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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
2P.49/2005 /zga 
 
Urteil vom 10. August 2005 
II. Öffentlichrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Merkli, Präsident, 
Bundesrichter Hungerbühler, Müller, 
Gerichtsschreiber Feller. 
 
Parteien 
X.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Gemeinderat Y.________, 
Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Luzern, Bahnhofstrasse 15, Postfach 4168, 6002 Luzern, 
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Abgaberechtliche Abteilung, Obergrundstrasse 46, 6002 Luzern. 
 
Gegenstand 
Art. 5,8,9,13,15,16,24,26,29,34,35,36,39 BV (Niederlassung), 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil 
des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern 
vom 3. Januar 2005. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
X.________ wohnte während Jahren im Kanton Zug (B.________, Einwohnergemeinde C.________). Er ist dort neben anderen Personen Stockwerkeigentümer der Liegenschaft A.________, die in zwei Geschäftsräume und zwei Wohnungen aufgeteilt ist. An der Liegenschaft befinden sich die Geschäftsadressen von mehreren Gesellschaften, an denen X.________ beteiligt ist; zudem lässt er sich im Kontakt mit Behörden seit je die Post dorthin zustellen. Bis Ende März 2004 sodann war X.________ in B.________ auch Mieter einer 3 ½ - Zimmerwohnung an einer anderen Adresse. In der Gemeinde C.________ war er polizeilich gemeldet, bezahlte er seine Steuern und übte er auch die politischen Rechte aus. 
 
Im Jahr 2003 liess X.________ in der Luzerner Gemeinde Y.________ ein Mehrfamilienhaus erstellen und erwarb eine der Wohnungen als Eigentumswohnung. Die Einwohnerkontrolle der Gemeinde Y.________ forderte X.________ im Laufe des Herbstes 2003 mehrmals auf, den Heimatschein bei der Gemeinde zu deponieren. 
 
Mit Entscheid vom 11. Dezember 2003 büsste der Gemeinderat Y.________ X.________ wegen Nichtdeposition des Heimatscheines mit Fr. 50.-- und forderte ihn auf, den Heimatschein innert 10 Tagen bei der Einwohnerkontrolle zu deponieren, unter Androhung der Straffolgen nach Art. 292 StGB im Unterlassungsfalle. Nach Durchführung verschiedener Beweismassnahmen wies das Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Luzern die gegen diesen Entscheid erhobene Beschwerde - ausser in einem vorliegend nicht interessierenden Punkt - ab. Die gegen diesen Departementsentscheid vom 18. Juni 2004 erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern mit Urteil vom 3. Januar 2005 ab, soweit darauf einzutreten war. 
 
