Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
5A_395/2017  
 
 
Urteil vom 10. Juli 2018  
 
II. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter von Werdt, Präsident, 
Bundesrichter Marazzi, Herrmann, Schöbi, Bovey, 
Gerichtsschreiber Möckli. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Petar Hrovat, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
B.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt André Weber, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Wegzug des Kindes; Aufenthaltsbestimmung; Obhut, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, vom 30. März 2017 (PQ160058-O/U). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
B.________ und A.________ sind die unverheirateten Eltern des 2009 geborenen C.________ und wohnten gemeinsam im Kanton Zürich. Gemäss Vereinbarung über die gemeinsame elterliche Sorge vom 6. Mai 2010, genehmigt durch die Vormundschaftsbehörde, sollte C.________ für den Fall der Auflösung des gemeinsamen Haushaltes mehrheitlich bei der Mutter leben. Als es tatsächlich zur Trennung kam, zog die Mutter mit C.________ im Oktober 2013 gegen den Willen des Vaters nach U.________ im Kanton Tessin. 
 
B.   
In der Folge gelangten beide Eltern an die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB), die Mutter am 15. Oktober 2013 im Tessin und der Vater am 17. Oktober 2013 im Kanton Zürich. Während die Behörde im Tessin ihr Verfahren sistierte, trat die KESB V.________ (ZH) mit Entscheid vom 23. Oktober 2013 auf das Gesuch des Vaters nicht ein, was der Bezirksrat mit Entscheid vom 19. Mai 2014 schützte, aber das Obergericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 2. September 2014 aufhob, unter Anweisung der KESB, über die Betreuung von C.________ materiell zu entscheiden. 
Die KESB V.________ (ZH) holte darauf bei der D.________ AG ein Gutachten ein, welches am 10. März 2015 erstattet wurde, und liess C.________ am 3. Juni 2015 durch eine Fachperson am Institut E.________ anhören. 
Nachdem die KESB mit Entscheid vom 17. Februar 2015 den Antrag des Vaters abgewiesen hatte, C.________ bis zum Entscheid in der Hauptsache vorsorglich in seine Obhut zu geben, regelte sie mit Beschluss vom 25. März 2015 vorsorglich das Besuchsrecht dahingehend, dass der Vater berechtigt ist, diesen jedes zweite Wochenende von Freitagabend bis Sonntagabend sowie an verschiedenen Feiertagen zu sich auf Besuch zu nehmen (mit Übergabe jeweils am Bahnhof Arth-Goldau) und mit ihm sechs Wochen Ferien zu verbringen. 
Mit Beschluss vom 14. Juli 2015 sprach die KESB das Aufenthaltsbestimmungsrecht gestützt auf Art. 301a Abs. 5 ZGB der Mutter zu und regelte weitere Einzelheiten (Erziehungsgutschriften, Fortführung der Beistandschaft, Bestätigung der vorläufigen Besuchsrechtsregelung, auf Art. 307 Abs. 3 ZGB gestützte Anordung einer psychologischen Therapie). 
Die hiergegen erhobene Beschwerde wies der Bezirksrat ab und auch das Obergericht bestätigte (mit Ausnahme der Kostenregelung) in seinem Urteil vom 30. März 2017 die getroffene Lösung, nachdem das instruierende Mitglied in den Tessin gereist war und das Kind dort angehört hatte. 
 
C.   
Gegen das Urteil vom 30. März 2017 hat A.________ am 22. Mai 2017 eine Beschwerde eingereicht mit den Begehren, das Aufenthaltsbestimmungsrecht über C.________ sowie die Erziehungsgutschriften seien ihm zuzuteilen, unter Verpflichtung der Mutter zu angemessenem Kindesunterhalt und Regelung ihres Besuchsrechts. Es wurden keine Vernehmlassungen, aber die kantonalen Akten eingeholt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Angefochten ist der kantonal letztinstanzliche Entscheid in einer Zivilsache; dagegen steht die Beschwerde in Zivilsachen offen (Art. 72 Abs. 1, Art. 75 Abs. 1 und Art. 90 BGG). 
 
