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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
1B_261/2016  
   
   
 
 
 
Urteil vom 10. Januar 2017  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Merkli, Präsident, 
Bundesrichter Karlen, Chaix, 
Gerichtsschreiber Störi. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwältin Denise Wüst, 
 
gegen  
 
B.________, 
Beschwerdegegner, 
vertreten durch Rechtsanwalt Markus Stadelmann, 
 
Staatsanwaltschaft für Wirtschaftsstraffälle und Organisierte Kriminalität, Zürcherstrasse 323, 8510 Frauenfeld. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; Akteneinsicht, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid vom 4. Mai 2016 
des Obergerichts des Kantons Thurgau. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau führt gegen A.________ und B.________ parallel zwei Strafverfahren wegen gewerbsmässigen Betrugs und mehrfacher Urkundenfälschung. Sie holte bei den Psychiatrischen Diensten Thurgau über B.________ ein psychiatrisches Gutachten ein zum Vorliegen einer psychischen Störung, zur Schuldfähigkeit, zur Rückfallgefahr und zu den Voraussetzungen für die Anordnung einer Massnahme. Am 9. Oktober 2015 erstattete Frau Dr. C.________ das Gutachten. Dieses wurde dem Verteidiger von B.________ eröffnet. 
Am 9. Oktober 2015 beantragte A.________, ihm dieses Gutachten über den Mitbeschuldigten zu eröffnen. B.________ widersetzte sich einer Herausgabe des Gutachtens. 
Am 26. Februar 2016 hiess die Staatsanwaltschaft das Einsichtsgesuch in Bezug auf "die Gutachtenserkenntnisse Ziff. 1 und 6 (Auszüge S. 32 und 34) " gut und wies es ansonsten ab. 
Diese Verfügung wurde sowohl von A.________ als auch von B.________ angefochten. 
Am 4. Mai 2016 vereinigte das Obergericht des Kantons Thurgau die Verfahren, hiess die Beschwerde von A.________ teilweise gut und gewährte ihm eine erweiterte Einsicht in das psychiatrische Gutachten. Die Beschwerde von B.________ wies es ab. 
 
B.   
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A.________, diesen Entscheid, soweit er unterlegen ist, aufzuheben und ihm oder eventuell seiner Verteidigerin, nötigenfalls unter sichernden Auflagen, Einsicht in das gesamte Gutachten zu geben. Subeventuell sei die Sache an die Staatsanwaltschaft oder subsubeventuell an das Obergericht zu neuem Entscheid zurückzuweisen. Für das bundesgerichtliche Verfahren ersucht A.________ um unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung. 
 
C.   
Das Obergericht verzichtet auf Vernehmlassung. Die Staatsanwaltschaft beantragt, die Beschwerde abzuweisen. B.________ beantragt, sie abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Ausserdem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. 
In seiner Replik hält A.________ an der Beschwerde fest und ersucht, ihm vor Erlass des bundesgerichtlichen Urteils Einsicht in jene Teile des Gutachtens zu geben, die ihm gemäss angefochtenem Entscheid ohnehin eröffnet werden müssten. 
Die Staatsanwaltschaft und B.________ verzichten auf weitere Stellungnahmen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid in Strafsachen; dagegen steht die Beschwerde in Strafsachen offen (Art. 78 Abs. 1, Art. 80 Abs. 1, Art. 90 BGG). Er schliesst das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer allerdings nicht ab; es handelt sich um einen Zwischenentscheid im Sinn von Art. 93 Abs. 1 BGG. Gegen einen solchen ist die Beschwerde zulässig, wenn er einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil rechtlicher Natur (BGE 133 IV 139 E. 4) bewirken kann (lit. a) oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und dadurch einen bedeutenden Aufwand an Zeit und Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (lit. b). In der vorliegenden Konstellation fällt die Voraussetzung von lit. b von vornherein ausser Betracht.  
 
