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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
8C_661/2007 
 
Urteil vom 11. April 2008 
I. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Ursprung, Präsident, 
Bundesrichterinnen Widmer, Leuzinger, 
Gerichtsschreiber Lanz. 
 
Parteien 
U.________, Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Daniel Richter, Beethovenstrasse 11, 8002 Zürich, 
 
gegen 
 
Zürich Versicherungs-Gesellschaft, 
8085 Zürich, Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau 
vom 12. September 2007. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Die 1976 geborene U.________ war als Schwesternhilfe im Spital X.________ tätig und dadurch bei der Zürich Versicherungs-Gesellschaft (nachfolgend: Zürich) obligatorisch gegen Unfallfolgen versichert. Am 23. September 2001 verletzte sie sich auf der Autobahn bei einer Auffahrkollision, an der insgesamt fünf Personenwagen beteiligt waren. Der BMW 318i, in welchem die Versicherte unangegurtet hinten rechts sass, war als mittleres der Fahrzeuge betroffen und wurde an Front und Heck beschädigt. U.________ wurde ins Spital Y.________ überführt, wo gestützt auf eine ambulante Abklärung eine Distorsion der Halswirbelsäule (HWS) ohne ossäre Läsionen diagnostiziert wurde; die Versicherte klagte auch über Beschwerden im Bereich von Brust- und Lendenwirbelsäule sowie Sternum. Es entwickelte sich sodann eine psychische Problematik. Die Zürich erbrachte die gesetzlichen Leistungen (Heilbehandlung, Taggeld). Nach Abklärungen zum Unfallhergang und zum medizinischen Sachverhalt (unter anderem Einholung eines polydisziplinären Gutachtens vom 18. Mai 2004 mit Ergänzung vom 20. Juli 2005) eröffnete sie U.________ mit Verfügung vom 4. Januar 2006 die Einstellung der Leistungen auf den 18. Mai 2004; zudem wurde ein Anspruch auf eine Invalidenrente und eine Integritätsentschädigung verneint. Zur Begründung führte die Zürich aus, die über den genannten Zeitpunkt hinaus geklagten Beschwerden seien nicht mit einem unfallkausalen Gesundheitsschaden zu erklären. Die vom Krankenpflegeversicherer der U.________ vorsorglich erhobene Einsprache wurde wieder zurückgezogen. Die Einsprache der Versicherten wies die Zürich ab (Einspracheentscheid vom 7. August 2006). 
 
B. 
Die von U.________ hiegegen eingereichte Beschwerde auf Zusprechung weiterer gesetzlicher Leistungen wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 12. September 2007 ab. 
 
C. 
U.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Rechtsbegehren, in Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides sei die Zürich zu verpflichten, weiterhin die gesetzlichen Leistungen zu erbringen und Verzugszins auf den rückwirkend geschuldeten Leistungen auszurichten. 
 
Die Zürich schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Auf die Beschwerde kann insoweit nicht eingetreten werden, als die Zusprechung von Verzugszins verlangt wird, bildete doch diese nicht Gegenstand des kantonalen Verfahrens. 
 
2. 
Die Zürich legt mit ihrer Vernehmlassung zwei Ermittlungsberichte der Firma Z.________ AG vom 29. November 2006 und 30. Oktober 2007 auf, welche ein mit dem Unfall vom 23. September 2001 befasster Haftpflichtversicherer eingeholt hat. Die Berichte beschreiben Überwachungen der Versicherten in den Zeiträumen vom 29. Mai bis 13. November 2006 und 12. Juli bis 27. September 2007. Es stellen sich zunächst grundsätzliche Fragen zur Verwertbarkeit der dabei gewonnenen Erkenntnisse, zumal die Ermittlungsberichte der Beschwerdeführerin vor dem vorliegenden Verfahren nicht eröffnet wurden. Weiterungen hiezu erübrigen sich aber, da die Ermittlungsberichte ohnehin keine wesentlichen Anhaltspunkte zum Sachverhalt enthalten, wie er sich bis zum - die zeitliche Grenze der richterlichen Überprüfungsbefugnis bildenden (BGE 129 V 167 E. 1 S. 169 mit Hinweis auf 121 V 362 E. 1b S. 366) - Erlass des Einspracheentscheides vom 7. August 2006 zugetragen hat. 
 
