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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
1B_306/2015  
   
   
 
 
 
Urteil vom 9. Dezember 2015  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident, 
Bundesrichter Karlen, Kneubühler, 
Gerichtsschreiber Störi. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Kenad Melunovic, 
 
gegen  
 
1. Franziska Plüss, 
p.A. Obergericht des Kantons Aargau, 
Strafgericht, 2. Kammer, 
Obere Vorstadt 38, 5000 Aarau, 
2. Jann Six, 
p.A. Obergericht des Kantons Aargau, 
Strafgericht, 2. Kammer, 
Obere Vorstadt 38, 5000 Aarau, 
3. Sandra Massari, 
p.A. Obergericht des Kantons Aargau, 
Strafgericht, 2. Kammer, 
Obere Vorstadt 38, 5000 Aarau, 
4. Monika Rusterholz, 
p.A. Obergericht des Kantons Aargau, 
Strafgericht, 2. Kammer, 
Obere Vorstadt 38, 5000 Aarau, 
Beschwerdegegner, 
 
Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach, Wildischachenstrasse 14, 5200 Brugg, 
 
F.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Renate Senn. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; Ausstand, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss vom 1. September 2015 des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 2. Kammer. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Am 8. Juli 2013 verurteilte die Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach A.________ wegen mehrfacher sexueller Handlungen mit einem Kind sowie Führens eines Motorfahrzeugs in angetrunkenem Zustand (FiaZ) zu einer bedingten Geldstrafe von 90 Tagessätzen und einer Busse von Fr. 900.--. Sie hielt u.a. für erwiesen, dass er zwischen dem 21. Juli und dem 9. August 2012 mehrfach mit der kurz zuvor 14 Jahre alt gewordenen F.________ sexuell verkehrt hatte. 
Am 9. Oktober 2013 sprach das Bezirksgericht Zurzach A.________ vom Vorwurf der mehrfachen sexuellen Handlungen mit einem Kind frei und verurteilte ihn wegen FiaZ zu einer bedingten Geldstrafe von 20 Tagessätzen und einer Busse von 800.--. 
Am 12. August 2014 verurteilte das Obergericht des Kantons Aargau in der Besetzung Plüss (Präsidentin), Six, Massari und Rusterholz (Gerichtsschreiberin) A.________ auf Berufung der Staatsanwaltschaft sowie F.________s hin wegen mehrfacher sexueller Handlungen mit einem Kind sowie FiaZ zu einer bedingten Geldstrafe von 180 Tagessätzen und einer Busse von Fr. 1'350.--. 
Mit Urteil 6B_939/2014 vom 11. Juni 2015 hob das Bundesgericht dieses Urteil des Obergerichts auf und wies die Sache zur Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung mit Befragung der Parteien sowie zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück. 
 
B.   
Am 1. September 2015 lehnte das Obergericht in der Besetzung Lienhard (präsidierendes Mitglied), Fedier, Vasvàri und Wuffli (Gerichtsschreiber) das Ausstandsgesuch von A.________ gegen die Oberrichter Plüss, Six und Massari sowie gegen die Gerichtsschreiberin Rusterholz ab. 
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A.________, diesen Beschluss des Obergerichts aufzuheben und die Oberrichter Plüss, Six, Massari und die Gerichtsschreiberin Rusterholz anzuweisen, für das Berufungsverfahren in den Ausstand zu treten. Das Obergericht sei anzuweisen, die Berufung in neuer Besetzung zu beurteilen und die auf den 20. Oktober 2015 angesetzte Berufungsverhandlung vorläufig abzusetzen. 
 
C.   
Die Oberrichter Plüss, Six, Massari und die Gerichtsschreiberin Rusterholz verzichten auf Vernehmlassung und verweisen auf ihre im kantonalen Verfahren nach Art. 58 Abs. 2 StPO abgegebenen Erklärungen. 
Für das Obergericht beantragt Oberrichter Lienhard, die Beschwerde abzuweisen. 
 
D.   
Am 5. Oktober 2015 wies der Präsident der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung das Gesuch um Anordnung einer vorsorglichen Massnahme ab. 
 
