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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1B_184/2021  
 
 
Urteil vom 10. November 2021  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Chaix, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichterin Jametti, Bundesrichter Müller, 
Gerichtsschreiber Mattle. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________-Gesellschaft, 
Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Mark Livschitz, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl, 
Büro E-5, Stauffacherstrasse 55, 
Postfach, 8036 Zürich. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; Rechtsverzögerung, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss vom 22. Februar 2021 des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer (UV200018). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Am 31. Juli 2019 erhob die A.________-Gesellschaft (nachfolgend: Gesellschaft) bei der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl Strafanzeige gegen drei Personen wegen Verdachts auf Veruntreuung (eventualiter qualifizierter ungetreuer Geschäftsbesorgung), Geldwäscherei, versuchten Betrugs, Urkundenfälschung, Urkundenunterdrückung, falscher Anschuldigung, versuchter Erpressung (eventualiter Nötigung) und ordnungswidriger Führung von Geschäftsbüchern. Die Staatsanwaltschaft führt eine entsprechende Strafuntersuchung unter der Referenz E-5/2019/10026417. 
 
B.  
Die Gesellschaft erhob am 17. Juni 2020 Beschwerde beim Obergericht des Kantons Zürich wegen Rechtsverzögerung. Sie machte geltend, die Staatsanwaltschaft habe in der Strafuntersuchung E-5/2019/10026417 gegen das Beschleunigungsgebot verstossen. Mit Beschluss vom 22. Februar 2021 wies das Obergericht die Beschwerde ab (Dispositiv-Ziffer 2). Es auferlegte der Gesellschaft eine Gerichtsgebühr (Dispositiv-Ziffer 3) und sprach keine Entschädigungen zu (Dispositiv-Ziffer 4). Das Obergericht hielt in den Erwägungen fest, das von der Staatsanwaltschaft letztlich mit sachlichen Gründen erklärte Fehlen von nach aussen hin wahrnehmbaren Verfahrensschritten sei gerade noch mit dem Beschleunigungsgebot vereinbar. Nichtsdestotrotz sei die Staatsanwaltschaft gehalten, das Verfahren nun beförderlich voranzutreiben und die nächsten Verfahrensschritte vorzunehmen. 
 
C.  
Die Gesellschaft hat gegen den Beschluss des Obergerichts am 13. April 2021 Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht erhoben. Sie beantragt, die Dispositiv-Ziffern 2-4 des angefochtenen Beschlusses seien aufzuheben und es sei festzustellen, dass die Staatsanwaltschaft in der Untersuchung E-5/2019/10026417 bis zum Abschluss des vorinstanzlichen Schriftenwechsels eine Rechtsverzögerung begangen habe. Eventualiter sei die Angelegenheit zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Staatsanwaltschaft und die Vorinstanz haben auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid in einer strafrechtlichen Angelegenheit im Sinne von Art. 78 Abs. 1 i.V.m. Art. 80 Abs. 1 und 2 BGG. Zwar schliesst der angefochtene Entscheid das Strafverfahren nicht ab; es handelt sich um einen Zwischenentscheid. Die Beschwerdeführerin macht allerdings eine ungerechtfertigte Rechtsverzögerung durch die Staatsanwaltschaft geltend, womit die Beschwerde grundsätzlich unabhängig von den Voraussetzungen von Art. 93 BGG zulässig ist (vgl. Urteil 1B_552/2020 vom 12. Februar 2021 E. 1 mit Hinweis). Die Beschwerdeführerin hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und in der Strafanzeige erklärt, am Strafverfahren als Partei teilnehmen zu wollen. Damit ist sie ungeachtet der Legitimationsvoraussetzungen von Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG zur Beschwerde an das Bundesgericht berechtigt, soweit sie eine Rechtsverzögerung durch die Staatsanwaltschaft rügt. Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten. 
 
