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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
6B_1347/2019  
 
 
Urteil vom 11. August 2020  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, 
Bundesrichterin Koch, 
Gerichtsschreiber Held. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Claudio Nosetti, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
1. Staatsanwaltschaft des Kantons Nidwalden, 
2. B.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Claudio Kerber, 
Beschwerdegegnerinnen. 
 
Gegenstand 
Verfahrenskosten, Genugtuung; Entschädigung an Privatklägerin (Verfahrenseinstellung), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Nidwalden, Beschwerdeabteilung in Strafsachen, vom 10. Oktober 2019 (BAS 19 7). 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Die Beschwerdegegnerin 2 (nachfolgend "Privatklägerin") stellte gegen den Beschwerdeführer Strafanzeige wegen des Verdachts auf Veruntreuung. Mit Verfügung vom 21. Februar 2019 stellte die Beschwerdegegnerin 1 das Verfahren hinsichtlich einer Darlehensvergabe (teilweise respektive nach vorheriger Verfahrenstrennung vollständig) ein und auferlegte dem Beschwerdeführer gleichzeitig Verfahrenskosten in Höhe von Fr. 2'400.-. 
 
Die vom Beschwerdeführer gegen die Kostenauflage erhobene Beschwerde wies die Vorinstanz mit Entscheid vom 10. Oktober 2019 kostenpflichtig ab. Sie erwägt zusammengefasst, der Einstellungsverfügung könne kein Verdacht auf Anlastung eines strafrechtlichen Verhaltens entnommen werden, weshalb die Kostenauflage nicht gegen die Unschuldsvermutung verstosse. Der Beschwerdegegnerin 1 sei zuzustimmen, dass die dem Beschwerdeführer von der Privatklägerin vorgeworfene Verletzung seiner Rechenschafts- und Herausgabepflichten als Beauftragter "klar geeignet" gewesen sei, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge den Verdacht einer strafbaren Handlung zu erwecken. Die Vertragsverletzungen seien demnach adäquat-kausal für die Eröffnung des Strafverfahrens. Die Kostenauflage gemäss Art. 426 Abs. 2 StPO sei mithin zu Recht erfolgt. Da der Kostenentscheid grundsätzlich die Entschädigungsfrage präjudiziere, sei dem Beschwerdeführer auch keine Entschädigung zuzusprechen (Art. 430 Abs. 1 lit. a StPO) und dieser habe die Privatklägerin angemessen zu entschädigen (Art. 433 Abs. 1 lit. b StPO). 
 
2.   
Der Beschwerdeführer beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das Urteil der Vorinstanz sowie die Ziffern 2, 3 und 5 der Einstellungsverfügung vom 21. Februar 2019 seien aufzuheben, "unter Kosten und Entschädigungsfolgen über sämtliche Instanzen". Er rügt, der angefochtene Entscheid verstosse gegen Art. 426 Abs. 2 und Art. 430 Abs. 1 lit. a StPO. Eine Kostenauflage gegen ihn als beschuldigte Person sei im Falle einer Einstellung nur bei unbestrittenen oder nachgewiesenen Umständen möglich. Dies sei nicht der Fall, denn es sei nicht erstellt (respektive bestritten), dass die Privatklägerin ihm überhaupt Geld habe zukommen lassen sowie dass und allenfalls welcher Art vertragliche Beziehungen bestanden hätten. Zudem verstosse die Kostenauflage gegen die Unschuldsvermutung, da das angeblich bestehende Vertragsverhältnis Gegenstand eines weiteren hängigen Strafverfahrens gegen ihn sei. 
 
Mit Verfügung vom 20. Dezember 2019 wies der Präsident der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts das vom Beschwerdeführer gestellte Gesuch um aufschiebende Wirkung dessen Beschwerde ab. 
 
Die Vorinstanz sowie die Beschwerdegegnerin 1 und die Privatklägerin haben auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
3.  
 
3.1. Das Bundesgericht wendet unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 2 BGG) das Recht - mit Ausnahme der Verletzung von Grundrechten sowie von kantonalem und interkantonalem Recht - von Amtes wegen an (Art. 106 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Begründung der Vorinstanz gebunden (BGE 143 V 19 E. 2.3; 141 III 426 E. 2.4 je mit Hinweisen).  
 