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 31. Januar (Postaufgabe 1. Februar) 2005 beantragt X.________ dem Bundesgericht, das Urteil des Verwaltungsgerichts wegen Verletzung verfassungsmässiger Grundrechte aufzuheben und die Busse der Gemeinde Y.________ als gegenstandslos zu bezeichnen, allenfalls die Sache zur Neubeurteilung unter Berücksichtigung der verfassungsmässigen Grundrechte und nach ordentlicher Anhörung des Beschwerdeführers an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen. 
Das Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Luzern und die Gemeinde Y.________ beantragen Abweisung der Beschwerde. Das Verwaltungsgericht stellt den Antrag, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. 
2. 
2.1 Der mit dem angefochtenen Urteil im Wesentlichen bestätigte Entscheid der Gemeinde Y.________ stützt sich auf das Luzerner Gesetz vom 1. Dezember 1948 über die Niederlassung und den Aufenthalt sowie über die Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht (Niederlassungsgesetz, NG). Nach § 3 lit. a NG müssen Schweizer Bürger, die nicht Kantonsbürger sind und in einer Gemeinde des Kantons Wohnsitz nehmen oder länger als zwei Monate verweilen wollen, zur Begründung der Niederlassung binnen zehn Tagen ihren Heimatschein oder eine andere gleichbedeutende Ausweisschrift einlegen. Wer der schriftlichen Mahnung zur Ordnung des Wohnsitzes nach Vorschrift des Niederlassungsgesetzes innert acht Tagen nicht Folge leistet, wird mit einer Geldbusse von 5 bis 50 Franken bestraft (§ 18 Abs. 1 NG). 
2.2 Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung verschiedener verfassungsmässiger Rechte materieller und verfahrensrechtlicher Natur. Dabei stellt er nicht die Verfassungsmässigkeit von § 3 NG in Frage, und er bestreitet das Recht der Gemeinden nicht, bei Wohnsitznahme gestützt darauf die Hinterlegung der Schriften zu verlangen und bei Säumnis eine Sanktion im Sinne von § 18 NG zu verhängen. Art. 3 NG beruht im Übrigen auf einer bundesrechtlichen Vorschrift, nämlich auf Art. 1 Abs. 2 der Verordnung vom 22. Dezember 1980 über den Heimatschein (AS 1981 34). Die Verordnung über den Heimatschein war bis Ende Juni 2004 in Kraft; per 1. Juli 2004 wurde sie durch Art. 99 Abs. 1 Ziff. 1 in Verbindung mit Art. 100 Abs. 1 der Zivilstandsverordnung vom 28. April 2004 (ZStV; SR 211.112.2) aufgehoben. Ausführungen über die Bedeutung der Aufhebung dieses bundesrechtlichen Erlasses und die sich daraus allenfalls ergebenden Konsequenzen hinsichtlich der Anerkennung eines Rechtsschutzinteresses an einem selbständigen Verfahren über die Hinterlegung des Heimatscheins bzw. über die Feststellung des Ortes der Niederlassung erübrigen sich schon deshalb, weil der Beschwerdeführer - wie erwähnt - hinsichtlich der in Art. 3 NG vorgesehenen Hinterlegungspflicht als solcher keine Rügen erhebt; im Übrigen betrifft der Streitfall die Verhältnisse im Herbst 2003. 
2.3 Sämtliche gerügten Grundrechtsverletzungen beruhen auf der nach Auffassung des Beschwerdeführers unzutreffenden Annahme der kantonalen Behörden, dass er spätestens Ende September 2003 seinen bisherigen Wohnsitz in der Gemeinde C.________ aufgegeben und Wohnsitz in der Gemeinde Y.________ begründet habe. 
 
Gemeint ist die polizeiliche Niederlassung; diese stimmt trotz gewisser Parallelen weder mit dem zivilrechtlichen Wohnsitzbegriff nach Art. 23 ff. ZGB noch mit einem der Spezialdomizile (z.B. dem politischen Wohnsitz im Sinne von Art. 3 des Bundesgesetzes vom 17. Dezember 1976 über die politischen Rechte [BPR; SR 161.1] oder dem Unterstützungswohnsitz gemäss Art. 4 ff. des Bundesgesetzes vom 24. Juni 1977 über die Zuständigkeit für die Unterstützung Bedürftiger [ZUG; SR 851]) völlig überein. Je nach dem, in welchem rechtlichen Zusammenhang sich die Frage stellt, haben dementsprechend verschiedene Behörden in unterschiedlichen Verfahren über den Wohnsitz zu entscheiden, wobei sie nicht zwingend gleiche, jedoch meist ähnliche Kriterien anwenden. Auch bei der polizeilichen Niederlassung, die unter gewissen Umständen - im Unterschied zu anderen Domizilen - zur gleichen Zeit an mehreren Orten bestehen kann, ist unerlässlich, dass zum Ort, an welchem der Betroffene sich als niedergelassen betrachten will, Beziehungen von ausreichender Dauer und Intensität existieren; es müssen gewisse tatsächliche Voraussetzungen dafür gegeben sein. Umgekehrt besteht eine Pflicht, sich am Ort, der sich als Ort der polizeilichen Niederlassung erweist, anzumelden und die diesbezüglichen Formalitäten zu erfüllen (umfassend zum Ganzen Urteil 2P.115/1998 vom 12. November 1998 E. 3 mit Hinweisen). Zur Wahl eines bestimmten Ortes als polizeiliches Hauptdomizil, verbunden mit der Hinterlegung des Heimatscheins, kann jemand, der sich an verschiedenen Orten aufhält, allerdings nur dann angehalten werden, wenn nach den massgeblichen tatsächlichen Verhältnissen eindeutig erkennbar ist, dass die persönlichen Beziehungen zu diesem Ort gegenüber anderen Orten überwiegen und sein Lebensmittelpunkt dort zu vermuten ist; lässt sich dies nicht feststellen, gilt als Ort der hauptsächlichen polizeilichen Niederlassung der Ort, an dem die Niederlassung früher erfolgt ist (Urteile 2P.115/1998 vom 12. November 1998 E. 3c; P.1669/1984 vom 4. Oktober 1985, E. 3 und 4). 
 