E.   
A.________ hält in seiner Replik an der Beschwerde fest. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Der angefochtene Entscheid schliesst das Strafverfahren nicht ab, er ermöglicht vielmehr dessen Weiterführung. Es handelt sich um einen selbständig eröffneten, kantonal letztinstanzlichen Zwischenentscheid über ein Ausstandsbegehren, gegen den die Beschwerde in Strafsachen nach Art. 92 Abs. 1 BGG zulässig ist. Als Beschuldigter ist der Beschwerdeführer zur Beschwerde berechtigt (Art. 81 Abs. 1 lit. a und b BGG). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, weshalb auf die Beschwerde einzutreten ist. 
 
2.  
 
2.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 56 lit. f StPO. Danach hat ein Mitglied einer Strafbehörde in den Ausstand zu treten, wenn es aus andern (als in den unter lit. a-g aufgezählten) Gründen befangen sein könnte. Er lehnt die Mitglieder des Berufungsgerichts nicht wegen Verfahrensfehlern ab und stellt auch die Bundesgerichtspraxis nicht in Frage, wonach ein Richter nicht schon deshalb wegen Vorbefassung in den Ausstand zu treten hat, weil er eine Strafsache vor einem Rückweisungsentscheid schon einmal beurteilt hat. Er macht bloss geltend, das Berufungsgericht habe in seinem Urteil vom 12. August 2014 die Aussagen, die der Beschuldigte und die Privatklägerin im Vorverfahren und an der erstinstanzlichen Hauptverhandlung gemacht hätten, abschliessend gewürdigt. Es sei zum Schluss gekommen, dass keine Zweifel daran bestünden, dass die dem Beschwerdeführer vorgeworfenen sexuellen Handlungen, die von der Privatklägerin geschildert wurden, stattgefunden hätten. Zudem ergebe sich aus dem Umstand, dass es sein Urteil im schriftlichen Verfahren gefällt habe, dass es die Einvernahmen des Beschwerdeführers und der Privatklägerin an der Berufungsverhandlung als für seine Entscheidfindung unerheblich betrachte. Die daran beteiligten Gerichtsmitglieder hätten sich damit festgelegt, es erscheine unwahrscheinlich, dass sie ihre Auffassung aufgrund der an der Berufungsverhandlung durchzuführenden Einvernahmen noch ändern würden.  
 
2.2. Nach Art. 56 lit. f StPO hat ein Mitglied einer Strafbehörde u.a. dann in den Ausstand zu treten, wenn es in einer anderen Stellung in der gleichen Sache tätig war. Nach Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK, denen in dieser Hinsicht dieselbe Tragweite zukommt, hat der Einzelne Anspruch darauf, dass seine Sache von einem unparteiischen, unvoreingenommenen und unbefangenen Richter ohne Einwirken sachfremder Umstände entschieden wird. Liegen bei objektiver Betrachtungsweise Gegebenheiten vor, die den Anschein der Befangenheit und die Gefahr der Voreingenommenheit zu begründen vermögen, so ist die Garantie verletzt (BGE 135 I 14 E. 2; 133 I 1 E. 6.2; 131 I 113 E. 4.4; 125 I 219 E. 3a). Eine gewisse Besorgnis der Voreingenommenheit und damit Misstrauen in das Gericht kann bei den Parteien immer dann entstehen, wenn einzelne Richter oder der Gerichtsschreiber in einem früheren Verfahren mit der konkreten Streitsache schon einmal befasst waren. In einem solchen Fall so genannter Vorbefassung stellt sich die Frage, ob sich diese durch ihre Mitwirkung an früheren Entscheidungen in einzelnen Punkten bereits in einem Mass festgelegt haben, die sie nicht mehr als unvoreingenommen und dementsprechend das Verfahren als nicht mehr offen erscheinen lassen. Ob dies der Fall ist, kann nicht generell gesagt werden; es ist nach der Rechtsprechung vielmehr in jedem Einzelfall zu untersuchen, ob die konkret zu entscheidende Rechtsfrage trotz Vorbefassung als offen erscheint (BGE 131 I 113 E. 3.4; 126 I 68 E. 3c mit Hinweisen). Dabei ist allerdings nicht auf das subjektive Empfinden einer Partei abzustellen, das Misstrauen in die Unvoreingenommenheit muss in objektiver Weise begründet erscheinen. Es genügt allerdings, dass Umstände vorliegen, die objektiv den Anschein der Befangenheit erwecken; für die Ablehnung wird nicht verlangt, dass der Richter tatsächlich befangen ist (BGE 136 I 207 E. 3.1 mit Hinweisen).  
Bei Rückweisungen an die Vorinstanz ist die Mitwirkung der am aufgehobenen Entscheid beteiligten Gerichtsmitglieder am neuen Entscheid verfassungsrechtlich in der Regel nicht zu beanstanden (BGE 131 I 113 E. 3.6 S. 120; 116 Ia 28 E. 2a; Urteil 1B_67/2014 vom 31. März 2014 E. 2.1 mit Hinweisen auf Rechtsprechung und Literatur). Es ist davon auszugehen, dass ein Gerichtsmitglied in der Lage ist, beim neuen Entscheid der Rechtsauffassung der höheren Instanz Rechnung zu tragen und deren Weisungen zu befolgen. Anders verhält es sich nur ausnahmsweise, etwa wenn ein Richter durch sein Verhalten oder durch Bemerkungen klar zum Ausdruck gebracht hat, dass er nicht willens oder fähig ist, von seiner im aufgehobenen Entscheid vertretenen Auffassung Abstand zu nehmen und die Sache unbefangen neu wieder aufzunehmen (BGE 138 IV 142 E. 2.3 S. 146; Urteil 1B_67/2014 vom 31. März 2014 E. 2.1). 
 
