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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
8C_513/2008 
 
Urteil vom 10. Dezember 2008 
I. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Ursprung, Präsident, 
Bundesrichter Lustenberger, Frésard, 
Gerichtsschreiberin Riedi Hunold. 
 
Parteien 
R.________, Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Fürsprecher Gerhard Lanz, Kirchenfeldstrasse 68, 3005 Bern, 
 
gegen 
 
beco Berner Wirtschaft, Arbeitsvermittlung, Rechtsdienst, Lagerhausweg 10, 3018 Bern, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Arbeitslosenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern 
vom 15. Mai 2008. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
R.________ (geboren 1961) war während ihrer zweiten Rahmenfrist vom 1. Juli 2006 bis 30. Juni 2008 bei der A.________ AG und der B.________ AG im Zwischenverdienst tätig, erhielt Kompensationszahlungen und suchte eine weitere Teilzeitstelle. Am 13. Dezember 2006 wies das RAV sie an, sich bis 15. Dezember 2006 bei der C.________ AG für eine Stelle als Raumpflegerin zu bewerben. R.________ rief die zuständige Sachbearbeiterin am 14. Dezember 2006 an, erhielt die Auskunft, die Arbeit sei am Mittwochabend durchzuführen, und vereinbarte einen Termin für den 20. Dezember 2006. Anlässlich dieses Bewerbungsgespräches stellte sich heraus, dass die Reinigungsarbeiten am Dienstagabend zu erledigen wären, worauf R.________ der Sachbearbeiterin mitteilte, sie arbeite an diesem Abend bereits bei einer anderen Firma. Die Sachbearbeiterin antwortete, sie kläre dies ab und melde sich dann bei ihr. Mit Formular vom 28. Dezember 2006 teilte die C.________ AG dem RAV mit, R.________ habe kein Interesse an der Anstellung gezeigt und man habe gemerkt, dass es für sie ein "Müssen" gewesen wäre. Am 11. Januar 2007 gewährte das RAV R.________ das rechtliche Gehör. Diese gab am 16. Januar 2007 an, sie habe bis anhin von der Firma noch keine Antwort erhalten. Die Sachbearbeiterin der C.________ AG teilte am 30. Januar 2007 dem RAV mit, R.________ sei es während des Vorstellungsgespräches nicht gelungen, sie von ihrem Interesse an der Stelle zu überzeugen; die übrigen Bewerberinnen hätten interessierter und aufgeschlossener gewirkt und mehr Fragen gestellt. Mit Verfügung vom 30. März 2007 stellte das RAV R.________ wegen Ablehnung einer zumutbaren Arbeit für 35 Tage in der Anspruchsberechtigung ein. R.________ liess Einsprache erheben und die Zeugeneinvernahme der zuständigen Sachbearbeiterin der C.________ AG beantragen. Gestützt auf eine Aktennotiz vom 8. August 2007 über ein Telefongespräch mit der Sachbearbeiterin bestätigte das beco Berner Wirtschaft (nachfolgend: beco) mit Einspracheentscheid vom 15. August 2007 die Verfügung vom 30. März 2007. 
 
B. 
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wies die dagegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 15. Mai 2008 ab. 
 
