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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
5P.455/2004 /bnm 
 
Urteil vom 10. Januar 2005 
II. Zivilabteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Raselli, Präsident, 
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Hohl, 
Gerichtsschreiber Zbinden. 
 
Parteien 
X.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Fürsprecher Ismet Bardakci, 
 
gegen 
 
Obergericht des Kantons Bern, Appellationshof, 2. Zivilkammer, Postfach 7475, 3001 Bern. 
 
Gegenstand 
Art. 9 und 29 Abs. 3 BV (unentgeltliche Rechtspflege in Scheidungsprozess), 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Bern, Appellationshof, 2. Zivilkammer, vom 3. November 2004. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Am 18. August 2004 ersuchte X.________ (nachfolgend: Gesuchsteller oder Beschwerdeführer) den Gerichtspräsidenten des Gerichtskreises X Thun darum, ihm im Scheidungsverfahren die unentgeltliche Prozessführung zu bewilligen und einen unentgeltlichen Rechtsbeistand beizuordnen, was ihm der angerufene Richter mit Entscheid vom 7. Oktober 2004 mangels Bedürftigkeit verweigerte. 
B. 
Den gegen diesen Entscheid erhobenen Rekurs des Gesuchstellers wies der Appellationshof des Obergerichts des Kantons Bern am 3. November 2004 ab, ebenso das Begehren des Gesuchstellers, ihm für das Rekursverfahren die unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung zu gewähren. 
C. 
Der Gesuchsteller führt staatsrechtliche Beschwerde mit dem Hauptantrag, den Entscheid des Appellationshofs aufzuheben. Eventuell sei die Sache in Aufhebung des angefochtenen Entscheids mit Bezug auf das im Rekursverfahren gestellte Gesuch um Erteilung der unentgeltlichen Prozessführung zur Begründung an den Appellationshof zurückzuweisen. Für das bundesgerichtliche Verfahren sei ihm die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu bewilligen. 
 
Es ist keine Vernehmlassung eingeholt worden. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Der Beschwerdeführer beruft sich in seiner Eingabe zur Begründung seines Rechts auf unentgeltliche Rechtspflege sowohl auf Art. 77 ZPO/BE, den er als willkürlich angewendet betrachtet, als auch auf Art. 29 Abs. 3 BV. Er legt indes nicht dar, inwiefern ihm die kantonale Bestimmung mit Bezug auf die unentgeltliche Rechtspflege einen weiter gehenden Anspruch einräumt als Art. 29 Abs. 3 BV. Allein im Lichte der Verfassungsnorm ist somit zu prüfen, ob die Beschwerde begründet ist (BGE 124 I 1 E. 2). 
2. 
2.1 Nach Art. 29 Abs. 3 BV hat jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt und deren Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint, Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege. Soweit es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anrecht auf unentgeltlichen Rechtsbeistand. 
 
Als bedürftig gilt, wer die Kosten eines Prozesses nicht aufzubringen vermag, ohne die Mittel anzugreifen, deren er zur Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes für sich und seine Familie bedarf. Die prozessuale Bedürftigkeit beurteilt sich nach der gesamten wirtschaftlichen Situation des Rechtsuchenden im Zeitpunkt der Einreichung des Gesuchs (BGE 120 Ia 179 E. 3a S. 181; 124 I 1 E. 2a S. 2, je mit Hinweisen). Bei der Ermittlung des notwendigen Lebensunterhaltes soll nicht schematisch auf das betreibungsrechtliche Existenzminimum abgestellt, sondern den individuellen Umständen Rechnung getragen werden. Ein allfälliger Überschuss zwischen dem zur Verfügung stehenden Einkommen und dem Zwangsbedarf der Gesuch stellenden Partei ist mit den für den konkreten Fall zu erwartenden Gerichts- und Anwaltskosten in Beziehung zu setzen BGE 118 Ia 369 E. 4a S. 370 f.); dabei sollte es der monatliche Überschuss ihr ermöglichen, die Prozesskosten bei weniger aufwendigen Prozessen innert eines Jahres, bei anderen innert zweier Jahre zu tilgen. Entscheidend ist zudem, ob die Gesuch stellende Partei mit dem ihr verbleibenden Überschuss in der Lage ist, die anfallenden Gerichts- und Anwaltskostenvorschüsse innert absehbarer Zeit zu leisten (BGE 109 Ia 5 E. 3a S. 9 mit Hinweisen; 118 Ia 369 E. 4a S. 370). 
 
