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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
2C_36/2012 
 
Urteil vom 10. Mai 2012 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Zünd, Präsident, 
Bundesrichterin Aubry Girardin, 
Bundesrichter Donzallaz, 
Gerichtsschreiberin Hänni. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Paul Hofer, 
 
gegen 
 
Bundesamt für Migration. 
 
Gegenstand 
Anerkennung der Staatenlosigkeit, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung III, vom 18. November 2011. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
X.________ wurde 1964 in Prilep/Deçan (westlicher Kosovo) geboren. Bis zur Einreise zu ihrem Gatten in die Schweiz im Juli 1988 lebte sie mit ihrer Tochter (geb. 1982) in Gjakova (ehemalige "Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien"). Das Ehepaar X.________ und Y.________ durchlief in der Schweiz erfolglos ein Asylverfahren. Nachdem ihr Wegweisungsvollzug mehrmals aufgeschoben worden war, erhielt die unterdessen vierköpfige Familie im Rahmen der Humanitären Aktion 2000 die vorläufige Aufnahme. Die beiden Kinder sind heute Schweizer Bürger. 
 
B. 
Im Mai 2009 ersuchten X.________ und Y.________ darum, als staatenlos anerkannt zu werden. Das Bundesamt für Migration (BFM) teilte ihnen mit, dass es sie als kosovarische Staatsangehörige betrachte. Am 12. Oktober 2009 erneuerte X.________ ihr Gesuch, wobei sie insbesondere geltend machte, sie sei bei ihrer Einreise in die Schweiz noch Bürgerin der "Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien" gewesen; nach deren Auseinanderfallen habe sie keine Staatsangehörigkeit eines Nachfolgestaates angenommen und sämtliche Beziehungen zum Kosovo verloren. Das Bundesamt wies am 3. Februar 2010 ihr Gesuch wiederum ab; wie die Abklärungen der Botschaft in Pri?tina ergeben hätten, könne sie die Staatsangehörigkeit ihres Herkunftslands erlangen. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte am 18. November 2011 auf Beschwerde hin diesen Entscheid. 
 
C. 
X.________ beantragt vor Bundesgericht, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aufzuheben und festzustellen, dass sie staatenlos sei; eventuell sei die Sache zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen. X.________ macht im Wesentlichen geltend, die Vorinstanz habe ausser Acht gelassen, dass sie ihre Staatszugehörigkeit ohne eigenes Zutun verloren habe; zudem habe das Bundesverwaltungsgericht den völkerrechtlichen Status des Kosovo falsch gewürdigt. X.________ ersucht, ihr für das bundesgerichtliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu bewilligen. 
Das Bundesamt für Migration und das Bundesverwaltungsgericht haben darauf verzichtet, sich vernehmen zu lassen. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Die Beschwerde richtet sich gegen einen Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts (Art. 86 Abs. 1 lit. a BGG) in einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts (Art. 82 lit. a BGG). Ein Ausschlussgrund ist nicht ersichtlich, nachdem Verfahrensgegenstand die Anerkennung der Staatenlosigkeit und nicht die Erteilung von Reisepapieren bildet (Art. 83 lit. c Ziff. 6 BGG; Urteil 2C_412/2011 vom 22. September 2011 E. 2.1-2.4). Nach Art. 89 Abs. 1 BGG ist zur Beschwerde berechtigt, wer durch den angefochtenen Entscheid besonders berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung hat. Dies trifft auf die Beschwerdeführerin zu, hätte sie doch als staatenlos im Sinne des New Yorker Übereinkommens vom 28. September 1954 über die Rechtsstellung der Staatenlosen (SR 0.142.40; im Folgenden: Staatenlosen-Übereinkommen) anerkannte Person einen Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltsbewilligung und auf Ausstellung von Reisepapieren (vgl. Art. 31 Art. 1 und 59 Abs. 2 lit. b AuG; Urteil 2C_621/2011 vom 6. Dezember 2011 E. 1). Auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist deshalb einzutreten, soweit sie den Begründungsanforderungen von Art. 42 BGG genügt und die Beschwerdeführerin sich darin sachbezogen mit den Ausführungen der Vorinstanz auseinandersetzt (vgl. BGE 134 II 244 E. 2.1 - 2.3 S. 245 ff.). Dies ist nicht der Fall bezüglich der Rüge zu den Palästinensischen Autonomiegebieten, weshalb auf die entsprechenden Vorbringen nicht weiter einzugehen ist. 
 
