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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_1242/2022  
 
 
Urteil vom 9. Dezember 2022  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin, 
Bundesrichterin Koch, 
Bundesrichter Hurni, 
Gerichtsschreiberin Frey Krieger. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Nordring 8, Postfach, 3001 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Versuchter Betrug; Strafzumessung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, 1. Strafkammer, vom 21. Juli 2022 (SK 21 464). 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Mit Urteil vom 21. Juli 2022 sprach das Obergericht des Kantons Bern den Beschwerdeführer des versuchten Betrugs schuldig, begangen am 4. September 2013 zum Nachteil der IV-Stelle U.________ und der SUVA. Es bestrafte ihn mit einer bedingt ausgefällten Freiheitsstrafe von 12 Monaten bei einer Probezeit von 2 Jahren und auferlegte ihm die erst- und zweitinstanzlichen Verfahrenskosten im Betrag von Fr. 14'673.90 und Fr. 3'500.--. 
Der Beschwerdeführer wendet sich mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und einen Freispruch; eventualiter sei die Sache zur Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er rügt eine offensichtlich unrichtige Feststellung des Sachverhalts im Zusammenhang mit der Untersuchung durch Dr. med. B.________, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie beim Regionalen Ärztlichen Dienst (RAD) vom 4. September 2013 und eine falsche Berechnung des ihm zur Last gelegten Deliktsbetrags. 
 
2.  
Die Vorinstanz erachtet es nach einer einlässlichen Beweiswürdigung als erstellt, dass der Beschwerdeführer im Rahmen der Begutachtung vom 4. September 2013 die von Dr. med. B.________ in ihrem Bericht vom 29. Oktober 2013 dokumentierten Aussagen respektive das beschriebene Verhalten gezeigt und getätigt hat. Namentlich habe er erklärt, nur mit Schmerzmitteln ruhige Momente zu haben, seit seinem Unfall nie mehr glücklich gewesen zu sein und nur den Tod zu sehen. Aus Angst zu stürzen, helfe er nichts im Haushalt und getraue sich nicht, auf das Kind aufzupassen. Er habe sich während der Untersuchung sehr leidend gezeigt, sei sehr langsam gegangen und habe sich nach Möglichkeit abgestützt. 
Die Widersprüche zum anlässlich der Beweissicherung vor Ort (BvO [Observationen]) gezeigten Verhalten des Beschwerdeführers qualifiziert die Vorinstanz als eklatant. Er vermittle in den Filmsequenzen einen generellen Endruck von Zufriedenheit, von Normalität, körperlichem und psychischem Einklang, Schmerz- und Bewegungsfreiheit, Kontaktfreude, Zielstrebigkeit, Motivation und Antrieb. Anzeichen für erlebten Schmerz würden komplett fehlen. Seine diesbezüglichen Rechtfertigungsversuche erschienen als Schutzbehauptungen, welche die anhand der BvO gewonnenen Erkenntnisse nicht zu erschüttern vermöchten. Unter ergänzendem Hinweis auf das im sozialversicherungsrechtlichen Verfahren am 18. März 2016 ergangene Urteil 8C_38/2016 gelangt die Vorinstanz zum Schluss, dass die psychischen Einschränkungen, die den Beschwerdeführer ab dem 1. März 1996 zu einer ganzen Invalidenrente berechtigten, im Zeitpunkt der Untersuchung vom 4. September 2013 nicht mehr bestanden hätten. 
 
3.  
 
3.1. Streit- und Verfahrensgegenstand ist vorliegend einzig das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern vom 21. Juli 2022 (Art. 80 Abs. 1 BGG). Nicht zu hören ist der Beschwerdeführer daher mit Anträgen, Vorbringen und Ausführungen, die einen Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 10. Dezember 2015 betreffen.  
 