Für die Feststellung der wirtschaftlichen Situation des Gesuchstellers darf die entscheidende Behörde zwar die Beweismittel nicht formalistisch beschränken und etwa einseitig nur einen amtlichen Beleg über dessen finanzielle Verhältnisse zulassen (BGE 119 III 28 E. 3b S. 31). Sie hat allenfalls unbeholfene Rechtsuchende auch auf die Angaben hinzuweisen, die sie zur Beurteilung des Gesuches benötigt. Grundsätzlich aber obliegt dem Gesuchsteller, seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse umfassend darzustellen und soweit möglich auch zu belegen (BGE 120 Ia 179 E. 3a S. 181; 123 III 328 E. 3 S. 329; 124 V 234 E. 4b/bb S. 239). Da Ausgaben nur dann in die Bedarfsrechnung aufzunehmen sind, wenn sie wirklich getätigt werden (vgl. dazu: BGE 121 III 20 E. 3b S. 22 f.; Urteil 5P.333/1999 vom 8. November 1999, E. 3; Bühler, Die Prozessarmut, in: Gerichtskosten, Parteikosten, Prozesskaution, unentgeltliche Prozessführung, 2001, S. 162), hat der Gesuchsteller insbesondere nachzuweisen, dass er den geltend gemachten finanziellen Verpflichtungen auch tatsächlich und regelmässig nachkommt. Verweigert er die zur Beurteilung seiner aktuellen Gesamtsituation erforderlichen Angaben oder Belege, so kann die Bedürftigkeit ohne Verletzung von Art. 29 Abs. 3 BV verneint werden (BGE. 120 Ia 179 E. 3a S. 182). 
 
Das Bundesgericht prüft frei, ob die Kriterien zur Bestimmung der Bedürftigkeit zutreffend gewählt worden sind, während seine Kognition in Bezug auf die tatsächlichen Feststellungen der kantonalen Behörde auf Willkür beschränkt ist (BGE 119 Ia 11 E. 3a S. 12 mit Hinweis; vgl. auch: 129 I 129 E. 2.1 S. 133 mit Hinweisen). 
2.2 Gemäss dem Entscheid des Gerichtspräsidenten X Thun vom 7. Oktober 2004, auf welchen der Appellationshof verweist, setzt sich der zivilprozessuale Zwangsbedarf des Beschwerdeführers von Fr. 2'491.-- aus dem Grundbetrag von Fr. 1'100.-- dem zivilprozessualen Zuschlag von Fr. 330.--, den als angemessen erachteten Wohnkosten von Fr. 900.--, den Krankenversicherungsprämien von Fr. 95.-- und den Kosten des Arbeitsweges von Fr. 66.-- zusammen. Nach dem erstinstanzlichen Entscheid verbleibt dem Beschwerdeführer damit bei einem Einkommen von monatlich Fr. 3'000.-- ein Überschuss von Fr. 509.-- pro Monat bzw. Fr. 6'108.-- pro Jahr. 
 
Der Appellationshof hat im angefochtenen Entscheid zusammengefasst insbesondere bemerkt, laut dem erläuternden Kommentar zum Kreisschreiben Nr. 18 (lit. C Ziff. 2a) sei mit unmittelbarer Wirkung und nicht erst nach Ablauf der Kündigungsfrist nur ein vernünftiger Mietzins zu berücksichtigen, weshalb im vorliegenden Fall im Bedarf des Beschwerdeführers - entgegen seiner Auffassung - nicht dessen effektiver Mietzins von Fr. 1'370.--, sondern lediglich ein angemessener Betrag von Fr. 900.-- angerechnet werden könne. Keine Berücksichtigung fänden sodann auch die Abzahlungen für die Steuerschulden des Jahres 2003, zumal nach dem einschlägigen Kreisschreiben und dem Kommentar lediglich die laufenden Steuern in den Bedarf aufzunehmen seien, deren regelmässige Bezahlung der Beschwerdeführer aber nicht nachgewiesen habe, so dass unter dem Titel Steuern kein Zuschlag zum Existenzminimum gewährt werden könne. In Betracht gezogen hat der Appellationshof alsdann auch eine Erhöhung der Grundversicherung für das Jahr 2005 auf rund Fr. 243.--, wobei abzüglich der Prämienverbilligung ein Betrag von Fr. 143.-- pro Monat resultiert. Unter Berücksichtigung dieser Ausführungen ist der Appellationshof schliesslich von einem monatlichen Überschuss von knapp Fr. 510.-- für 2004 bzw. von Fr. 460.-- für 2005 ausgegangen. Angesichts des rechtlich unkomplizierten Hauptverfahrens und des begrenzten Beweisthemas würden die voraussichtlichen Kosten des Hauptverfahrens den errechneten Überschuss kaum überschreiten, weshalb der Rekurs und das im Rekursverfahren gestellte Gesuch um unentgeltliche Prozessführung abzuweisen seien. 
2.3 
2.3.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, der Appellationshof handle willkürlich und rechtsungleich, indem er im zivilen Notbedarf zwar die Raten der laufenden Steuern, nicht jedoch die effektiv geleisteten Abzahlungen für die Steuerschulden des Jahres 2003 berücksichtige. Werde der Auffassung des Appellationshofs gefolgt, bestehe ein Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn die Zahlungen für die Steuerschulden 2003 sofort eingestellt und dafür Anzahlungen für die laufenden Steuern geleistet würden. 
2.3.2 Ob die staatsrechtliche Beschwerde insoweit überhaupt den Begründungsanforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG entspricht, kann offen bleiben. Die vom Appellationshof vertretene Auffassung deckt sich mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur unentgeltlichen Rechtspflege im bundesgerichtlichen Verfahren (Art. 152 OG; Urteil 5P.356/1996 vom 6. November 1996, E. 8a/aa und a/bb) und ist auch mit Art. 29 Abs. 3 BV vereinbar. Im Übrigen hat der Beschwerdeführer selbst nicht substanziiert dargelegt, dass er die entsprechenden Steuerschulden regelmässig bezahlt. Soweit die Lehre von der bundesgerichtlichen Rechtsprechung abweicht und eine Berücksichtigung von Steuerschulden verlangt, bildet die regelmässige Bezahlung der Raten Voraussetzung für deren Aufnahme in den Notbedarf (Bühler, Betreibungs- und prozessrechtliches Existenzminimum, AJP 2002 S. 658). 
2.4 
2.4.1 Hinsichtlich der Wohnkosten macht der Beschwerdeführer - wie bereits im kantonalen Rekursverfahren - geltend, nach der Eheschliessung hätten die Parteien aus finanziellen Gründen zunächst keine gemeinsame Wohnung mieten können. Nach seiner Anstellung habe er sich im Mai 2003 für die heutige Wohnung entschieden, wobei sich die Ehefrau geweigert habe, dort einzuziehen. Seit ihm klar geworden sei, dass seine Ehefrau nicht mit ihm leben wolle, suche er eine neue günstigere Wohnung, erhalte aber nur Absagen, wofür er zwei Belege ins Recht lege. Als Arbeitsloser mit einem ausländischen Namen sei er nicht in der Lage, eine günstigere Wohnung zu finden, weshalb er vorerst in der teuren Wohnung verbleibe. Er werde indes das Mietverhältnis per Ende April 2005 kündigen, falls er eine neue Wohnung finde. Der Appellationshof sei auf diese Vorbringen nicht eingegangen, sondern habe einfach einen reduzierten Mietbetrag eingesetzt und damit den Anspruch des Beschwerdeführers auf unentgeltliche Rechtspflege verletzt. 
2.4.2 Wie bei der Einkommenspfändung nach Art. 93 SchKG wird auch bei der Beurteilung der prozessualen Bedürftigkeit dem Mieter zugemutet, die zur Senkung unverhältnismässig hoher Wohnungskosten erforderlichen Vorkehrungen, wie etwa den Umzug in eine billigere Wohnung, zu treffen (für die Lohnpfändung: namentlich BGE 119 III 52 Nr. 14; für die Ermittlung der prozessualen Bedürftigkeit: Bühler, a.a.O., S. 648). Der Beschwerdeführer hat Kopien von zwei Absagen ins Recht gelegt, welche seine erfolglosen Bemühungen in der Suche nach einer günstigeren Wohnung belegen sollen. Der Appellationshof hat sich dazu nicht geäussert, woraus sich aber nicht schliessen lässt, der angefochtene Entscheid verstosse in dieser Hinsicht im Ergebnis gegen die Verfassung. Mit nur zwei Bewerbungen für eine günstigere Wohnung kann nicht angenommen werden, der Beschwerdeführer habe sich ernsthaft, aber ohne Erfolg um eine billigere Wohnung bemüht. Soweit der Beschwerdeführer behauptet, er habe sich nach weiteren Wohnungen umgesehen, so fehlt hiefür jeglicher Beleg. Am Ergebnis der mangelnden ernsthaften Suche nach einer billigeren Wohnung vermag auch der Hinweis auf die Arbeitslosigkeit und den ausländisch klingenden Namen nichts zu ändern, weshalb die Übernahme eines angemessen erachteten Mietzinses in der prozessualen Notbedarf grundsätzlich nicht zu beanstanden ist. 
 
Der Beschwerdeführer selbst bezeichnet als möglichen Kündigungstermin den 30. April 2005 (Ende April 2005). Was die Höhe des vom Appellationshof berücksichtigten Betrages anbelangt, bringt der Beschwerdeführer dagegen nichts vor, weshalb es beim festgesetzten Betrag von Fr. 900.-- sein Bewenden hat. 
Damit aber verbleibt dem Beschwerdeführer ab dem 1. Mai 2005 ein monatlicher Überschuss von mindestens Fr. 460.-- bzw. von Fr. 5'520.-- pro Jahr. Der Appellationshof hält unwidersprochen fest, die Rechtslage des Hauptprozesses sei unkompliziert und das Beweisthema begrenzt, so dass die aus dem Prozess entstehenden Kosten durch den Überschuss gedeckt würden. Dagegen bringt der Beschwerdeführer nichts vor. Damit aber ist mit Bezug auf die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege für das Scheidungsverfahren keine Verletzung von Art. 29 Abs. 3 BV dargetan. Hinsichtlich des Rekursverfahrens wird auf nachfolgende Erwägung verwiesen. 
3. 
Zur Begründung seines Eventualantrages macht der Beschwerdeführer geltend, der Appellationshof habe sein Begehren um unentgeltliche Rechtspflege im Rekursverfahren ohne jegliche Begründung abgewiesen und damit Art. 29 Abs. 2 BV verletzt. 
 
Der Appellationshof verweist auf den oben aufgeführten Überschuss und gelangt unter der Berücksichtigung des unkomplizierten Scheidungsverfahrens sowie des begrenzten Beweisthemas zum Schluss, der Rekurs sei abzuweisen, "ebenso das in oberer Instanz gestellte uP-Gesuch". Damit hat er sich unmissverständlich dahin geäussert, mit dem Überschuss seien auch die Kosten des Rekursverfahrens gedeckt. Diese ohne weiteres ersichtliche Schlussfolgerung hätte der Beschwerdeführer sachgerecht anfechten können, womit die Begründung den Anforderungen von Art. 29 Abs. 2 BV genügt (BGE 126 I 97 E. 2b S. 102 f.). Inwiefern dieser Schluss gegen die Verfassung verstossen könnte, setzt der Beschwerdeführer nicht auseinander. 
4. 
Damit ist die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG). 
5. 
Aufgrund ihrer Begründung hat sich die staatsrechtliche Beschwerde als von Anfang an aussichtslos erwiesen. Dem Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege ist daher nicht zu entsprechen (Art. 152 Abs. 1 OG). Der prekären Finanzlage des Beschwerdeführers kann indes bei der Festsetzung der Gerichtsgebühr Rechnung getragen werden (Art. 153a Abs. 1 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren wird abgewiesen. 
3. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 750.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt. 
4. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Obergericht des Kantons Bern, Appellationshof, 2. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 10. Januar 2005 
Im Namen der II. Zivilabteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: