nicht mit jenem vom 26. Dezember 2006 in Thailand vergleichbar. Insbesondere fehlte es bei ersterem an jeglicher Gefahr für den Beschwerdeführer selbst und an eigenen sinnlichen Wahrnehmungen eines schrecklichen Ereignisses oder dessen Auswirkungen. Der Schrecken wurde alleine durch die Vorstellung und das nachträgliche Bewusstsein ausgelöst, einen auf den Schienen liegenden Menschen überfahren zu haben. Das genügt jedoch nach der in Erwägung 3.2 dargelegten Rechtsprechung nicht, um die Voraussetzungen eines Unfalles im Rechtssinne zu erfüllen. Damit hat die SUVA ihre Leistungspflicht zu Recht verneint. 
 
5.   
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden dem unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Art. 65 Abs. 4 lit. a in Verbindung mit Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht, und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 9. Oktober 2013 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Leuzinger 
 
Die Gerichtsschreiberin: Schüpfer