3.2. Gemäss Art. 42 Abs. 2 BGG ist in der Beschwerdebegründung anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids in gedrängter Form darzulegen ist, inwiefern dieser Recht verletzt. Um diesem Erfordernis zu genügen, muss die beschwerdeführende Partei mit ihrer Kritik bei den als rechtsfehlerhaft erachteten Erwägungen der Vorinstanz ansetzen (BGE 146 IV 297 E. 1.2). Das bedeutet, dass die Rechtsschrift auf den angefochtenen Entscheid und seine Begründung Bezug nehmen und sich damit auseinandersetzen muss (BGE 142 I 99 E. 1.7.1; 140 III 86 E. 2 mit Hinweisen). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung kann vor Bundesgericht nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; vgl. auch Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG). Offensichtlich unrichtig im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 147 IV 73 E. 4.1.2; 146 IV 88 E. 1.3.1; 145 IV 154 E. 1.1; 141 III 564 E. 4.1; je mit Hinweisen).  
 
4.  
Mit seiner Kritik am Untersuchungsbericht von Dr. med. B.________ vermag der Beschwerdeführer keine willkürliche Sachverhaltsfeststellung darzutun. 
 
4.1. Für die Beurteilung sozialversicherungsrechtlicher Leistungsansprüche, insbesondere auch zur Festlegung der Arbeitsunfähigkeit, bedarf es verlässlicher medizinischer Entscheidgrundlagen. Hinsichtlich des Beweiswertes eines Arztberichtes ist entscheidend, ob dieser für die streitigen Belange umfassend ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, auch die geklagten Beschwerden berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten (Anamnese) abgegeben worden ist, in der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge und in der Beurteilung der medizinischen Situation einleuchtet und ob die Schlussfolgerungen des Experten begründet sind (BGE 134 V 231 E. 5.1 mit Hinweis). Demgegenüber handelt es sich bei einer Observation bzw. den daraus gewonnenen Erkenntnissen nicht um eine "Vorakte (Anamnese) " im Sinne der soeben erwähnten Rechtsprechung, sondern um Erkenntnisse, die im Zusammenhang mit den medizinischen Vorakten einer medizinischen Beurteilung zugänglich sind. Mithin sind Ergebnisse einer zulässigen Observation zusammen mit einer ärztlichen Aktenbeurteilung grundsätzlich geeignet, eine genügende Basis für Sachverhaltsfeststellungen betreffend den Gesundheitszustand und die Arbeitsfähigkeit zu bilden (BGE 137 I 327 E. 7.1 mit Hinweisen; Urteil 6B_688/2021 vom 18. August 2022 E. 2.5.3). Damit korrespondierend wurde im Urteil 8C_38/2016 vom 18. März 2016 (E. 4.2) ausgeführt, dass die (bereits) von der RAD-Ärztin (verdachtsweise) festgestellte Verdeutlichung/Aggravation durch die Observationsergebnisse untermauert (keine Hervorhebung im Originaltext) worden ist. Zusammenfassend und entgegen den Ausführungen des Beschwerdeführers ergibt sich daraus, dass die aus der Observation gewonnenen Erkenntnisse nicht bereits vor der Untersuchung "zu den Akten gelegt" worden sind, respektive dass diese im Rahmen der Untersuchung vom 4. September 2013 weder berücksichtigt noch thematisiert worden sind nicht, dass der Bericht von Dr. med. B.________ nicht schlüssig wäre.  
 