2.  
Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 5 Abs. 1 StPO
 
2.1. Zur Garantie eines gerechten Verfahrens nach Art. 29 Abs. 1 BV gehören der ausdrückliche Anspruch auf Beurteilung innert angemessener Frist und das Verbot der Rechtsverzögerung (vgl. auch Art. 6 Ziff. 1 EMRK). Art. 5 StPO konkretisiert das Beschleunigungsgebot für den Bereich des Strafrechts. Nach Abs. 1 dieser Bestimmung nehmen die Strafbehörden die Strafverfahren unverzüglich an die Hand und bringen sie ohne unbegründete Verzögerung zum Abschluss.  
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung wird der Anspruch auf Beurteilung innert angemessener Frist missachtet, wenn die Sache über Gebühr verschleppt wird. Die Beurteilung der angemessenen Verfahrensdauer entzieht sich starren Regeln. Es ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob sich die Dauer unter den konkreten Umständen als angemessen erweist, in der Regel in einer Gesamtbetrachtung. Der Verfahrensgegenstand und die damit verbundene Interessenlage können raschere Entscheide erfordern oder längere Behandlungsperioden erlauben. Zu berücksichtigen sind der Umfang und die Komplexität der aufgeworfenen Sachverhalts- und Rechtsfragen, das Verhalten der beschuldigten Person und der Behörden sowie die Zumutbarkeit für die beschuldigte Person (BGE 143 IV 373 E. 1.3.1 mit Hinweis; Urteil 1B_552/2020 vom 12. Februar 2021 E. 3.1). Anspruch auf Verfahrensbeschleunigung haben primär beschuldigte Personen, in etwas geringerem Mass jedoch auch die übrigen Verfahrensbeteiligten wie die Privatklägerschaft (Urteile 1B_66/2020 vom 2. Dezember 2020 E. 3.1 mit Hinweis). 
Eine Rechtsverzögerung kann insbesondere vorliegen, wenn die Behörde im Verfahren über mehrere Monate hinweg untätig gewesen ist, mithin das Verfahren respektive der Verfahrensabschnitt innert wesentlich kürzerer Zeit hätte abgeschlossen werden können (vgl. Urteil 1B_552/2020 vom 12. Februar 2021 E. 3.1 mit Hinweis). Dass das Verfahren zwischen gewissen Prozessabschnitten zeitweise ruht oder dass einzelne Verfahrenshandlungen auch früher hätten erfolgen können, begründet für sich alleine hingegen noch keine Bundesrechtswidrigkeit (BGE 130 IV 54 E. 3.3.3 mit Hinweisen). Im Rahmen der gesetzlichen Regelung steht der Staatsanwaltschaft bei der zeitlichen Priorisierung und Verfahrensbeschleunigung sodann ein erheblicher Ermessensspielraum zu (Urteil 1B_552/2020 vom 12. Februar 2021 E. 3.1 mit Hinweisen). 
 
2.2. Aus der Rechtsverzögerungsbeschwerde an die Vorinstanz und aus dem angefochtenen Beschluss ergibt sich folgender Ablauf der Strafuntersuchung: Am 31. Juli 2019 hat die Beschwerdeführerin Strafanzeige gegen drei Personen erhoben. Am 10. September 2019 hat die Staatsanwaltschaft der Beschwerdeführerin telefonisch mitgeteilt, sie könne den Fall infolge Arbeitsüberlastung zurzeit nicht behandeln, weshalb vor der zweiten Hälfte des Oktobers 2019 nicht mit weiteren Entwicklungen zu rechnen sei. Am 30. Oktober 2019 und am 19. Dezember 2019 teilte die Staatsanwaltschaft der Beschwerdeführerin mit, dass der Fall wegen anderweitiger Belastung noch nicht habe behandelt werden können. Am 20. Februar 2020 hat die Staatsanwaltschaft die Beschwerdeführerin gebeten, eine mit der Strafanzeige elektronisch eingereichte Beilage erneut einzureichen, was die Beschwerdeführerin am 28. Februar 2020 getan hat. Am 9. März 2020 hat die Staatsanwaltschaft der Beschwerdeführerin telefonisch mitgeteilt, dass der Fall komplex sei und die Staatsanwaltschaft zurzeit evaluiere, wie am besten vorzugehen sei. Auf mehrere Hinweise und Anfragen der Beschwerdeführerin hat die Staatsanwaltschaft zunächst nicht reagiert, bis sie der Beschwerdeführerin am 13. Mai 2020 per E-Mail mitgeteilt hat, sie sei dabei, eine Zusammenstellung der offenen Punkte bzw. Fragen zu erstellen, die in der Folge zur schriftlichen Beantwortung zugestellt würden. Danach stelle sich die Frage, ob die Beschwerdeführerin persönlich zu einer Einvernahme einzuladen sei oder ob einem anderen Vorgehen der Vorzug zu geben sei. Es werde noch um etwas Geduld gebeten.  
Am 17. Juni 2020 hat die Beschwerdeführerin Rechtsverzögerungsbeschwerde bei der Vorinstanz erhoben. Mit Eingaben vom 28. Juni 2020 und vom 10. August 2020 äusserte sich die Staatsanwaltschaft zur Rechtsverzögerungsbeschwerde. Wie die Beschwerdeführerin im vorinstanzlichen Verfahren vorgebracht hat und von den Verfahrensbeteiligten nicht bestritten wurde, hat die Staatsanwaltschaft bis am 17. September 2020 keine für die Beschwerdeführerin wahrnehmbaren Verfahrenshandlungen vorgenommen. 
 