C. 
R.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen, mit dem Antrag, es seien der kantonale Entscheid aufzuheben und das beco anzuweisen, ihr die gesetzlichen Arbeitslosenversicherungsleistungen auszurichten. Eventualiter sei das beco anzuweisen, nach Gewährung des rechtlichen Gehörs in der Sache neu zu entscheiden. Das beco und das Staatssekretariat für Wirtschaft verzichten auf eine Vernehmlassung. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden. Es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann die Beschwerde mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin überprüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254 mit Hinweisen). 
Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2. 
Die Versicherte rügt - wie schon vor der Vorinstanz - eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Dieser formellrechtliche Einwand ist vorweg zu prüfen. 
2.1 
2.1.1 Gemäss Art. 29 Abs. 2 BV haben die Parteien Anspruch auf rechtliches Gehör. Das rechtliche Gehör dient einerseits der Sachaufklärung, andererseits stellt es ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht beim Erlass eines Entscheids dar, welcher in die Rechtsstellung einer Person eingreift. Dazu gehört insbesondere deren Recht, sich vor Erlass des in ihre Rechtsstellung eingreifenden Entscheids zur Sache zu äussern, erhebliche Beweise beizubringen, Einsicht in die Akten zu nehmen, mit erheblichen Beweisanträgen gehört zu werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen (BGE 132 V 368 E. 3.1 S. 370 mit Hinweisen). 
Aus Inhalt und Funktion des Akteneinsichtsrechts als Teil des Anspruchs auf rechtliches Gehör folgt, dass grundsätzlich sämtliche beweiserheblichen Akten den Beteiligten gezeigt werden müssen, sofern in der sie unmittelbar betreffenden Verfügung darauf abgestellt wird. Denn es gehört zum Kerngehalt des rechtlichen Gehörs, dass der Verfügungsadressat vor Erlass eines für ihn nachteiligen Verwaltungsaktes zum Beweisergebnis Stellung nehmen kann. Das Akteneinsichtsrecht ist somit eng mit dem Äusserungsrecht verbunden, gleichsam dessen Vorbedingung. Der Versicherte kann sich nur dann wirksam zur Sache äussern und geeignete Beweise führen oder bezeichnen, wenn ihm die Möglichkeit eingeräumt wird, die Unterlagen einzusehen, auf welche sich die Behörde bei ihrer Verfügung gestützt hat. Das rechtliche Gehör dient in diesem Sinne einerseits der Sachaufklärung und stellt andererseits ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht im Verfahren dar. Daraus ergibt sich, dass der Versicherer, welcher neue Akten beizieht, auf die er sich in seiner Verfügung zu stützen gedenkt, grundsätzlich verpflichtet ist, die Beteiligten über den Aktenbeizug zu informieren. Das Akteneinsichtsrecht bezieht sich auf sämtliche verfahrensbezogenen Akten, die geeignet sind, Grundlage des Entscheids zu bilden. Die Einsicht in die Akten, die für ein bestimmtes Verfahren erstellt oder beigezogen wurden, kann nicht mit der Begründung verweigert werden, die fraglichen Akten seien für den Verfahrensausgang belanglos. Es muss vielmehr dem Betroffenen selber überlassen sein, die Relevanz der Akten zu beurteilen (BGE 132 V 387 E. 3 S. 388). 
2.1.2 Das Recht, angehört zu werden, ist formeller Natur. Die Verletzung des rechtlichen Gehörs führt ungeachtet der Erfolgsaussichten der Beschwerde in der Sache selbst zur Aufhebung der angefochtenen Verfügung. Es kommt mit anderen Worten nicht darauf an, ob die Anhörung im konkreten Fall für den Ausgang der materiellen Streitentscheidung von Bedeutung ist, d.h. die Behörde zu einer Änderung ihres Entscheides veranlasst wird oder nicht (BGE 132 V 387 E. 5.1 S. 390; 127 V 431 E. 3d/aa S. 437). 
Nach der Rechtsprechung kann eine - nicht besonders schwerwiegende - Verletzung des rechtlichen Gehörs ausnahmsweise als geheilt gelten, wenn die betroffene Person die Möglichkeit erhält, sich vor einer Beschwerdeinstanz zu äussern, die sowohl den Sachverhalt wie die Rechtslage frei überprüfen kann (127 V 431 E. 3d/aa S. 437). Von einer Rückweisung der Sache an die Verwaltung ist selbst bei einer schwerwiegenden Verletzung des rechtlichen Gehörs dann abzusehen, wenn und soweit die Rückweisung zu einem formalistischen Leerlauf und damit zu unnötigen Verzögerungen führen würde, die mit dem (der Anhörung gleichgestellten) Interesse der betroffenen Partei an einer beförderlichen Beurteilung der Sache nicht zu vereinbaren wären (BGE 132 V 387 E. 5.1 S. 390 mit Hinweis). 
 
2.2 Das beco hat am 8. August 2007 während des Einspracheverfahrens telefonisch eine Stellungnahme bei der zuständigen Sachbearbeiterin eingeholt und dies im Rahmen einer Aktennotiz festgehalten. In der Begründung des Einspracheentscheids stützte es sich u.a. auf diese Aktennotiz, stellte sie der Versicherten jedoch weder vor noch nach Erlass des Einspracheentscheids zur Kenntnis- und allfälligen Stellungnahme zu. Obwohl die Versicherte vor dem kantonalen Gericht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend machte, wurde ihr auch im Rahmen des vorinstanzlichen Verfahrens weder Gelegenheit eingeräumt, sich zu diesem Aktenstück zu äussern, noch die strittige Aktennotiz zur Kenntnisnahme zugestellt. Vielmehr entschied das kantonale Gericht nach Einholung der Stellungnahme des beco ohne weitere Instruktionsmassnahme und betrachtete das rechtliche Gehör nicht als verletzt, da die Aktennotiz lediglich den Inhalt der Schreiben vom 28. Dezember 2006 sowie 30. Januar 2007 bestätige und selbst bei Verletzung des Anspruchs auf rechtlichen Gehörs dieser Mangel als geheilt gelte. 
 