2.   
Vorweg ist festzuhalten, dass verschiedentlich eine fehlende Sachaufklärung im Rahmen der Untersuchungsmaxime gerügt wird. Dies geschieht jedoch durchwegs am Rande und oberflächlich; die für Gehörs- und insbesondere für Willkürrügen geltenden Substanziierungsanforderungen im Bereich der strikten Rügepflicht nach Art. 106 Abs. 2 BGG (dazu BGE 140 III 264 E. 2.3 S. 266; 141 IV 249 E. 1.3.1 S. 253; 141 IV 369 E. 6.3 S. 375) werden nicht erfüllt. 
 
3.   
Der vorliegende Rechtsstreit dreht sich um den ohne väterliche Zustimmung erfolgten Umzug von Mutter und Kind in den Tessin. Vorab stellt sich die von Amtes wegen zu prüfende (Art. 106 Abs. 1 BGG) Frage nach dem anwendbaren Recht. 
Nach der Rechtslage, wie sie bis zum 30. Juni 2014 bestand, war das Aufenthaltsbestimmungsrecht über das Kind ein Teil des Obhutsrechts (BGE 136 III 353 E. 3.2 S. 356); der alleinige Obhutsinhaber - aber auch nur dieser - konnte mithin den Aufenthalt des Kindes frei bestimmen (vgl. BGE 136 III 353 E. 3.3 S. 357 f.). Demgegenüber bildet das Aufenthaltsbestimmungsrecht seit der auf den 1. Juli 2014 in Kraft getretenen Gesetzesnovelle einen Teil des Sorgerechtes (Art. 301a Abs. 1 ZGB), welches vorliegend beiden Elternteilen zusteht. Unter der neuen Bestimmung von Art. 301a Abs. 2 lit. b ZGB hätte die Mutter nicht einseitig den Aufenthaltsort von C.________ in den Tessin verlegen dürfen, weil dies offensichtlich erhebliche Auswirkungen auf die Ausübung jedenfalls des Besuchsrechts und allenfalls auch auf die Ausübung des elterlichen Sorgerechts hat. 
Angesichts der aktenkundigen Tatsachen (Abmeldung im Kanton Zürich und Anmeldung im Tessin sowie in der Schule im Oktober 2013) ist davon auszugehen, dass das Kind bereits vor dem 1. Juli 2014 im Tessin neuen gewöhnlichen Aufenthalt begründet hat, zumal der Umzug mit der Mutter erfolgte und diese mit dem Plan in den Tessin zog, dort ein neues Leben aufzubauen (vgl. dazu BGE 129 III 288 E. 4.1 S. 292; 142 III 1 E. 2.1 S. 4; 143 III 193 E. 2 S. 195). Das Obergericht ist jedoch davon ausgegangen, dass die Bestimmung von Art. 301a ZGB kraft der intertemporalen Normierung in Art. 12 Abs. 1 SchlT ZGB auf das hängige Verfahren anzuwenden sei. Während des ganzen Verfahrens wurde diese Sichtweise von den Parteien nie in Frage gestellt und auch in der vorliegend zu beurteilenden Beschwerde werden keine diesbezüglichen Rügen erhoben; indes kann die Frage angesichts ihrer Grundsätzlichkeit nicht einfach übergangen werden (vgl. Art. 106 Abs. 1 BGG). 