3.2. Gemäss Art. 426 Abs. 2 StPO können der beschuldigten Person bei Einstellung des Verfahrens die Verfahrenskosten ganz oder teilweise auferlegt werden, wenn sie rechtswidrig und schuldhaft die Einleitung des Verfahrens bewirkt oder dessen Durchführung erschwert hat. Unter den gleichen Voraussetzungen kann nach Art. 430 Abs. 1 lit. a StPO eine Entschädigung herabgesetzt oder verweigert werden.  
Das Verhalten einer beschuldigten Person ist widerrechtlich, wenn es klar gegen Normen der Rechtsordnung verstösst, wobei jedoch nicht jede s vertrags-, sitten- (Art. 20 OR) oder treuwidrige Verhalten (Art. 2 ZGB) eine Kostenauflage rechtfertigt. Vorausgesetzt sind grundsätzlich qualifiziert rechtswidrige und rechtsgenüglich nachgewiesene Verstösse. Die Verfahrenskosten müssen zudem mit dem zivilrechtlich vorwerfbaren Verhalten in einem adäquat-kausalen Zusammenhang stehen. Eine Kostenauflage kommt nur in Betracht, wenn sich die Behörde aufgrund des normwidrigen Verhaltens der beschuldigten Person in Ausübung pflichtgemässen Ermessens zur Einleitung eines Strafverfahrens veranlasst sehen konnte, hingegen nicht, wenn sie aus Übereifer, aufgrund unrichtiger Beurteilung der Rechtslage oder vorschnell eine Strafuntersuchung eingeleitet hat. Die Überbindung von Verfahrenskosten an die beschuldigte Person bei Freispruch oder Einstellung des Verfahrens hat Ausnahmecharakter (BGE 144 IV 202 E. 2.2; Urteil 6B_1038/2019 vom 30. April 2020 E. 4.2; je mit Hinweisen). 
 
4.   
Aus dem angefochtenen Entscheid ergibt sich, dass die Beschwerdegegnerin 1 der Einstellungsverfügung exakt den von der Privatklägerin zur Anzeige gebrachten Lebenssachverhalt zugrunde legt, diesen jedoch aus rechtlichen Gründen als nicht strafbar erachtet. Insofern ist nicht ersichtlich, warum erhebliche Ermittlungstätigkeiten, insbesondere Beweisaufnahmen, erforderlich gewesen sein sollen. Hätte die Beschwerdegegnerin 1 den angezeigten Lebenssachverhalt in einem ersten Schritt einer rechtlichen Beurteilung unterzogen, wäre sie gestützt auf die der Einstellungsverfügung zugrunde gelegte Rechtsauffassung zum Ergebnis gekommen, dass der Beschwerdeführer keines strafbaren Verhaltens verdächtig ist und eine Nichtanhandnahme (oder Einstellung) zu verfügen ist. Die dem Beschwerdeführer vorgeworfenen zivilrechtlichen Pflichtverstösse erschöpfen sich in blossen Vertragsverletzungen. Sie sind demnach nicht adäquat-kausal für die Eröffnung des Strafverfahrens sowie die damit verbundenen Ermittlungstätigkeiten und rechtfertigen keine Kostenauflage gemäss Art. 426 Abs. 2 StPO. Das Strafverfahren dient nicht als (kostengünstiges) Vehikel zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche (vgl. BGE 137 IV 246 E. 1.3.1 S. 247 f.; Urteil 6B_968/2018 vom 8. April 2019 E. 1.2.1 mit Hinweisen). Mangels rechtswidriger und schuldhafter Einleitung des Strafverfahrens hinsichtlich des eingestellten Lebenssachverhalts verstossen auch die Verweigerung einer Entschädigung an den Beschwerdeführer gemäss Art. 430 Abs. 1 lit. a StPO sowie dessen Verpflichtung, die Privatklägerin zu entschädigen (Art. 433 Abs. 1 lit. b StPO), gegen Bundesrecht. 
 
Die Beschwerde erweist sich als begründet, weshalb die umfangreichen Rügen des Beschwerdeführers gegen den der Einstellungsverfügung zugrunde gelegten Lebenssachverhalt nicht zu behandeln sind und offenbleiben kann, ob diese den Begründungsanforderungen genügen (vgl. hierzu: BGE 143 IV 241 E. 2.3) und im Ergebnis zutreffend sind. 
 
5.   
Die Beschwerde ist im Verfahren gemäss Art. 109 BGG gutzuheissen. Bei diesem Verfahrensausgang sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Der Kanton Nidwalden hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Nidwalden vom 10. Oktober 2019 aufgehoben und die Sache zur Neuregelung im Kosten- und Entschädigungspunkt an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.   
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.   
Der Kanton Nidwalden hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr 3'000. - zu entschädigen. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Nidwalden, Beschwerdeabteilung in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 11. August 2020 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Der Gerichtsschreiber: Held