Wo sich der Lebensmittelpunkt einer Person befindet, ergibt sich aus verschiedenen tatsächlichen Indizien. Auch im Zusammenhang mit der Verletzung konkreter Grundrechte wie der Niederlassungsfreiheit können entsprechende Sachverhaltsfeststellungen vom Bundesgericht nicht frei geprüft werden. Es hat vielmehr zu prüfen, ob diese Feststellungen auf willkürlicher Beweiswürdigung beruhen und willkürlich sind oder sonst in einer gegen verfassungmässige Rechte verstossenden Weise getroffen wurden (Urteil 2P.418/1996 vom 15. April 1997 E. 1d). Dass dem so sei und das angefochtene Urteil an einem entsprechenden Mangel leide, müsste der Beschwerdeführer in einer den Anforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG genügenden Weise aufzeigen; insbesondere tritt das Bundesgericht auf rein appellatorische Kritik nicht ein (BGE 130 I 258 E. 3.1 S. 262; 127 I 38 E. 4 S. 43; 125 I 492 E. 1b S. 495). 
2.4 Entscheidend für das Urteil des Verwaltungsgerichts ist die tatsächliche Feststellung, dass der Beschwerdeführer spätestens seit Ende September 2003 unter der Woche regelmässig am Abend in die auch von seiner Lebensgefährtin bewohnte Eigentumswohnung in Y.________ zurückkehrte, die Nacht dort verbrachte und am Morgen von dort aus zur Arbeit ging; ebenso soll der Beschwerdeführer sich an den Wochenenden mehrheitlich in dieser Wohnung aufgehalten haben. Das Verwaltungsgericht stützt sich hiefür auf recht aufwendige Abklärungen, die im Verfahren vor dem Departement getroffen worden sind. 
 
Vorab kann auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zum Ergebnis dieser Abklärungen verwiesen werden (E. 5c des angefochtenen Urteils). Der Beschwerdeführer bringt diesbezüglich verschiedene Vorbehalte an; im Wesentlichen kritisiert er die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts als willkürlich, wobei er sich aber weitgehend damit begnügt, andere Schlussfolgerungen als dieses aus den eingeholten Auskünften zu ziehen. Damit aber erweist sich seine Kritik überwiegend als rein appellatorisch, sodass darauf insoweit nicht in allen Einzelheiten einzugehen ist. 
 