Das Obergericht hat mit Art. 12 Abs. 1 SchlT ZGB die richtige intertemporalrechtliche Bestimmung zur Anwendung gebracht. Zwar wurde Abs. 1 seinerzeit im Zusammenhang mit der auf den 1. Januar 1978 in Kraft getretenen Revision des Kindesrechts erlassen; im Zusammenhang mit der Sorgerechtsnovelle wurden einzig die Abs. 4 und 5 neu eingefügt. Indes geht es beim Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind um die Wirkungen des Kindesverhältnisses und verweist deshalb auch die Botschaft zur Sorgerechtsnovelle in übergangsrechtlicher Hinsicht für die nicht spezifisch den Abs. 4 und 5 zuzuordnenden Belange auf Art. 12 Abs. 1 SchlT ZGB (Botschaft vom 16. November 2011, BBl 2011 9109). 
Die auf Art. 12 Abs. 1 SchlT ZGB gestützte sofortige Anwendung der neuen Normen des Kindesrechts auf ein hängiges Verfahren, mithin das Vorgehen des Obergerichtes, ist zunächst überall dort sachrichtig, wo ein durativer Sachverhalt zu beurteilen ist (z.B. die Prüfung der elterlichen Sorge, vgl. Urteil 5A_923/2014 vom 27. August 2015 E. 3, nicht publ. in: BGE 141 III 472). Sodann ist die sofortige Anwendung spezifisch der neuen Bestimmung von Art. 301a ZGB sachrichtig, wo es um die Frage geht, ob ein geplanter Wegzug zu genehmigen ist (implizit BGE 142 III 481 Lit. A und B), denn hier steht gewissermassen ein noch nicht verwirklichter Sachverhalt zur Debatte. Vorliegend ist jedoch der Wegzug, der als solcher ein punktueller Vorgang ist, lange vor Inkrafttreten der neuen Norm erfolgt. Soweit der Mutter in jenem Zeitpunkt das alleinige Obhutsrecht zustand, war sie nach der damaligen Rechtslage zur autonomen Verlegung des Aufenthaltsortes des Kindes berechtigt (vgl. die eingangs von E. 3 gemachten Ausführungen). Es kann ihr nicht im Nachhinein ein Handeln vorgeworfen werden, dem im damaligen Zeitpunkt kein Unrechtsgehalt innewohnte (vgl. Urteil 5A_713/2007 vom 28. Februar 2008 E. 3, wo eine Kindesentführung durch die Mutter verneint wurde, weil sie nach dem zum betreffenden Zeitpunkt für sie gültigen bzw. greifbaren südafrikanischen Recht ohne väterliche Zustimmung mit dem Kind auswandern durfte und ihr Handeln deshalb nicht als widerrechtlich anzusehen war). 
Für die nach altem Recht vorzunehmende rechtliche Würdigung des im Oktober 2013 vollzogenen Umzuges in den Kanton Tessin ist mithin ausschlaggebend, ob die Mutter im damaligen Zeitpunkt über die alleinige Obhut verfügte oder ob C.________ unter der Obhut beider Elternteile stand. Angesichts der durch die Vormundschaftsbehörde genehmigten Vereinbarung der Eltern über die gemeinsame elterliche Sorge vom 6. Mai 2010, wonach C.________ für den Fall der Auflösung des gemeinsamen Haushaltes mehrheitlich bei der Mutter leben soll, muss davon ausgegangen werden, dass den Eltern nur das Sorgerecht gemeinsam zustand, jedoch die Obhut zumindest nach der Trennung der Mutter allein. Etwas anderes wird, ausgehend von der betreffenden Vereinbarung, beschwerdeweise auch nicht behauptet. 
 