2.3. Nach Einschätzung der Vorinstanz hat sich die Staatsanwaltschaft über 6 Monate nach der Strafanzeige erstmals eingehend mit der Anzeige der Beschwerdeführerin befasst. Vom Zeitpunkt der Strafanzeige bis zur Einreichung der Rechtsverzögerungsbeschwerde vergingen über 10 Monate und bis zur letzten Eingabe der Beschwerdeführerin im vorinstanzlichen Verfahren am 17. September 2020 über 13 Monate. Die Vorinstanz erkannte im angefochtenen Beschluss, die Staatsanwaltschaft habe sich zwar mit der Strafanzeige und den Beilagen dazu inzwischen eingehend auseinandergesetzt, aber jedenfalls bis zur Einreichung der Rechtsverzögerungsbeschwerde keine Verfahrensschritte unternommen. Den beim Bundesgericht eingereichten Akten ist sodann nichts zu entnehmen, was gegen die Schilderung der Beschwerdeführerin im vorinstanzlichen Verfahren spricht, wonach die Staatsanwaltschaft auch bis am 17. September 2020 keine massgeblichen Verfahrenshandlungen vorgenommen hat.  
Die Staatsanwaltschaft hat somit nach über 6 Monaten seit Beginn des Strafverfahrens zwar die Anzeige der Beschwerdeführerin und die Beilagen dazu studiert, im Übrigen jedoch während mindestens 13 Monaten keine massgeblichen Verfahrensschritte unternommen. Insbesondere hat sie während dieser Zeit keine Einvernahmen durchgeführt und keine anderen Beweismassnahmen getroffen. Zurecht weist die Vorinstanz im angefochtenen Beschluss darauf hin, dass die von der Beschwerdeführerin erhobenen Vorwürfe eine gewisse Komplexität aufweisen und ihre Bearbeitung gewisse Ressourcen erfordern. Dass in der Strafuntersuchung ausserordentlich umfangreiche oder ausserordentlich komplexe Sachverhalts- und Rechtsfragen zu klären wären, ist jedoch nicht zu sehen. Auch hat die Beschwerdeführerin nicht mit ihrem Verhalten zur Verlängerung des Verfahrens beigetragen. Immerhin ist aufgrund der besonderen Lage im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie nachvollziehbar, dass es in der Strafuntersuchung zu gewissen Verzögerungen gekommen ist (vgl. Urteil 1B_552/2020 vom 12. Februar 2021 E. 3.4.1). Einen längerfristigen Stillstand des Strafverfahrens rechtfertigt die Covid-19-Pandemie im vorliegenden Fall jedoch nicht. Das Interesse der Beschwerdeführerin an einer raschen Erledigung des Strafverfahrens im Hinblick auf das Verfahren zu ihrer Liquidation liegt auf der Hand und wurde von der Vorinstanz im angefochtenen Beschluss anerkannt. 
 
2.4. Unter den konkreten Umständen lässt sich die lange Dauer der Untätigkeit der Staatsanwaltschaft im Strafverfahren trotz des erheblichen Ermessensspielraums bei der zeitlichen Priorisierung und Verfahrensbeschleunigung nicht mehr rechtfertigen. Die Vorinstanz hat Art. 5 Abs. 1 StPO verletzt, indem sie eine ungerechtfertigte Rechtsverzögerung durch die Staatsanwaltschaft verneint hat.  
 
3.  
Damit ist die Beschwerde gutzuheissen, ohne dass auf die weiteren Rügen der Beschwerdeführerin einzugehen ist. Die Dispositiv-Ziffern 2-4 des angefochtenen Beschlusses sind aufzuheben und es ist festzustellen, dass die Staatsanwaltschaft in der Strafuntersuchung E-5/2019/10026417 bis zum Abschluss des vorinstanzlichen Schriftenwechsels eine Rechtsverzögerung begangen hat. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Gerichtskosten zu erheben (vgl. Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG) und hat der Kanton Zürich der Beschwerdeführerin eine angemessene Parteientschädigung zu bezahlen (vgl. Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Die Sache ist zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Die Dispositiv-Ziffern 2-4 des Beschlusses der Vorinstanz vom 22. Februar 2021 werden aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die Staatsanwaltschaft in der Strafuntersuchung E-5/2019/10026417 bis zum Abschluss des vorinstanzlichen Schriftenwechsels eine Rechtsverzögerung begangen hat. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
4.  
Der Kanton Zürich hat der Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung in der Höhe von Fr. 2'000.-- zu bezahlen. 
 
5.  
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 10. November 2021 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Chaix 
 
Der Gerichtsschreiber: Mattle