3. 
Streitig und zu prüfen ist der Anspruch auf Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung aus dem Unfall vom 23. September 2001 über den 18. Mai 2004 hinaus. 
Das kantonale Gericht hat die von der Rechtsprechung erarbeiteten Grundsätze zum für einen Leistungsanspruch vorausgesetzten natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem eingetretenen Schaden im Allgemeinen (BGE 129 V 177 E. 3.1 und 3.2 S. 181 mit Hinweisen) sowie bei klar ausgewiesenen organischen Unfallfolgen (BGE 127 V 102 E. 5b/bb S. 103 mit Hinweisen), bei psychischen Fehlentwicklungen nach Unfall (BGE 115 V 133) sowie bei nicht mit organisch objektiv ausgewiesenen Unfallfolgen verbundenen Schleudertraumen (BGE 117 V 359), äquivalenten Verletzungen der Halswirbelsäule (HWS; SVR 1995 UV Nr. 23 S. 67 E. 2) und Schädel-Hirntraumen (BGE 117 V 369) im Besonderen zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
Anzufügen bleibt, dass das Bundesgericht jüngst die sog. Schleudertrauma-Praxis in zweierlei Hinsicht präzisiert hat: Zum einen wurden die Anforderungen an den Nachweis einer natürlich unfallkausalen Verletzung, welche die Anwendung dieser Praxis bei der Prüfung des adäquaten Kausalzusammenhangs rechtfertigt, erhöht. Zum anderen wurden die Kriterien, welche abhängig von der Unfallschwere gegebenenfalls in die Adäquanzbeurteilung einzubeziehen sind, teilweise modifiziert (noch nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlichtes Urteil U 394/06 vom 19. Februar 2008, E. 9 und 10). Die bei psychischen Fehlentwicklungen nach Unfall geltenden Grundsätze liess das Bundesgericht hingegen unverändert bestehen (E. 6.1 des erwähnten Urteils). 
 
4. 
Das kantonale Gericht hat zunächst erwogen, die über den 18. Mai 2004 hinaus geklagten Beschwerden seien zwar als natürlich unfallkausal zu betrachten. Sie liessen sich aber nicht mit einer organisch objektiv ausgewiesenen Unfallfolge erklären. 
Diese Beurteilung beruht auf einer sorgfältigen und zutreffenden Würdigung der medizinischen Akten über die, auch mit bildgebenden Verfahren, durchgeführten ärztlichen Abklärungen. Sie hat zur Folge, dass anders als bei Gesundheitsschädigungen mit einem klaren unfallbedingten organischen Substrat, bei welchen der adäquate Kausalzusammenhang in der Regel mit dem natürlichen bejaht werden kann (BGE 127 V 102 E. 5b/bb S. 103 mit Hinweisen), eine besondere Adäquanzprüfung zu erfolgen hat. 
Was in der Beschwerde vorgetragen wird, führt zu keiner anderen Betrachtungsweise. Zwar trifft zu, dass im polydisziplinären Gutachten vom 18. Mai 2004, namentlich durch die neurologische Konsiliarärztin, somatische Beschwerden und eine dadurch bedingte Einschränkung der Arbeitsfähigkeit bestätigt werden. Wie das kantonale Gericht indessen richtig dargelegt hat, genügen physisch imponierende Beschwerden nicht für den Nachweis einer unfallbedingten organischen Ursache (Urteil U 42/2007 vom 16. Januar 2008, E. 3.2; vgl. auch SVR 2008 UV Nr. 2 S. 3, U 328/06, E. 5.2 mit Hinweisen). In der Ergänzung der Expertise vom 20. Juli 2005 betonen die begutachtenden Fachärzte denn auch, dass die durchgeführten Untersuchungen keine objektivierbaren Ausfälle resp. Befunde im Sinne eines objektivierbaren strukturellen Schadens ergeben hätten. Dies gelte auch aus neurologischer Sicht. Die Einschränkung der Arbeitsfähigkeit sei aufgrund psychosomatischer bzw. psychisch bedingter Symptome, welche sich in körperlichen Beschwerden äusserten, bestätigt worden. 
 
5. 
Den adäquaten Kausalzusammenhang hat die Vorinstanz, wie bereits der Unfallversicherer, nach den bei psychischen Fehlentwicklungen geltenden Grundsätzen geprüft. Die Voraussetzungen für die Anwendung der Schleudertrauma-Praxis seien nicht erfüllt. 
Diese Beurteilung ist nach Lage der medizinischen Akten richtig und wird auch nicht beanstandet. 
 