4.2. Der Beschwerdeführer moniert, die vorinstanzliche Feststellung, dass Dr. med. B.________ im Zeitpunkt der Untersuchung vom 4. September 2013 keine Kenntnis von der BvO gehabt habe, sei unbegründet geblieben.  
Die Kritik erweist sich wiederum als unbegründet. Die Vorinstanz hat in sachverhaltlicher Hinsicht festgestellt, dass Dr. med. B.________ nach Sichtung der Observationsergebnisse in ihrer Stellungnahme vom 24. April 2014 eine Diagnoseänderung vorgenommen hat, nachdem sie zuvor für den Beschwerdeführer im Untersuchungsbericht vom 29. Oktober 2013 ein prolongiertes organisches Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma (Postcommotionelles Syndrom) und eine dissoziative, histrionische Verarbeitung des Unfalls mit Chronifizierung diagnostiziert hatte. Daraus ergibt sich nachvollziehbar und ohne Weiteres, weshalb die Vorinstanz davon ausgeht, dass der RAD-Ärztin die Observationsergebnisse im Zeitpunkt der Untersuchung vom 4. September 2013 respektive der Erstellung des Untersuchungsberichts vom 29. Oktober 2013 noch nicht bekannt waren. Inwiefern die Vorinstanz diese Feststellung näher hätte begründen müssen, erschliesst sich nicht. Ebenso wenig vermag der Beschwerdeführer darzulegen, dass und weshalb diese Feststellung offensichtlich unrichtig sein soll. Seine Vorbringen, gemäss welchen dies "gestützt auf die Aktenlage" nicht nachvollziehbar sei bzw. so nicht stimmen könne, erschöpfen sich in rein appellatorischer Kritik. Dasselbe gilt, wenn er den "dringenden Verdacht" äussert, die IV-Stelle und Dr. med. B.________ hätten bereits vor dem 4. September 2013 Kenntnis von der "Vorakte" und damit der Observation gehabt, diese aber anlässlich des Untersuchungstermins bewusst nicht erwähnt, um ihn "in die Falle tappen zu lassen". Aus solch blossen, nicht weiter begründeten oder belegten Mutmassungen ergibt sich nicht ansatzweise, inwiefern die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz willkürlich oder sonstwie bundesrechtswidrig sein könnte. Darauf ist nicht einzutreten. 
 
4.3. Schliesslich rügt der Beschwerdeführer eine falsche Berechnung des (hypothetischen) Deliktbetrages. Entgegen der Vorinstanz sei davon auszugehen, dass die nächste ordentliche Rentenrevision im März 2017 und nicht erst im März 2020 vorgenommen worden wäre.  
Die Vorinstanz verweist bezüglich des Zeitpunktes für die nächste ordentliche Rentenrevision auf die Erwägungen der Erstinstanz. Die Erstinstanz hat die rechtlichen Darlegungen der IV-Stelle übernommen (vgl. angefochtenes Urteil S. 19; erstinstanzliches Urteil S. 55 [vorinstanzliche Akten, VI, act. 674 und VI act. 17]). Die Vorinstanz bringt damit Art. 17 ATSG und Art. 88bis Abs. 2 lit. a IVV zur Anwendung. Sie berücksichtigt das Alter des Beschwerdeführers, dessen gesundheitliche Beeinträchtigungen und verweist auf den bisherigen Verlauf der bis ins Jahr 2009 (konkret in den Jahren 1997, 2001, 2005 und 2009) durchgeführten Rentenrevisionsverfahren. Zusammenfassend und unter Hinweis auf Verfügungen vom 13. März 2015 geht sie davon aus, dass die nächste Revision von Amtes wegen vier Jahre nach Abschluss des letzten Revisionsverfahrens und damit im März 2019 eingeleitet und die entsprechende Rente damit bis mindestens März 2020 ausgerichtet worden wäre. 
Mit dem blossen Hinweis darauf, dass die letzten beiden Rentenüberprüfungen in den Jahren 2009 und 2011 und damit in einem Abstand von zwei Jahren durchgeführt worden seien, setzt sich der Beschwerdeführer nicht in einer den Formerfordernissen genügenden Weise mit den Erwägungen der Vorinstanz auseinander. Der Begründungsmangel ist offensichtlich. Damit vermag er nicht darzutun, inwiefern die Vorinstanz in Willkür verfällt oder aber Bundesrecht verletzt, wenn sie als Zeitpunkt für die nächste ordentliche Rentenrevision bzw. als Anhaltspunkt für die Berechnung der Deliktssumme vom Zeitpunkt März 2020 ausgeht. 
Soweit die Beschwerde den Begründungsanforderungen überhaupt zu genügen vermag, erweisen sich die erhobenen Rügen als offensichtlich unbegründet. Die Beschwerde ist damit im Verfahren nach Art. 109 BGG abzuweisen, soweit darauf überhaupt eingetreten werden kann. 
 
5.  
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist in Anwendung von Art. 64 BGG wegen Aussichtslosigkeit abzuweisen. Der finanziellen Lage des Beschwerdeführers ist mit reduzierten Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, 1. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 9. Dezember 2022 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari 
 
Die Gerichtsschreiberin: Frey Krieger