2. 
2.1 Das Staatenlosen-Übereinkommen definiert in Art. 1 Ziff. 1 als staatenlos "eine Person, die kein Staat aufgrund seiner Gesetzgebung als seinen Angehörigen betrachtet". Einer staatenlosen Person gewährt kein Staat diplomatischen Schutz, und kein Staat ist zu ihrer Aufnahme verpflichtet. Als "de iure" staatenlos gilt, wer formell keine Staatsangehörigkeit besitzt. Der "de facto" Staatenlose hat zwar formell noch eine Staatsangehörigkeit, sein Heimatstaat gewährt ihm aber keinen Schutz mehr, oder er selbst lehnt diesen ab (SAMUEL WERENFELS, Der Begriff des Flüchtlings im schweizerischen Asylrecht, 1987, S. 128 f.). 
 
2.2 Das Staatenlosen-Übereinkommen findet nur auf die "de iure" Staatenlosen Anwendung (YVONNE BURCKHARDT-ERNE, Die Rechtsstellung der Staatenlosen im Völkerrecht und Schweizerischen Landesrecht, 1977, S. 19), d.h. auf Personen, die kein Staat als seine Angehörigen betrachtet. Es bezweckt die Gleichbehandlung der Staatenlosen mit den Flüchtlingen, so namentlich in Bezug auf die personenrechtliche Stellung, die Abgabe eines Reiseausweises, die Sozialversicherungen und Unterstützungsleistungen (Art. 12, 23, 24 und Art. 28 des Staatenlosen-Übereinkommens; vgl. Botschaft vom 11. August 1971 über die Genehmigung des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen, BBl 1971 II 424; auch BGE 115 V 4 E. 2b S. 9; Urteil 2A.65/1996 vom 3. Oktober 1996 E. 3b [publ. in VPB 61/1997 Nr. 74]). 
 
3. 
Die Beschwerdeführerin macht im Wesentlichen geltend, sie sei infolge Untergangs ihres ursprünglichen Heimatstaates "Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien" staatenlos im Sinne des Abkommens geworden, und rügt eine entsprechend unrichtige Auslegung der einschlägigen völkerrechtlichen Bestimmungen. Ihre Ausführungen überzeugen nicht: 
 
3.1 Wie die Vorinstanz zu Recht festgestellt hat, entfallen nach konstanter Rechtsprechung die Voraussetzungen für die Staatenlosigkeit, wenn ein Staat die "de facto" staatenlose Person (wieder) als seine Angehörige anzuerkennen bereit ist. Personen, die ihre Staatsbürgerschaft freiwillig aufgegeben haben oder sich ohne triftige Gründe weigern, diese wieder zu erwerben, obwohl sie die Möglichkeit dazu hätten, fallen nicht unter das Staatenlosen-Übereinkommen (Art. 1 Ziff. 1 des Abkommens e contrario; Urteile 2C_621/2011 vom 6. Dezember 2011 E. 4.2; 2C_763/2008 vom 26. März 2009 E. 3.2; 2C_1/2008 vom 28. Februar 2008 E. 3.2; 2A.153/2005 vom 17. März 2005 E. 2.1; 2A.147/2002 vom 27. Juni 2002 E. 3.1; 2A.545/1998 vom 15. März 1999 E. 2; 2A.65/1996 vom 3. Oktober 1996 E. 3c; vgl. auch Urteil 2A.309/1991 vom 16. März 1992 E. 2). 
 
3.2 Hieran ändert der Zerfall (Dismembration) der "Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien" nichts: Der Wechsel der Souveränität über eines ihrer ehemaligen Gebiete führt gemäss Praxis in der betreffenden Region zum Wechsel der Staatsangehörigkeit der dort lebenden Personen und ihrer Verwandten (vgl. KAY HAILBRONNER, in: Wolfgang Graf Vitzthum [Hrsg.], Völkerrecht, 4. Aufl. Berlin 2007, S. 223). Eine einheitliche Praxis zur Einräumung eines Optionsrechts, d.h. zur Wahl der Staatsangehörigkeit des Nachfolgestaats durch den Betroffenen, ist nicht dargetan (vgl. HAILBRONNER, a.a.O., S. 223). Ein Options- bzw. Wahlrecht besteht nach der Staatenpraxis nicht hinsichtlich der Staatsangehörigkeit eines bestimmten Nachfolgestaates, es kann auch nicht hinsichtlich der Staatenlosigkeit angenommen werden: Würden - frei wählbar - die mit der Staatenlosigkeit verknüpften Rechte zugestanden, verlöre dieser Rechtsstatus den ihm im Staatenlosen-Übereinkommen zugedachten Auffang- und Schutzcharakter. Dies widerspräche auch dessen Sinn und Zweck, würden doch Staatenlose damit gegenüber den Flüchtlingen, deren Status sich nicht nach dem Willen der Betroffenen richtet, grundlos besser gestellt. Die Völkergemeinschaft versucht seit Langem, die Zahl der Staatenlosen zu reduzieren; eine freie Wählbarkeit - wie sie die Beschwerdeführerin anstrebt - liefe diesen Bemühungen zuwider. Das Staatenlosen-Übereinkommen ist nicht geschaffen worden, damit Einzelne nach Belieben eine privilegierte Rechtsstellung erwirken können. Es soll ausschliesslich Menschen helfen, die in eine Notlage geraten (Urteile 2C_1/2008 vom 28. Februar 2008 E. 3.2; 2A.78/2000 vom 23. Mai 2000 E. 2b; WERENFELS, a.a.O., S. 130 f.). 
 