4.   
Bei alleiniger Obhut der Mutter war diese nach der damaligen Rechtslage zur autonomen Verlegung des Aufenthaltsortes des Kindes in den Tessin berechtigt, ohne dass es hierfür der väterlichen Zustimmung bedurft hätte (vgl. E. 3). Damit fällt die Beschwerde in sich zusammen und das Ergebnis des obergerichtlichen Entscheides ist zu schützen. 
Zum selben Ergebnis gelangt man im Übrigen auch in Anwendung der neurechtlichen Bestimmungen. Das Obergericht hat erwogen, dass das Vorgehen der Mutter Zweifel an ihrer Erziehungsfähigkeit erwecke, diese jedoch durch die seitherige Entwicklung des Kontaktes zwischen C.________ und seinem Vater nicht bestätigt würden; die Mutter sei daran interessiert, dass der Vater weiterhin eine lebendige Beziehung zu C.________ pflegen könne, was sich in der umfangreichen und auch tatsächlich gepflegten Kontaktregelung sowie darin zeige, dass der Vater in der Erlebniswelt von C.________ präsent sei. 
Vor diesem Hintergrund würde vorab die Rüge der Verletzung von Art. 13 Abs. 1 BV und Art. 8 EMRK ins Leere stossen, weil sich die Frage der Aufenthaltsbestimmung nach dem einschlägigen Bundesrecht richtet und im konkreten Fall ein Familienleben insofern nicht verunmöglicht wird, als der Vater im Rahmen des grosszügigen und offenbar auch gut klappenden Besuchs- und Ferienrechts persönlichen Umgang mit dem Kind pflegen kann. 
Die Erziehungs- und Betreuungsvorwürfe leitet der Vater in erster Linie aus den chronischen Darmbeschwerden von C.________ ab; die Mutter habe diese ungenügend erkannt, die Diagnose und die Operation seien auf seine Intervention hin erfolgt. Der Vater stellt die Darmbeschwerden in einen kausalen Zusammenhang mit dem Wegzug in den Tessin, weil sie erst dort aufgetreten seien, und er ist der Meinung, bei einer Platzierung des Kindes bei ihm im Kanton Zürich würden die Beschwerden verschwinden. Die Erwägung des Obergerichtes, dass ein Obhutswechsel am Loyalitätskonflikt und den Darmbeschwerden nichts ändern, sondern die Problematik mit umgekehrten Vorzeichen fortbestehen würde, betrifft in erster Linie den Sachverhalt, ohne dass nach dem in E. 2 Gesagten substanziierte Willkürrügen erhoben worden wären; soweit es sinngemäss auch um eine Frage der Lebenserfahrung gehen würde, was Rechtsfrage bildet (BGE 133 V 477 E. 6.1 S. 485; 143 V 19 E. 6.1.6 S. 37), kann festgehalten werden, dass die Beschwerden zwangsläufig erst im Tessin auftreten konnten, wenn sie im Zusammenhang mit dem Loyalitätskonflikt stehen, und es lebensfremd scheint, wenn der Vater davon ausgeht, im Kanton Zürich würden diese sofort verschwinden, unterstellt er doch damit, dass das Kind nur an ihm hänge, im umgekehrten Fall aber die Mutter nicht vermissen und nicht mehr an einem Loyalitätskonflikt leiden würde. 
Unbegründet wäre ferner das Vorbringen des Vaters, bei ihm würde das Kind weniger reiseintensiv betreut als bei der Mutter; bei einem Obhutswechsel wäre der Besuchsrechtsaufwand für die Mutter ähnlich hoch wie heute derjenige des Vaters. 
Was schliesslich die Aussagen des Kindes angeht, ist Folgendes zu bemerken: Die Anhörung ist grundsätzlich ab dem vollendeten sechsten Altersjahr möglich und geboten (BGE 133 III 553 E. 1.2.3 S. 557). Indes ist bei kleineren Kindern nicht nach konkreten Zuteilungswünschen zu fragen, können sich diese doch hierüber noch gar nicht losgelöst von zufälligen gegenwärtigen Einflussfaktoren äussern und in diesem Sinn eine stabile Absichtserklärung abgeben (BGE 133 III 553 E. 1.2.2 S. 557). Anders verhält es sich bei älteren Kindern, deren Aussagen zur Verlegung des Aufenthaltsortes und einer allfälligen Umteilung erhebliches Gewicht haben (BGE 142 III 481 E. 2.7 S. 494). Zutreffend ist vor diesem Hintergrund die Erwägung des Obergerichts, dass C.________ weit vom Alter entfernt sei, ab welchem rechtsprechungsgemäss von einer Urteilsfähigkeit in Zuteilungsfragen ausgegangen werde, und dass der Wunsch, beim Vater zu wohnen, weil es dort weniger Regeln und coolere Spielsachen gebe, alterstypisch sei und keine andere Einstufung der Urteilsfähigkeit nahe lege, zumal die Wahrnehmung auch dadurch bedingt sein dürfte, dass sich C.________ während der Freizeit beim Vater aufhalte, wenn dieser keine konkurrierenden Verpflichtungen (namentlich Arbeit) wahrzunehmen und er selbst kein Alltagsprogramm (insbesondere Schule) zu bewältigen habe. Insgesamt von wenig Verständnis für die Belange eines Kindes im Alter von C.________ zeugt im Übrigen, dass der Vater kritisiert, das Kind sei am Wohnort im Tessin statt in Zürich angehört worden, und dass er beschwerdeweise darauf beharrt, das Kind habe sich in mehreren Aussagen für ihn entschieden, womit er es gewissermassen zum Schiedsrichter in der Zuteilungsfrage machen will. 
 
5.   
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerde abzuweisen ist, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der Gegenseite ist kein entschädigungspflichtiger Aufwand entstanden. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, der KESB V._______ und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 10. Juli 2018 
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: von Werdt 
 
Der Gerichtsschreiber: Möckli