6. 
6.1 Für die Adäquanzprüfung ist an das (objektiv erfassbare) Unfallereignis anzuknüpfen (BGE 115 V 133 E. 6 Ingress S. 139). 
6.1.1 Das kantonale Gericht hat den Unfall vom 23. September 2001 als mittelschweren Unfall im engeren Sinne, d.h. nicht im Grenzbereich zu den leichten oder zu den schweren Unfällen, betrachtet. Die Beschwerdeführerin macht geltend, es handle sich um ein Ereignis an der Grenze zu den schweren Unfällen. 
6.1.2 Die Schwere des Unfalles ist im Rahmen einer objektivierten Betrachtungsweise zu prüfen. Massgebend ist der augenfällige Geschehensablauf mit den sich dabei entwickelnden Kräften, nicht jedoch Folgen des Unfalls oder Begleitumstände, die nicht direkt dem Unfallgeschehen zugerechnet werden können (BGE 115 V 133 E. 6 Ingress S. 139; SVR 2008 UV Nr. 8 S. 26, U 2, 3 und 4/07, E. 5.3.1 mit Hinweisen). 
Auffahrkollisionen auf ein (haltendes) Fahrzeug werden regelmässig in die Kategorie der mittelschweren Ereignisse im Grenzbereich zu den leichten Unfällen eingereiht (RKUV 2005 Nr. U 549 S. 236, U 380/04, E. 5.1.2 mit Hinweisen). Im vorliegenden Fall mag der Umstand, dass der BMW, in welchem die Beschwerdeführerin sass, zunächst in den vorderen Personenwagen prallte, und danach die beiden folgenden Fahrzeuge auffuhren, rechtfertigen, den Unfall als mittelschwer zu qualifizieren. Der augenfällige Geschehensablauf und die Kräfte, die sich dabei auch gemäss der vorgenommenen unfallanalytischen-biomechanischen Beurteilung (Abklärungsberichte vom 22. Oktober 2003 und 23. Februar 2004) entwickelt haben, gestatten aber nicht den Schluss auf einen Unfall im Grenzbereich zu den schweren Ereignissen. Als Unfälle mit diesem Schweregrad werden regelmässig nur mit markant höheren kräftemässigen Einwirkungen verbundene Ereignisse betrachtet (vgl. RKUV 2005 Nr. U 555 S. 322, U 458/04, E. 3.4.1, und Nr. U 548 S. 228, U 306/04, E. 3.2.2, je mit Hinweisen). Der Hinweis der Beschwerdeführerin auf die nach dem Unfall gestellten psychiatrischen Diagnosen ergibt nichts anderes. Die psychische Problematik als Folge des Unfalls hat nach dem zuvor Gesagten bei der Beurteilung von dessen Schwere ausser Acht zu bleiben. 
 
6.2 Bei der gegebenen Unfallschwere müssten von den weiteren, objektiv fassbaren und unmittelbar mit dem Unfall in Zusammenhang stehenden oder als Folge davon erscheinenden Umständen, welche als massgebende Kriterien in die Gesamtwürdigung einzubeziehen sind (BGE 115 V 133 E. 6c/aa S. 140), für eine Bejahung des adäquaten Kausalzusammenhanges entweder ein einzelnes in besonders ausgeprägter Weise oder aber mehrere in gehäufter oder auffallender Weise gegeben sein (BGE 115 V 133 E. 6c/bb S. 140). 
6.2.1 Das kantonale Gericht hat das Vorliegen sämtlicher adäquanzrelevanter Kriterien verneint. Demgegenüber erachtet die Beschwerdeführerin deren mehrere für erfüllt. 
6.2.2 Dass die erlittenen Verletzungen schwer oder von besonderer Art gewesen wären, wird zu Recht ebenso wenig geltend gemacht wie eine ärztliche Fehlbehandlung, welche die Unfallfolgen erheblich verschlimmerte, oder ein schwieriger Heilungsverlauf und erhebliche Komplikationen. 
Auch wenn sodann dem Unfallgeschehen, namentlich aufgrund der Mehrfachkollision und dem Umstand, dass diese in einem Tunnel stattfand, eine gewisse Eindrücklichkeit nicht abgesprochen werden kann, war diese doch entgegen der Beschwerde nicht besonders ausgeprägt und lagen auch keine besonders dramatischen Begleitumstände vor. Der Schrecken, den die Versicherte erlitten hat, hielt sich bei objektiver Betrachtung im Rahmen des bei Unfällen Üblichen und war nicht geeignet, das Entstehen einer psychischen Störung massgeblich zu fördern (vgl. die im Urteil U 424/04 vom 5. Oktober 2005, E. 6.2, aufgeführten Beispiele aus der Praxis). Dass sich der Unfall am ersten Hochzeitstag der Beschwerdeführerin zugetragen hat, gestattet keine andere Betrachtungsweise. 
Mit dem kantonalen Gericht kann ohne weiteres auch das Kriterium der ungewöhnlich langen Dauer der auf die physischen Beschwerden gerichteten ärztlichen Behandlung verneint werden, richteten sich doch die empfohlenen und die durchgeführten Therapiemassnahmen schon bald nach dem Unfall vor allem auf die psychische Problematik. 
Selbst wenn, ohne nähere Prüfung, die zwei weiteren in Frage kommenden Kriterien der körperlichen Dauerschmerzen sowie des Grades und der Dauer der physisch bedingten Arbeitsunfähigkeit bejaht würden, wäre keiner dieser Faktoren in besonders ausgeprägter Weise gegeben und lägen die adäquanzrelevanten Kriterien weder in gehäufter noch in auffallender Weise vor. Die Vorinstanz hat demnach die Adäquanz und damit eine Leistungspflicht der Zürich für die über den 18. Mai 2004 hinaus bestandenen Beschwerden zu Recht verneint. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
Luzern, 11. April 2008 
 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
 
Ursprung Lanz