3.3 Als unbegründet erweist sich auch der Einwand der Beschwerdeführerin, sie könne gleichwohl nicht als Staatsangehörige des Kosovo gelten, da es sich bei diesem nicht um einen Staat im rechtlichen Sinne handle; es fehle ihm hierfür das konstitutive Element der Staatsgewalt, solange er unter der Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen stehe. Die Beschwerdeführerin legt zum einen nicht substanziiert dar, was sie hieraus konkret ableiten will, zum anderen sind ihre Ausführungen nicht entscheidrelevant: Selbst wenn unklar sein sollte, bis zu welchem Grad der Kosovo die klassischen Kriterien der Staatlichkeit erfüllt, ändert dies nichts daran, dass die Schweiz ihn als Staat anerkannt hat. Der entsprechende Anerkennungsakt bildet Ausdruck der eigenen rechtlichen Bindung und Grundlage der (staatlichen) Kooperation mit dem Kosovo; wegen des Grundsatzes von Treu und Glauben (Estoppel-Prinzip im Völkerrecht) kann er nicht ohne Weiteres im Zusammenhang mit Problemen der Staatenlosigkeit wieder infrage gestellt oder indirekt rückgängig gemacht werden (vgl. BEAT DOLD, Concepts and Practicalities of the Recognition of States, SZIER 2012 S. 81 ff. und 100). 
 
3.4 Gemäss dem für das Bundesgericht verbindlich festgestellten Sachverhalt (vgl. Art. 105 Abs. 2 BGG) steht der Beschwerdeführerin die Möglichkeit offen, die kosovarische Staatsangehörigkeit anzunehmen: Die Schweizerische Vertretung vor Ort hat festgestellt, dass sie an dem von ihr bezeichneten Geburtsort über familiäre Wurzeln verfügt. Dies ermöglicht es ihr, einen entsprechenden Identitätsausweis bzw. Pass zu beantragen (Schreiben der Schweizerischen Botschaft in Kosovo vom 16. Dezember 2009). Sie kann sich deshalb - wie die Vorinstanz zu Recht festgestellt hat, auf deren Ausführungen ergänzend verwiesen wird (vgl. Art. 109 Abs. 3 BGG) - nicht auf das Staatenlosen-Übereinkommen berufen. Würden der Beschwerdeführerin die mit der Staatenlosigkeit verknüpften Rechte zugestanden, verlöre dieser Rechtsstatus den ihm zugedachten Schutzcharakter. Diese Konsequenz ist jedoch nicht mit dem Staatenlosen-Übereinkommen zu vereinbaren. 
 
4. 
Die Beschwerde, welche aufgrund der Ausführungen im angefochtenen Entscheid als offensichtlich unbegründet zu gelten hat, kann im vereinfachten Verfahren nach Art. 109 BGG abgewiesen werden, soweit darauf einzutreten ist. Dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist mangels ernsthafter Erfolgsaussichten der Rechtsbegehren nicht zu entsprechen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Die unterliegende Beschwerdeführerin wird dementsprechend kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Ihrer wirtschaftlichen Situation kann bei der Festsetzung der Höhe der Gebühr Rechnung getragen werden. Es sind keine Parteientschädigungen geschuldet (Art. 68 Abs. 3 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2. 
2.1 Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen. 
 
2.2 Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Bundesverwaltungsgericht, Abteilung III, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 10. Mai 2012 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Zünd 
 
Die Gerichtsschreiberin: Hänni