2.3. Vorliegend hat das Bundesgericht die Auffassung des Obergerichts, es könne die Berufung des Beschwerdeführers ohne Durchführung einer Berufungsverhandlung im schriftlichen Verfahren beurteilen, korrigiert. Dieses wird damit insbesondere den Beschwerdeführer und die Privatklägerin selber einvernehmen müssen, um den in einer "Aussage gegen Aussage-Situation" für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussagen besonders wichtigen persönlichen Eindruck von den beiden zu erhalten. Es ist weder dargetan noch ersichtlich, inwiefern die Gerichtsmitglieder nicht in der Lage sein sollten, aufgrund einer veränderten bzw. insbesondere um die noch durchzuführenden Einvernahmen ergänzten Beweislage den Fall neu zu beurteilen.  
Der Beschwerdeführer sieht einen Anhaltspunkt für die Befangenheit der am ersten Entscheid in dieser Sache beteiligten Gerichtsmitglieder darin, dass der Verfahrensleiter Six in seiner Verfügung vom 1. Juli 2015 darauf hingewiesen habe, dass sich die Berufungsverhandlung vom 20. Oktober 2015 auf die Einvernahme des Beschuldigten sowie der Privatklägerin und deren Mutter sowie die Stellungnahme der Parteien dazu beschränke. Eine neue Berufungsbegründung und eine Berufungsantwort würden nicht eingeholt. Daraus ergebe sich, dass das Gericht die Berufungsverhandlung nur pro forma durchführen wolle, um das bereits feststehende, für ihn nachteilige Ergebnis des ersten Urteils zu legitimieren. 
Einmal abgesehen davon, dass diese Vorwürfe einzig Oberrichter Six betreffen, sind sie offensichtlich unbegründet. Weder ergibt sich aus dem Rückweisungsentscheid, dass das Obergericht dem Beschwerdeführer die Gelegenheit zur Einreichung einer neuen Berufungsbegründung hätte einräumen müssen, noch aus der umstrittenen Verfügung, dass Oberrichter Six nicht gewillt wäre, die Berufungsverhandlungen nach den Weisungen des Bundesgerichts durchzuführen. Die Vorwürfe des Beschwerdeführers gegen die Durchführung der Berufungsverhandlung sind ohnehin rein spekulativ, da sie noch gar nicht stattgefunden hat. 
 
3.   
Damit ist die Beschwerde abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach, F.________ und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 2. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 9. Dezember 2015 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Fonjallaz 
 
Der Gerichtsschreiber: Störi