2.3 Die strittige Aktennotiz befasst sich inhaltlich mit dem entscheidwesentlichen Punkt, nämlich dem Verhalten der Versicherten anlässlich des Vorstellungsgespräches vom 20. Dezember 2006. Diesbezüglich bestehen unterschiedliche Einschätzungen der Sachbearbeiterin einerseits und der Versicherten andererseits. Verwaltung und Vorinstanz wären somit gehalten gewesen, der Versicherten vor ihrem Entscheid diese Aktennotiz zur Kenntnis- und allfälligen Stellungnahme zuzustellen (vgl. Urteil 8C_102/2007 vom 25. Oktober 2007, E. 3, sowie Urteil 8C_147/2007 vom 27. Februar 2008, E. 4.2). Dies gilt umso mehr, als diese Aktennotiz nicht bloss die Aussagen in den Schreiben vom 28. Dezember 2006 und 30. Januar 2007 bestätigt, sondern darüber hinaus erstmals klarstellt, dass das Kriterium der Ausführung der Reinigungsarbeiten am Dienstagabend nicht wesentlich für den Anstellungsentscheid war, und insbesondere für die Versicherte entlastende Momente enthält (persönlicher und subjektiver Eindruck; italienisches Temperament). Vorinstanz und Verwaltung haben somit den Anspruch der Versicherten auf rechtliches Gehör verletzt. 
Ob es sich dabei um eine besonders schwer wiegende Verletzung des rechtlichen Gehörs handelt, kann offenbleiben, da der Versicherten nicht zugestanden wurde, zu dieser Aktennotiz vor einer über umfassende Kognition verfügenden (richterlichen) Behörde Stellung zu nehmen und eine Heilung dieses Mangels somit rechtsprechungsgemäss ohnehin entfällt (vgl. Urteil 8C_102/2007 vom 25. Oktober 2007, E. 3.2.1). Zudem wurde das rechtliche Gehör der Versicherten nicht nur durch die Verwaltung, sondern auch durch das kantonale Gericht verletzt, welches ihr trotz der entsprechenden Rüge keine Gelegenheit gab, sich zur Aktennotiz zu äussern. Soweit einer Vorinstanz die Missachtung einer formellen Verfahrensgarantie zum Vorwurf gemacht werden muss, bildet die Kassation ihres Entscheids weiterhin die Regel, zumal die rechtsunterworfene Person grundsätzlich Anspruch auf Einhaltung des Instanzenzugs hat (vgl. Urteil 8C_147/2007 vom 27. Februar 2008, E. 4.4, sowie Urteil 8C_241/2007 vom 9. Juni 2008, E. 1.3.2, je mit Hinweisen). Der Mangel könnte schliesslich auch deshalb nicht geheilt werden, da die Versicherte ausdrücklich die Rückweisung an die Verwaltung zu erneuter Verfügung nach Gewährung des rechtlichen Gehörs verlangt und damit auf eine rasche Erledigung in der Sache selbst verzichtet (vgl. Urteil 8C_102/2007 vom 25. Oktober 2007, E. 3.2.2, sowie Urteil 8C_147/2007 vom 27. Februar 2008, E. 4.4). 
 
2.4 Nach dem Gesagten sind der vorinstanzliche Entscheid vom 15. Mai 2008 sowie der Einspracheentscheid vom 15. August 2007 aufzuheben und die Sache ist an die Verwaltung zurückzuweisen, damit sie nach Gewährung des rechtlichen Gehörs über die Einstellung in der Anspruchsberechtigung neu verfüge. 
 
3. 
Das Verfahren ist grundsätzlich kostenpflichtig. Das unterliegende beco ist jedoch gestützt auf Art. 66 Abs. 4 BGG von Gerichtskosten befreit (BGE 133 V 640). Die Versicherte hat Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, vom 15. Mai 2008 und der Einspracheentscheid des beco Berner Wirtschaft, Arbeitsvermittlung, Rechtsdienst, vom 15. August 2007 werden aufgehoben. Die Sache wird ans beco Berner Wirtschaft, Abteilung Arbeitsvermittlung, Rechtsdienst, zurückgewiesen, damit es im Sinne der Erwägungen verfahre und über die Einstellung in der Anspruchsberechtigung neu verfüge. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3. 
Der Beschwerdegegner hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2500.- zu entschädigen. 
 
4. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, zurückgewiesen. 
 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, dem beco Berner Wirtschaft, Arbeitslosenkasse, und dem Staatssekretariat für Wirtschaft schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 10. Dezember 2008 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: 
 
Ursprung Riedi Hunold