1.2. Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe gemäss Art. 101 Abs. 1 StPO einen Anspruch auf Akteneinsicht. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts (Urteil 1B_171/2013 vom 11. Juni 2013 E. 1.2.4) könne die Verweigerung der Akteneinsicht in dieser Konstellation einen nicht wiedergutmachenden Nachteil bewirken.  
Hat der Beschwerdeführer ein Akteneinsichtsrecht nach Art. 101 Abs. 1 StPO, so kann nach der Rechtsprechung die (einstweilige) Verweigerung der Akteneinsicht zwar unter Umständen einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirken (BGE 137 IV 172 E. 2.2 Absatz 2; Urteile 1B_171/2013 vom 11. Juni 2013 E. 1.2.4 und 1B_439/2012 vom 8. November 2012 E. 1.2). Vorliegend steht allerdings keineswegs fest, dass der Beschwerdeführer überhaupt einen Anspruch auf (volle) Einsicht in das Gutachten über seinen Mitbeschuldigten hat. Dem stehen dessen Interessen an der Geheimhaltung sensibler medizinischer Daten gegenüber, zu deren Wahrung das Einsichtsrecht gegenüber dem Beschwerdeführer eingeschränkt werden kann (Art. 108 Abs. 1 StPO). Fraglich ist, ob das nach Abs. 2 dieser Bestimmung auch gegenüber der Verteidigerin zulässig ist, wie vom Obergericht in Betracht gezogen wird (E. 4 S. 14 ff.) Das kann offenbleiben, weil es nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichts in der Regel keinen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirkt, wenn Beweismittel, die nicht verwertbar sind bzw. deren Verwertbarkeit bestritten ist, bei den Untersuchungsakten belassen werden (BGE 141 IV 289 E. 1). 
Das Verfahren steht nach den Angaben des Beschwerdeführers kurz vor der Anklageerhebung, was bedeutet, dass von Seiten der Staatsanwaltschaft wohl keine weiteren Beweiserhebungen mehr geplant sind. Dem Beschwerdeführer wurde vom Obergericht bereits eine weitgehende Einsicht in das Gutachten zugestanden. Er kann nach der Anklageerhebung beim Strafrichter volle Einsicht für sich oder allenfalls für die Verteidigerin beantragen und dessen Urteil gegebenenfalls ans Obergericht weiterziehen mit der Begründung, er habe sich mangels voller Akteneinsicht nicht gehörig verteidigen können. Es ist unter diesen Umständen nicht ersichtlich, inwiefern ihm ein nicht wiedergutzumachender Nachteil rechtlicher Natur daraus erwachsen könnte, dass ihm bisher nur teilweise Einsicht in das Gutachten erteilt wurde. Auf die Beschwerde ist nicht einzutreten. 
 
1.3. Es ist nicht Sache des Bundesgerichts, dem Beschwerdeführer das Gutachten nach Massgabe des angefochtenen Entscheids zu eröffnen, zumal es selber für den Erlass des vorliegenden Urteils vom Gutachten keine Kenntnis zu nehmen brauchte. Der Vollzug des angefochtenen Entscheids des Obergerichts obliegt der Staatsanwaltschaft.  
 
2.   
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat an sich der Beschwerdeführer die Kosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Er hat indessen ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gestellt, welches gutzuheissen ist, da die Beschwerde nicht von vornherein aussichtslos war und die Bedürftigkeit des Beschwerdeführers ausgewiesen scheint (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Hingegen hat der Beschwerdeführer dem Beschwerdegegner eine angemessene Parteientschädigung zu bezahlen; dessen Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung wird damit gegenstandslos. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.   
Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen: 
 
2.1. Es werden keine Kosten erhoben.  
 
2.2. Rechtsanwältin Denise Wüst wird für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'500.-- aus der Bundesgerichtskasse entschädigt.  
 
3.   
Der Beschwerdeführer hat dem Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 1'000.-- zu bezahlen. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft für Wirtschaftsstraffälle und Organisierte Kriminalität und dem Obergericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 10. Januar 2017 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Merkli 
 
Der Gerichtsschreiber: Störi