Konkret bemängelt der Beschwerdeführer, dass die Aussagen der Mitbewohner der Liegenschaft in Y.________ widersprüchlich seien. Das Verwaltungsgericht durfte, ohne in Willkür zu verfallen, den hauptsächlichen Inhalt der schriftlichen Auskünfte so zusammenfassen, dass der Beschwerdeführer ab einem gewissen Zeitpunkt, spätestens aber ab Ende September 2003, zusammen mit seiner Lebensgefährtin vorwiegend in seiner Wohnung in Y.________ lebte, unter der Woche wie auch an Wochenenden. Die Erklärung des Beschwerdeführers, Aufenthalte dieser Intensität hätten der Überwachung der Bauarbeiten gedient, erweist sich als blosse Schutzbehauptung. Gewisse Ungenauigkeiten in den Erklärungen der Befragten, z.B. bezüglich der genauen Zuordnung des Eigentums an Autos oder nicht speziell vermerkte kurze Ferienabwesenheiten, vermögen an der Glaubwürdigkeit der unter Strafandrohung gegebenen Auskünfte nichts zu ändern. Es ist denn auch nicht ersichtlich, was eine (weitere) Befragung der Auskunftspersonen in Gegenwart des Beschwerdeführers an zusätzlichen Erkenntnissen hätte bringen können; dass das Einholen von schriftlichen Auskünften im Sinne von § 71 des Luzerner Gesetzes vom 3. Juli 1972 über die Verwaltungsrechtspflege (VRG), zu welchen er sich schriftlich äussern konnte, verfassungsrechtlich unzulässig wäre, zeigt der Beschwerdeführer nicht auf. Ohne weiteres nachvollziehbar erscheint weiter, was das Verwaltungsgericht zu den insgesamt recht umfangreichen Abklärungen bezüglich des (aufgegebenen) Aufenthalts des Beschwerdeführers in der Einwohnergemeinde C.________ festhält; insbesondere beruht die Einschätzung, zusätzliche Erhebungen hätten nichts gebracht (E. 5c/ee des angefochtenen Urteils), auf willkürfreier antizipierter Beweiswürdigung. Viel Gewicht legt der Beschwerdeführer darauf, dass die Eigentumswohnung wegen nicht vollendeter bzw. nicht bewilligter Bauarbeiten nicht bewohnbar gewesen sein soll; diesem Argument fehlt schon darum die Grundlage, weil jedenfalls seine Lebensgefährtin dort wohnte. Sämtliche Ausführungen zu Baustopps und zu entsprechenden Entscheiden sind damit für die vorliegende Streitfrage irrelevant. 
2.5 Bei den vom Verwaltungsgericht ohne Verletzung verfassungsmässiger Rechte ermittelten tatsächlichen Gegebenheiten steht mit genügender Klarheit fest, dass der Beschwerdeführer das Zentrum der persönlichen Beziehungen im Herbst 2003 von B.________ nach Y.________ verschoben hat; es darf vermutet werden, dass er seinen eigentlichen Lebensmittelpunkt ab jenem Zeitpunkt in dieser Gemeinde hatte, wo er zusammen mit seiner Lebensgefährtin wohnte. 
2.6 Damit fehlt den weiteren Rügen des Beschwerdeführers, verschiedene andere verfassungsmässige Rechte (wie Niederlassungsfreiheit, politische Rechte, Glaubens- und Gewissensfreiheit, Meinungs- und Informationsfreiheit, Eigentumsgarantie, Schutz der Privatsphäre) seien verletzt, die Grundlage, wobei ohnehin nicht für sämtliche der angerufenen Grundrechte ersichtlich ist, ob und inwiefern sie durch den angefochtenen Entscheid überhaupt berührt sein könnten. 
 
Im Übrigen gilt für alle der möglicherweise betroffenen Grundrechte, was das Verwaltungsgericht hinsichtlich der Niederlassungsfreiheit festgehalten hat (E. 6 des angefochtenen Urteils): Der Beschwerdeführer ist völlig frei, sich an einen anderen Ort als Y.________ zu begeben und sich schwergewichtig dort aufzuhalten. Die Frage der polizeilichen Niederlassung sowie weitere Domizilfragen wären dann, bei nach freier Wahl konkret neu gestalteten tatsächlichen Lebensverhältnissen, neu zu prüfen. 
2.7 Soweit der Beschwerdeführer in einer den Anforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. bOG genügenden Weise Rügen erhebt, sind diese unbegründet. Die staatsrechtliche Beschwerde ist daher, soweit darauf eingetreten werden kann, abzuweisen. 
2.8 Entsprechend dem Verfahrensausgang sind dem Beschwerdeführer die bundesgerichtlichen Kosten aufzuerlegen (Art. 156 in Verbindung mit Art. 153 und 153a OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
2. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt. 
3. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Gemeinderat Y.________, dem Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Luzern und dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 10. August 2005 
Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: